DIE LAST DER LINKEN MIT DEM WACHSTUM
Das mit der Wachstumskritik ist schon eine schwierige Sache für die Linke. Wie formulierte noch Alexis Tsipras von Syriza unter großem Applaus auf dem Parteitag der LINKEN im Mai in Berlin: Eine «Gesellschaft der Gerechtigkeit, der Solidarität und des Wachstums» müsse als linkes Konzept der herrschenden EU-Politik entgegengestellt werden.
Viele Linke rufen – zumindest dann, wenn es hart auf hart kommt – eher nach mehr, nicht nach weniger Wachstum: mehr Jobs, mehr Sozialleistungen, mehr «Entwicklung». So beispielsweise auch Martin Khor, der Chef des renommierten, wenngleich wegen seiner Nähe zur chinesischen Regierung nicht unumstrittenen South Centre mit Sitz im thailändischen Bangkok. Er betont immer wieder das «Recht auf Entwicklung» der Staaten des globalen Südens – was unter gegebenen Bedingungen ein Recht auf wirtschaftliches Wachstum bedeutet. Das langfristige Ziel eines nachhaltigen Entwicklungsmodells wird dabei den Bedürfnissen großer Teile der Wählerschaft nach Verteilungsgerechtigkeit nachgeordnet. Ein durchaus verständliches Vorgehen angesichts weitverbreiteter Armut – und zugleich äußerst problematisch. Aus der Perspektive einer radikal wachstumskritischen Bewegung sind solche Politikansätze nichts anderes als ein Weiterdrehen an der Wachstumsspirale.
Gleichwohl gibt es ein allgemeines Unbehagen, wenn dem Wirtschaftswachstum oberste politische Priorität eingeräumt wird: Die unterstellte Erwartung, dass sich damit beinahe jedes Problem bewältigen ließe und sich deshalb fast alle anderen gesellschaftlichen Belange unterzuordnen hätten, ruft Widerstand hervor. Dies zeigt sich in nahezu allen weltanschaulichen Grundrichtungen und ihren jeweiligen Institutionen. Die Auseinandersetzung mit der Wachstumsproblematik stellt derzeit vor allem für junge Menschen einen Ausgangspunkt von Politisierung und politischer Aktivierung dar. Wer dies als bloße Mode abtut, die ebenso schnell vergehe, wie sie an Attraktivität gewann, wird sich noch über dieses Missverständnis ärgern dürfen.
Ökologische Kritiken weisen seit Langem auf die «Grenzen des Wachstums» hin und lenken den Blick auf die Auswirkungen des vermeintlich ewigen Wirtschaftswachstums, mit all den Instabilitäten und Katastrophen, die eine unveränderte Politik bereits jetzt nachdrücklich infrage stellen. Katastrophen übrigens, die mitnichten alle Menschen gleich betreffen. Wir sitzen zwar im selben Boot, aber auf verschiedenen Decks: Die Ärmsten, die am wenigsten zum Überschreiten dieser Grenzen beigetragen haben, sind am härtesten betroffen.
Mit Blick auf diese Herausforderungen lassen sich große Überschneidungen zwischen linken, feministischen und wachstumskritischen Positionen erkennen. Bei Menschen, die für die Rosa-Luxemburg-Stiftung oder in ihrem politisch-gesellschaftlichen Umfeld arbeiten, gibt es verschiedene kritische Perspektiven auf sozialökologischen Umbau. Dabei spielt eine mögliche Transformation gegenwärtiger kapitalistischer Gesellschaftsstrukturen im Sinne eines demokratischen Sozialismus eine zentrale Rolle. Entsprechend stehen sozialökologische Ansätze der Gesellschaftsanalyse und Weiterbildung im Zentrum, die auf einer kritischen Verbindung von politischer Ökonomie und Ökologie basieren. Das ist beispielsweise der Fall bei einer «Ökonomie des Ganzen» oder auch dem «vorsorgenden Wirtschaften», die nicht auf der Vernutzung von unbezahlter Arbeit vorwiegend von Frauen im Bereich von Care, Sorge, Reproduktion beruhen, sondern nach einer neuen gesellschaftlichen Arbeitsteilung hinsichtlich der sozialen und ökonomischen Reproduktion von Gesellschaft fragen. Dazu gehört auch der Blick auf soziale Praxen, die bereits utopische Momente eines anderen Wirtschaftens umzusetzen versuchen, etwa in Form von Energiegenossenschaften in Deutschland, Praxen lokaler Communities unter Vorzeichen des buen vivir in Lateinamerika oder Netzwerken solidarischer Ökonomie, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Solche Ansätze weiterzuverfolgen, ist umso wichtiger, da die komplexen globalisierten Auswirkungen kapitalistisch-industrieller Produktions- und Lebensweisen alle Menschen betreffen. Ein vom globalen Norden wesentlich geprägter Lebensstil unterwirft sich die Arbeit von vielen – mit Ungleichheitseffekten im globalen Norden und Süden, solange nach wie vor vorwiegend auf fossilistische Strategien der Energiegewinnung gesetzt wird, also auf ein Modell, das Raubbau an den Ressourcen betreibt. Es ist an der Zeit, die grundlegenden Parameter dieser Produktions- und Lebensweise zu verändern!
Klar ist aber auch: Die eine und allein gültige linke Position zum Wachstum gibt es nicht. Die genannten Interessengegensätze machen den Versuch einer einheitlichen Intervention in wachstumskritische Debatten unmöglich; konkrete Impulse für politisches Handeln sind entsprechend rar. Hier fehlt es dem grundsätzlichen Willen zum Wandel an strategischer Unterfütterung: Wer sollte Post-wachstumsstrategien umsetzen – und warum eigentlich? «Linken Ökos» mag es noch vergleichsweise leicht fallen, hierzu Vorschläge zu formulieren. Doch wie steht es mit den Gewerkschaften und ihrem Versuch, eine kohärente Strategie des «qualitativen Wachstums» zu entwickeln? Wie mit den internationalistischen Strukturen, die darauf beharren müssen, dass im globalen Süden bestimmte Formen und ein gewisses Ausmaß von Wirtschaftswachstum weiterhin notwendig sind?
Damit diese Diskussionen nicht nur im Feuilleton wahrgenommen werden und aus den Analysen bestehender Widersprüche auch in der Praxis Perspektiven zur Überwindung der diversen Missstände erwachsen können, will die Rosa-Luxemburg-Stiftung die unterschiedlichen Ansätze zusammenbringen und diskutieren.
Die Auseinandersetzung mit konservativen und neoliberalen Artikulationen wachstumskritischer Affekte ist dabei ein zentraler Ansatzpunkt. Wir bewegen uns, wenn auch nicht mehr am Anfang, so doch auch noch lange nicht am Ende einer umfassenderen Diskussion, die eine Reihe linker Grundsätzlichkeiten noch gehörig erschüttern dürfte. Wenn wir klug und fair miteinander diskutieren, können wir daran wachsen. Und dieses Wachstum wäre völlig in Ordnung.
Die Redaktionsgruppe Degrowth.