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Wie wir uns die Sharing Economy zurückholen können

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Trebor Scholz,

Erschienen

Juni 2016

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Unter all den Problemen, die das 21. Jahrhundert plagen – das rasende Wachstum des Niedriglohnsektors, wirtschaftliche Ungleichheit, das Zerbröckeln der Arbeitnehmerrechte – ist das Hauptproblem, dass es so wenige realistische Alternativen gibt. Was in den bisherigen Debatten über die Zukunft der Arbeit fehlt, ist ein Ansatz, der den Menschen etwas gibt, dem sie zustimmen können, etwas, das man mit ganzem Herzen unterstützen kann. Um solch einen Ansatz soll es im Folgenden gehen.

Zunächst werden die Möglichkeiten, Fallstricke und Konsequenzen der Sharing Economy aufgezeigt, um sie dann am Beispiel von Amazon.com zu illustrieren. Im Anschluss beschreibe ich den Aufstieg des plattformbasierten Genossenschaftswesens – des neuen Eigentumsmodells für das Internet. Dabei werden Beispiele sowohl für real existierende als auch für imaginäre plattformbasierte Genossenschaften aufgeführt. Im dritten Teil skizziere ich zehn Prinzipien für Arbeitsplattformen, die das digitale Arbeiten fair gestalten könnten. Abschließend werden Reflexionen über die Zukunft der Plattformgenossenschaften angestellt.

Die Folgen der Sharing Economy

Es dauerte eine Weile, bis man es zugegeben hat: Die Sharing Economy ist eigentlich eine On-demand-Dienstleistungswirtschaft, die ehemals private Leistungen zu Geld machen soll. Zweifellos bietet sie viele Erwerbsmöglichkeiten – für StudentInnen, ausgebildete ArbeiterInnen in der Übergangszeit zwischen zwei Beschäftigungsverhältnissen oder für Menschen, die einen Zweitwohnsitz haben. UniversitätsabsolventInnen können nun kleinere Tätigkeiten ausüben und Möbel zusammenbauen oder Häuser renovieren. Auch VerbraucherInnen, die mit einer Leidenschaft für niedrige Preise und extremen Komfort aufgewachsen sind, begrüßen diese Emporkömmlinge. Aber sollten wir die Sharing Economy als Wegweiser in die Zukunft der Arbeit deuten? Was hat uns diese Form des Wirtschaftens tatsächlich gebracht?

Willkommen im Potemkinschen Dorf der Sharing Economy, wo man endlich das Obst von den Bäumen im eigenen Garten an die NachbarInnen verkaufen, eine Fahrgemeinschaft bilden, ein Baumhaus im Redwood Forest mieten oder ein Abenteuer auf KinkBNB suchen kann, wo man seinen Spotify-Account hören kann, während man in einem Uber-Fahrzeug sitzt. Plattformen können heute sogar Profit aus Interaktionen mit Ihrem Auto oder Kühlschrank schlagen. Das Internet der Dinge stellt selbst die Objekte in Ihrer Umgebung in den Dienst des Überwachungskapitalismus.

Arbeitsvermittler wie TaskRabbit, Postmates und Uber feiern ihren Andy-Warhol-Moment, ihren 15-Milliarden-Dollar-Ruhm. Sie zelebrieren die Tatsache, dass sie ihre plattformbasierten Monopole gegründet haben, ohne eine eigene physikalische Infrastruktur zu besitzen. Genauso wenig wie AOL und AT&T das Internet erfunden haben oder Mitt Romney sein Unternehmen ganz alleine aufgebaut hat (vgl. The Wall Street Journal, 19.7.2012[1]), haben die Firmen der On-demand-Branche ihre Königreiche selbst erbaut. Sie basieren vielmehr auf Ihrem Auto, Ihrer Wohnung, Ihrer Arbeit, Ihren Emotionen und vor allem Ihrer Zeit. Es sind Logistikunternehmen, bei denen die Teilnehmenden den Mittelsmann bezahlen; es ist die Finanzialisierung des Alltags 3.0.

Tätigkeiten, die nicht ins Ausland verlagert werden können – etwa Hundeausführen oder Putzen – werden Teil dessen, was Sasha Lobo (in Spiegel Online, 3.9.2014[2]) und Martin Kenney als «Plattform-Kapitalismus» bezeichnen; die Nachkriegsgeneration verliert ganze Wirtschaftsbereiche – etwa Transport und Lebensmittel – an die Generation Y, die die Kontrolle über Nachfrage, Angebot und Profit an sich reißt, indem sie App-basierte Interaktionen zwischen NutzerInnen mit einer dicken Schicht Unternehmertum überzieht. Die Sharing Economy wird oft dargestellt als Vorbote einer Welt ohne Arbeit – auf dem Weg zum ökologisch nachhaltigen Kapitalismus, in dem Google den Tod besiegt hat und man sich um nichts mehr sorgen muss. Mit dem Slogan «Was mein ist, ist dein» befreit uns das trojanische Pferd der Sharing Economy von urzeitlichen Formen der Arbeit, indem es eine kolossale Jobzerstörungsmaschine entfesselt.

Wichtig ist, dass wir diese Diskussion nicht führen können, ohne vorher anzuerkennen, dass die Sharing Economy nicht irgendein isolierter, vakuumverpackter Eiswürfel im Cyberspace ist, sondern Teil der allgemeinen digitalen Arbeitslandschaft. Wir müssen erst eingestehen, dass es sich um Ausbeutung der materiellen Arbeit entlang der globalen Lieferkette handelt. Digitale Arbeit ist weder sauber noch glamourös. Man kann nicht über Apple-Geräte sprechen, ohne die Arbeitsbedingungen in Foxconns Selbstmordfabriken im chinesischen Shenzhen zu diskutieren. Ebenso verhält es sich mit den seltenen Erden aus der Demokratischen Republik Kongo; es ist äußerst wichtig, die Lieferketten zu verfolgen, die unseren digitalen Lebensstil ermöglichen.

Der Bildschirm versteckt eine namenlose Menschenmasse, die unsichtbar der Arbeitsplatzüberwachung, Ausbeutung und dem Diebstahl ihrer Entlohnung ausgeliefert ist. Micky Metts, Aktivist für freie Software, warnt: «Wer Plattformen baut, kann die Freiheit nicht auf der Sklaverei von anderen aufbauen.»[3]

Manche AkademikerInnen, die die Sharing Economy untersuchen, pflegen zu sagen, der entfesselte Kapitalismus habe viele furchtbare Auswirkungen, aber das wisse man ja! – Aber das hier ist nicht der normale Kapitalismus. Mein Kollege McKenzie Wark behauptet sogar:

Die Art der Produktionsweise, der wir uns jetzt nähern, ist meines Erachtens nicht ganz deckungsgleich mit dem Kapitalismus in seiner klassischen Definition. Das hier ist nicht Kapitalismus, es ist etwas Schlimmeres. (McKenzie o. J.)

Es ist nicht einfach eine Weiterführung des Kapitalismus, wie wir ihn kennen; es könnte sich hier um eine neue Stufe der Ausbeutung handeln, die ich als crowd-fleecing (dt. in etwa: Schröpfen der Menge) bezeichnen würde. In vielen Aspekten ist diese Ausbeutung identisch mit der, die vor dem digitalen Zeitalter praktiziert wurde, aber es gibt auch einige Brüche. Das Konzept des crowd-fleecing beinhaltet tatsächlich eine neue Form der Ausbeutung, die in Echtzeit und in noch nie dagewesenem Umfang von einem globalen Vorrat an Arbeitskraft zehrt.

Das Ende der Sharing Economy

In 20 oder 30 Jahren, wenn wir dem Ende der akademischen Berufe gegenüberstehen und noch mehr Arbeitsstellen «uberisiert» wurden, werden sich viele bestimmt fragen, warum wir nicht gegen diese Veränderungen protestiert und dadurch Monopolisten wie Uber eine enorme Macht zugestanden haben. Wir werden es vielleicht bereuen, dass wir so begeistert waren von Airbnbs, Baumhäusern im Redwood Forest und von Mahlzeiten, die unsere NachbarInnen zu Hause gekocht und uns bei Kitchensurfing.com verkauft haben. Wir werden es vielleicht bereuen, dass wir nicht eingegriffen und nicht aktiver an möglichen Alternativen gearbeitet haben.

Was können wir also tun? Zuerst müssen wir begreifen, wofür die Sharing Economy steht.

Die Sharing Economy deutet auf einen enormen globalen Vorstoß zugunsten von «digitalen Brückenbauern» hin, die sich zwischen die Anbieter von Dienstleistungen und diejenigen schieben, die diese Dienstleistungen suchen, und die dadurch extraktive Prozesse in soziale Interaktionen einbetten. Jedes Uber hat ein Unter. Die Vorteile, die diese Plattformen VerbraucherInnen, BesitzerInnen und AnteilseignerInnen bieten, sind offensichtlich, aber es ist bestenfalls schwer zu sagen, wie viel Wert dabei für arme und schutzlose ArbeiterInnen entsteht, und wie wertvoll sie langfristig für VerbraucherInnen sind.

Die Sharing Economy tauscht alte Abhängigkeiten gegen neue ein, und alte Herrschaft gegen neue Herrschaft. Es geht um die Verschiebung von ArbeitnehmerInnen mit W2-Steuerdokument[4] und 40-Stunden-Woche zu GelegenheitsarbeiterInnen, FreiberuflerInnen oder selbstständigen AuftragnehmerInnen, auch als 1099[5], Gig-ArbeiterInnen, oder Gigster bezeichnet.[6] So herrscht beispielsweise unter Uber-FahrerInnen[7] oder ArbeiterInnen bei Amazon Mechanical Turk eine erhebliche Fluktuation. Der Rechtswissenschaftler Frank Pasquale schreibt:

Während der traditionelle Arbeitsplatz einer Ehe ähnelt, in der beide Parteien sich einem längerfristigen gemeinsamen Projekt verpflichten, strebt die digitalisierte Arbeiterschaft eine Abfolge von One-Night-Stands an. (Pasquale 2011)

Energisch verbreitete Mythen über bestehende Arbeitsverhältnisse erwecken den Eindruck, dass ArbeitnehmerInnen jegliche Flexibilität aufgeben und selbstständige AuftragnehmerInnen automatisch flexibel arbeiten können. Aber diese «immanente Flexibilität» von FreiberuflerInnen sollte infrage gestellt werden, weil sie nicht in einem Vakuum existieren; sie müssen sich nach den Zeitplänen ihrer virtuellen Chefs richten.

In der Sprache des Unternehmertums bedeutet digitale Arbeit Flexibilität, Autonomie und Wahlfreiheit, doch wurde dabei die Last der größten Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter auf die alleinige Schulter der Arbeitenden geladen. Die EigentümerInnen der Plattformen bezeichnen ArbeiterInnen als «Rabbits», «Turkers» und «Taskers». Ich frage mich, ob Leah Busque, die Gründerin von TaskRabbit, beleidigt wäre, wenn man sie «Provider» nennen würde.

Wer ist schon bereit, allen FreiberuflerInnen, Aushilfskräften und AuftragnehmerInnen arbeitnehmerähnliche Rechte zu gewähren? Virginias Senator Mark Warner (Re-code, 15.7.2015[8]) und andere haben vorgeschlagen, dass man eine dritte Kategorie von ArbeiterInnen schaffen sollte, die weder unabhängige AuftragnehmerInnen noch Angestellte sind.

Befeuert durch eine umstrittene Studie aus Oxford, laut derer 47 Prozent der amerikanischen Erwerbstätigkeit innerhalb der nächsten 20 Jahre automatisiert werden wird,[9] hat die Diskussion über ein garantiertes Grundeinkommen erneute Aufmerksamkeit erfahren. Der Programmierer und Autor Steve Randy Waldman schlug vor, dass die Definition eines unabhängigen Auftragnehmers beinhalten sollte, dass er auf verschiedenen Plattformen arbeiten muss (multi-homing); damit würde man vermeiden, dass sich einzelne dominante Plattformen (wie Uber) bilden. Multi-homing stärkt damit die Verhandlungsposition, wenn es darum geht, die Macht der Monopole zu schwächen.[10]

Die Sharing Economy ist Reaganismus mit anderen Mitteln. Gehen wir einen Schritt zurück: Ich behaupte, dass es eine Verbindung gibt zwischen den Auswirkungen der Sharing Economy und den mutwillig hervorgerufenen Schockwellen des Sparkurses, der auf den Zusammenbruch der Finanzmärkte 2008 folgte. Die Sharing Economy entwickelte sich aus den Hinterlassenschaften Reagans und Thatchers, die in den 1980er Jahren die Streiks der BergbauarbeiterInnen und FluglotsInnen niederschlugen und damit das Vertrauen in die Fähigkeit der Gewerkschaften, die Arbeiterschaft zu schützen, erheblich beschädigten. Sie schwächten den Glauben an die Möglichkeit von Solidarität und schufen einen Rahmen, innerhalb dessen die Umstrukturierung von Arbeit, die Einschnitte im Sozialsystem und die Abkopplung der Produktivität vom Einkommen vermittelbar wurden.

All das führte dazu, dass heute viele Angehörige der Generation Y das Ende der Welt für wahrscheinlicher halten als das Ende des Kapitalismus, und ihre Karriere als führerloses Fahrzeug betrachten, das auf den Untergang zusteuert.

Zahllose digitale TagelöhnerInnen stehen jeden Morgen nur deshalb auf, um an einer Auktion ihrer Arbeitskraft teilzunehmen. Laut der Ökonomin Juliet Schor bietet die Sharing Economy in zunehmendem Maße der gebildeten Mittelklasse einen Zugang zu Arbeit mit geringem Anforderungsprofil – wo sie nun Taxi fahren oder Möbel montieren kann –, während sie gering bezahlte ArbeiterInnen aus diesen Beschäftigungsverhältnissen verdrängt.[11]

Ein Drittel der US-amerikanischen ArbeiternehmerInnen arbeitet inzwischen aushilfsweise, freiberuflich oder tagelöhnernd. Ungewiss ist jedoch, ob diese nicht lieber wieder in eine Welt mit regelmäßigem Gehaltsscheck, 40-Stunden-Woche und einer gewissen sozialen Absicherung zurückkehren würden.

Die Sharing Economy ist innovativ, wenn es darum geht, Profite für einige wenige zu generieren. Die Software, die die Sharing Economy vorantreibt, steckt voller schlauer Ideen. Die ameisengroße Darstellung eines Taxis etwa, das sich einer bestimmten Position auf dem Bildschirm nähert, ist eine brillante Idee; es ist ein design for scale.[12] UnternehmerInnen und SoftwareentwicklerInnen haben neue Märkte entdeckt und aufgebaut, aber gilt das als Innovation? Sollte es bei Innovationen lediglich um Profite für einige wenige gehen, während sie in ihrem Kielwasser eine Arbeiterschaft halten, die zum größten Teil ohne ausreichende soziale Absicherung auskommen muss?

In gleicher Weise stellt Effizienz keine Tugend dar, wenn sie lediglich darauf beruht, dass Werte für AktionärInnen geschöpft werden. In diesem Sinne sind auf Arbeitskraft basierende Unternehmen wie Amazon, Crowdspring und TaskRabbit weder effektiv noch innovativ. Plattform-Kapitalismus ist bislang in höchstem Maße ineffektiv darin, sich mit den Bedürfnissen des Gemeinwesens auseinanderzusetzen.

Es ist nicht zu leugnen, dass sich durch die «1099-Wirtschaft» zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten auftun. Aber auf lange Sicht bietet die derzeitige Version der Sharing Economy keine Aussichten auf anständige Arbeit. Was vermeintlich fortschrittlich und innovativ war, hat schlussendlich die Ungleichheit der Einkommen verschärft.

Für die Sharing Economy ist die Illegalität Methode, kein Fehlverhalten, und zumindest bislang schreitet die US-amerikanische Regierung nicht ein. Gleichzeit besteht die Möglichkeit, die Regulierung der Arbeitsplattformen zu kommunalisieren. Beispielsweise arbeitet Bürgermeister Bill de Blasio ständig daran, die Größe des Fahrdienstes Uber in New York einzuschränken.
Seoul, die selbsternannte sharing city in Südkorea, hat bereits einen Präzedenzfall geschaffen, indem sie Uber verboten und eine von der Stadt betriebene Taxi-App eingeführt hat.[13]

Auch an den steuernden Eingriffen, die gerade in Montgomery County im US-Bundesstaat Maryland in Kraft treten, könnten sich viele Städte ein Beispiel nehmen. Dort hat das Parlament beschlossen, Uber und Lyft zu regulieren, indem eine Abgabe von 0,25 US-Dollar für jede Fahrt mit diesen Unternehmen erhoben wird. Die Einnahmen werden verwendet, um leichter zugängliche Taxidienste für anspruchsberechtigte ältere MitbürgerInnen sowie Geringverdienende anzubieten.[14]

Einzelne Gemeinden, der öffentliche Dienst und auch die Regierung könnten ArbeitnehmerInnen dazu ermutigen, kommunale Share-Plattformen zu nutzen. Beispielsweise könnten vorausschauende staatliche Stellen die gemeinsame Nutzung von Fahrrädern ermöglichen.

Start-ups umschiffen auf geschickte Art und Weise die Definition von «Anstellung», indem sie die Arbeit dergestalt umstrukturieren, dass diejenigen Menschen, die die Arbeit verrichten, als unabhängige AuftragnehmerInnen eingestuft werden können, anstatt als Angestellte. Sie können beispielsweise die maximale Anzahl an Stunden, die eine Uber-Fahrerin hinter dem Steuer verbringen darf, derart begrenzen, dass sie nicht als Angestellte zählt.

Die Sharing Economy wurde für ihre «Erklärung der Nichtigkeit von Bundesgesetzen» kritisiert (Pasquale/Vaidhyanathan 2015), für den Mangel an Respekt, der den ArbeiterInnen entgegengebracht wird, für die Eliminierung von Arbeiterrechten und demokratischen Werten wie Verantwortung und gegenseitiges Verständnis. Firmen der Sharing Economy zahlen keine Steuern, sie verletzen lokale Bestimmungen, Bundesgesetze und Gesetze gegen Diskriminierung. Der Modus Operandi dieser Firmen ist es, zuerst das Gesetz zu brechen und danach auf die Kundenbasis hinzuweisen, die sie geschaffen haben: Seht doch, alle diese KundInnen wollen diesen Dienst in Anspruch nehmen; vielleicht solltet ihr das Gesetz überdenken.

ArbeitnehmerInnen schlecht zu behandeln, stellt für die ArbeitgeberInnen ein sehr geringes Risiko dar. Das US-Arbeitsministerium ist aufgrund seiner personellen Unterbesetzung faktisch nicht in der Lage, Unternehmen zu verfolgen, die die Bundesarbeitsgesetze verletzen. Und selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass sie gefasst werden, müssen sie lediglich den ArbeiterInnen das zahlen, was sie ihnen schulden.

Wir sollten schockiert sein angesichts der Tatsache, dass es Gewerkschaften verboten ist, ArbeiterInnen auf Plattformen wie Upwork, Uber, Amazon Mechanical Turk oder TaskRabbit zu kontaktieren. Die Bundesgesetze sollten den Gewerkschaften den Zugang zu diesen «digitalen ArbeiterInnen» ermöglichen, und diese sollten wiederum auch miteinander in Kontakt treten dürfen.

Einiges hat sich schon zum Besseren gewandelt. In einer kürzlich ergangenen Entscheidung legte beispielsweise ein Bundesrichter fest, dass ein Uber-Fahrer ein Angestellter und kein unabhängiger Auftragnehmer ist (The New York Times, 17.7.2015[15]). Auch bei Lyft und sogar bei Yelp reichen ArbeiterInnen Klagen ein, um als Angestellte anerkannt zu werden.[16] Die Stadt Seattle hat gerade die Türen für eine gewerkschaftliche Organisation der Uber-FahrerInnen aufgestoßen. Inzwischen setzt sich die Erkenntnis durch, dass man den ArbeiterInnen sozialen Schutz gewähren muss, wenn man «den Kapitalismus retten» möchte, wie es der frühere US-Arbeitsminister Robert Reich (2015) ausdrückte, und wenn man möchte, dass die Wirtschaft rundläuft, während gleichzeitig Unruhen im Zaum gehalten werden.

Im November 2015 hat eine überraschende Koalition aus Start-ups und organisierter Arbeiterschaft ein Dokument veröffentlicht, das die sozialen Absicherungen für ArbeiterInnen umreißt, die notwendig seien, um die digitale Wirtschaft gedeihen zu lassen (The New York Times, 9.11.2015[17]). Ob die amerikanische Regierung in der Lage sein wird, die geforderten Maßnahmen einzuleiten, bleibt abzuwarten.

Amazon als Teil der Sharing Economy

Amazon.com, eines der ältesten Unternehmen dieser digitalen Wirtschaft, begründete 1994 den Onlinebuchhandel; heute jedoch ist das Geschäftsmodell von Crowdsourcing-Systemen wie Amazon Mechanical Turk, ähnlich wie Uber, eine Vorlage für zahllose andere Firmen. Der grausame Geist ist aus der Flasche und wird jetzt von Firmen wie CrowdFlower, 99designs und Hunderten anderen übernommen.

Kürzlich startete Amazon den Sharing-Economy-Dienst Flex,[18] ein in die Gemeinschaft ausgelagerter Zustelldienst, der seine Pakete von gewöhnlichen Menschen zustellen lässt statt von herkömmlichen Kurieren. Des Weiteren vermittelt Amazon mit HomeServices jetzt auch Elektriker, Klempner und andere Dienstleister und etabliert mit Handmade at Amazon gerade einen neuen Marktplatz für Selbstgebasteltes, womit er Anbieter wie Etsy direkt herausfordert.

Bereits seit 2005 betreibt Amazon eine digitale Arbeitsvermittlung namens Amazon Mechanical Turk, bei der sich ArbeiterInnen einloggen können, um Aufgaben aus einer langen Liste auszuwählen. Ähnlich der traditionellen Arbeitsteilung in der Textilindustrie ermöglicht es Mechanical Turk, ein Projekt in Tausende kleine Arbeitsschritte zu zerlegen, die dann sogenannten CrowdworkerInnen zugewiesen werden. Gut ausgebildete AnfängerInnen verdienen hier zwischen zwei und drei Dollar pro Stunde. Mit einem minimalen Verständnis des Fair Labor Standards Act von 1938 müsste man nun sagen, dass eine solche Bezahlung gesetzwidrig niedrig ist, weil sie nicht die Anforderungen der Mindestlohnvorgaben erfüllt. Man sollte denken, dass die ArbeiterInnen in einem reichen und demokratischen Land wie den Vereinigten Staaten gesetzlich vor einem solchen Missbrauch geschützt sind, und dass Firmen wie Uber sofort geschlossen werden würden. Wir haben erlebt, wie Beamte in Paris zwei Führungskräfte von Uber anklagten (The Wall Street Journal, 30.6.2015[19]) und Städte wie Rio de Janeiro das Unternehmen schlichtweg verbieten und dieses Verbot auch durchsetzen (The Guardian, 30.9.2015[20]). In den Vereinigten Staaten jedoch wird nicht viel getan, um diesen Firmen, die sich über Bundesgesetze und kommunales Recht hinwegsetzen, entgegenzutreten.

Gehaltsdiebstahl ist auf Amazon Mechanical Turk zum Beispiel ein alltägliches Problem und wird von der Firma ausdrücklich toleriert. AuftraggeberInnen können präzise ausgeführte Arbeiten zurückweisen und die Zahlung verweigern. Der Zweck der Plattform, ihre systemische Logik, wird durch ihren Aufbau und ihre Gestaltung ebenso wie durch ihre Nutzungsbedingungen ausgedrückt. Gehaltsdiebstahl ist also «kein Bug, sondern ein Feature».  Das ist kaum überraschend.

Amazon.com ist tatsächlich ein gutes Beispiel – als Teil der Monokultur großer, öffentlich gehandelter, profitmaximierender Unternehmen mit der Aufgabe, Rendite für AktienbesitzerInnen zu erzeugen. Es ist die treuhänderische Pflicht solcher Unternehmen, zu wachsen, den BesitzerInnen der Plattform zu dienen und ihr Vermögen zu vergrößern. Die überragende Bequemlichkeit, die das Unternehmen Amazon uns bietet, seine Geschwindigkeit, seine Preise und nicht zuletzt seine allgemeine Dominanz machen es uns schwer, die Tatsache anzuerkennen, dass im Schatten unserer Bequemlichkeit horrende Sozialkosten für die ArbeiterInnen lauern.

In einem von Amazons Warenlagern in Deutschland kontrolliert das Unternehmen seine MitarbeiterInnen mithilfe sogenannter Inaktivitätsprotokolle und ermahnt sie selbst für kürzeste Zeiten der Inaktivität. Überwachungstechnologien und VorarbeiterInnen zeichnen selbst ein- bis zweiminütige Unterhaltungen mit KollegInnen und längeres Verschwinden in den Sanitärräumen auf.[21] Zwei solcher Verstöße – also Pausen zwischen einer und neun Minuten – können zur Entlassung führen. Zudem verkündete der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Dezember 2014 in einem Urteil, dass die vorgeschriebene Sicherheitsdurchsuchung der ArbeiterInnen, die das Warenlager verlassen, nicht mit Überstunden vergütet werden muss, – und das trotz der Tatsache, dass die ArbeiterInnen dort jeden Tag zwischen 30 und 40 Minuten Schlange stehen müssen.[22] Zweifellos bevorzugt die Gesetzgebung öffentlich gehandelte Unternehmen.

Aber das Elend beschränkt sich nicht auf die ArbeiterInnen in den Warenlagern und die CrowdworkerInnen, es trifft auch in gleichem Maße die Büroangestellten des Unternehmens. Wir können hier die Einstellung von Jeff Bezos, des CEO von Amazon, ein wenig mehr beleuchten, der einer Gruppe von VerlegerInnen in einer brutalen Konfrontation mitteilte, dass «Amazon Verlegern derart begegnen sollte, wie ein Gepard eine kranke Gazelle verfolgt.» (The New York Times, 22.10.2013[23]). Es ist diese Einstellung, die das Unternehmen auch seinen Büroangestellten, seinen BuchhalterInnen, seinen Marketing-MitarbeiterInnen und IngenieurInnen entgegenbringt. Dies wurde durch das «Inside Amazon»-Exposé der New York Times (15.8.2015) öffentlich, in dem eine Marketing-Führungskraft in Amazons Buchabteilung mit den Worten zitiert wurde: «Ich habe beinahe jede Person, mit der ich gearbeitet habe, an ihrem Schreibtisch weinen sehen.»[24]

Die Firma Amazon wurde für ihre unfairen Arbeitsbedingungen bekannt, ist aber keinesfalls eine Ausnahme innerhalb der Sharing Economy und darüber hinaus. Es ist diese bis zum Äußersten getriebene Taylor’sche Logik, die nicht einmal mehr aus unternehmerischer Sicht Sinn ergibt. Die Arbeitswissenschaftlerin Ursula Huws (2014) spricht in diesem Zusammenhang von «absoluter Arbeitsverdichtung».

Es ist unsinnig, die Sharing Economy isoliert zu diskutieren, als wäre sie nicht mit der digitalen Wirtschaft und der Netzwerkgesellschaft als Ganzes verbunden. Ich hoffe, dass aus dem von mir bislang Gesagten klar hervorgeht, dass sich in der Sharing Economy niemand für die ArbeiterInnen einsetzt. Aber während alle diese Kräfte die Sharing Economy vorantreiben, gibt es auch immer mehr Menschen, die an einem Internet interessiert sind, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Spätestens seit der Rezession von 2008, als die Menschen in Scharen ihre Stellen verloren und alternative Einkommensquellen suchen mussten, besitzt das Wachstum des Zeitarbeitssektors eine eigene Dynamik. Und da kam die Sharing Economy, nun auch öfter als On-demand-Wirtschaft bezeichnet, ins Spiel. Tech-MilliardärInnen klinkten sich ein, getragen auf den Rücken derer, die verzweifelt auf der Suche nach Arbeit waren. Dadurch steigerten sie nicht nur die Ungleichheit, sie strukturierten auch die Wirtschaft in einer Weise um, die diese neue Art zu arbeiten, beraubt aller Arbeitnehmerrechte, lebbar, überlebbar, oder wie sie es ausdrücken würden, «nachhaltig» machte.

Und darum frage ich im zweiten Teil dieser Studie, ob wir uns weiterhin ausschließlich auf digitale Infrastrukturen verlassen müssen, die entworfen wurden, um Profit für eine sehr kleine Zahl von Plattform- und AktienbesitzerInnen aus dem Unternehmen zu ziehen, zu «extrahieren». Ist es wirklich undenkbar, Uber, Facebook, CrowdFlower und Konsorten zu entkommen?

Wie können wir Alternativen aufbauen, zu denen die Menschen wechseln können? Strukturelle Veränderungen könnten den Kampf um höhere Löhne und viele andere Probleme lösen. Warum sollte es unmöglich sein, Strukturen so umzugestalten, dass alle Menschen die Früchte ihrer eigenen Arbeit ernten können? Wir brauchen eine Koalition gleichgesinnter ArbeiterInnen, DesignerInnen, KünstlerInnen, KooperativistInnen, EntwicklerInnen, erfindungsreicher GewerkschafterInnen, ArbeitsanwältInnen und politischer GestalterInnen, um gemeinsam für die Vision eines Internets der Menschen zu arbeiten.

Aber es ist schwierig, etwas neu zu gestalten, das einem nicht gehört. Andere Besitzverhältnisse im Internet würden viele aktuelle Probleme lösen, etwa den Kampf um die Privatsphäre und die Durchsetzung höherer Löhne.[25]

Silicon Valley liebt die Rhetorik der schöpferischen Zerstörung, jetzt könnten sie zur Abwechslung mal davon betroffen sein.

Was nun folgt, ist ein Aufruf: Stellt die Menschen in den Mittelpunkt der virtuellen Anheuerräume des digitalen Arbeitsmarktes und verwandelt Profite in sozialen Gewinn! Es ist ein Aufruf an die Stadtverwaltungen, Gewerbe wie Airbnb oder Uber selbst zu betreiben. In der Vergangenheit haben amerikanische Städte Hotels und Krankenhäuser besessen und betrieben, und einige tun das immer noch. Es ist Zeit, diese Geschichte wiederzubeleben.

Der Aufstieg des plattformbasierten Genossenschaftswesens

Wo kann, wo sollte man ansetzen? 51 Prozent der AmerikanerInnen verdienen weniger als 30.000 $[26] pro Jahr und 76 Prozent von ihnen haben keinerlei Ersparnisse.[27] Zwischen 2000 und 2010 ist das mittlere Einkommen in den Vereinigten Staaten inflationsbereinigt um 7 Prozent gesunken (vgl. Nadeau 2012). Für eine steigende Zahl von Menschen funktioniert der Kapitalismus nicht mehr, und dabei geht es nicht nur um das soziale Wohlergehen, sondern auch um ökologische Nachhaltigkeit. Wir müssen also darüber nachdenken, wie digitale Besitzverhältnisse und Verwaltung solidarisch umgestaltet werden können. Kann die Silicon Alley demokratischer sein als das Silicon Valley?

Egal ob man über sichere Arbeitsplätze, Mindestlohn, Arbeitsschutz, Krankenversicherung oder Rentenfonds nachdenkt – keines dieser Themen kann ohne die Neuorganisation der Arbeit, ohne einen strukturellen Wandel in grundlegender Weise angegangen werden. Keinem der aktuellen Probleme kann effektiv entgegengewirkt werden, ohne dass die Solidarität wiederbelebt, Besitzverhältnisse verändert und eine demokratische Verwaltung eingeführt wird.

Unternehmen der alten Schule geben ihren ArbeiterInnen für gewöhnlich nicht mehr, als sie unbedingt müssen. Das mangelnde Vertrauen in die Bereitschaft der (Aktien-)BesitzerInnen, sich um ihre Belegschaften zu kümmern, das mangelnde Vertrauen in das alte, ausbeutende Modell, die Wirtschaftlichkeit der Überwachung und die fortschreitende Verbreitung des «grenzenlosen Arbeitsplatzes» haben dazu geführt, dass in vielen Menschen die Idee des Genossenschaftswesens wieder auflebte. Wie sind die Aussichten für Plattformgenossenschaften?

Die solidarische Wirtschaft wächst weltweit; Genossenschaften beschäftigen mehr Menschen als alle internationalen Konzerne zusammen.[28] Bernie Sanders, US-Senator aus Vermont und demokratischer Präsidentschaftskandidat, preist die Beteiligung der ArbeiterInnen am Unternehmensbesitz als einen praktikablen Weg in die Zukunft an.[29] In den Vereinigten Staaten sind 900.000 Menschen bei Genossenschaften angestellt (vgl. Nadeau 2012: 37). Die japanische Vereinigung der Verbraucherkooperativen versorgt 31 Prozent der nationalen Haushalte. Die Mondragón Corporación Cooperativa (MCC), Spaniens siebtgrößtes Industrieunternehmen, ist ein Netzwerk von Genossenschaften, in dem im Jahre 2013 74.061 Menschen angestellt waren. Angesiedelt in der Emilia-Romagna – einer Region in Norditalien, in der das Genossenschaftswesen bereits eine lange Tradition hat, – fördert Mondragón Beteiligungen von ArbeiterInnen an Unternehmensbesitz, Verbraucherkooperativen und landwirtschaftliche Genossenschaften. Die Region weist eine geringere Arbeitslosenquote auf als andere Gegenden Italiens.[30] Laut Kelly (2012) beruhen 40 Prozent der brasilianischen Landwirtschaft und 36 Prozent der Einzelhandelsgeschäfte in Dänemark auf Genossenschaften. 45 Prozent des kenianischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 22 Prozent des neuseeländischen BIP stammen aus Genossenschaften. Bei Betrachtung dieser Zahlen lässt sich nur schwer behaupten, dass traditionelle Genossenschaften am Ende wären.

Es gibt viele weitere genossenschaftliche Initiativen in Europa und den USA: In Großbritannien etwa arbeiten heute 200.000 Menschen in mehr als 400 Arbeiterkooperativen. In Berlin bilden die BürgerInnen derzeit Versorgerkooperativen, um das städtische Stromnetz zu kaufen und zu betreiben.[31] In Schönau betreibt eine solche Verbraucherkooperative sowohl das städtische Stromnetz als auch die Gasversorgung. Wie Maria del Carmen Arroyo, Mitglied des New Yorker Stadtrats, verkündete, hat die Stadt New York für das Jahr 2016 einen Betrag von 2,1 Millionen Dollar für die «Worker Cooperative Business Development Initiative» bewilligt.[32] Im Jahre 2015 wurde der Aufbau von 24 Kooperativen fast ausschließlich von Frauen betrieben. Die Stundenlöhne der GeringverdienerInnen, die diesen Kooperativen beitraten, stiegen in diesem Jahr von 10 $ auf 25 $.

Manchmal werden wir aufgefordert, «realistisch» zu sein. Es wird behauptet, dass radikale Alternativen zum «extrahierenden» Kapitalismus nicht funktionieren. Sicherlich sind die Herausforderungen groß. Man denke nur an Walmart, den drittgrößten Arbeitgeber der Welt nach dem US-Verteidigungsministerium und der chinesischen Volksbefreiungsarmee.[33] Der Wettbewerb mit solchen Giganten ist für Genossenschaften kein Zuckerschlecken. Es bleibt jedoch die Frage, wen wir als treibende Kraft des Wandels sehen. Sind es die PlattformbesitzerInnen, die AnteilseignerInnen, die CEOs, die RisikokapitalgeberInnen? Oder ist es das Kollektiv der ArbeiterInnen innerhalb einer breiten gesellschaftlichen Bewegung? Die Antwort könnte sein: sie alle. Aber für mich wird es problematisch, wenn die «Umgestaltung der Ökonomie» hauptsächlich in den Vorstandsetagen des Silicon Valley entschieden wird. Beispielsweise auf der im November 2015 von Tim O’Reilly veranstalteten Konferenz Next:Economy,[34] die größtenteils von Wirtschaftsbossen des Silicon Valley dominiert wurde. Und als ob die Auswahl der SprecherInnen nicht Aussage genug darüber wäre, wer hier eingeladen war, nahmen einem die OrganisatorInnen der Konferenz an der Tür 3.500 Dollar ab.

Der frühere Arbeitsminister Robert Reich wies darauf hin, dass Arbeiter ein Mindestmaß an sozialer Absicherung benötigen, damit der Kapitalismus gerettet werden könne, andernfalls gäbe es eine Rebellion. Und sicherlich muss man Arbeitern etwas geben, wenn man den sozialen Frieden bewahren will.

Man kann an das Gute in UnternehmensführerInnen appellieren, wie es Tim O’Reilly tut, man kann auf ihren guten Willen hoffen, aber es bleibt die Frage, ob solche Bitten die grundsätzliche Ausrichtung dieser Unternehmen ändern können. Es ist wahr, dass ArbeiterInnen einen verlässlichen Schutz benötigen und jemanden brauchen, der sich auf lange Sicht um ihr Wohlergehen sorgt. Bei der Umgestaltung der Ökonomie «realistische» Ziele zu verfolgen bedeutet auch, in realistischer Weise abzuschätzen, ob PlattformbesitzerInnen über kleine Zugeständnisse an ihre Belegschaften hinausgehen werden.

Realistisch zu sein bedeutet darüber hinaus, die historischen Erfolge und Fehler der solidarischen Wirtschaft zur Kenntnis zu nehmen. In den Vereinigten Staaten umfasst diese eine lange Periode des spirituellen Kommunalismus und der Genossenschaftsbewegung. Die deutschen Mennoniten, einschließlich der Amish, begannen bereits 1684, nach Nordamerika auszuwandern. Im Frühling des Jahres 1825 gründete Robert Owen die Gemeinschaft «New Harmony» in Indiana. In den 1930er Jahren starteten sowohl die Nation of Islam als auch die Catholic Worker Movement Hunderte gemeinschaftliche Projekte. Die katholische Lehre des Distributismus hat hier einen gewissen Einfluss. Sie besagt, dass Gemeinschaften Besitz und Werkzeuge gemeinsam besitzen können. Drei Jahrzehnte später wurden der Hindu Kripalu Yoga Ashram und das Buddistische Karme-Choling Center gegründet. Spirituelle Gemeinschaften und Genossenschaften bewiesen im Laufe der Geschichte oft größeres Durchhaltevermögen als andere kooperative Unternehmungen.

KritikerInnen des solidarischen Wirtschaftens monieren, dass es seit der ersten modernen Genossenschaft in Rochdale, Schottland im Jahre 1844 mehr als genug Zeit gegeben hätte, um über Arbeiterkooperativen zu diskutieren; ihrer Meinung nach gibt es ausreichend Beweise dafür, dass dieses Modell nicht funktioniert. Und sie haben teilweise recht: Die meisten US-amerikanischen Kooperativen im Besitz von ArbeiterInnen waren nicht erfolgreich. Man darf jedoch die Außenwirkung dieser solidarischen Gemeinschaften nicht unterschätzen; so stellte der Autor John Curl fest:

Die bloße Existenz von Genossenschaften fordert Konzerne und den Kapitalismus heraus; Konzerne haben immer hart daran gearbeitet, [Genossenschaften] zu schwächen, in Misskredit zu bringen und durch das Führen von Preiskämpfen zu zerstören, Gesetze zu beschließen, die ihre Handlungsfähigkeit einschränkten, sie in den Medien als subversiv und gescheitert zu brandmarken, und eine Vielzahl anderer Strategien einzusetzen.[35]

Auch Rosa Luxemburg (1899) tat sich schwer damit, Genossenschaften als realistische Alternativen zum Kapitalismus zu betrachten:

In der Produktivgenossenschaft ergibt sich daraus die widerspruchsvolle Notwendigkeit für die Arbeiter, sich selbst mit dem ganzen erforderlichen Absolutismus zu regieren, sich selbst gegenüber die Rolle des kapitalistischen Unternehmers zu spielen. An diesem Widerspruche geht die Produktivgenossenschaft auch zugrunde, indem sie entweder zur kapitalistischen Unternehmung sich rückentwickelt, oder, falls die Interessen der Arbeiter stärker sind, sich auflöst. (Luxemburg 1899)

PessimistInnen beklagen außerdem die Tatsache, dass Genossenschaftsbanken die Geschäftswelt im Ganzen nicht verändert haben und dass sie nicht die versprochenen Brückenköpfe des Sozialismus geworden sind.

Die positiven Auswirkungen der genossenschaftlichen Strukturen auf die in ihnen wirtschaftenden ArbeiterInnen sind jedoch nicht zu leugnen. Es hat sich gezeigt, dass bestehende Genossenschaften stabilere Beschäftigungsverhältnisse und eine verlässlichere soziale Absicherung bieten als die klassischen «extrahierenden» Modelle. Hier regeln ArbeiterInnen ihre eigene Arbeit in einer Art und Weise, die zu ihrem eigenen Wohl beiträgt. Genossenschaften können, auch wenn sie klein sind, als ethische, selbst organisierte Gegenentwürfe dienen und ein Vorbild sein für Unternehmungen, die nicht auf der Ausbeutung ihrer Belegschaften beruhen. Genossenschaften können kreativ sein – nicht nur beim Konsum von Gütern, sondern auch bei der Neuorganisation der Arbeit.

Doch es ist sicherlich nicht hilfreich, Genossenschaften als rosarote Idealbilder zu sehen; auch sie existieren in einem kapitalistischen Umfeld, dessen Wettbewerb sie sich stellen müssen. Auch Genossenschaftsnetzwerke wie Mondragón können sich nicht wirklich von den ausbeuterischen Lieferketten abkoppeln, die den Kapitalismus antreiben. Demzufolge ist ein häufiger Einwand gegen Genossenschaften, dass sie ebenso wie alle anderen kapitalistischen Unternehmungen dem Marktdruck ausgesetzt sind, was eine Selbstausbeutung unvermeidbar macht.

Wenn man aber bedenkt, dass Unternehmen wie Uber einen Profit von 20 bis 30 Prozent abschöpfen, wäre ein möglicher Ansatz für Plattformgenossenschaften, ihre Dienste zu einem geringeren Preis anzubieten. Sie könnten mit einem Gewinn von 10 Prozent arbeiten und diesen zum Teil in soziale Leistungen für ArbeiterInnen umwandeln. Genossenschaften könnten sich auch zum Ziel setzen, in Nischenmärkten zu florieren und KundInnen mit geringen Einkommen zu ihren Zielgruppen machen.

In diesem Zusammenhang wurde bereits öfter auf Hannah Arendt Bezug genommen, die feststellte, dass ein streunender Hund eine größere Überlebenschance hat, wenn er einen Namen bekommt. Ich möchte also sagen: Willkommen beim plattformbasierten Genossenschaftswesen.

Together we will grow old

we will hold
each other close and
we will hold each other closer
We will hold each other
as the country changes;
we will hold each other
as the world changes.

Anonymous (zit. nach Curl 2012: 378)

Das Konzept des plattformbasierten Genossenschaftswesens besteht aus drei Teilen:

Erstens geht es um das Klonen des technologischen Kerns von Uber, TaskRabbit, Airbnb oder Upwork. Es nutzt die Technologien, will sie aber mit einem anderen Besitzstandsmodell zum Einsatz bringen, um das kaputte System der Sharing Economy/On-demand-Wirtschaft, das nur einige wenige profitieren lässt, zu sprengen. In diesem Sinne geht es beim plattformbasierten Genossenschaftswesen um einen strukturellen Wandel.

Zweiter Bestandteil des plattformbasierten Genossenschaftswesens ist die Solidarität; diese wird in der Sharing Economy schmerzlich vermisst; ihr Triebwerk ist eine dezentrale und manchmal anonyme Arbeiterschaft: die PraktikantInnen, FreiberuflerInnen, Aushilfskräfte, ProjektarbeiterInnen und unabhängige AuftragnehmerInnen. Plattformen können im Besitz von einfallsreichen Gewerkschaften, Städten und verschiedenen anderen Formen von Genossenschaften sein (im Besitz von ArbeiterInnen, sogenannten Produsern, Multi-Stakeholdern etc.) und von diesen betrieben werden.

Drittens ist das plattformbasierte Genossenschaftswesen darauf aufgebaut, dass Konzepte wie Innovation und Effizienz mit Hinblick auf das Wohl aller neu gefasst werden, anstatt Profite für lediglich einige wenige aufzusaugen.

Das Konzept des plattformbasierten Genossenschaftswesens, oder zumindest ein Teil davon, steckt in der Krise. Während sich den meisten Menschen seine genossenschaftliche Struktur erschließt, bleibt die Basis der Plattform für viele bislang ein Geheimnis. Wie nennt man die Orte, an denen man herumhängt und Werte schafft, nachdem man sein Telefon angeschaltet hat? In der vorliegenden Studie wird der Begriff «Plattform» verwendet, um eine Umgebung zu beschreiben, in der «extrahierende» oder genossenschaftliche Vermittler Dienste oder Inhalte anbieten.

Gleich zu Beginn meiner Erläuterung des Konzepts des plattformbasierten Genossenschaftswesens möchte ich klarstellen, dass es hier nicht um ein technisches Polarlicht geht; es dreht sich nicht um die westliche Vernarrtheit in technologischen Fortschritt. Evgeny Morozov und Siva Vaidhyanathan haben absolut Recht mit ihrer Haltung gegen «technologischen Solutionismus» und «Internetzentrismus». Das plattformbasierte Genossenschaftswesen ist vielmehr ein Begriff, der technologische, kulturelle, politische und soziale Veränderungen beschreibt. Ich behaupte, dass die plattformbasierte, genossenschaftliche Art des Wirtschaftens möglich ist, und kann Beispiele vorweisen, die dessen Anfänge belegen.

Einige der Modelle, die ich jetzt beschreiben werde, bestehen schon seit zwei oder drei Jahren, während andere noch imaginäre Apps sind. Es sind Prototypen und Experimente, aber sie alle führen einen alternativen Wertekanon ein. Das plattformbasierte Genossenschaftswesen ist ein rectangle of hope, ein Rechteck der Hoffnung.

Anhand von Beispielen möchte ich zunächst verschiedene Kategorien von Plattformgenossenschaften vorstellen, um im Anschluss einige Prinzipien dieser Genossenschaften vorzuschlagen. Danach werde ich das genossenschaftliche Ökosystem erläutern, das den Erfolg der Plattformgenossenschaften möglich macht. Zum Abschluss sollen die Gegenargumente und Herausforderungen der Thematik kurz diskutiert werden.

Erarbeitung einer Typologie der Plattformgenossenschaften

Es existieren bereits erste Plattformgenossenschaften, aber sie befinden sich noch im Entstehungsprozess. Eine Aufzählung würde an dieser Stelle zwangsläufig andere wichtige Projekte auslassen. Ohne konkrete Beispiele könnte man uns jedoch vorwerfen, dass das plattformbasierte Genossenschaftswesen nichts als ein Luftschloss wäre.

(1) Genossenschaftliche Arbeitsvermittlungsfirmen und Marktplätze

Das Modell der Online-Arbeitsvermittlung ist weithin bekannt. Da gibt es Firmen wie TaskRabbit, die dafür sorgen, dass innerhalb von 20 Minuten jemand kommt und die neuen IKEA-Möbel zusammenbaut. Eine Smartphone-App fungiert als Vermittler zwischen KundInnen und ArbeiterInnen. TaskRabbit erhält für jede Transaktion einen Anteil von 20 bis 30 Prozent.

Das weiß auch die Sharing-Economy-Anwältin und Karikaturistin Janelle Orsi.[36] Sie berichtet, dass sie von etlichen High-Tech-Start-ups und traditionellen Unternehmen wie Blumenhandel oder Landschaftsgärtnerei angesprochen wird, die gerne eine Genossenschaft gründen wollen. Sie bezeichnet das steigende Interesse an Genossenschaften, die angehende Migration in Richtung Plattformgenossenschaften, als crowd-leaping.

Da wäre beispielsweise die in San Francisco ansässige Genossenschaft Loconomics.[37] Ihre Mitglieder sind FreiberuflerInnen und besitzen Aktien, erhalten Dividenden und haben ein Mitspracherecht bei der Firmenleitung. Die Genossenschaft offeriert Massagen und andere Dienstleistungen, für die vor Ort eine Nachfrage besteht, aber bei Loconomics gibt es kein Bieten und keine Preisaufschläge. Eine Mitgliedschaft kostet 29,95 $ pro Monat. Die GründerInnen testeten die App im Januar und Februar 2016 in der Gegend um San Francisco; ab März 2016 sollen nach und nach UserInnen aus anderen Städten zugelassen werden.

Ali Alkhatib, ein Informatik-Doktorand aus Stanford, arbeitet zusammen mit den Microsoft FUSE Labs am Entwurf einer «allgemeingültigen, arbeiterzentrierten Peer-Ökonomieplattform», deren Software die ArbeiterInnen besitzen, betreiben und steuern.[38] Das Projekt ist jedoch noch im Anfangsstadium.

Fairmondo[39] aus Deutschland ist ein dezentraler Online-Marktplatz, der seinen UserInnen gehört – eine genossenschaftliche Alternative zu Amazon und eBay. Darüber hinaus wirbt die Website für eine kleine Anzahl an Fairtrade-Unternehmen sowie für faire, nachhaltige und lokale HerstellerInnen. Zurzeit hat Fairmondo 2.000 Mitglieder und will sein Modell von Deutschland auf andere Länder übertragen. Ziel ist es, eines Tages eine wirkliche Alternative zu den Marktriesen im E-Commerce anbieten zu können. Dieser alternative Online-Marktplatz soll kollektiv im Besitz aller lokalen Genossenschaften sein und gleichzeitig seinen Werten treu bleiben.

Coopify[40], eine von StudentInnen der Cornell Tech für die Robin Hood Foundation in New York City entwickelte Arbeitsplattform, wird es ArbeiterInnen mit geringen Einkommen demnächst ermöglichen, ihre Dienste auftragsspezifisch und gegen Bargeld anzubieten. Die Plattform ist für ArbeiterInnen aus New York gedacht, die niedrige Einkommen und zu wenig Arbeit haben, und die weder die Bonität noch die Aufenthaltspapiere besitzen, die sie bräuchten, um an den existierenden Online-Märkten teilzunehmen. Zusätzlich gibt es ein eigenes Referenzsystem und mehrsprachigen Support, Unterstützung bei der Steuererklärung und die Möglichkeit, in bar bezahlt zu werden.

(2) Städtische Plattformgenossenschaften

Nun möchte ich über staatliche Beteiligung sprechen, die in den USA ein Imageproblem hat. Gar Alperovitz, Politikwissenschaftler und Gründer der Democracy Collaborative, schreibt, dass es über 2.000 Stromversorger in öffentlichem Besitz gibt, die, zusammen mit Genossenschaften, mehr als 25 Prozent des Stroms im Land bereitstellen (vgl. Alperovitz/Hanna 2015). Alperovitz verweist auf die langjährige Tradition städtischer Hotels (etwa in Dallas) und US-amerikanischer Krankenhäuser in Gemeindebesitz. Anscheinend hat dieses Modell – entgegen der landläufigen Meinung – immer ziemlich gut funktioniert.

Janelle Orsi hat einige faszinierende Ideen für städtische Plattformgenossenschaften. Wo ich vorschlage, Transport- und Arbeitsvermittlungsfirmen wie Uber zu klonen, schlägt sie ein Airbnb-ähnliches Unternehmen vor, das den Menschen gehört, die ihre Räume an Reisende vermieten, und die es demokratisch steuern. Sie nennt es «Cobnb» und schlägt zwei weitere Apps vor: «Munibnb» könnte eine Kooperation zwischen 20 Städten sein, die ihre Ressourcen zusammenlegen und eine Software entwickeln, die eine ähnliche Funktionalität hätte wie Airbnb. Diese Städte könnten dann gesetzlich festlegen, dass kurzzeitige Mietverträge in ihren Gemeinden über dieses Portal laufen müssten. Die Profite könnten größtenteils bei den GastgeberInnen verbleiben und teilweise an die Stadtregierung abgetreten werden, die damit Dienstleistungen für ältere Menschen oder Straßenreparaturen bezahlen könnte. Orsi fragt: «Warum sollten die Millionen von Dollar, die Reisende ausgeben, von unseren Städten in die Hände der reichen Aktionäre fließen? Es wäre gar nicht so schwer, solche Geschäfte über etwas wie Munibnb zu betreiben.» (zit. nach Schneider 2015)

Die dritte imaginäre App, die Orsi vorschlägt, heißt «Allbnb». Auf der Grundlage einer Vermietungsplattform wie «Cobnb» würde diese App es ermöglichen, dass AnwohnerInnen zusätzlich eine Dividende aus den Profiten erhalten. Ein ähnliches System stellt der Alaska Permanent Fund dar, der den BewohnerInnen des Bundesstaates einen Anteil der Profite aus Alaskas Ölverkäufen zahlt: in Höhe von einigen Tausend Dollar pro Jahr.

Ich halte die Umsetzung dieser Art städtischer Plattformgenossenschaften für möglich. Städte würden befähigt werden, Mitglieder der On-demand-Wirtschaft zu sein und diese mitzusteuern.

(3) Plattformen, die den «Produsern» gehören

Der Begriff «Produser» ist eine Zusammenziehung aus «User» und «Producer».[41] Plattformen, die den ProduserInnen gehören, sind Antworten auf monopolistische Plattformen wie Facebook und Google, die UserInnen anlocken, indem sie «kostenlose Dienstleistungen» anbieten. Im Gegenzug wandeln sie dabei die Inhalte und Daten der «UserInnen» in Bezahlung für die scheinbar kostenlosen Dienstleistungen um.

Was wäre, wenn wir unsere eigene Version von Facebook, Spotify oder Netflix besäßen? Was wäre, wenn die Fotografen die Plattform Shutterstock.com besäßen, auf der ihre Fotos verkauft werden?

Kooperative Plattformen wie Stocksy und Member´s Media bringen uns der Antwort auf diese Frage ein Stück näher. Sie bieten ProduserInnen die Möglichkeit, MiteigentümerInnen der Website zu werden, über die sie ihre Kunstwerke vertreiben. Somit tragen diese Plattformen dazu bei, dass KünstlerInnen eine Karriere aufbauen können.

Stocksy[42] ist eine künstlereigene Genossenschaft der Stockfoto-Branche. Die Plattform basiert auf der Idee der Gewinnbeteiligung und Miteigentümerschaft der KünstlerInnen, die Fotos für die Website beitragen. Die Mitglieder können ihre Bilder lizenzieren und erhalten bei Verkäufen 50 Prozent Provision sowie eine Gewinnbeteiligung am Ende des Jahres. Das Ziel der Genossenschaft ist es, nachhaltige Karrieren für die Mitglieder zu ermöglichen. 2014 beliefen sich die Umsätze auf 3,7 Millionen Dollar; seit der Gründung wurden mehrere Millionen Dollar an Überschüssen an die FotografInnen ausgezahlt.

Member´s Media[43] ist eine Medienplattform in Genossenschaftsbesitz für ProduzentInnen und Fans des unabhängigen Erzählkinos. Die Menschen, die diese Website nutzen und für sie produzieren – die ProduserInnen – besitzen den Großteil der Plattform, darüber hinaus halten die ursprünglichen GründerInnen und InvestorInnen Anteile.

(4) Arbeitsvermittlungsplattformen mit gewerkschaftlicher Unterstützung

Von Denver bis Newark gibt es mehrere Beispiele für Kooperationen zwischen TaxifahrerInnen und Gewerkschaften. Firmen tun gut daran, die Mitarbeit von Gewerkschaften zu begrüßen; Studien beweisen, dass gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen eine bessere Bindungsrate und mindestens die gleiche Produktivität aufweisen wie die nicht organisierte Belegschaft (vgl. Triplett 1983: 101).[44]

In Newark, New Jersey, startete der Trans Union Car Service als gemeinnütziger Taxidienst im März 2015. Seine FahrerInnen sind Mitglieder der United Transportation Alliance of New Jersey und Partner der Communications Workers of America (CWA). Sie profitieren von den vielen Leistungen und Absicherungen, die die Gewerkschaft bietet: unter anderem eine Genossenschaftsbank, Unterstützung für Einwanderer, Gesundheitsfürsorge und Rentenleistungen. Die Firma hat vor, nach Atlantic City, Elizabeth (New Jersey) und Hoboken zu expandieren.

Bereits 2007 traten TaxifahrerInnen der CWA in Denver bei; zwei Jahre später gründeten sie Union Taxi, die erste taxifahrereigene Genossenschaft in Denver. Sie werden unterstützt von der Organisation 1worker1vote, die ihnen bei der Aushandlung von Gehältern, Gesundheitsversorgungsplänen und Trainingsprogrammen hilft. All dies wurde zu einem großen Teil dadurch möglich, dass die FahrerInnen ihre Taxis und damit das Startkapital schon besaßen, dessen Bereitstellung oft eine große Herausforderung für Genossenschaften darstellt.

Die California App-Based Drivers Association (CADA)[45] ist eine gemeinnützige Mitgliederorganisation, die FahrerInnen der Firmen Uber, Lyft, Sidecar sowie anderer App-basierter Unternehmen zusammenbringt. Diese FahrerInnen sind nicht bei den Firmen angestellt und können deswegen keine Vollmitglieder der Gewerkschaft werden. Die Teamsters Local 986 in Kalifornien kann sich jedoch für CADA einsetzen, indem sie für fahrerfreundliche Verordnungen eintritt und dafür sorgt, dass FahrerInnen mit vereinter Stimme sprechen.

(5) Genossenschaften, die «von innen heraus» entstehen

Eine weitere verlockende, wenn auch imaginäre Vorstellung ist die von Arbeitergenossenschaften, die sich im Inneren der Sharing Economy bilden. Uber-FahrerInnen etwa könnten die technische Infrastruktur des Unternehmens nutzen, um ihre eigenen Firmen zu leiten. Das wäre eine Art feindlicher Übernahme durch die ArbeiterInnen.

(6) Die Plattform als Protokoll

Vielleicht wird Arbeit in Zukunft nicht von zentralisierten Plattformen bestimmt, selbst wenn sie von Genossenschaften oder Gewerkschaften betrieben werden. Vielleicht werden wir es künftig nur noch mit Protokollen zu tun haben, die peer-to-peer-Interaktionen ermöglichen. La’Zooz in Israel ist beispielsweise ein dezentrales peer-to-peer-Netzwerk zum Anmieten von Fahrzeugen. So wie Member’s Media sich gerne als genossenschaftliches Netflix für FilmemacherInnen und Fans darstellt, kann La’Zooz als Bittorrent der Fahrgemeinschaften verstanden werden. Jede Person, die mit dem Auto in einer Stadt herumfährt, kann sich crypto tokens verdienen, indem sie Fahrgäste mitnimmt. Im Unterschied zu den oben beschriebenen Systemen stellt dies ein reines peer-to-peer-System dar: Es gibt keine Zentrale, kein Hauptquartier.[46]

Die zehn Prinzipien des plattformbasierten Genossenschaftswesens

Unser Verhalten wird größtenteils von unseren wirtschaftlichen Verhältnissen geprägt. Wenn wir uns gegenseitig bekämpfen müssen, um existieren zu können, wird es schwer, unseren Nächsten wirklich zu lieben. (Eugene Debs, 1908)[47]

Ich schlage zehn Prinzipien des plattformbasierten Genossenschaftswesens vor, die im Angesicht der kritischen Probleme, denen die digitale Wirtschaft derzeit gegenübersteht, sinnvoll sind. Der Plattform-Kapitalismus ist in erstaunlichem Umfang ineffektiv, wenn es darum geht, sich um Menschen zu kümmern.

Eine Diskussion über Werte ist zweifelsohne denen vorbehalten, die schon engagiert sind. Die erste Frage muss immer lauten: Wie können wir ein Verlangen nach genossenschaftlichen Lösungen erwecken? Es ist nicht hilfreich, von Anfang an steuernd einzugreifen. Astra Taylor zitiert die weisen Worte Elaine Browns, einer ehemaligen Anführerin der Black Panther Party (BPP): «Man organisiert und mobilisiert sich niemals aufgrund abstrakter Prinzipien.»[48] Andererseits müssen sich die ArbeiterInnen, die in einer Plattformgenossenschaft kooperieren wollen, darüber im Klaren sein, welches die Prinzipien und Werte sind, die dieser Vereinigung zugrunde liegen. In Anlehnung an die von ver.di[49] aufgestellten «Leitlinien für Gute Digitale Arbeit» möchte ich die folgenden Prinzipien vorschlagen:

(1) Gemeinsamer Besitz

Von der Sharing Economy wurde immer behauptet, sie basiere auf der Ablehnung von Besitz. Uns wurde erzählt, dass die Generation Y kein Interesse daran habe, physikalische Objekte zu besitzen, sondern einfach nur Zugang zu allen möglichen Dingen wollen. Junge Menschen laden keine Musik herunter; sie streamen sie. Sie kaufen sich kein Auto, sondern sind Fans von Fahrgemeinschaften.

Das Internet wurde 1969 als militärisch-wissenschaftliches Netzwerk von der DARPA entworfen. Zwischen 1990 und 1994 plante sie jedoch die Weitergabe der öffentlich finanzierten Internetinfrastruktur NSFNET an Privatfirmen, die 1995 offiziell erfolgte. Seitdem hat uns das Internet in fast allen Bereichen viel gebracht; die Frage des gemeinsamen Eigentums blieb jedoch unberührt. Plattformgenossenschaften in kollektivem Besitz könnten die ursprüngliche Idee der öffentlichen Plattform wieder zum Leben erwecken, ohne die dem Internet zugrunde liegende private Infrastruktur verändern zu müssen.

Hier geht es nicht um niedliche Kätzchen auf Reddit, sondern um ein Internet, das seinen NutzerInnen gehört. Könnte es etabliert werden, würde es die Beziehung des Menschen zum World Wide Web grundlegend verändern.

(2) Anständige Bezahlung und Einkommenssicherheit

Im Jahr 2015 zahlten die BetreiberInnen von Crowdsourcing-Systemen wie Amazon Mechanical Turk gut ausgebildeten NeueinsteigerInnen zwei bis drei Dollar pro Stunde – eine Schande in einem so reichen Land wie den Vereinigten Staaten. Und genauso wie früher die Hausangestellten in den Villen der Reichen versteckt waren, betätigen sich «digitale ArbeiterInnen» unsichtbar, versteckt zwischen Algorithmen. Um das zu ändern, hat die National Domestic Workers Alliance (NDWA) einen Kodex für gute Arbeit, den Good Work Code, herausgebracht. Er trägt das Motto «Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, braucht jeder Mensch gerechte Bezahlung und Leistungen.»[50]

(3) Transparenz und Datenübertragbarkeit

Hier geht es um mehr als die auf den Betrieb beschränkte Transparenz. Fairmondo, der Online-Marktplatz in genossenschaftlichem Besitz, stellt beispielsweise seinen gesamten Finanzplan öffentlich vor. Aber beim Thema Transparenz geht es auch um den Umgang mit Daten, insbesondere Kundendaten. Es sollte den KundInnen klar gezeigt werden, welche Daten erhoben werden, wie sie gesammelt werden, wie sie verwendet werden und an wen sie verkauft werden.

(4) Recht auf gute Arbeitsbedingungen

Upwork (zuvor oDesk und Elance) behauptet, über 10 Millionen ArbeiterInnen zu beschäftigen. Crowdwork spricht von 8 Millionen, CrowdFlower von 5 Millionen. Für Uber waren 2015 nach eigenen Angaben 160.000 FahrerInnen unterwegs (vgl. Bruns 2008). Lyft spricht von 50.000 FahrerInnen und TaskRabbit behauptet, 30.000 Menschen zu beschäftigen (vgl. Smith/Leberstein 2015). Es ist also klar, dass die On-demand-Wirtschaft kein Nischenphänomen ist. All diese ArbeitnehmerInnen sind nicht in herkömmlicher Weise angestellt; Gewerkschaften wie ver.di konzentrieren ihre Anstrengungen jedoch auf Angestellte. Fraglich ist, wie wir die Arbeitsbedingungen dieses Drittels der Arbeiterschaft verbessern können.

Eine gute Arbeitsatmosphäre zu schaffen sollte dabei eine Teilforderung sein. ArbeiterInnen verdienen die Anerkennung und Wertschätzung derer, die die Plattformen betreiben und besitzen. Dabei ist schon allein die Möglichkeit der Kommunikation zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen von zentraler Bedeutung. Wenn beispielsweise Löhne zu spät bezahlt werden[51] oder ArbeiterInnen gekündigt wird, dann müssen sie das einklagbare Recht besitzen, eine Erklärung hierfür zu bekommen.

(5) Gemeinsam festgelegte Arbeit

Arbeitsplattformen sollten als Arbeitsvermittler die Menschen, die durch sie ihren Lebensunterhalt verdienen, von dem Moment der Plattformprogrammierung an und durch ihren gesamten Einsatz hindurch einbeziehen. Auf diese Weise lernen PlattformbetreiberInnen viel über den Arbeitsablauf ihrer Beschäftigten.

(6) Schützender rechtlicher Rahmen´

Plattformgenossenschaften benötigen rechtliche Unterstützung, weil sie derzeit noch eine «ungewöhnliche» Rechtsform darstellen. Hilfe ist auch vonnöten, wenn es darum geht, Genossenschaften gegenüber rechtlichen Vorstößen zu verteidigen. So brauchen sie in manchen Fällen flexible lokale Gesetzgebungen, um die Wettbewerbsgleichheit aufrechtzuerhalten. Etablierte ArbeitgeberInnen könnten beispielsweise versuchen, ihre Beschäftigten vom multi-homing auf Genossenschaftsplattformen abzuhalten, indem sie Absprachen treffen, nicht miteinander zu konkurrieren. Solche Absprachen müssen angefochten beziehungsweise per staatlicher Gesetzgebung illegalisiert werden. Schlussendlich besteht, wie Frank Pasquale feststellt, ein bizarrer Widerspruch im US-amerikanischen Kartellrecht, basierend auf dem Unterschied zwischen Monopolisten und Genossenschaften:[52] Während Erstere einen Freifahrtschein bekommen, wenn sie auf «natürliche Art und Weise» entstanden sind (was auch immer das bedeuten soll), kann sich ein Verbund von Genossenschaften, der versucht, die Dominanz einer bestehenden Firma anzugreifen, unter dem Kartellrecht strafbar machen, wenn er versucht, Preise festzulegen oder gar Verhaltensregeln aufzustellen. Während die Vereinigten Staaten die Existenz von Monopolisten meist zulassen, solange sie sich einigermaßen an die Regeln halten, werden Kartelle sehr selten akzeptiert. Die Regierung fördert somit das System der Herrschaft der Unternehmen und der Ausgrenzung der Mittelklasse.

(7) Übertragbare Sozialleistungen

Sowohl ZeitarbeiterInnen als auch Beschäftigten in der traditionellen Wirtschaft sollte es ermöglicht werden, ihre Sozialleistungen durch wechselnde Jobszenarien hindurch mitzunehmen. Die soziale Sicherung sollte nicht an einen bestimmten Arbeitsplatz gebunden sein. Steven Hill (2015) macht dazu folgenden Vorschlag:  Jeder US-amerikanische Beschäftigte bekäme ein individuelles Absicherungskonto zugewiesen, auf das jedes Unternehmen, das diesen Beschäftigten einstellt, entsprechend der geleisteten Arbeitsstunden eine «Sicherungsnetzgebühr» einzahlt. Diese Gelder würden dann zur Absicherung des Beschäftigten verwendet werden, indem man sie in die bereits bestehende Infrastruktur ­– Sozialversicherung, Medicare, Unfall- und Arbeitslosenversicherung sowie Krankenversicherung via «Obamacare» – überführt. Zudem sieht dieser Plan eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von mindestens fünf Tagen und bezahlten Urlaub vor. (Derzeit haben in den USA 60 Millionen ArbeiterInnen im privaten Sektor kein Anrecht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.) 

Ein wichtiger Effekt der übertragbaren Sozialleistungen wäre, dass der größte Teil der ArbeiternehmerInnen gleichgestellt würde; für ArbeitgeberInnen wäre es mithin weniger attraktiv, auf ZeitarbeiterInnen zurückzugreifen, um die Zahlung von Sozialleistungen zu vermeiden. 

(8) Schutz vor Willkür

Uber ist für seine willkürliche Kündigungspolitik bekannt. Es kommt vor, dass FahrerInnen ohne Vorwarnung von einem Tag auf den anderen ohne Einkommen dastehen (Forbes, 30.10.2014[53]). Die Gründe für die Kündigungen sind meist unklar, weil die Firma sich weigert, Auskunft darüber zu geben; ein Problem, dem ArbeiterInnen anderer Plattformen ebenfalls gegenüberstehen.[54]

Und als ob das noch nicht genug wäre, bestraft Ubers Bewertungssystem FahrerInnen, wenn ihre Passagiere sie schlecht bewerten – etwa wenn sie unbedacht den «falschen» Knopf drücken.

Ubers Bewertungssystem wird von privaten Servern der Firma zentral verwaltet. Ebenso wie bei anderen Emporkömmlingen in der Sharing Economy wird es Beschäftigten dadurch unmöglich gemacht, später von ihrem guten Ruf zu profitieren: Wenn sie zu einer anderen Plattform wechseln, starten sie ganz von vorn. Folglich ist es notwendig, dass ArbeiterInnen ihre eigenen dezentralen Bewertungs- und Identitätssysteme aufbauen. Benutzerprofile müssen übertragbar sein, damit die Arbeitenden leichter zwischen verschiedenen Plattformen wechseln können. Projekte wie Traity und Crypto Swartz[55] arbeiten an Lösungen in dieser Richtung.

(9) Verbot exzessiver Überwachung am Arbeitsplatz

Übermäßige Überwachung am Arbeitsplatz, beispielsweise durch «Arbeitertagebücher» (worker diaries)[56] bei oDesk (jetzt Upwork) oder ständige Bewertungen bei TaskRabbit, muss abgelehnt werden. In solchen Überwachungssystemen besteht in der Arbeit keinerlei Würde mehr. Wem gefällt es schon, jeden Tag aufzustehen, nur um sich den Job zu erkämpfen, der an diesem Tag gemacht werden muss? Wem gefällt es schon, alle vier Stunden von Leuten bewertet zu werden, die man gar nicht kennt?

(10) Das Recht, sich abzumelden

ArbeiterInnen müssen auch das Recht haben, sich abzumelden. Anständige digitale Arbeit muss klare Grenzen haben, Plattformgenossenschaften müssen Raum für Entspannung, lebenslanges Lernen und freiwillige politische Betätigung lassen.

Diese zehn Prinzipien des plattformbasierten Genossenschaftswesens basieren auf der Vision einer Wirtschaft, die allen dient. Mit ihnen verbinden sich ehrgeizige Forderungen, doch ich bin der Meinung, dass es wichtig ist, sie zu formulieren.

Es ist mir vollkommen bewusst, dass sie schwer zu erreichen sind, und dass es lange dauern wird, dieser Vision näherzukommen, doch es wäre der endgültige Triumph des Kapitals, wenn wir unfähig wären, uns ein anderes Leben vorzustellen.

Es wird niemanden überraschen, wenn ich sage, dass sich das plattformbasierte Genossenschaftswesen enormen Herausforderungen gegenübersieht – von der Selbstorganisation und -verwaltung der ArbeiterInnen und ihrer Aus- und Weiterbildung über die Technologie, das benutzerorientierte Design, bis hin zur Langzeitfinanzierung, zum Wachstum und zum Wettbewerb mit multinationalen Konzernriesen. Andere Aufgaben, die es zu meistern gilt, betreffen die Auswahl von zentralen Genossenschaftsmitgliedern, die soziale Absicherung der ArbeiterInnen und vor allem die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Wenn gute digitale Arbeit Wirklichkeit werden soll, ist es unbedingt notwendig, dass sich Gleichgesinnte organisieren und für die demokratischen Grundrechte der Arbeitenden kämpfen.

Arbeitermobilisierung ist eine weitere Herausforderung: Die sogenannten 1099-ArbeiterInnen treffen sich nicht mit ihren KollegInnen zur Mittagspause, und sie haben auch keine Gelegenheit, in Gewerkschaftsversammlungen herumzuhängen. Stattdessen sind sie größtenteils voneinander isoliert. Es gab bereits einige Versuche, neue Arten von Arbeitersolidarität zu schaffen, zum Beispiel das Reputationssystem Turkopticon,[57] das es ansonsten größtenteils unvernetzten Beschäftigten ermöglicht, ArbeitgeberInnen auf Amazon Mechanical Turk gemeinsam zu bewerten. Oder Dynamo, eine petitionsbasierte «Turker»-Gemeinde.[58] Aber all dies hat wenig mit Arbeiterorganisation im klassischen Sinne zu tun. Es erleichtert auch nicht die Organisierung von Plattformgenossenschaften. Die Herausforderung ist und bleibt: Wie kann man weit verstreute ArbeiterInnen überhaupt organisieren?

Das genossenschaftliche Ökosystem

Plattformgenossenschaften sind keine in sich abgeschlossenen Inseln. Jede Genossenschaft ist Teil eines Ökosystems. Sie ist auf andere Genossenschaften angewiesen, auf Systeme zur Finanzierung, auf SoftwareingenieurInnen, AnwältInnen, DesignerInnen und andere Arbeitende. Bündnisse zwischen Genossenschaften sind unentbehrlich. Sie müssen auf Standards basieren, sich zu immateriellen Gemeingütern bekennen und gemeinsame Strategien, Ziele und Werte haben.

Finanzierung

Plattformgenossenschaften und Genossenschaften im Allgemeinen benötigen andere Finanzierungssysteme als klassische Unternehmen. Viele traditionelle Finanzierungsmethoden stehen Plattformgenossenschaften nicht zur Verfügung, und der Gesetzgeber ist bemüht, Experimente zu verhindern. Welche Finanzierungsoptionen bleiben den Genossenschaften?

Einerseits sind Investitionskosten, die oft die größte Herausforderung für Genossenschaften darstellen, hier kein ernsthaftes Hindernis. Zumindest wenn man an den Transportsektor denkt, in dem die FahrerInnen ihr wichtigstes Wirtschaftsgut schon besitzen. In Spanien übernimmt Mondragón, Genossenschaftsverbund und größte Industriegenossenschaft der Welt zugleich, die Rolle einer Entwicklungsbank. In Deutschland spielen die Banken ebenfalls eine wichtige Rolle für die Entwicklung von kleinen Unternehmen, die zusammengenommen einen Großteil der deutschen Wirtschaft ausmachen.

Projekte wie Seed.coop[59] helfen beim Aufbau von Genossenschaften, zum Beispiel indem sie Crowdfunding-Kampagnen zum Erfolg verhelfen. Erwähnung verdient hier auch die 2010 gegründete spanische Crowdfunding-Website Goteo:[60] Projekte dürfen nur dann um Finanzierung bitten, wenn sie ein an Gemeingütern orientiertes Wertesystem haben.

In seinem Artikel «Owning Is the New Sharing» berichtet Nathan Schneider (2014) von Swarm, dem weltweit ersten Experiment mit «Krypto-Eigenkapital». Swarm ist eine Crowdfunding-Website, die auf einen swarm (dt. Schwarm) kleiner InvestorInnen anstatt auf die großen Risikokapitalgeber baut. Die Seite nutzt eine Kryptowährung und hat während ihrer ersten Kampagne einen Wert von über einer Million Dollar erzielt.

Die Gesetzgebung erschwert oftmals den Aufbau von Plattformgenossenschaften. Im Jahr 2011 versuchte Brewster Kahle, Gründer des Internet Archives, eine Genossenschaftsbank zu eröffnen; er wurde von Aufsichtsprüfungen derart überflutet, bis ihn das Ausmaß der Bürokratie davon überzeugte, den Versuch aufzugeben (vgl. The New York Times, 24.11.2015[61]). Das Silicon-Valley-Modell, welches auf Spekulation, kurzfristigen Renditezielen und unvermittelten Börsengängen gründet, ist nicht das richtige Finanzierungsmodell für Genossenschaften, die auf langsames Wachstum und Nachhaltigkeit ausgelegt sind.

Die philantropische Plattform External Revenue Service[62] (dt. externe Steuerbehörde) unterstützt gemeinnützige Organisationen, damit diese nicht ihre ganze Zeit damit verbringen müssen, um Geld zu betteln. Die UserInnen versprechen, monatlich einen bestimmten Betrag zu zahlen, der dann unter den Organisationen ihrer Wahl aufgeteilt wird:

Bevor man eine Schenkung von anderen erhalten kann, muss man sich verpflichten, einen Teil seines Jahreseinkommens beizusteuern, und muss diesen Teil mindestens einer anderen Person zuweisen. […] Der External Revenue Service gehört niemandem. Es handelt sich um ein dezentrales Netzwerk aus Beitragenden und Nutzern, die sich mit dem Unterhalt und der Entwicklung des Systems identifizieren.[63]

In Großbritannien gibt es Robin Hood Minor Asset Management, einen genossenschaftlichen Hedgefonds, der ganz konservativ am Aktienmarkt handelt; er betreibt im Grunde lediglich einen Data-Mining-Algorithmus, der die Transaktionen der SpitzeninvestorInnen der Wall Street imitiert und die Profite beispielsweise in Genossenschaften investiert.

In den Vereinigten Staaten sticht Slow Money als nationale gemeinnützige Organisation hervor, die Investitionen bündelt und kleine Biobauernhöfe unterstützt. Die Fair Shares fördert landwirtschaftliche Genossenschaften und The Workers Lab ist die erste von Gewerkschaften getragene Einrichtung zur Innovationsförderung des Landes.

Freie Software für Plattformgenossenschaften!

Das Back-End der Plattformgenossenschaften muss freie Software sein. Das bedeutet nicht nur, dass der zugrunde liegende Code für die ArbeiterInnen frei zugänglich sein muss, sodass sie die Parameter und Muster verstehen können, die ihr Arbeitsumfeld bestimmen; die Software muss auch von Beginn an in Absprache mit ihnen entwickelt werden.

Im Transportsektor beispielsweise reden wir von der Entwicklung mehrerer Apps. Diese müssen in Android und für das iPhone programmiert und ständig aktualisiert werden, weil sich die Betriebssysteme und Telefone regelmäßig ändern. Das bedeutet auch, dass eine kontinuierliche Finanzierung der EntwicklerInnen notwendig ist. Plattformgenossenschaften können nicht auf Basis einmaliger Crowdfunding-Initiativen aufgebaut werden.

EntwicklerInnen freier Software könnten Kernprotokolle veröffentlichen und damit verschiedenen unabhängigen Open-Source-Projekten ermöglichen, ihre eigenen Back-End- und Front-End-Komponenten zu entwickeln.

Der Weg zu einem genossenschaftlichen blockchain-System

Wenn Genossenschaften in Online-Arbeitsmärkten präsent sind, werden sie dezentraler, internationaler; das zwischen Mitgliedern lokaler Organisationen herrschende Vertrauen ist nicht länger gegeben. Einen Weg, dieses Vertrauensproblem anzugehen, stellt die blockchain-Technologie dar. Sie ist das Protokoll, das hinter der virtuellen Währung Bitcoin steckt. Aber die relevantesten Entwicklungen für Plattformgenossenschaften drehen sich nicht nur um Bitcoin selbst; blockchain bietet Anwendungen weit über Geld und Währung hinaus. Da gibt es zum Beispiel die Funktion als öffentliche Datenbank, die Aufzeichnungen darüber, wem etwas gehört, erstellen und sichern kann. So hat das honduranische Katasteramt die Firma Factom, ein amerikanisches Start-up-Unternehmen, gebeten, den Prototyp einer auf einer blockchain basierenden Flurverwaltung zu entwickeln (vgl. The Economist, 31.10.2015[64]). Aber diese Technologie ermöglicht auch peer-to-peer-Marktplätze ohne Vermittler. Möglich wären dezentralisierte autonome Organisationen und virtuelle Firmen, die im Grunde nur aus einem Satz an Regeln für die zwischen Gleichrangigen ausgeführten Transaktionen bestehen.[65]

Eine auf blockchain basierende Programmierung wird auch als «Konsensmechanismus» für Plattformen oder Werkzeuge verwendet, die das Fällen demokratischer Entscheidungen in Genossenschaften erleichtern. Hier könnten Statuten, Mitgliedschaften, Anteile und Abstimmungsergebnisse unwiderruflich gespeichert werden.[66] Trotz des großen Enthusiasmus für die blockchain-Technologie bestehen Bedenken, dass es peer-to-peer-Marktplätze ohne Vermittler den UserInnen erleichtern könnten, die Steuerpflicht zu umgehen.

Stiftung für plattformbasierte Genossenschaften

Während unserer Arbeit, Menschen miteinander in Verbindung zu bringen, die an Genossenschaften und dem Internet interessiert sind, haben wir entdeckt, dass EntwicklerInnen in ganz Nordamerika an ähnlichen Projekten arbeiten. Mit unzureichenden Mitteln ausgestattete SystementwicklerInnen an der Westküste arbeiten beispielsweise am Aufbau eines Online-Arbeitsmarkts, während ein Projekt an der Ostküste etwas Ähnliches tut, aber keines der beiden Projekte kommt auf die Idee, sich zusammenzutun.

Mein Vorschlag ist, dass EntwicklerInnen weltweit, die ähnliche Projekte bearbeiten, unter der Schirmherrschaft einer Stiftung für plattformbasierte Genossenschaften kooperieren könnten. Diese Stiftung wäre in der Lage, finanzielle Mittel für die laufende Entwicklung des Kernels eines solchen freien Softwareprojekts zu beschaffen. Entgegen Jeremy Rifkins Vorschlag einer Gesellschaft marginaler Kosten ist es in der Realität immer noch sehr teuer, einen Online-Arbeitsmarkt zu programmieren und ständig aktuell zu halten.

Demokratische Steuerung

Genossenschaftliche Strukturen verlangen das gemeinschaftliche Treffen von Entscheidungen, die solidarische Lösung von Konflikten, den Aufbau eines Konsens und die Verwaltung von Anteilen und Mitteln in transparenter Art und Weise. Eine der zentralen Fragen in dieser Diskussion ist, wie der Missbrauch von Macht unterbunden werden kann. Wie könnte sich die Plattform in einer dezentralen, wirklich demokratischen Weise selbst steuern? In den letzten Jahren wurden hierfür überzeugende Werkzeuge, die auf der blockchain-Technologie basieren, entwickelt: Loomio, Backfeed, D-CENT, und Consensys.

Das Open-Source-Projekt Loomio als das «Facebook des Internets der Bürger» bezeichnet  und ist in Wellington (Neuseeland) und New York (USA) beheimatet. Die Genossenschaft produziert Open-Source-Software und wird dabei stark von den Werten der Occupy-Bewegung geleitet. Es handelt sich um eine Web-App, die Kommunikations- und Abstimmungswerkzeuge umfasst, um Absprachen innerhalb demokratischer Gemeinschaften zu vereinfachen. In Spanien verwendeten 27.000 BürgerInnen Loomio, um ein landesweites Basisnetzwerk zur rasant anwachsenden Partei Podemos zu schaffen. Insgesamt nutzen bereits 100.000 Menschen in 93 Ländern Loomio.

Backfeed.cc ist eine dezentrale, kollaborative, auf der blockchain-Technologie basierende Organisation; sie unterstützt die Koordination innerhalb eines selbstorganisierenden Netzwerks.

D-Cent (Decentralised Citizens Engagement Technologies)[67] wurde 2013 von AktivistInnen in Katalonien, Island und Griechenland ins Leben gerufen. Hier wird an einer Reihe von Werkzeugen gearbeitet, die der stärkeren Beteiligung von BürgerInnen an demokratischen Entscheidungsprozessen dienen sollen.

ConsenSys[68] bezeichnet sich als «venture production studio» und entwickelt dezentralisierte Anwendungen und verschiedene Werkzeuge für EntwicklerInnen und UserInnen von Ökosystemen, die auf blockchains basieren.

Benutzerdesign für komfortable Solidarität

Viel zu oft wird die Wichtigkeit des Front-End-Designs geleugnet. Das ist bedauerlich, denn auf der Ebene des benutzerorientierten Designs müssen freie Softwareplattformen mit dem zur Gewohnheit gewordenen nahenden Uber-Taxi auf dem Bildschirm des Telefons konkurrieren. Zumindest müssen DesignerInnen entscheiden, inwieweit sie die Verbrauchermentalität integrieren wollen.

Was kann das Design für Plattformgenossenschaften anders machen? Cameron Tonkinwise, Leiter der Design Studies an der Carnegie Mellon University, fordert ein Design, das «komfortable Solidaritäten» ermöglicht, ein Design, das kleine Akte der Solidarität einfacher und nahtloser macht.[69] Er schlägt ein Design vor, das die Solidarität mit bestimmten ArbeiterInnen buchstäblich provoziert. So kann etwa jemand, der eine Dienstleistung in Anspruch nehmen will, sehen, dass Arbeiter A teurer ist als Arbeiter B, aber drei Kinder hat und davor steht, von TaskRabbit oder Uber gekündigt zu werden. KundInnen sehen sich dann der Entscheidung gegenüber, diesen Arbeiter zu unterstützen oder nicht. Ein solcher Ansatz brächte allerdings neue Schwierigkeiten bezüglich der Privatsphäre mit sich.

Ein gutes Design für Plattformgenossenschaften beginnt mit der Entwicklung einer guten Beziehung zwischen den DesignerInnen und den KundInnen.

Es orientiert sich am Erleben der KundInnen und bietet großes gestalterisches Potenzial. Die Bedienoberfläche dieser Plattformen könnte NutzerInnen über die gerechten Arbeitsbedingungen der Genossenschaften unterrichten und sie mit denen der Sharing Economy vergleichen. Anders gesagt, könnten Plattformgenossenschaften die Ungerechtigkeit der etablierten On-demand-Wirtschaft visualisieren.

Ich halte es ebenfalls für sinnvoll, Mozillas Open-Badge-System[70] zu verwenden, das bezeugen könnte, ob eine bestimmte Plattform die oben aufgeführten Prinzipien befolgt. Ein Beispiel hierfür ist der Fairtrade-Kaffee, der trotz seiner Schwachpunkte ein Marktsegment erobert hat. Solche Badges (dt. Abzeichen) könnten die VerbraucherInnen darüber informieren, was hinter den Kulissen passiert; sie könnten zertifizieren, ob die Arbeitsbedingungen auf ethischen Grundsätzen beruhen oder nicht.

Maßstab

Um eine Wirtschaft aufzubauen, die sozial gerecht und ökologisch nachhaltig ist, müssen Genossenschaften das Wachstumsgebot überwinden. Genossenschaften müssen nicht immer wachsen. Demokratisch geleitete Unternehmen wie zum Beispiel Arbeitergenossenschaften könnten sich kleinere örtliche Nischenmärkte erschließen, anstatt sich auf Wachstum zu konzentrieren. Wenn das Hauptziel darin besteht, Menschen eine Lebensgrundlage zu geben und sie sozial abzusichern, ist Wachstum nicht zwingend erforderlich. Im Gegensatz zu den zahllosen Start-ups, denen es letztlich um einen Börsengang geht, möchte eine Genossenschaft über die kommenden Jahrzehnte hinweg ein nachhaltiges Unternehmen aufbauen.

Lernen und Bildung

Der spanische Genossenschafts- und Unternehmensverbund Mondragón ist unter anderem deswegen so erfolgreich, weil er eine genossenschaftliche Universität unterhält, die das Unternehmensnetzwerk direkt mit Nachwuchs versorgt. Mehrere Universitäten haben Zentren eingerichtet, die StudentInnen auf genossenschaftliche Arbeit vorbereiten: University of Wisconsin (seit 1962), Kansas State University (seit 1984), University of California, Davis (seit 1987) und North Dakota State University (seit 1994). In New York City bietet das Labor Studies Program (Arbeitsmarktforschungsprogramm) an der City University of New York (CUNY) ein Aufbaumodul zu Arbeitergenossenschaften an.[71] In Boston wird Sasha Costanza-Chock vom MIT zusammen mit Genossenschaften einen Kurs über projektbasiertes Co-Design unterrichten.[72] Während das Lehren von kooperativem Design und genossenschaftlichen Werten einen möglichen Ansatz darstellt, wäre ein anderer, eine Universität zu gründen, die auf genossenschaftlichen Prinzipien beruht, ein Black Mountain College 2.0.

Wie können alternative Bildungseinrichtungen die Jugend besser auf ein genossenschaftliches Leben und Arbeiten vorbereiten? In ihrem Buch «The Sharing Solution» demonstrieren Orsi und Doskow (2009) auf praktische und praxisbezogene Weise, wie wir das Teilen zu einem Teil unseres Alltags machen können: Man kann sich die Unterkunft und andere Räume teilen, Haushaltsgüter,  Aufgaben, Kinderbetreuung, Transport und sogar Arbeit. Es werden praktische Grundregeln aufgestellt, die UniversitätsstudentInnen auf ein kooperativeres Lebenskonzept ausrichten können.

Für alle Menschen

Wir müssen ein neues Web erfinden, das im Dienste eines realisierbaren makroökonomischen Modells steht, statt eine vollkommen verheerende Wirtschaft der Daten zu entwickeln. (Bernard Stiegler, zit. nach Kinsley 2015)

Plattform-Kapitalismus wird heute «von oben» definiert: durch Entscheidungen, die in den Vorstandsetagen des Silicon Valley gefällt und durch Blackbox-Algorithmen ausgeführt werden. Wir brauchen eine neue Geschichte, eine, an die wir glauben können.

Die genossenschaftliche Bewegung muss einige Herausforderungen bewältigen, während sie sich mit der Technik des 21. Jahrhunderts arrangiert. Es wird viel Arbeit kosten, das Konzept der Online-Genossenschaften in den verschiedenen nationalen Kulturen – von Nordamerika, Deutschland, Italien und Großbritannien bis hin zu  Indien und Peru – zu verankern.

Wir haben nicht vor, die «Todesstern-Plattformen» zu vernichten (Gorenflo 2015). Die Aufgabe des plattformbasierten Genossenschaftswesens liegt nicht in der Zerschlagung dunkler Herrscher wie Uber und Co., sondern darin, sie in dem Bewusstsein der Menschen zu überschreiben, unterschiedliche Besitzstandsmodelle zu etablieren und sie dann zurück in den Mainstream zu integrieren. In diesem Zusammenhang begriffen, kann das plattformbasierte Genossenschaftswesen ein wichtiger Akteur in der Weltwirtschaft werden.

Um Plattformgenossenschaften erfolgreich zu entwickeln, braucht es mehr als praktische Klugheit und ausgelassenen Enthusiasmus. Eine ablehnende Haltung Theorien gegenüber, eine Verweigerung kritischer Selbstreflexion werden – wie wir das in der amerikanischen Gegenkultur der 1970er Jahre gesehen haben – Hindernisse darstellen. Wir müssen die Fehler und Erfolge der Vergangenheit studieren. Wir müssen diejenigen Bereiche identifizieren, in denen die größten Erfolgsaussichten für Plattformgenossenschaften bestehen. Wir müssen eine Ideologie verbreiten, die auf Solidarität, gemeinschaftlichen Idealen und Zusammenarbeit beruht, denn nur diese machen all das möglich. Das plattformbasierte Genossenschaftswesen kann eine echte Sharing Economy stärken, die Solidarwirtschaft. Es wird nicht die zerstörerischen Auswirkungen des Kapitalismus beheben, aber es kann zeigen, dass Arbeit dem Menschen Würde geben kann, anstatt ihn zu erniedrigen.

Beim plattformbasierten Genossenschaftswesen geht es nicht um Technologie, sondern um die Vorstellung eines Lebens, dessen Mittelpunkt nicht das Shareholder-Unternehmen ist. Der Erfolg des Letzteren wurde durch die Kontrolle über das politische, rechtliche und ökonomische System erreicht. Die US-Gesetze bevorzugen Unternehmen gegenüber dem Wohlergehen der Menschen. Ein Wandel kann nicht durch Dinnerpartys, das Schreiben eines Aufsatzes oder die Organisation einer Konferenz herbeigeführt werden; so einfach ist es nicht. Beim plattformbasierten Genossenschaftswesen geht es auch um Konfrontation.

Dennoch müssen unsere Visionen realistisch sein. Um unsere Plattformgenossenschaften aufzubauen und zu stärken, ist es zwingend notwendig, dass sich Gleichgesinnte organisieren. Der Rechtswissenschaftler Yochai Benkler formulierte es ganz pragmatisch: «Wenn du es dir vorstellen kannst, dann kann es geschehen, wenn du es rechtzeitig tust und einen Markt eroberst.»[73]

Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Politik und Wirtschaft diskutieren zwar soziale Absicherung, Netzneutralität sowie in jüngster Zeit auch den Erhalt der Privatsphäre – aber die Eigentümerschaft der Plattformen steht nie im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Wir müssen endlich erkennen, dass sie ihre Versprechen nie einhalten werden. Sie können es nicht. Wir aber müssen es. Durch unsere Kampagne werden wir politische Macht für eine soziale Bewegung aufbauen, die die Idee des plattformbasierten Genossenschaftswesens zum Leben erwecken wird.


Literatur

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Bruns, Axel (2008): Blogs, Wikipedia, Second Life, and Beyond. From Production to Produsage, New York u. a.

Curl, John (2012): For All the People. Uncovering the Hidden History of Cooperation, Cooperative Movements, and Communalism in America, 2. Aufl., Oakland.

Gorenflo, Neal (2015): How Platform Coops Can Beat Death Star Platforms Like Uber to Create a Real Sharing Economy, in: Shareable, 3.11.2015, unter: www.shareable.net/blog/how-platform-coops-can-beat-death-star-platforms-to-create-a-real-sharing-economy

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Nadeau, E. G. (2012): The Cooperative Solution. How the United States Can Tame Recessions, Reduce Inequality, and Protect the Environment, Madison.

Orsi, Janelle/Doskow, Emily (2009): The Sharing Solution. How to Save Money, Simplify Your Life and Build Community, Berkeley.

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Woodcock, Ramsi (2013): Inconsistency in Antitrust, in: University of Miami Law Review 68, unter: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2514030

Prof. Trebor Scholz lehrt an der New School in New York zu den Themen Internet und Gesellschaft. Er konzentriert sich zurzeit auf die Bildung einer Kampagne, um plaform cooperatives zu unterstützen.

Der Text ist erschienen in Stary, Patrick (Hrsg.): Digitalisierung der Arbeit. Arbeit 4.0, Sharing Economy und Plattform-Kooperativismus in der Reihe Manuskripte Neue Folge der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Eine Englische Version des Textes ist beim New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen: http://www.rosalux-nyc.org/platform-cooperativism-2.

Der Text von Trebor Scholz ist unter der folgenden Peer Production-Lizenz veröffentlicht: https://tldrlegal.com/license/peer-production-license#fulltext, Stand vom 12.12.2015.


[1] Vgl. www.wsj.com/articles/SB10001424052702304388004577533300916053684.

[2] Vgl. www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/sascha-lobo-sharing-economy-wie-bei-uber-ist-plattform-kapitalismus-a-989584.html.

[3] Vgl. http://livestream.com/internetsociety/platformcoop/videos/105663835.

[4] Ein «W2» ist das Formular, das ArbeitgeberInnen am Jahresende an ihre Angestellten und das Finanzamt schicken müssen.

[5] Ein 1099-Formular enthält alle verschiedenen Arten von Einkommen, die über das Jahr hinweg erzielt wurden. GelegenheitsarbeiterInnen müssen diese 1099-Formulare an das Finanzamt schicken.

[6] Wie alle MBA-StudentInnen im ersten Semester wissen, handelt es sich bei einem Arbeitsverhältnis nicht um ein einzelnes Konzept, sondern vielmehr um eine Vielzahl an Rechten, und genau diese grundlegenden Arbeitsrechte sind bedroht.

[7] 2015 blieben mehr als die Hälfte aller Uber-FahrerInnen nicht länger als zwölf Monate bei der Firma (vgl. Hill 2015).

[8] Vgl. http://recode.net/2015/07/15/u-s-senator-mark-warner-on-why-we-need-a-new-class-of-worker-qa.

[9] Vgl. www.technologyreview.com/view/519241/report-suggests-nearly-half-of-us-jobs-are-vulnerable-to-computerization.

[10] Vgl. www.interfluidity.com/v2/6165.html.

[11] Vgl. http://livestream.com/internetsociety/platformcoop/videos/105162259.

[12] Design for scale bezeichnet eine Gestaltung, die für die Ausweitung der Nutzung auf viele NutzerInnen geeignet ist.

[13] Vgl. www.shareable.net/blog/why-banning-uber-makes-seoul-even-more-of-a-sharing-city.

[14]Vgl. http://wamu.org/news/15/06/08/taxi_regulations_e_hail_app_targeted_by_montgomery_county_council_today.

[15] Vgl. www.nytimes.com/2015/06/18/business/uber-contests-california-labor-ruling-that-says-drivers-should-be-employees.html.

[16] Vgl. www.techdirt.com/articles/20150815/16091931969/judge-not-all-impressed-class-action-lawsuit-claiming-yelp-reviewers-are-really-employees.shtml.

[17] Vgl. http://bits.blogs.nytimes.com/2015/11/09/coalition-of-start-ups-and-labor-call-for-rethinking-of-worker-policies/?_r=1.

[18] https://flex.amazon.com

[19] Vgl. www.wsj.com/articles/uber-executives-ordered-to-stand-trial-by-french-prosecutors-1435667386.

[20] Vgl. www.theguardian.com/world/2015/sep/30/rio-de-janeiro-brazil-uber-ban.

[21] Vgl. www.dw.com/en/amazons-inactivity-protocols-under-fire/a-18315388.

[22] Vgl. www.slate.com/blogs/moneybox/2014/12/09/supreme_court_rules_against_paying_workers_for_security_screenings_amazon.html.

[23] Vgl. http://bits.blogs.nytimes.com/2013/10/22/a-new-book-portrays-amazon-as-bully.

[24] Vgl. www.nytimes.com/2015/08/16/technology/inside-amazon-wrestling-big-ideas-in-a-bruising-workplace.html?smid=tw-nytimes&smtyp=cur&_r=0.

[25] Vgl. dazu fight for $15, unter: http://fightfor15.org.

[26] Vgl. www.washingtonsblog.com/2015/10/goodbye-middle-class-51-percent-of-all-american-workers-make-less-than-30000-dollars-a-year.html.

[27] Vgl. http://money.cnn.com/2013/06/24/pf/emergency-savings/index.html.

[28] Die Statistiken in diesem Absatz stammen aus Kelly (2012).

[29] Vgl. http://ourfuture.org/20150817/bernie-sanders-proposes-to-boost-worker-ownership-of-companies.

[30] Vgl. http://dept.kent.edu/oeoc/oeoclibrary/emiliaromagnalong.htm.

[31] Vgl. www.buerger-energie-berlin.de/das-ziel.

[32] Vgl. http://fpwa.org/fy-2016-budget-agreement.

[33] So Daniel Schlademan von OurWalmart auf der Veranstaltung «Platform Cooperativism», die im November 2015 stattfand, siehe www.platformcoop.net.

[34] Vgl. http://conferences.oreilly.com/nextcon/economy-us-2015/public/content/speakers.

[35] Ver.di-Initiative «Innovation und Gute Arbeit», unter https://innovation-gute-arbeit.verdi.de/themen/digitale-arbeit.

[36] Orsi betreibt das Sustainable Economies Law Center; www.theselc.org.

[37] https://loconomics.com

[38] Vgl. https://ali-alkhatib.com/media/presentations/PlatformCooperativism.pdf.

[39] www.fairmondo.de

[40] https://seed.coop/p/V1RtF0Jqe/more?wrap=true

[41] Der Begriff «Produsage» wurde von Axel Bruns entwickelt; vgl. Bruns (2008).

[42] www.stocksy.com

[43] www.membersmedia.net

[44] Eine aktuelle Diskussion findet sich in The Economist (22.2.2007), unter: www.economist.com/blogs/freeexchange/2007/02/do_unions_increase_productivit.

[45] http://cadateamsters.org

[46] Die Waze-App von Google ist ebenfalls in Israel beheimatet, jedoch keine Plattformgenossenschaft: Sie bringt Fahrgäste, die zu ihrem Arbeitsplatz wollen, mit FahrerInnen in Kontakt, die eine ähnliche Strecke fahren. FahrerInnen werden abhängig von der gefahrenen Strecke bezahlt, aber das System ist so aufgebaut, dass es nicht in ein Geschäft umgewandelt werden kann.

[47] http://www.iww.org/PDF/history/library/Debs/Debs6.pdf

[48] Astra Taylor, unter: livestream.com/internetsociety/platformcoop/videos/104571608.

[49] Ver.di-Initiative «Innovation und Gute Arbeit», unter innovation-gute-arbeit.verdi.de/themen/digitale-arbeit.

[50] Vgl. www.goodworkcode.org.

[51] Über 70 Prozent der FreiberuflerInnen in den Vereinigten Staaten geben an, häufig zu spät bezahlt zu werden.

[52] Dies führte Pasquale auf der Platform Cooperativism Conference im November 2015 aus, unter: https://archive.org/details/HoerleFri1; siehe auch Woodcock (2013).

[53] www.forbes.com/sites/ellenhuet/2014/10/30/uber-driver-firing-policy

[54] Irany (2015) diskutiert die Situation der Beschäftigten bei Amazon Mechanical Turk.

[55] Vgl. www.disruptek.info/2014/06/crypto-swartz-could-decentralize.html.

[56] Die «Arbeitertagebücher» bei oDesk dokumentieren den Arbeitsfluss der Beschäftigten. Sie schließen wiederholte Schnappschüsse mit der in den Computer eingebauten Kamera sowie Screenshots ein, um den Fortschritt der Arbeit zu überwachen.

[57] https://turkopticon.ucsd.edu

[58] http://tinyurl.com/dynamoturk

[59] http://seed.coop

[60] https://goteo.org

[61] http://nyti.ms/1T1C6xB

[62] http://slack.externalrevenue.us

[63] Max Dana, External Revenue Service, unter: www.kickstarter.com/projects/maxdana/weird-economics-the-2015-external-revenue-service/description.

[64] Vgl. http://www.economist.com/news/briefing/21677228-technology-behind-bitcoin-lets-people-who-do-not-know-or-trust-each-other-build-dependable; siehe auch Rachel O’Dwyers Rede auf der «Platform Cooperativism»-Veranstaltung: http://livestream.com/internetsociety/platformcoop/videos/105511623.

[65] Die gemeinnützige Plattform Ethereum hilft solchen Unternehmen.

[66] Zur Diskussion der blockchain-Technologie siehe Schneider/Scholz (2015).

[67] http://dcentproject.eu

[68] https://consensys.net

[69] Siehe Tonkinwises Rede auf der «Platform Cooperativism»-Veranstaltung; http://platformcoop.net.

[70] Vgl. https://wiki.mozilla.org/Badges.

[71] Vgl. http://murphyinstituteblog.org/2015/06/15/special-topics-graduate-class-worker-cooperatives.

[72] Vgl. http://codesign.mit.edu.

[73] So Yochai Benkler auf der «Platform Cooperativism»-Veranstaltung; http://platformcoop.net.

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Audio | 09.07.2015Platform Cooperativism vs. the Sharing Economy

Talk and Discussion with Trebor Scholz (New School, New York/USA).