Publikation Parteien / Wahlanalysen Flimmern in der Herzkammer

Warum es für die CSU um weit mehr, als ein paar Prozente geht. Zur Landtagswahl in Bayern am 8. Oktober 2023

Information

Reihe

Online-Publ.

Autor

Andreas Thomsen,

Erschienen

Oktober 2023

Bestellhinweis

Nur online verfügbar

Maximilianeum in München, Sitz des Bayerischen Landtags
Maximilianeum in München, Sitz des Bayerischen Landtags CC BY 2.0, Foto: Pixelteufel, via Flickr

Auf den ersten Blick könnte das bayerische Landtagswahlergebnis ein Bild bleierner Stabilität zeigen. Die CSU wird erneut stärkste Partei. Sie wird mit größter Wahrscheinlichkeit mit den Freien Wählern, dem bisherigen Koalitionspartner weiterregieren. Wieder einmal war die Opposition ohne jede Chance, die CSU-geführte Regierung endlich abzulösen. Alles wie immer – oder zumindest seit rund sechs Jahrzehnten, als die CSU Mitte der Sechziger Jahre ihren Aufstieg zur unbestritten führenden Kraft, zur «bayerischen Staatspartei» abgeschlossen hatte. Diese Betrachtung befasst sich in erster Linie mit der Perspektive der Staatspartei CSU und den Herausforderungen vor der sie gestellt ist. Der Fokus liegt an dieser Stelle nicht bei der Analyse des Wahlergebnisses anderer Parteien, namentlich der LINKEN. Auch diese muss vorgenommen worden, ist aber nicht das Thema hier.

Staatspartei CSU

1974 erzielte die CSU mit 62,1 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl. Die Ära der, durch eine absolute Mehrheit gesicherte Alleinherrschaft der CSU begann 1966 und endete mit der Wahl 2008. Seither werden keine Ergebnisse über 50 Prozent mehr erzielt. Es war der CSU in den Sechzigern und Siebziger Jahren gelungen, klare Mehrheiten in entscheidenden Wähler*innengruppen dauerhaft für sich zu gewinnen. Sie war die Partei des städtischen und kleinstädtischen Bürgertums geworden, aber auch der Agrarier*innen. Im Gegensatz zu Vorläuferparteien war sie überkonfessionell und überregional und wurde so zur tatsächlichen bayerischen Volkspartei. In den Jahren bis 2008, in denen sie diese unbestrittene Vorherrschaft verteidigen konnte, sanken ihre Wahlergebnisse zwar tendenziell, blieben aber stets über der 50-Prozent-Marke. Und, mindestens ebenso wichtig: In dieser Phase sanken die Ergebnisse der wichtigsten Konkurrenzpartei, der SPD, ebenso ab. 1966 erreichte die SPD noch fast 40 Prozent. In den Siebziger und Achtziger Jahren erreichte sie stets knapp über 30 Prozent. In den Neunziger Jahren waren ihre Ergebnisse auf unter 30 gefallen, in den Nuller Jahren waren es unter 20 Prozent und nun, 2023, sind es unter 10 Prozent. Seit etwa 10 Jahren ist die SPD nun auch nicht mehr führende oppositionelle Kraft. Addiert man die Wahlergebnisse von SPD und CSU 1974, so ergeben sich 92,3 Prozent. 2023 erreichen diese beiden Parteien zusammengenommen nicht mehr 50 Prozent. Das Ende der Alleinherrschaft 2008 und der damit einhergehende Zwang zur Koalition – in anderen Ländern eine demokratische Normalität – wird in der CSU nach wie vor als Ausnahmezustand wahrgenommen. Diese neue Situation steht im Widerspruch zum über Jahrzehnte angeeigneten Selbstbild der Staatspartei

Andreas Thomsen ist stellvertretender Bereichsleiter der Bundesweite Arbeit in der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Früher leitete er das RLS-Regionalbüro in Bayern.

Eine neue Ära

2008 trat die Hegemonie der CSU in eine zweite, fragilere Phase ein. Diese neue bayerische Ära ist nicht nur von der verlorenen absoluten Mehrheit der CSU geprägt. Es sind einige neue Faktoren hinzugetreten, denen, das war bereits an Seehofers und danach auch Söders schon sprichwörtlich gewordenen Opportunismus erkennbar, die CSU nur schwer begegnen kann. Zum einen ist die Sozialdemokratie nicht mehr der entscheidende politische Antagonist im Land. Zunächst sind dies die Grünen geworden – zweifellos eine neuartige strategische Herausforderung für die Regierungspartei. Zum anderen boten sich etwa seit der Jahrtausendwende die, aus der Kommunalpolitik gewachsenen Freien Wähler mehr und mehr als bürgerliche Alternative an. Sie fischten damit direkt im Teich der CSU. Zunächst traten sie keineswegs als rechtsradikale oder rechtspopulistische Partei auf und es ist auch denkbar, dass die Entwicklung der letzten Wochen im Zuge der «Aiwanger-Affäre» noch nicht das letzte Wort in der Entwicklung der Freien Wähler ist. Später trat noch die AfD hinzu und etablierte sich auf Anhieb in der bayerischen Politik. Die Strauss-Doktrin, wonach es in Bayern keine demokratisch legitimierte Partei rechts der CSU geben dürfe, taumelte doppelt getroffen und fiel. Die AfD zieht aus der CSU rechts-konservative und rechtsradikale WählerInnen ab. Die Freien Wähler tun auch dies, treten dabei gelegentlich «bürgerlicher» auf, schwächen die CSU, und das muss sie besonders schmerzen, am deutlichsten in den kleineren und mittleren Städten, wie auch dem Land und sind in der Mitte der Gesellschaft erfolgreich. Bei Handwerker*innen, Kleinunternehmer*innen, Agrarier*innen. Der Angriff auf die CSU könnte direkter nicht sein.

Landtagswahl 2023 – Rekordwahl

Die diesjährige Landtagswahl war natürlich von den Unsicherheiten und Verunsicherungen dieser neuen Konstellationen geprägt. 2018 hatte die CSU das bislang schlechteste Ergebnis seit 1950 erzielt und war erneut in eine Koalition gezwungen worden. Damals boten sich die Freien Wähler als unproblematischster Koalitionspartner an. Das Kalkül, sie als bürgerliche Protestpartei durch Regierungsbeteiligung zu neutralisieren, mag ebenfalls eine Rolle gespielt haben, aber es war nicht erfolgreich. Die Wahlergebnisse 2023 sind in vielen Hinsichten bemerkenswert. Für beinahe alle wichtigen Akteur*innen fand eine Rekordwahl statt – im positiven oder im negativen.

Für die CSU bedeutet das Ergebnis das zweitschlechteste seit ihrer Gründung. Nur 1950 schnitt sie mit 27,4 Prozent schlechter ab. Für die SPD ist es das drittschlechteste Ergebnis überhaupt und das schlechteste seit Gründung des Freistaates 1919. In der weiteren Geschichte schnitt sie nur zwei Mal schlechter ab, 1887 mit 2,1 Prozent und 1893 mit 3,7 Prozent. Bei der letzten Landtagswahl 2018 blieb sie erstmals seit dieser Zeit einstellig und unterbot das damalige Ergebnis bei dieser Wahl sogar noch. Auch die FDP schnitt selten schlechter ab, als bei dieser Wahl. Nur bei den Landtagswahlen 1994, 1998 und 2003 war sie seit ihrer Gründung bei bayerischen Landtagswahlen schwächer. Für die AfD und die Freien Wähler sind die Ergebnisse dieser Landtagswahlen die besten aller Zeiten. Für die Grünen reichte es immerhin noch zum zweitbesten Ergebnis ihrer Geschichte. Auch für die LINKE Bayern war es das schwächste Ergebnis seit Gründung der Partei. Und schließlich: Das progressive Lager im bayerischen Landtag, hier vertreten durch SPD und Grüne kommt gerade mal noch auf 22,8 Prozent der Stimmen. Dies ist der schwächste Wert seit Gründung des Freistaates.

Die Landtagswahl 2023 prägend war zweifellos die Auseinandersetzung der CSU sowohl mit der AfD, und den Freien Wählern, aber auch mit den Oppositionsparteien links der Mitte. Seit den Landtagswahlen 2018 sind die Grünen die klar führende Kraft im progressiven Lager. Diese Beobachtung wird bei Söders frühem Ausschluss einer Koalition mit den Grünen eine Rolle gespielt haben. Die Grünen sollten in der Kampagne der CSU die des Antagonisten spielen – bereits ein Entgegenkommen gegenüber Wähler*nnen der AfD und der Freien Wähler und Antizipation des Rechtsrutsches im Land. Der Rollenwechsel in der Opposition zwischen SPD und Grünen kam der CSU auch hinsichtlich der Themenwahl entgegen. Mit Law-and-order-Themen, Problematisierung von Flucht und Migration sowie reaktionärer Begegnung des Klimawandels punktet auch die rechte Konkurrenz und können konservative Parteien durchaus Wahlen gewinnen, zuletzt in Berlin. Als wahlentscheidende Themen wurden laut Forschungsgruppe Wahlen an erster Stelle auch «Zuwanderung/Asyl/Integration» (41 %) und an zweiter Stelle «Energie/Klima» (35 %) genannt. Die klarer auf Sozialpolitik zielenden Themen «Kosten, Preise, Inflation» und «Gesundheitswesen/Pflege» sowie auch «Schule Bildung» folgten weit abgeschlagen auf den Plätzen drei bis fünf mit 14%, 9% und 7%. (Forschungsgruppe Wahlen auf: www.zdf.de/nachrichten/politik/bayern-wahl-analyse-100.html). Das Feindbild der Grünen als Hauptgegner kam der CSU also besonders gelegen. Dass die AfD und aber vor allem auch die Freien Wähler dennoch als Sieger aus diesen Wahlen hervorgehen ist eine der bemerkenswerten Beobachtungen dieser Landtagswahlen.

Für die CSU ist der Aufstieg der Freien Wähler in vielerlei Hinsicht problematischer und gefährlicher als die AFD.

Der Aufstieg der Freien Wähler (seit 1994 kandidieren sie zu Landtagswahlen, seit 2008 sitzen sie im Landtag) markiert mehr noch, als der spätere Aufstieg der AfD die abnehmende Bindekraft der CSU und den schleichenden Verlust ihrer Rolle als bayerische Hegemonialpartei. Die absolute Mehrheit der CSU ging erstmals bei jener Landtagswahl verloren, zu der die Freien Wähler ihren ersten Landtagseinzug feiern konnten. Der Versuch, diese Partei wieder «einzufangen» scheitert seitdem, auch nach der Regierungsbeteiligung konnten die Freien Wähler ihre Position weiter ausbauen. Die Vorgänge um die «Flugblatt»-Affäre und um Hubert Aiwanger könnten dabei die Sicht auf den tatsächlichen Charakter dieser Partei etwas verdecken. Auch wenn Aiwangers Strategie zu dieser Wahl erkennbar eine rechtspopulistische war, sind die Freien Wähler bislang eher nicht als Partei des rechten Randes aufgetreten. Sie präsentieren sich – durchaus populistisch – als Partei der rechten Mitte, als «korruptionsfreie bürgerliche Alternative» zur CSU. Aiwangers Erfolg 2023 könnte die Freien Wähler dauerhaft verändern, doch das ist noch nicht entschieden. Die Partei ist typischerweise eine Partei der Agrarier, Selbstständigen, Kleinunternehmer*innen mit einer zentralen Verankerung in der Kommunalpolitik. Die eher bürgerlich und pragmatisch orientierten Kräfte in der Partei akzeptieren Aiwanger und seine Ausrichtung insofern sie Wahlerfolge bringt. Und der Erfolg der Freien Wähler ist beachtlich. Während die Zugewinne der AfD in Bayern recht gleichmäßig hoch sind, lässt sich bei den Freien Wähler ein ganz deutlicher Schwerpunkt benennen. Die Freien Wähler werden in altbayerischen Wahlkreisen mit katholischer Bevölkerung und ländlicher Struktur klar überdurchschnittlich stärker. Insbesondere zeigt sich dies in im Bezirk Niederbayern. Dort erzielten die Freien Wähler sagenhafte 29,7 Prozent und lagen nur noch sehr knapp hinter der CSU, die dort 31,7 Prozent erreichte. Die Freien Wähler wurden stärkste Partei in den Wahlkreisen Kehlheim, Landshut, Dingolfing und Rottal-Inn. In Neuburg-Schrobenhausen (Oberbayern) und in Landshut erreichten sie sogar ihre ersten Direktmandate. In Niederbayern erreichten die Freien Wähler einen Zuwachs von 11,9 Prozentpunkten. (Die Zuwächse der Freien Wähler im Vergleich: In der Oberpfalz 4,1; in Oberbayern 4,1; in Oberfranken 4,0 in Schwaben 3,3; in Unterfranken 3,0; in Mittelfranken 0,9).  

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Freien Wähler nicht auch in weiteren Wahlkreisen sehr gute Ergebnisse erzielen konnten, wenn diese nur besonders ländlich und überwiegend katholisch geprägt waren. So konnten die Freien Wähler auch Wahlkreisen im südlichen Oberbayern Ergebnisse über 20 Prozent einfahren. Im Berchtesgadener Land mit 24,3 Prozent, Traunstein mit 20,4 Prozent, Rosenheim-West mit 20,6 Prozent, Bad Tölz-Wolfratshausen-Garmisch-Patenkirchen 21,2 Prozent, Weilheim-Schongau 20,7 Prozent. Außerdem gibt es Wahlkreise mit über 20 Prozent für die Freien Wähler in der Oberpfalz und im Allgäu. In den Kreisfreien Städten wird dieser Unterschied zwischen AfD und Freien Wählern noch einmal deutlich. In Augsburg erzielen die FW 8,7 Prozent, die AfD aber 15,3. In Nürnberg die Freien Wähler 5,4, die AfD aber 12,9. In München ergab sich interessanterweise ein vergleichsweise niedriges Ergebnis für die AfD mit 7,1 Prozent, die Freien Wähler erzielten hier 7,0 Prozent.

Der Aufstand der Provinz - Ratlose CSU

Die AfD als Partei rechts der Mitte konnte sich – nicht zuletzt durch den bundesweiten Trend – trotz Affären, Skandalen und internem Streit als Partei rechts der Union etablieren. Auch in Bayern. Es wirkt, als habe die CSU den Kampf gegen diese Konkurrenz aufgegeben. Das ist gewiss nicht ihr Wunsch, doch sie findet derzeit erkennbar keine wirksamen Mittel gegen diese Partei. Aber auch ein zweiter Umstand hemmt die Entwicklung einer Strategie gegen die AfD. Der Aufstieg der Freien Wähler ist in vielerlei Hinsicht problematischer und gefährlicher. Die Freien Wähler sind eine stabile, in der Kommunalpolitik gewachsene und verankerte Struktur. Ihr Auftreten als bürgerliche (und gelegentlich auch rechte) Alternative zur Staatspartei findet Anerkennung und Zuspruch. Anders als im Falle der AfD hat die CSU hier die Strategie der Einbindung gewählt und den Freien Wählern damit eine tatsächliche und wirksame Funktion im bayerischen Parteiensystem zuerkannt. Den Freien Wählern nützt dies. Mit ihrer rechts-bürgerlichen Ausrichtung, mit ihren Hochburgen in ländlichen und katholischen, altbayerischen Gebieten drohen sie zunehmend der CSU ein Standbein wegzuschlagen. Diese Partei erinnert insofern etwas an eine der Vorgängerparteien der CSU, die, in der Zwischenkriegszeit dominierende, Bayerische Volkspartei. Katholisch, Agrarisch, Konservativ. Die CSU hat ihre Hochburgen nicht den Städten und – bei aller Überkonfessionalität – auch nicht in Regionen mit größerer protestantischer Bevölkerung. Der Aufstieg der Freien Wähler wird in München erhebliches Kopfzerbrechen bereiten.

Betrachtet man das Wahlverhalten bei den Berufsgruppen, erzielten CSU und SPD bei den Rentner*innen die besten Ergebnisse (48 Prozent und 11 Prozent), bei den Arbeiter*innen die schlechtesten, die CSU erreicht hier nur 28 Prozent und die SPD 5 Prozent. Dagegen ist bei der Gruppe der Arbeiter*innen die AfD mit 31 Prozent stärkste Partei. (infratest-dimap auf www.br.de). In der Altersverteilung ist das Ergebnis für CSU und SPD ähnlich niederschmetternd, erst in der Gruppe der über 60-jährigen erreicht die CSU einen Wert über 40 Prozent, je jünger die Altersgruppe, desto schlechter das CSU-Ergebnis. (Bei den 18 bis 24-Jährigen liegt sie bei 22 Prozent). Die SPD kommt erst bei den über 70-Jährigen auf über 10 Prozent. Verglichen damit zeigt die Altersverteilung bei Freien Wählern, AfD und Grünen eine gewisse Stabilität über die Altersgruppen. Weiter ist bemerkenswert, dass die Regionen, in denen die Freien Wähler nun ihre Hochburgen haben, zu den reichsten Regionen mit den höchsten Einkommen und niedrigsten Armutsquote gehören. (Vgl. Einkommensarbeit und Regionale Unterschiede in Bayern. Klinge, Busch, Kallert, Dudek). Im Gegensatz dazu zeigen sich für die AfD eher höhere Ergebnisse in einkommensschwächeren, strukturell und ökonomisch benachteiligten Regionen. Weitere Betrachtungen der Wähler*innenstruktur der Freien Wähler s und der AfD dürften sehr gewinnbringend sein. Die sozial-ökonomische und regionale Verteilung legt nahe, dass es sich hier mehrheitlich um unterscheidbare Gruppen, vielleicht sogar Milieus handelt.

Nichts deutet derzeit darauf hin, dass die Staatspartei CSU den Herausforderungen in dieser zweiten Phase ihrer Hegemonie wirksam begegnen kann. Ein Vorteil an Ministerpräsident Söders beständigen Kurswechseln mag sein, dies deutlich gezeigt zu haben. Harte Ausgrenzung der AfD wie auch thematische Annährung haben die AfD nicht in Bedrängnis bringen können. Die Einbindung der Freien Wähler durch die Regierungsbeteiligung war besonders unwirksam und sowohl die Andeutung eines schwarz-grünen Kurses hat der CSU und Markus Söder ebenso wenig weitergeholfen, wie die direkte Konfrontation der Grünen und der barsche Ausschluss eines Bündnisses vor dieser Wahl. Die CSU verliert beständig weiter an Boden und mit dem Erfolg der Freien Wähler auch eines ihrer Fundamente.

Markus Söder ist ein begabter Machtpolitiker. Aber ein Modernisierer ist er nicht. Sein kurzzeitiger Flirt mit schwarz-grünen Optionen war, ja immer augenzwinkernd präsentiert, als rein opportunistischer Schenk weithin erkennbar. Eine tatsächliche Modernisierung der CSU würde die Akzeptanz zweier Entwicklungen voraussetzen: Die Zeiten der Alleinherrschaft sind für die CSU ebenso vorbei, wie sich die Phase der Hegemonie auf ihr Ende zu bewegt. Die Präsenz nunmehr rechter und bürgerlicher Konkurrenz ebenso wie die führende Rolle der Grünen im progressiven Lager legen eine grundlegende Veränderung der Partei nahe. Aber nichts, was dazu nötig wäre, wird der CSU in naher Zukunft gelingen. Statt auf Dialog mit der Klimabewegung und Einstellung auf die Herausforderungen der Klimakrise setzt die CSU auf populistische und sinnfreie Scherze «Kleben und kleben lassen» und wie üblich auf völlig überzogene Repression. Statt auch im ländlichen Raum, der die Klimaveränderung zu spüren bekommt, echte Antworten und Lösungen vorzuschlagen, bleibt es auch hier bei Plattitüden und im Wesentlichen: «Weiter so». Die Synthese aus Modernität und Tradition, die sich in dem viel zitierten Leitsatz «Laptop und Lederhose» ausdrückte, geht einer CSU, die sich programmatisch nicht mehr erneuern kann, verloren. Sie zieht sich zurück, auf das was sie kennt, die Programmatik der vergangenen Jahrzehnte. Doch mit Law-and-Order, bayerischer Identität, Wirtschaftsförderung und etwas Sozialpolitik ist es für sie nicht mehr getan. Und auch diese Verschmelzung von Modernität und Tradition war ein wichtiges Merkmal, ein weiteres Fundament der Konstruktion Staatspartei CSU.

Markus Söders bundespolitische Ambitionen dürften nach dieser Wahl tatsächlich ad acta gelegt werden. Gleichzeitig bekräftigte Hubert Aiwanger die Absicht seiner Freien Wähler, für die Bundestagswahl zu kandidieren. Gleichgültig ob dies erfolgreich sein kann, ist es nach der bayerischen Landtagswahl denkbar, dass sich – insbesondere auch angesichts der fortschreitenden Radikalisierung der AfD – in weiteren Ländern ähnliche Formationen wie die Freien Wähler als rechts-bürgerliche Alternativen sowohl zur Union, als auch zur AfD anbieten können und Zuspruch erhalten.

Nach Lage der Dinge ist eine Fortsetzung der Koalition mit den Freien Wählern für die CSU unumgänglich und sind die Freien Wähler dadurch in eine ungewöhnlich starke Position geraten. Im Untergrund der Staatspartei dürfte es erheblich rumoren, und erste Stimmen dieser Art waren noch am Wahlabend zu hören, so zum Beispiel von der Vorsitzenden des oberbayerischen Bezirksverbandes Ilse Aigner. Diejenigen Regionen, in denen die Freien Wähler ihr besonders erfolgreich den Führungsanspruch streitig machen und in denen die CSU teils empfindlich verloren hat, Niederbayern (dort erneut -6,3 Prozentpunkte) aber auch das bayerische Oberland und die Oberpfalz lassen sich durchaus als Herzkammern der CSU beschreiben, dort schmerzen die Verluste und die wachsende Stärke der Konkurrenz besonders, dort werden Mandate und Einfluss verloren. Und in diesen Herzkammern flimmert es nun gewaltig. Nicht zuletzt wird diese Entwicklung auch als Schwächung des essentiellen und über Jahrzehnte optimierten Regionalproporzes innerhalb der CSU wahrgenommen. Und es wäre doch sehr überraschend, würde dies nicht dem fränkischen (und großstädtischen) Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden angelastet, auch wenn es dieses Mal wohl nicht zur Palastrevolte reichen wird.