Gesprächskreis Zukunft Auto Umwelt Mobilität (ZAUM) - weitere Informationen
I. Zum Hintergrund
Im Sommer 2018 beschloss der Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Einrichtung des Gesprächskreises Zukunft Auto Umwelt Mobilität. Der „Initiativkreis Zukunft Auto“, der in diesen Gesprächskreis überführt wurde, konstituierte sich Anfang des Jahres 2016, als die politischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen des Abgasbetruges deutlich sichtbar wurden.
Die Automobilindustrie mit ihren hunderttausenden Beschäftigten und als dominanter Exportmotor unseres Landes befindet sich an einem strategischen Wendepunkt:
- Die endlichen Ressourcen für Produktion und Betrieb des Autos werden weniger und schwieriger zu fördern;
- Produktion und Nutzung der Autos tragen zu einem hohen Maße zu einem Anstieg der globalen Emissionen und damit zur Klimakrise bei. Zudem verschmutzen die Fahrzeuge die Luft in einem gesundheitsgefährdenden Maße;
- die Produktionskapazitäten sind weltweit höher als die Nachfrage – verschlingen unnütze Investitionen, verschärften die Konkurrenz und gefährden Arbeitsplätze weltweit.
So kann es nicht weiter gehen. Das sehen auch die Eigentümer*innen und Manager*innen der Autoindustrie so. Gleichzeitig verschärfen sie die Krise durch weiteren Aufbau von Überkapazitäten, durch eine Intensivierung der Konkurrenz, durch das Festhalten am Individuellen Motorisierten Verkehr (IMV) – digitalisiert und angetrieben eventuell mit Elektromotoren. Kein Problem der bisherigen Mobilität wird dadurch gelöst – stattdessen vergrößern sich die Probleme.
Wir wollen möglichst konkrete Vorschläge für die soziale und ökologische Transformation der Autoindustrie erarbeiten, beraten und zur Diskussion stellen. Die soziale Dimension der Transformation beinhaltet die berechtigten Interessen der Beschäftigten in der Automobil- und Zulieferindustrie an existenzsichernden Einkommen sowie die Interessen der Menschen in jenen Regionen (des globalen Südens), in denen die für die Automobilität nötigen Rohstoffe extrahiert werden. Die ökologische Dimension der Transformation bezieht sich auf die Art und Weise von Herstellung, Nutzung und Entsorgung von Autos, sie betrifft Mobilitätszwänge und Mobilitätsbedürfnisse. Die ökonomische Dimension der Transformation bedeutet eine Abkehr von der Orientierung auf Maximalprofit, einen Ausstieg aus der Konkurrenzwirtschaft. Eine solche Transformation ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und bedarf eines gesellschaftlichen Konsenses und aktiver politischer Unterstützung; sie bedarf der Anerkennung des Rechtes auf Mobilität, der Orientierung an Mobilitätsbedürfnissen bei einem gleichzeitigen Abbau von Mobilitätszwängen (Stadt- und Raumplanung – Stadt der kurzen Wege, Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Förderung des Fuß- und Radverkehrs).
II. Zu den Herausforderungen
Die Zukunft von Auto, Umwelt und Mobilität ist ein höchst komplexes und deshalb auch ein schwieriges Feld:
- Es geht um die seit über hundert Jahren verfestigte Ideologie, um die mit dem Auto verknüpften Emotionen, die in dem alten ADAC-Spruch der freien Fahrt für freie Bürger und der autogerechten Stadtkonzepte kulminiert. Stichworte sind Fahrspaß und keine Geschwindigkeitsbegrenzungen auf deutschen Autobahnen.
- Es geht um technische Veränderungen, um den Abschied vom Verbrennungsmotor und um die Alternative IMV oder ÖV mit entsprechenden technischen Veränderungen.
- Die soziale bzw. sozialpolitische Herausforderung besteht in der Lebenssicherung für ca. 800.000 Beschäftigte und ihre Familien – anders als bei der Abwicklung der Kohleproduktion geht das wegen der Klimaveränderungen und der Bedeutung der Autoindustrie für ganze Regionen nicht durch langsames und „sozialverträgliches“ Absterben, sondern nur durch alternative Fertigung und radikale Arbeitszeitverkürzung. Damit stellt sich zentrale die Frage der Wirtschaftsdemokratie.
- Ökologisch geht es darum, die Emissionen aus Herstellung und Nutzung von Autos / Mobilität radikal zu reduzieren. Der Ressourcen-Verbrauch für Millionen Autos pro Jahr ist nicht nachhaltig, sondern wird immer teurer und ist tendenziell konfliktträchtig (seltene Erden, Erdöl etc.pp).
- Ökonomisch geht es um Billionen-Umsätze, um Milliarden-Profite und um Milliarden-Subventionen, um Investitionen, Erwerbseinkommen sowie staatlichen und privaten Konsum.
- In der aktuellen Debatte sind ethische Fragen zu bearbeiten: wie wollen wir leben, arbeiten und mobil sein? Wollen wir – selbst ausgebeutet in der Lohnarbeit – weiterhin an der Ausbeutung der Rohstoffe und der Menschen in anderen Ländern beteiligt sein, statt auf Solidarität und fairen Austausch zu setzen? Und wollen wir „autonome Autos“, deren Nutzung unser Leben und unsere Umwelt vollständig denjenigen transparent macht, die über die Daten verfügen können?
- Es werden grundsätzliche juristische Fragen aufgeworfen in dieser Debatte: Wie werden Gesetze, die zurzeit den privaten Autoverkehr privilegieren sinnvoll verändert? Wer verfügt über das Recht, über die Mobilität der Zukunft zu entscheiden? Wann werden die Artikel 14 und 15 unseres Grundgesetzes angewandt und dieser Teil der Daseinsvorsorge vergesellschaftet. Können die volkswirtschaftlichen Schäden, die Subventionen sowie die ökologischen und sozialen Kosten der Automobilität mit der Entschädigung für die bisherigen Eigentümer verrechnet werden?
- Schließlich geht es um politische Fragen, um die Rolle des Staates und seiner verschiedenen Ebenen in diesem Kontext. Es geht um die sozial-ökologische Transformation einer Schlüsselindustrie, die politisch und staatlich befördert oder behindert werden kann.
III. Zur Arbeit des Gesprächskreises
Die Arbeit des Gesprächskreises knüpft an bisherige Debatten an – zwei Tagungen zur Krise der Autoindustrie im Jahr 2010 und folgende Beiträge einiger politischer Stiftungen (siehe RLS Stichwort Auto, ebenfalls Beiträge bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung sowie diverse Publikationen).
In unserem Gesprächskreis Zukunft Auto Umwelt Mobilität arbeiten Wissenschaftler_innen verschiedener Fachrichtungen, Politiker_innen, Gewerkschafter_innen und Vertreter_innen von Umwelt- und Verkehrsverbänden gemeinsam an Konzepten zur sozial-ökologischen Transformation mit dem Ziel, Alternativen zur bisherigen Form von Mobilität, zum Produkt und zu den Produktionsverhältnissen zu entwickeln. Es geht auch und gerade darum, die betroffenen Beschäftigten der Automobilindustrie und die Kommunen vor dem absehbaren Niedergang zu bewahren. Gleichzeitig sollen auch drängende ökologische Fragen bearbeitet werden.
Wir gehen davon aus, dass die Krise der Automobilindustrie sich weiter zuspitzt und zu harten Brüchen bei Beschäftigten und Kommunen führt – darauf vorbereitet zu sein und Antworten gemeinsam mit den Betroffenen zu entwickeln, ist einer unserer Ansprüche.
Im Arbeitsausschuss des Gesprächskreises arbeiten Janna Aljets, Antje Blöcker, André Baier, Stephan Krull, Mechthild Schrooten und Markus Wissen zusammen. Wir haben hier also eine gute Mischung von Positionen vertreten: für eine andere Mobilität unter dem Zeichen neuer Lebensweisen; für eine andere Kultur des Lernens im Umgang mit Mobilität; für Umverteilung und Partizipation, für eine radikale gesellschaftspolitische Zeitenwende, die soziale Frage und die linken Kräfte in Gewerkschaften einbeziehend; schließlich in diesem Kontext die System- und Eigentumsfrage stellend.
Wir werden im Jahr zwei bis drei Treffen des Gesprächskreises durchführen und jeweils jährlich eine etwas größere Tagung zur weiteren Bearbeitung und Vertiefung von Kritik und Alternativen im Bereich der Mobilität. Es gibt einen weiter zu bearbeitenden Diskussionsstand, eine Reihe noch gar nicht angesprochener Problemfelder sowie das Vorhaben, Bildungskonzepte für dieses Thema zu entwickeln und in ersten Seminaren zu erproben. Die meisten Teilnehmenden des Gesprächskreises stehen nach Terminabsprachen für Vorträge, Diskussionen, Veranstaltungen zur Verfügung.