Das klare Votum für eine Fortsetzung der United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei hat in seiner Eindeutigkeit Parteien wie politische Beobachter überrascht. Die linken Parteien wurden gerade in ihren traditionellen Hochburgen Westbengalen und Kerala von den Wählern abgestraft. Welche Schlüsse sollte die indische Linke aus dem Wahlergebnis ziehen?
Die entscheidenden Themen für die Wähler
Angesichts der globalen Rezession, die einen Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums auf für indische Verhältnisse magere 5 Prozent verursacht hat, ist das Votum als Wunsch nach einer stabilen Regierungsmehrheit zu bewerten. Durch die knappen Mehrheitsverhältnisse der letzten Legislaturperiode kamen Reformvorhaben der Regierung nur stockend in Gang. Die neue Regierung plant denn auch, den größeren politischen Spielraum zu nutzen, um Reformen voran zu treiben. Sie hat ein stabiles Wirtschaftwachstum sowie breit angelegte Infrastrukturmaßnahmen zu Prioritäten erklärt.
Das Wahlergebnis würdigt außerdem bereits eingeleitete Reformen im sozialen Bereich, etwa das Beschäftigungsprogramm NREGS und der Schuldenerlass für Bauern. Auch wenn diese Initiativen mitunter kontrovers betrachtet werden, waren dennoch ihre Ergebnisse für den Wähler sichtbar. Durch den Entzug der Regierungsunterstützung im vergangenen Jahr konnten die kommunistischen Parteien nicht von diesen Erfolgen profitieren, auch wenn sie an der Verabschiedung und Implementierung dieser Projekte maßgeblich Anteil hatten.
Das unerwartet schlechte Abschneiden der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) kann schließlich als Zeichen dafür verstanden werden, dass der Wähler sich angesichts grundlegender Herausforderungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich nicht durch an religiösen Trennlinien entlang emotional aufgezogenen Kampagnen gewinnen lässt. Insofern ist das Votum auch als ein Auftrag zur Stärkung des Säkularismus zu verstehen.
Die Illusion der Dritten Front
Die im Vorfeld der Wahlen mit heißer Nadel gestrickten Bündnisse mit regionalen Parteien – zum Teil mit konträr ausgerichtetem ideologischem Hintergrund – ist den kommunistischen Parteien bereits im Vorfeld der Wahlen vorgehalten worden. Sowohl die Bahujan Samaj Party in Uttar Pradesh, die Telugu Desam Party (TDP) in Andhra Pradesh als auch die AIADMK in Tamil Nadu haben in der Vergangenheit die hindu-nationalistische BJP unterstützt. Da die muslimische Minderheit einen beachtlichen Anteil an der Wählerschaft der bedeutendsten indischen Linkspartei Communist Party of India (Marxist) (CPI-M) hat, brach der Partei ein Teil dieser Unterstützung weg.
Der größte strategische Fehler der CPI-M war der Entzug der politischen Unterstützung für die Regierungsallianz in Folge des indisch-amerikanischen Abkommens zur friedlichen Nutzung von Atomenergie im vergangenen Jahr, mit dem sich die Partei zusehends politisch isolierte. Für die Wähler war die Ablehnung des Abkommens mit der dogmatischen Begründung der Gefahr eines imperialistischen Einflusses der USA schlicht nicht nachvollziehbar. Innerparteiliche Kritiker argumentierten zudem, dass die Aufkündigung der Regierungsunterstützung durch Parteichef Prakash Karat erst eine Allianz zwischen dem Trinamool Congress in Westbengalen und der Kongresspartei zu einer anti-linken Wahloption ermöglichte.
Wahldebakel in der traditionellen Hochburg
Im von der CPI-M regierten Bundesstaat Westbengalen war das Wahlergebnis ebenso ein Votum gegen Regierungschef Buddhadeb Bhattarcharya. Nach mehr als dreißigjähriger Regierungsverantwortung hat die CPI-M in Westbengalen das Image, ebenso zum politischen Establishment zu gehören wie die großen Parteien. Verbreitete Korruptionsvorwürfe und Vetternwirtschaft haben die Wähler über die Jahre mürbe gemacht.
Das Fass zum Überlaufen brachte letztlich die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen für industrielle Großprojekte und die damit verbundenen Enteignungen von Bauern, die 2007 in der gewaltsamen Niederschlagung von Protestbewegungen mit zahlreichen Todesopfern in Nandigram durch ein von der Regierung gesandtes Polizeikontingent ihren Höhepunkt fand. Der Verlust der Glaubwürdigkeit der Regierung hat die CPI-M in ihre bisher größte Krise gestürzt.
Hinzu kommt der Verlust der Verbindung zum Wähler, welche die Partei über Jahrzehnte hinweg so stark gemacht hat. Die seit Ende der siebziger Jahre von der CPI-M eingeleiteten Landreformen hatten der Partei die Unterstützung von Kleinbauern gesichert, die Einbindung von Gewerkschaften verbreiterte die Wählerbasis. Heute kritisieren viele Unterstützer die Arroganz der Führungsspitze der Partei. Die dogmatische Ausrichtung der Parteispitze erschwert zunehmend eine Identifizierung des Wählers mit dem politischen Programm. Nicht zuletzt muss sich die Regierung an der unterdurchschnittlichen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Westbengalens messen lassen. Das von der UPA-Regierung eingesetzte Sachar-Komitee zur Analyse der Lebenssituation der muslimischen Minderheit im Land stellte in seinem 2006 veröffentlichten Bericht gravierende Benachteiligungen in den Bereichen Bildung und Berufsaussichten fest. Da die Situation der Muslime in Westbengalen noch unter dem nationalen Durchschnitt liegt, verlor die CPI-M in dieser Wählergruppe massiv an Unterstützung.
Rückbesinnung auf die Basis
Eine überzeugende linke Politikalternative auf Bundesebene wird dringend benötigt, um das Profil der Partei nach außen zu schärfen. Beobachter sagen aufgrund der komfortablen Regierungsmehrheit der Kongresspartei eine mögliche innerparteiliche Stärkung des linken Flügels unter Rahul Gandhi voraus, was eine klare Positionierung der linken Parteien zusätzlich erschweren würde.
Bei der Analyse der Wahlen ist eine größere Ehrlichkeit als bisher gefragt. Das schlechte Ergebnis der kommunistischen Parteien spiegelt mehr als nur den Wunsch nach einer stabilen Regierung in Zeiten der Krise wider. Gerade das Votum gegen die CPI-M in Westbengalen ist als Aufforderung zu einem grundlegenden Wandel zu verstehen. Die Partei muss nun die Chance nutzen, auf bestehende linke Traditionen im Land aufzubauen und sich überzeugend für die Interessen der benachteiligten Bevölkerungsgruppen einsetzen. Soziale Gerechtigkeit muss wieder in den Fokus linker Politik rücken, um nachhaltige Entwicklungskonzepte zu präsentieren. Dazu gehören neben einer Verbesserung der Bereitstellung von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen auch die Bekämpfung von Korruption und eine gesteigerte Transparenz der Regierung.
Eine strategische Neuaufstellung und mehr innerparteiliche Demokratie der CPI-M sind zudem nötig, um 2011 bei den Wahlen in Westbengalen die Regierungsmehrheit zu erhalten. Angesichts des massiven Verlusts an politischer Glaubwürdigkeit in Folge des Gewaltexzesses von Nandigram muss die Entfremdung traditioneller Wählergruppen überwunden werden.
Darüber hinaus muss eine Einbindung junger Kräfte erfolgen, um entsprechende Wählerschichten zu erreichen. Der Erfolg der Kongresspartei gerade bei jungen Wählergruppen hat eindrücklich gezeigt, dass jede Partei in Indien angesichts eines Bevölkerungsanteils von über 70 Prozent unter fünfunddreißig Jahren eine überzeugende Basisarbeit für junge Wähler leisten muss.
Die Linke in Indien muss ihre Niederlage nun als Denkanstoss für eine Neuausrichtung nutzen. Um die Glaubwürdigkeit der Partei wiederherzustellen, sollte konsequent ein progressiver linker Politikansatz verfolgt werden, um eine größere gesellschaftliche Akzeptanz und Bürgernähe zu schaffen. Nur so können die kommunistischen Parteien ihre politische Isolation überwinden und auf Bundesebene wieder koalitionsfähig werden.
Sonja Blasig, Projektmanagerin Südasien der RLS