Bereits seit einigen Jahren wird die Krankenhausfinanzierung mittels Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRGs) kritisiert. Diese Kritik hat sich im Zuge der Coronapandemie noch verstärkt. In Medien und Politik stehen insbesondere der Anreiz zur Leistungsausweitung der Krankenhäuser (sie behandeln vor allem ökonomisch lukrative Fälle, und davon mehr als medizinisch notwendig) und die Nichtberücksichtigung von Vorhaltekosten im Fokus. Dabei wird oft das Beispiel der Feuerwehr, die auch nicht pro Einsatz bezahlt wird, herangezogen. Die 2021 neu angetretene Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP verspricht in ihrem Koalitionsvertrag, Abhilfe zu schaffen (SPD/Bündnis 90/Die Grünen/ FDP 2021: 67). Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach rief speziell für die Ausarbeitung von Reformvorschlägen eine Expertenkommission zusammen. Seine Ankündigung erweckt den Eindruck eines bevorstehenden Systemwechsels: «Die Medizin wird wieder in den Vordergrund gestellt und folgt nicht mehr der Ökonomie.» (tagesschau 2022)
Bei genauerer Analyse der Vorschläge der Kommission offenbart sich jedoch, dass es sich bei der angekündigten «radikalen Entökonomisierung» um einen Etikettenschwindel handelt: Die DRGs werden in reduzierter Form beibehalten, die Vorhaltefinanzierung erfolgt nicht kostendeckend und zweckgebunden, sondern wieder in Form von Pauschalen, die weiterhin Kostendruck erzeugen. [...]
Ein Blick auf die Zusammensetzung der Kommission zeigt indes, dass hier auch prominente Gesundheitsökonom* innen mitwirken, die gut in neoliberalen Thinktanks und Stiftungen vernetzt sind und die Ökonomisierung der vergangenen Jahre maßgeblich mit vorangetrieben haben. Sie vertreten also nicht die Wissenschaft, sondern die aktuelle Variante neoliberaler Gesundheitsökonomie, deren Wissenschaftlichkeit mit gutem Grund in Zweifel gezogen werden kann. Zudem haben auch Interessenverbände wie die gesetzlichen Krankenversicherungen Positionspapiere veröffentlicht, die zu weiten Teilen Eingang in die Vorschläge gefunden haben.
Vor diesem Hintergrund untersucht das vorliegende Papier, welcher Einfluss in den Vorschlägen der Regierungskommission für eine Reform der Krankenhausfinanzierung ausgemacht werden kann und welche Vorstellungen und Interessen dahinterstehen. Hierzu wird die Zusammensetzung der Kommission in den Blick genommen und der Frage nachgegangen, in welchen Netzwerken ihre Mitglieder aktiv sind und welche Positionen sie in der Vergangenheit einnahmen.
Inhalt:
- 1 Einleitung
- 2 Neoliberale Akteure im Gesundheitswesen
- 2.1 Unternehmensnahe Stiftungen
- 2.2 Die Mitglieder der Regierungskommission
- 3 Gesundheitspolitische Analysen und Konzepte von Augurzky und Busse
- 3.1 Die Erzählung: Krisenursache demografischer Wandel und Überkapazitäten
- 3.2 Die Lösung: Effizienzsteigerung
- 4 Die Vorschläge der Regierungskommission
- 4.1 Reformvorschläge und neoliberale Ansätze
- 4.2 Die Umsetzung: Krankenhausplanung und Strukturreform
- 5 Fazit
- Literatur
Autor:
Dietmar Lange ist seit einigen Jahren im gesundheitspolitischen Bereich aktiv, vor allem im Rahmen der Streiks für mehr Personal an den Berliner Krankenhäusern. Zurzeit leitet er die Geschäftsstelle des Bündnisses Krankenhaus statt Fabrik.