Brief an Franz Mehring

Rosa Luxemburg am 18. November 1918

Sehr verehrte Freunde,

     ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie es mich peinigt, daß ich noch nicht zu Ihnen eilen und Ihnen die Hand drücken konnte. Ich komme aber seit dem Augenblick, wo ich in Berlin aus dem Zuge gestiegen bin, nicht einmal dazu, einen Fuß in meine Wohnung in Südende zu setzen, und hause im Hotel. Daraus können Sie schließen, wie mich der Trubel hier verschlingt. Das erste war: endlich einmal mit der Zeitung1 herauszukommen. Nun brenne ich darauf, Ihr Urteil zu hören, Ihren Rat zur Seite zu haben. Wir waren alle hocherfreut, als uns Freund X. mitteilte, daß wir demnächst die «Fahne» durch Ihren Beitrag und Ihren Namen schmücken können. Ich warte darauf mit größter Ungeduld. In den allernächsten Tagen hoffe ich endlich zu Ihnen eilen zu können. Es machte mich glücklich, zu hören, daß es Ihnen gesundheitlich gutgeht und daß Sie so froh und arbeitsfähig sind. Das brave liebe … hilft und arbeitet mit größter Selbstaufopferung, auf Schritt und Tritt ist seine Mitwirkung unentbehrlich. In alter Eile vorläufig nur dieser kurze herzlichste Gruß, demnächst auf Wiedersehen!

     Ihre
     Rosa Luxemburg


1 Gemeint ist «Die Rote Fahne».


Zitiert nach Rosa Luxemburg: Gesammelte Briefe, Bd. 5., August 1914 bis Januar 1919, Berlin, S. 417