Brief an Clara Zetkin

Berlin, Rosa Luxemburg am 24. November 1918

Meine Adresse vorläufig Mathilde [Jacob]. (Ich war immer noch nicht zu Hause!!)

Liebste,

     in fliegender Hast statt des ellenlangen Briefes, der in meinem Herzen fertig ist, nur einige armselige Zeilen. Die Hauptsache ist: Ich möchte Dich natürlich sehen und sprechen. Abkommen von hier für zwei Tage konnte ich erst in etwa zwei Wochen, falls inzwischen Thalheimer und Hoernle hier sind, um im Blatt zu helfen. Wir geben uns nämlich kaum Rat, dazu noch der furchtbare Raummangel (zumal uns das Feuilleton jetzt sehr beengt!). Du hast ja gesehen, daß wir genötigt waren, selbst aus Deinem Artikel satzweise etwas herauszustehlen, sonst wäre die Nr. einfach nicht fertig geworden. Wir denken schon daran, entweder sechsseitig zu erscheinen oder zweimal täglich, das erfordert aber natürlich mehr Kräfte, und wir warten mit Ungeduld auf Thalheimer und Hoernle, denn auch das Soldaten- und Jugendblatt braucht Kräfte!

     Nun die Frauenagitation! Ihre Wichtigkeit und Dringlichkeit leuchtet uns genauso ein wie Dir. Wir haben ja in der ersten Sitzung unserer Korona auf meinen Antrag beschlossen, auch ein Frauenblatt herauszugeben und Dich zu diesem Zwecke (oder richtiger mit diesem Mittel) von der Leipzigerin1 zu stehlen. (Übrigens hält sich die «Leipziger Volkszeitung» jetzt so tapfer, daß wir sie eigentlich nicht zu schädigen brauchen.) Jedenfalls muß hier in Berlin von uns ein Frauenblatt gemacht werden, ob als selbständiges Wochenblatt oder zweimal die Woche, ob als tägliche Beilage zur «Roten Fahne» — darüber hättest Du zu bestimmen, darüber müßten wir natürlich uns verständigen! Und die Sache ist so dringend! Jeder verlorene Tag ist eine Sünde.

     Deine Idee mit Flugblättern ist natürlich glänzend. Es fragt sich bloß, ob nicht praktischer tägliche Beilage zur «Roten Fahne»? Alles das hängt davon ab, wo Du bist und wie wir das einrichten, damit Du es in der Hand hast.

     Also vor allem ausführliche Unterredung. Wie gesagt: Ich könnte erst in zwei Wochen zu Dir. Du willst hierherkommen. Kannst Du das wirklich riskieren? Können wir es auf unser Gewissen nehmen, Dir eine solche Strapaze zuzumuten?! Denn heute ist eine Reise von Stuttgart nach Berlin beinahe lebensgefährlich. Antworte offen! Deine Gesundheit ist denn doch wichtiger als alle anderen Rücksichten. Viel eher als ich zu Dir könntest Du doch nicht herkommen, denn die Züge gehen ja nicht.

     Die Mängel der «Roten Fahne» sind mir schmerzlich klar, bezweifle es nicht! Es ist alles nur Notbehelf und Surrogat und soll besser werden.

     Wir sind alle in Trubel und Arbeit bis über die Ohren. Taktisch besteht wohl zwischen Dir und uns nicht der geringste Unterschied. Das ist ein großer Trost und eine Freude! Trotzdem wäre so viel zu bereden und zu beraten! Also vorläufig tausend Umarmungen für Dich und Grüße für Deine Männer.

     Deine Rosa


1 Gemeint ist die «Leipziger Volkszeitung», Organ der USPD, an der Clara Zetkin die Frauenbeilage redigierte.


Zitiert nach Rosa Luxemburg: Gesammelte Briefe, Bd. 5., August 1914 bis Januar 1919, Berlin, S. 418-419.