Erinnerungen von Lotte Pulewka

[…] Am 6. Dezember bewegte sich ein großer Demonstrationszug aus dem Norden Berlin zum Zentrum. Die Demonstranten wurden vom Leiter des Soldatenbundes, Willi Budich, angeführt. Als der Zug die Ecke Chaussee- und Invalidenstraße erreicht hatte, wurden die Demonstranten von Offizieren und Soldaten […] mit Maschinengewehren beschossen. Willi Budich wurde schwer verwundet; mehrere Schüsse hatten ihn getroffen. Von seinem Verbleib wußte man nichts, und man hielt ihn für tot.

     Der Spartakusbund organisierte am nächsten Morgen sofort eine große Protestdemonstration. Nachts gedruckte Flugblätter wurden von uns in den Betrieben verteilt. Als Rosa [Luxemburg] mich, die ich nicht an den Tod Budichs glaubte, während dieser eiligen Vorbereitungen sah, gab sie mir den Auftrag, Willi Budich zu suchen. Unter allerhand Schwierigkeiten gelang es mir, ihn im Virchow-Krankenhaus zu finden. Er lebte. Ich konnte ihn sprechen. Sofort gab er mir eine ganze Reihe von Aufträgen an Rosa, Karl [Liebknecht] und Leo Jogiches. […]

     Als ich nun zu den Genossen in die Wilhelmstraße kam, um mich meiner Aufträge zu entledigen, wollten sie mir zuerst nicht glauben, daß Budich lebte. Durch meine Aufträge konnte ich sie überzeugen, und es entstand ein freudiger Aufruhr. „ Wo ist mein Täschchen?“  rief Rosa aufgeregt. […] Sie entnahm ihm den einzigen darin befindlichen Zwanzig-Mark-Schein, drückte ihn mir liebevoll in die Hand und flüsterte, immer noch freudig erregt: „ Kauf ihm Blumen!“ .

     Nun ich bin ein praktischer Mensch. Geld war knapp damals. Und so fragte ich, ob ich nicht ein Teil vielleicht für eine Flasche Rotwein oder ähnliches ausgeben dürfe. „ Ja, ja, kaufe, was nötig ist. Stelle ihn wieder auf die Beine. Wir brauchen ihn.“

     Ich habe diesen Auftrag Rosas ausgeführt.


Zitiert aus: Karl und Rosa. Erinnerungen. Zum 100. Geburtstag von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, herausgegeben von Ilse Schiel und Erna Milz, Berlin (Ost) 1971, S. 205f.