Publikation International / Transnational - Amerikas - Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen Destabilisierung in Venezuela

Zur Situation in Venezuela nach den Präsidentschaftswahlen. Von Miriam Lang.

Information

Reihe

Online-Publ.

Autorin

Miriam Lang,

Erschienen

April 2013

Bestellhinweis

Nur online verfügbar

Zugehörige Dateien

In Venezuela eskaliert nach dem knappen Wahlergebnis die Gewalt. Eine Tag nach der Wahl haben Anhänger der Opposition in Venezuela mehrere Parteilokale der chavistischen Partei PSUV angezündet sowie mehrere Gesundheitsposten gestürmt, in denen Gerüchten zufolge Wahlzettel versteckt sein sollten. Es gab laut Staatsanwaltschaft bisher sieben Tote und 61 Verletzte, eine Person wurde von Anhängern der Opposition bei lebendigem Leib angezündet.[1]

Bei den Präsidentschaftswahlen vom 14. April hatte der von Hugo Chávez zu seinem Nachfolger gekürte Nicolás Maduro einen wesentlich knapperen Stimmenvorsprung erzielt, als die letzten Meinungsumfragen vor der Wahl vermuten ließen – aber dennoch eine absolute Mehrheit erreicht. Laut offiziellem Ergebnis gewann Maduro mit 50,66 Prozent gegenüber dem Herausforderer Henrique Capriles, der 49,07 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. Die letzten Umfragen hatten Maduro einen Vorteil von ca. sieben Prozent prophezeit.

Die Opposition forderte daraufhin eine Neuauszählung der Stimmen. Im Prinzip ein verständliches Anliegen, unter den gegebenen Umständen jedoch wohl eher ein Versuch, durch politische Destabilisierung die Legitimität der Regierung Maduro zu unterminieren und die Stimmung im Land zu ihren Gunsten zum Kippen zu bringen.

Das venezolanische System der elektronischen Stimmauszählung ist in den zahlreichen Wahlgängen der letzten Jahre als eines der sichersten gegen Fälschungsversuche und eines der zuverlässigsten weltweit bewertet worden. Zudem wurden im aktuellen Fall bereits Stichproben im Umfang von 56 Prozent der Ergebnisse zusätzlich manuell ausgezählt, mit exakt denselben Ergebnissen wie die elektronische Auszählung. In jedem Wahllokal waren Vertreter der Opposition bei der Auszählung zugegen. Die Wahlergebnisse des ganzen Landes wurden der Opposition zur Verfügung gestellt. Es kann also weder von mangelnder demokratischer Transparenz noch von manipulierten Ergebnissen die Rede sein. Vielmehr scheint die Opposition angesichts des unerwartet knappen Wahlausgangs zu versuchen, der neuen Regierung Maduro mit allen Mitteln die Legitimität zu entziehen – ein Versuch, den bestimmte mit Chávez seit Langem verfeindete Regierungen wie die der USA bereitwillig sekundieren.

Henrique Capriles hat die Neuauszählung zwar medienwirksam eingefordert, jedoch nicht die erforderlichen Schritte bei der nationalen Wahlbehörde eingeleitet, um diese Forderung auch institutionell wirksam zu machen. Auch dies spricht eher für ein politisches Manöver denn für ein ernsthaftes Anzweifeln des Wahlergebnisses. Eine manuelle Neuauszählung der Stimmen birgt wesentlich mehr Risiken einer Manipulation als die elektronische Auszählung. Zudem ist auch unklar, ob die Opposition denn politisch willens wäre, das Ergebnis einer 100-prozentigen manuellen Auszählung zu akzeptieren, sofern es zu ihren Ungunsten ausfiele.

Stattdessen erhitzen immer neue Gerüchte die Gemüter. Beispielsweise wurden – auch in internationalen Medien – Fotos verbreitet, auf denen Militärs zu sehen sind, die Wahlzettel verbrennen, bzw. auf denen Wahlzettel im Straßengraben liegen. Diese Bilder stammen offenbar aus dem Jahr 2008. Damals waren Militärangehörige nach einem abgeschlossenen Wahlprozess beauftragt worden, die entsprechenden Wahlzettel ganz offiziell zu vernichten. Die Person, die sie mit dem Hinweis, es handele sich um aktuelle Fotos von der jetzigen Präsidentschaftswahl, in Umlauf gebracht hat, wurde heute aufgrund dieser Fälschung in Venezuela verhaftet.[2] Verschiedene Chavisten, unter anderem der Sohn des Sängers Ali Primera, sollen Todesdrohungen erhalten haben. Ein Aufruf der Opposition zum Generalstreik wurde laut Telesur nicht befolgt.[3]

Die große Mehrheit der Militärs steht hinter dem neugewählten Präsidenten Nicolás Maduro. Lediglich kleine Grüppchen, gegen die bereits ermittelt wird, sollen mit der Rechten zusammengearbeitet haben. Glückwünsche und Rückhalt für die neugewählte Regierung kamen auch von den progressiven Regierungen Südamerikas, MERCOSUR und UNASUR, den größten Institutionen der lateinamerikanischen Integration.

Die Opposition hatte für den 17. April zu einer Demonstration bis zum Sitz der Wahlbehörde im Zentrum von Caracas aufgerufen. Als Präsident Maduro ankündigte, er werde aufgrund der Gewalt der letzten Tage nicht zulassen, dass die Demonstration bis ins Stadtzentrum gelange, konterte Capriles, die Regierung inszeniere die Gewalt gegen ihre eigenen Anhänger selbst, und zog den Demonstrationsaufruf zurück. Maduro rief zum nationalen Dialog auf.

Überzeugende Erklärungen für das plötzliche Einbrechen des Chavismus im Vergleich zu den Umfrageergebnissen gibt es bisher nicht – doch vermutlich hätte die Linke besser abgeschnitten, wenn sie schon zu einem früheren Zeitpunkt, als bereits klar war, dass Chávez sein Amt nicht mehr würde antreten können, zu Neuwahlen aufgerufen hätte.

Die Tatsache, dass die Regierung Maduro ihr Amt unter diesen prekären Bedingungen antritt, ist besorgniserregend. Venezuela braucht in diesen bewegten Zeiten eine starke Regierung, die angesichts vielfältiger wirtschaftlicher Probleme und der galoppierenden Inflation energische Maßnahmen ergreifen kann. Bereits seit Monaten herrscht in dem Land eine Art Ausnahmezustand angesichts der politischen Instabilität, der sich wirtschaftlich und in der allgemeinen Versorgungslage sehr negativ ausgewirkt hat. Der Ausgang dieses erneuten Kräftemessens in Venezuela wird darüber hinaus erhebliche Auswirkungen auf den Rest Lateinamerikas haben. Insofern ist es geboten, die Legitimität der Regierung von Nicolás Maduro anzuerkennen, die Entscheidungen der Institutionen des venezolanischen Staats zu unterstützen und die Opposition aufzufordern, ihre Unzufriedenheit mit dem Wahlergebnis im Rahmen der demokratischen Spielregeln kundzutun.

Quito, 17. April 2013

Miriam Lang ist Leiterin des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Quito, Ecuador.

Keine Kommentare

Chávez: Vermächtnis und Herausforderungen
Dokumentation von Publikationen der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum venezolanischen Transfomationsprozess.



[1] Siehe http://www.noticias24.com/venezuela/noticia/163031/luisa-orte-diaz-dice-que-en-los-hecho-violentos-de-este-lunes-61-personas-lesionadas/

[2] www.ultimasnoticias.com.ve/noticias/actualidad/politica/detenido-sujeto-por-difundir-fotos-de-destruccion-.aspx

[3] www.telesurtv.net/articulos/2013/04/16/ha-fracasado-el-llamado-a-huelga-general-en-venezuela-587.html