Kein Ende im Irak-Krieg? Welche Lehren sind zu ziehen?

28. Giessener Friedensgespräch 14. Juni 2007

Ich argumentiere in 10 Thesen:
  1. Der Irak-Krieg bedeutet nach dem Jugoslawien- und dem Afghanistankrieg einen weiteren Bruch des Völkerrechts, der auch durch die UN-Beteiligung an Wiederaufbauversuchen nicht im Nachhinein legitimiert wird.

  2. Die bisherige Bilanz des Krieges ist erschreckend.
    • Die Infrastruktur des Landes wurde nach ihrer Erholung in den 90er Jahren nach der Jahrtausendwende wieder zerbombt.
    • Die zivilen Opfer haben eine sechsstellige Dimension erreicht.
    • Die Zivilisation in einer der kulturellen Wiegen des Mittleren Ostens hat enorm gelitten, nicht zuletzt haben die Besatzungsmächte beim Plündern der Museen zugeschaut...
    • Das Land ist durch den Krieg intern gespalten in (bis 2003 unrelevante) religiöse Gruppen („divide et impera“).
    • Der Irak befindet sich nun seit Anfang der 80er Jahren im Kriegszustand (1. Golfkrieg 1980 – 1988, „Kuweit“-Krieg 1991, 3. Golfkrieg 2003 ff.; in den 90er Jahren wirken darüber hinaus die UN-Sanktionen lähmend auf das Land (ca. 1,2 Mio. Kinder verhungerten...).
    • Etwa 3 Millionen Menschen sind auf der Flucht, davon 1,3 Millionen nach Syrien und 1,5 Millionen innerhalb des Irak. 0,06 Millionen sind in EU-Länder geflüchtet…

  3. Die Gründe für das scheinbare US-/GB-Desaster sind vielfältig. Sie reichen von militärischen Fehlentscheidungen über historisches und interkulturelles Unverständnis für das Land und die Region bis hin zu – schlicht – keiner Strategie für einen etwaigen Ausweg oder für den Fall eines Scheitern des Krieges.

  4. Bei einer strategischen Betrachtung ist das Scheitern der USA (und Großbritanniens) nicht so eindeutig.
    • Der Krieg ist ohne Zweifel ein finanzielles Debakel. Dieses wird jedoch bislang weitgehend widerspruchlos von der US-Bevölkerung getragen; der internationale Finanzmarkt (die VR China!) tut das Seine dazu...
    • Die langfristige ökonomische Bilanz für die USA ist durchaus gut: Es werden zukünftig US-Unternehmen sein, die die ungekannten Ölvorräte (es wurde während des Embargos nicht nach weiteren Ölquellen geforscht und derzeit lässt die Widerstandsbewegung dies nicht zu...) des Landes ausbeuten – und nicht, wie von der Regierung Hussein geplant, russische, chinesische, vietnamesische oder französische...
    • Zur politischen Bilanz des Krieges für die USA gehört die militärische Präsenz im Mittleren Osten (in direkter Nachbarschaft zu Iran...) ebenso wie die Spaltung der EU. Das mag das politische Verhalten der demokratischen Opposition im vergangenen US-Wahlkampf erklären (H. Clintons Position gilt es zu beobachten.).
    • Bestimmte, von der herrschenden Politischen Klasse protegierte US-Großunternehmen profitieren enorm vom Krieg.
    • Die derzeit in den USA vorherrschende Furcht rekurriert – wenngleich die Opferzahlen nicht im Mindesten vergleichbar sind - auf dem Vietnam-Trauma der 60er und 70er Jahre.

  5. Hochinteressant ist der Wandel des Freund- bzw. Feindbildes Saddam Hussein, von den 70er Jahren bis zur irakischen Intervention in Kuweit.

  6. Der Informationsstand in Deutschland und anderswo über das Geschehen an Euphrat und Tigris ist erschreckend (die betrifft in gleicher Weise den Krieg in Afghanistan). Auch der unreflektierte Gebrauch des Terminus vom „Terrorismus“ und von „TerroristInnen“ sollte hinterfragt werden.

  7. Wenn sich die Regierung Merkel (in Abstimmung mit der neuen französischen Regierung Sarkozy) noch weiter in den Krieg ziehen lässt, droht ihr Vergleichbares wie in Afghanistan. Auch hier wächst der Widerstand fortwährend, die Intervention ist in Gänze gescheitert.
    • Die offizielle Nicht-Teilnahme am Krieg seit der Schröder-Regierung ist zumindest zweischneidig: Sie hat auf der einen Seite die Position der Nicht-InterventionistInnen gestärkt, sie hat auf der anderen Seite Deutschlands Anspruch als „global player“ akzentuiert: Berlin hat sich schließlich den USA widersetzt und die Achse des „Alten Europa“ geschaffen.

  8. Was DieLinke, friedensorientierte GRÜNE und SPDlerInnen lernen können, falls sie Regierungsverantwortung anstreben: Ein frühes Nachdenken über die Folgen politischer Entscheidungen tut Not (bspw. „Gastarbeiter“anwerbung in den 60er/70er Jahren, das Werben um die „Russlanddeutschen“, die Erklärung der „uneingeschränkten Solidarität mit den USA“ (Schröder) bereits am 12. September 2001 u.v.m.).

  9. Auswege aus dem Krieg, aus der Krise, sind schwer zu benennen.
    • Am Anfang muss der Rückzug der „Koalition der Willigen“ stehen, das ist unbestritten;
    • Der Aufbau ziviler, irakischer Strukturen muss vorangetrieben werden, muss von zivilen AkteurInnen unterstützt werden;
    • Dieser Wiederaufbau ist nicht von der UNO, nicht von den OECD-Staaten o.v.w.a.i. zu finanzieren, er betrifft allein die Staaten der „Koalition der Willigen“.
    • Die Erlöse der irakischen Bodenschätze haben in erster Linie dem Irak zugute zu kommen (sh. beispielhaft die derzeitigen Tendenzen in Lateinamerika);
    • Bei allen Aktionen der UNO sind Nationen, die bisher mit Interessen im Konflikt beteiligt waren, auszuschließen.

  10. Merke: Es ist leichter, ein Land um Jahrzehnte in die Vergangenheit zurückzubomben, als Wege zu einer Konfliktlösung aufzuzeigen. Die Europäische Union der 500 Millionen KonsumentInnen und ProduzentInnen hätte hier als zivile Akteurin eine besondere Funktion wahrzunehmen. Derzeit freilich entwickelt sich ihre Außen- und Sicherheitspolitik in die falsche Richtung.
PD Dr. Johannes M. Becker ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer des Zentrums für Konfliktforschung (ZfK) an der Philipps-Universität Marburg. (jbecker@staff.uni-marburg.de)