Eberts Mamelucken

Rosa Luxemburg am 20. Dezember 1918

Das Werk der Reichskonferenz der A.- u. S.-Räte ist würdig gekrönt. Nachdem sie dem gegenrevolutionären Hauptquartier Eberts die stärkste Unterstützung geliehen, nachdem sie sich von der Straße, von den revolutionären Massen des Proletariats abgesperrt, hat sie damit geendet, sich selbst zu entleiben, den A.- u. S.-Räten den Todesstoß zu versetzen.

     Mit welcher Ungeniertheit, mit welchem Zynismus die Ebert-Leute die Konferenz wie einen Hampelmann in Bewegung setzten, auf die parlamentarische Ungeschultheit und Unbeholfenheit der Arbeiter- und Soldatendelegierten bauend, dafür nur zwei Beweise.

     Am Mittwoch abend [18. Dezember 1918] tauchte plötzlich in ganz unauffälliger, beiläufiger Weise ein «Antrag Lüdemann» auf, der verlangte, «bis zur anderweitigen Regelung durch die Nationalversammlung» die gesamte gesetzgebende und vollziehende Gewalt der Reichsleitung — d. h. dem Ebertschen Kabinett — zu übertragen. Dieser Antrag ist zwischen Tür und Angel am Mittwoch abend ohne jede Debatte angenommen worden! Und der Kongreß wurde es nicht gewahr, daß er dabei bereits die «anderweitige Regelung» der Dinge durch die Nationalversammlung vorwegnahm, ehe über die Frage der Nationalversammlung auch nur debattiert, geschweige irgendein Beschluß gefaßt worden war! Am Donnerstag steht auf der Tagesordnung die Frage, ob überhaupt die Nationalversammlung einberufen werden soll, und am Mittwoch abend läßt die Ebert-Clique den Kongreß beschließen, daß der Nationalversammlung die endgültige Regelung der Verhältnisse zustehe und daß die ganze politische Macht ungesäumt dem Ebert-Kabinett zu übergeben sei! Der Kongreß wurde dazu verleitet, die eigenen Debatten über die Kardinalfrage der Revolution im voraus als abgekartete Sache, als Komödie hinzustellen.

     Zweites Beispiel: Am Donnerstag, nach den Referaten und den Schlußworten zum Punkt «Nationalversammlung» wird zur Abstimmung geschritten. Aus der Menge von Anträgen werden zwei entscheidende herausgegriffen: der Antrag Däumig, der die prinzipielle Frage Nationalversammlung oder Räteverfassung formuliert, und ein Antrag des Ebert-Lagers, der den Wahltermin zur Nationalversammlung auf den 19. Januar festsetzt.

     Jeder Abc-Schütze begreift, daß, ehe man aber den Wahltermin beschließt, erst die Grundfrage entschieden werden muß, ob überhaupt zur Wahl geschritten werden soll. Bevor das Datum feststeht, an dem der Räteverfassung der Garaus gemacht werden soll, muß man sich prinzipiell dazu äußern, ob ein solcher Streich fallen soll oder nicht.

     Der Vorsitzende Leinert denkt aber über die A.- u. S.-Delegierten dieses Kongresses wie die Unternehmer alten Stils über ihre Arbeiter: «Denen kann man alles bieten.» Und richtig! Der Kongreß läßt es ruhig geschehen, daß zuerst über den Wahltermin und dann über die Däumigsche Prinzipienfrage abgestimmt wird, als sie durch einen einfachen Trick vorwegentschieden war!

     Mit alledem wollen wir beileibe nicht etwa dartun, daß der Kongreß sich durch lauter äußerliche Unachtsamkeiten und Unbeholfenheiten wie ein unerfahrenes Mägdelein in die Sünde vom tückischen Verführer habe verstricken lassen. Die Zusammensetzung dieses Kongresses, sein Verhalten von Anfang bis Ende stellt ihm das Attest entschlossener, unentwegter Parteinahme für das Lager der Scheidemännschen Konterrevolution aus. Die ungenierten Manöver der Ebert-Clique enthüllen nur, daß sie den Rätekongreß direkt zu ihrer Mameluckengarde degradiert, daß sie in diesem ersten Kongreß der Revolution alle die alten Tricks und Regiekünste erneuert — und mit Glück erneuert! — hat, mit denen die Scheidemann-Legien, die «Instanzen» der alten Partei und Gewerkschaften, die Arbeiterschaft korrumpierten und gängelten, um sie für den moralischen Kladderadatsch des 4. August reifzumachen.

     Der Rätekongreß tat denn auch als williges Werkzeug der Gegenrevolution noch den letzten Schritt: Er lehnte noch ausdrücklich jede Mitwirkung des Vollzugsrats an der gesetzgebenden Gewalt des Rates der Volksbeauftragten ab und stattete die Ebertsche Regierung in Wirklichkeit mit diktatorischen Vollmachten aus!

     Der Kongreß der A.- u. S.-Rate krönt sein Werk damit, daß er die A.- u. S.-Räte jeder Macht entblößt und sie der Ebert-Clique gibt, die den Putsch des 6. Dezember, die 14 Leichen der Chausseestraße, die Konspirationen der Marten und Lorenz1 auf dem Gewissen hat!

     Der Ausgangspunkt und die einzige greifbare Errungenschaft der Revolution des 9. November war die Bildung der A.- u. S.-Räte. Der erste Kongreß dieser Räte schließt damit, daß er diese einzige Errungenschaft zunichte macht, dem Proletariat seine Machtposition entreißt, das Werk des 9. November abbaut, die Revolution zurückrevidiert!

     Hier schneidet sich jedoch die gegenrevolutionäre Mache durch Übereifer ins eigene Fleisch. Die Mamelucken der Ebert-Garde haben ihren blinden Gehorsam zu weit getrieben. Der überspannte Bogen schnellt den Pfeil auf den Schützen zurück.

     Da der Rätekongreß die Körperschaft selbst, von der er seine Vollmachten erhalten, die A.- u. S.-Räte, zum bloßen Schattendasein verurteilt, so hat er damit seine Vollmachten überschritten, hat das Mandat verraten, das ihm von den A.- u. S.-Räten eingehändigt war, hat den Boden auf gehoben, auf dem seine Existenz und seine Autorität fußte. Durch den Beschluß, die A.- u. S.-Räte jeder Macht zu entblößen, hat der Kongreß der A.- u. S.-Räte nicht diese, sondern sich selbst als politische Macht aufgelöst, hat seine Beschlüsse für die A.- u. S.-Räte, denen er den Todesstoß zu versetzen gedacht, null und nichtig gemacht.

     Die A.- u. S.-Räte sind als politische Macht nicht aufgelöst, können nicht aufgelöst werden. Sie existieren nicht von irgendeines Kongresses Gnaden, sie sind geboren aus der revolutionären Tat der Massen am 9. November. Die revolutionäre Masse wird den ihr zugedachten Selbstmord nicht begehen. Die A.- u. S.-Räte werden bleiben, sie werden nunmehr mit verzehnfachter Energie ihre Macht ausbauen und ihr Daseinsrecht, die Revolution des 9. November, zu verteidigen haben. Sie werden das gegenrevolutionäre Werk ihrer ungetreuen Vertrauensmänner für null und nichtig erklären und werden die Kraft und den Mut finden, in dieser entscheidenden Stunde wie einst Luther zu erklären:

     Hier steh' ich, ich kann nicht anders!

     Zwei Nachträge:

     Angesichts der Tatsache, daß dem Vollzugsrat jede Mitwirkung an der gesetzgebenden Gewalt genommen und er somit zum Schattendasein einer «Kontrollinstanz» ohne Macht und Einfluß verurteilt wird, erklärte die Fraktion der USP, nunmehr am Vollzugsrat nicht mehr teilnehmen zu können. Infolgedessen ist der Vollzugsrat nunmehr aus lauter Ebert-Leuten gewählt worden. Ebert-«Kontrolle» über die Ebert-Regierung! Der Teufel von seiner Schwiegermutter kontrolliert! Die gesamte politische Macht und alle ihre Organe ausschließlich in den Händen der Scheidemänner

     Und doch, auch diese Schmach nicht ohne Feigenblättchen. Denn Haase bleibt im Rat der Volksbeauftragten, an die Lende Eberts als Schamgürtel geheftet. Jawohl, er bleibt! Und der Dittmann, der Barth bleiben sicher auch. Die Linke der USP zieht sich zur Rettung ihrer Ehre aus dem Vollzugsrat zurück, die Rechte bleibt standhaft als «prinzipienfester» Deckmantel der politischen Prostitution.

     Der Haase-Konventikel kneift vor dem Parteitag, um der Verantwortung, um der klaren Entscheidung zu entgehen, die innere Logik der Dinge bringt Entscheidung und Klarheit hervor. Die Parteimassen werden direkt herausgefordert und gezwungen, ihren Richterspruch zu fällen!

      Der Kongreß erfährt von seinen Regisseuren die Behandlung, die er verdient hat. Nachdem er alles getan und gelassen, was die Gegenrevolution brauchte, sollte er heimgeschickt werden. Nachdem der zweite Punkt: die Nationalversammlung, erledigt war, wollte man ungeniert den Rest der Tagesordnung abwürgen. Wozu auch das unnütze Geplauder über Sozialisierung, über Frieden, da die Hauptsache: die Diktatur der Ebert-Regierung, erreicht war? Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr sollte gehen.

     Der Mohr war auch dazu bereit. Aber da griff «die Straße» ein. Bei der Enthüllung des sauberen Plans entstand auf den Tribünen ein solcher tobender, elementarer Protest, daß die Mamelucken unten im Saal denn doch Angst bekamen. Die Anhörung der beiden Referate: über die Sozialisierung und den Frieden, wurde beschlossen.

     Eine leere Formalität allerdings. Zwei platonische Redeübungen zwischen Tür und Angel, angehört schon in Überziehern, «anstandshalber».

     Aber auch dieses letzte Fünklein des Schamgefühls und des Anstandes hat erst die derbe Faust der Masse von draußen herausgeschlagen.

 


1 Marten, Initiator zur Bildung der konterrevolutionären Organisation «Vereinigung deutscher Frauen für Truppenempfang», Lorenz, als Hauptmann im Kriegsministerium für die Waffenlieferung an Bürgerwehren verantwortlich, gehörten zu den Drahtziehern des konterevolutionären Putsches vom 6. Dezember 1918.


Zuerst veröffentlicht in: Die Rote Fahne (Berlin), Nr. 35 vom 20. Dezember 1918.

Hier zitiert nach Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Bd. 4., August 1914 bis Januar 1919, Berlin, S. 464-467.