Brief an Marie und Adolf Geck
Berlin, Hotel Moltke, Rosa Luxemburg am 18. November 1918
Meine teuren, geliebten, herzinnigen Freunde!
Eben erhalte ich über Breslau das furchtbare schwarze Kuvert. Mir zitterte schon die Hand und das Herz, als ich die Schrift und den Stempel sah, doch hoffte ich noch, das Schrecklichste würde nicht Wahrheit sein. Ich kann es nicht fassen, und Tränen hindern mich am Schreiben. Was Ihr durchmacht, ich weiß es, ich fühle es, wir wissen den furchtbaren Schlag alle zu ermessen. Ich habe so unendlich viel von ihm für die Partei, für die Menschheit erwartet. Mit den Zähnen möchte man knirschen. Ich möchte Euch helfen, und doch gibt es keine Hilfe, keinen Trost. Ihr Lieben, laßt Euch nicht durch Schmerz überwältigen, laßt die Sonne, die in Eurem Hause immer strahlt, nicht hinter diesem Entsetzlichen verschwinden. Wir alle stehen unter dem blinden Schicksal, mich tröstet nur der grimmige Gedanke, daß ich doch auch vielleicht bald ins Jenseits befördert werde — vielleicht durch eine Kugel der Gegenrevolution, die von allen Seiten lauert. Aber solange ich lebe, bleibe ich Euch in wärmster, treuester, innigster Liebe verbunden und will mit Euch jedes Leid, jeden Schmerz teilen.
Tausend Grüße
Eure Rosa L.
Mein herzlichstes Beileid und viele beste Grüße.
Ihr
K. Liebknecht
Zitiert nach Rosa Luxemburg: Gesammelte Briefe, Bd. 5., August 1914 bis Januar 1919, Berlin, S. 415.