Publikation Nordafrika - Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Afrika Politik an den Rändern des Staates und der Institutionen

Studie von Olfa Lamloum

Information

Reihe

Studien

Autorin

Olfa Lamloum,

Erschienen

April 2016

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Der Artikel ist im Buch «Les Jeunes de Douar Hicher et d´Ettadhamen», herausgegeben von International Alert (2015), erschienen.

Das Bild des politischen Islam wird von wenigen Gruppen und Strömungen geprägt, die mediale Aufmerksamkeit erlangen. Insgesamt ist jedoch in Deutschland das Wissen über die verschiedenen Ausprägungen und Hintergründe des politischen Islam in der arabischen Welt gering, und das zur Verfügung stehende Material ist darüber hinaus häufig von Personen verfasst, die dem politischen Islam ablehnend gegenüberstehen. Dies trägt zur pauschalen Dämonisierung politischer Kräfte bei und sorgt für eine einseitige Beschäftigung mit dem Thema. Auch um Rassismus und gewaltsamen Auseinandersetzungen diesbezüglich vorzubeugen und Konflikte besser zu verstehen, sollte man sich in einer linken Stiftung, unabhängig von der jeweiligen individuellen Orientierung, auch mit politischen Kräften auseinandersetzen, die nicht unbedingt dem linken säkularen Lager zuzurechnen sind.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht Analysen und andere Publikationen zum Thema politischer Islam mit dem Ziel, seine verschiedenen Formen zu verstehen. Dies ist eine Grundlage für offene Gespräche mit allen politischen Akteuren, die für soziale Gerechtigkeit, demokratische Meinungsbildung und gesellschaftlichen Pluralismus eintreten, einschließlich sich dazu bekennender Kräfte des politischen Islam.
«Salafismus» hat sich zum Schlagwort für negative Ausprägungen des politischen Islam entwickelt, sowohl in Europa als auch in der arabischen Welt. Dass er terroristische Gruppen einschließt, wurde nicht zuletzt am 24. November 2015 in Tunesien deutlich. In der Hauptstadt Tunis sprengte sich ein Terrorist in einem Bus der Präsidentengarde in die Luft und ermordete zwölf Menschen.

Salafismus ist jedoch ein Sammelbegriff für eine Bandbreite religiöser und politischer Sichtweisen und deren praktische Umsetzungen. Olfa Lamloum, die Autorin des vorliegenden Texts, beschäftigt sich mit den Gründen für die Attraktivität dieser Strömung des Islam in zwei marginalisierten Stadtteilen von Tunis, Ettadhamen und Douar Hicher, von wo auch der Attentäter des 24. November stammte. Lamloum beschreibt die Funktion des Salafismus als einen Anker für vor allem junge Menschen auf der Suche nach Identität und sozialer Zugehörigkeit. Sie spricht über einen Teil der Bevölkerung, der oft nur eingeschränkten Zugang zu vorhandenen Ressourcen genießt und der überdurchschnittlich von der Repression durch staatliche Organe betroffen ist.

Der Text legt ebenfalls dar, dass erstarkender Salafismus in Tunis eine Folge des Versagens anderer gesellschaftlicher Kräfte ist. Er ist einerseits attraktiv für Menschen, denen die politischen Reformen des Landes seit der Revolution von 2011 nicht weit genug gehen und denen andere politische Kräfte – einschließlich der Ennahdha, des tunesischen Ablegers der Muslimbrüder – zu hohe Kompromissbereitschaft zeigen, wenn es um die Verwirklichung von mehr sozialer Gerechtigkeit geht. Die Attraktivität des Salafismus ist darüber hinaus eine Folge der mangelhaften Verwurzelung säkularer und linker demokratischer Kräfte in breiten Teilen der Bevölkerung; es fehlt an praktischen Initiativen sowie an Engagement dieser Kräfte vor Ort.

Die Analyse salafistischer Bewegungen ist eine aktuelle Herausforderung. Der Text Lamloums eignet sich dafür, da er auf dessen gesellschaftliche und politische Ursachen und hinter die Fassade religiöser Heilslehre blickt. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat den Text mit Erlaubnis der Autorin übersetzt und stellt ihn in eine Reihe von Beiträgen, die sich mit dem Thema politischer Islam beschäftigen.

Peter Schäfer, Leiter des Nordafrikabüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tunis