Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg «Zwei große Verluste»

Grigori Sinowjew 18. Januar 1919

Ich will mehr über Rosa Luxemburg reden. Rosa Luxemburg kannte ich persönlich. Unsere Arbeiter, Rotarmisten und Bauern sind nicht so bekannt mit dem Leben und der Wirksamkeit dieser bedeutenden Frau, wie mit der revolutionären Arbeit Karl Liebknechts, ihres berühmten Kampfgenossen.

Die Rolle Rosa Luxemburgs in der Weltrevolution.

     Rosa Luxemburg gehört zu jenen wenigen Einheiten in der zeitgenössischen Generation der Arbeiterbewegung, denen das größte Glück zuteil wurde: nicht nur als Popularisator der Ideen von Marx zu dienen, sondern auch weiter zu arbeiten, ihr neues Wort auf dem Gebiet der Theorie des Marxismus zu sagen.

     Rosa Luxemburg steht unter den wenigen Teilnehmern der Dritten Internationale, die in sich die Eigenschaften eines feurigen Agitators, eines glänzenden Politikers und zugleich eines der größten Theoretiker und Literaten des Marxismus vereinigten. Im Besitz aller dieser erstklassigen Verdienste arbeitete Rosa Luxemburg auf dem Gebiet der Arbeiterbewegung nicht weniger als ein Viertel Jahrhundert.

     Rosa Luxemburg begann ihre Arbeit als junges Mädchen in Polen und übertrug diese später nach Deutschland; sie arbeitete auch in Russland. Sie war die echte Verkörperung eines Internationalisten.

     Ich erinnere mich der Gespräche mit Rosa Luxemburg 1906 im Dorf Kuokkala in der kleinen Wohnung des Genossen Lenin, der sich damals halb und halb schon in der Emigration befand, nachdem unsere erste Revolution bereits zertrümmert war.

     Der erste, der theoretisch die Bilanz dieser unterdrückten Revolution zu ziehen begann, der erste Theoretiker des Marxismus, der erfasste, was unsere Räte bereits 1905 waren, obgleich sie erst kaum aufkeimten, der erste europäische Marxist, der sich deutlich jene Rolle vorstellte, die den revolutionären Massenausständen im Einklang mit bewaffnetem Aufstand bevorstand – war Rosa Luxemburg.

     Ihre glänzenden Broschüren und Artikel über den Massenstreik, ihre Reden in Jena auf dem deutschen sozialdemokratischen Kongress, der zur Zeit unserer Revolution stattfand, ihre Hinweise auf die Rolle, welche den Arbeiterräten zu spielen bevorsteht, – alle diese Hinweise, die vor mehr als zehn Jahren gemacht wurden, haben eine ungeheure historische Bedeutung.

     Rosa Luxemburg gehört ferner das größte Verdienst, das sie mit unserem Genossen und Lehrer – Lenin – teilt: 1907 auf dem internationalen sozialistischen Kongress in Stuttgart den Grundgedanken formuliert zu haben, für den Liebknecht und Luxemburg zugrunde gingen und für welchen jetzt alles kämpft, was es Ehrliches und Heldenmütiges gibt in der internationalen Arbeiterklasse.

     Auf dem Stuttgarter Kongress 1907 standen sich zwei Welten gegenüber. Bernstein und die Revisionisten, wie man sie damals nannte, behaupteten, dass die Arbeiterklasse eigentlich die sogenannte Kolonialpolitik oder den Imperialismus (wie wir uns jetzt ausdrücken würden) nicht ablehnen dürfe, sondern dieselbe, wie man sagte, in kultureller Form und der Kultur wegen durchführen solle. Sogar Bebel, der in seinen alten Tagen dem rechten Flügel der Sozialdemokratie so manche Konzessionen machte, sogar Bebel schwankte. Und nur eine kleine Gruppe Marxisten, an deren Spitze Lenin und Rosa Luxemburg standen, sagten 1907 vor elf Jahren: Das imperialistische Blutbad naht, die Bourgeoisie aller Länder führt die ganze Menschheit dieser unvermeidlichen Katastrophe entgegen.

     Worin wird nun die Aufgabe der revolutionären Arbeiter bestehen, wenn die verbrecherische Hand der Bourgeoisie Europa zu diesem imperialistischen Gemetzel führt? Luxemburg und Lenin antworten: Ihre Aufgabe wird darin bestehen, die ganze wirtschaftliche und politische Krise, die als Ergebnis des Krieges entsteht, auszunutzen, um die Massen zum Kampf gegen die kapitalistische Ordnung zu erheben.

     Mit anderen Worten, sie sagten damals: Die Aufgabe besteht darin, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg, in einen Krieg der Arbeiter, Bauern und Soldaten gegen die Bourgeoisie, gegen die Urheber des Krieges zu verwandeln!

Wofür Rosa Luxemburg kämpfte.

     Rosa Luxemburg kämpfte in den Reihen der alten offiziellen deutschen Regierungssozialdemokratie unermüdlich und mit größtem Talent gerade für diesen Grundgedanken: Sie schlug als erste Alarm in den Reihen der deutschen Sozialdemokratie und forderte auf allen Kongressen die Anerkennung des politischen Massenstreiks, während sogar die besten der damaligen Führer der deutschen Sozialdemokratie nichts davon hören wollten.

     Oft machte sie den standhaftesten Führern der deutschen Sozialdemokratie bei Erörterung außenpolitischer Fragen den Vorwurf, dass die Sozialisten, wenn es sich darum handelt Beschlüsse zu fassen, sehr radikal sind, wenn es aber zum wirklichen Kampf gegen den Krieg und gegen die Regierung, die diesen Krieg heraufbeschworen, kommt, dann „verstecken sich alle im Gebüsch“. Diese ihre Worte galten in jenen Zeiten für die größte Kühnheit; stand doch die deutsche Sozialdemokratie damals im Zenit ihres Ruhmes.

     Jeder Petrograder Arbeiter, der einige Jahre in den Reihen der Revolution gestanden hat, weiß, dass Rosa Luxemburg früher, als noch niemand es wagte, die deutsche Sozialdemokratie einer Kritik zu unterziehen, als diese in allen Beziehungen als Muster galt, bereits laut erklärte, dass die Partei an der Wurzel angefault sei.

     Ich erinnere mich ausgezeichnet des Jenaer Parteitages der deutschen Sozialdemokratie, der 1910 stattfand; Rosa Luxemburg kreuzte damals freiwillig den Degen mit August Bebel, der dazumal mehr nach rechts neigte, auf die Seite der alten Partei, die Rosa Luxemburg den Krieg erklärte, weil sie die Sozialdemokratie entlarvt und darauf hingewiesen hatte, dass in der Politik des Zentralvorstandes der Partei chauvinistische Elemente vorhanden seien. Ihr wisst aber, was für eine unnahbare Autorität Bebel in den Reihen der deutschen Sozialdemokratie war; auf diesem Parteitag forderte er, indem er mit größter Schärfe gegen Rosa Luxemburg auftrat, fast ihren Austritt aus der Partei. Nur eine kleine Gruppe mit Klara Zetkin an der Spitze war gleichgesinnt mit Rosa Luxemburg und saß neben ihr, als sie mit Vorwürfen überhäuft wurde. Man wollte Rosa Luxemburg nicht anhören, doch sie verstand es, sich Gehör zu verschaffen; sie nahm den Kampf auf, hob den Handschuh auf, den ihr Bebel, der beste Vertreter der Zweiten Internationale, ins Gesicht geworfen hatte, sie zwang diesen Parteitag, der bereits damals zur Hälfte aus Krämern und Verrätern des Sozialismus bestand, das Wort: „Internationale“ auszusprechen.

     Rosa Luxemburg schlug revolutionären Alarm, sie forderte Ehrlichkeit und Treue dem Banner der Internationale.

     Auch während des Krieges blieb sie sich selbst treu. Im Verlauf des ganzen Krieges verbrachte sie, man könnte sagen, keinen einzigen Monat außerhalb der Kerkermauern, – Wilhelm mit seiner Rotte und Scheidemann mit seiner Bande spielten mit ihr, wie die Katze mit der Maus, – man setzte sie auf einige Tage in Freiheit, nach einiger Zeit wurde sie wieder verhaftet und in den Kerker gesetzt, wobei man verschiedene Anklagen erfand und Prozesse machte. Sie wussten, dass Rosa Luxemburg, was man ohne Übertreibung sagen kann, einer der gefährlichsten Feinde der Bourgeoisie war und blieb.

Die Verdienste Karl Liebknechts.

     Karl Liebknecht hat gewiss nicht geringere Verdienste. Er stand auch etwa ein Viertel-Jahrhundert in den Reihen der Revolutionäre. Karl Liebknecht – darüber sprach schon Gen. Trotzky – durchlebte mit uns zusammen die ganze Revolution von 1905.

     Liebknecht gehört zu den wenigen kühnen Männern in den Reihen der deutschen Sozialdemokratie, die vor zehn Jahren, wie man sich damals ausdrückte – „antimilitaristische“ Propaganda, d. h. revolutionäre Propaganda unter den Soldaten forderten.

     Man muss sich, Genossen, in die damalige Atmosphäre der geschniegelten und gebügelten Sozialdemokratie und der II. Internationale zurückversetzten, wo die Forderung Liebknechts für Wahnsinn galt. Bebel selbst, der Liebknecht seit der Kindheit kannte und ihn wie einen Sohn liebte, fiel in scharfen Ausdrücken über ihn her für diesen seiner Meinung nach „abenteuerlichen“ Vorschlag. Warum nicht gar zu den Soldaten gehen und Sozialismus predigen! Die deutsche Sozialdemokratie fand, dass nur ein Abenteurer das in Vorschlag bringen konnte! Man fürchtete, dass die Sozialdemokratie ihre Legalität einbüßt, dass die Bourgeoisie und die herrschenden Klassen finden könnten, die deutsche Sozialdemokratie hätte aufgehört eine Regierungspartei zu sein!

     Liebknecht schwamm als einer der ersten gegen den Strom. Und es gelang ihm das Eis zu brechen. Für sein bekanntes Büchlein „Gegen den Militarismus“ hat er so manchen Monat im Gefängnis gesessen. Er war der Gründer des internationalen Jugendverbandes, dem eine große Zukunft bevorsteht. Wir wissen, was für eine ungeheure Rolle die Jugend in unserer Revolution gespielt hat; eine gleiche Rolle wird sie auch in der deutschen und in der internationalen Revolution spielen. Alles, was es Junges, Frisches, Ehrliches und Revolutionäres, Wackeres und Edles in der Arbeiterklasse gibt, gruppiere sich um das Banner des Jugendverbandes, einer von dessen Gründern Liebknecht war.

     Liebknecht war bereits vor dem Kriege schlecht angeschrieben bei den Führern der II. Internationale, seit Beginn des Krieges aber geriet er unter die zweifellos Verdächtigen.

     Persönlich nahm er nicht an der Zimmerwalder Konferenz teil, weil er mobilisiert war; man schickte ihn in der Berechnung an die Front, dass eine zufällige Kugel diesen gefährlichen Feind der Bourgeoisie vielleicht aus dem Wege räumt. Liebknecht sandte uns auf die Zimmerwalder Konferenz ein Schreiben, welches mit bedeutungsvollen Worten schloss als Antwort auf die von Scheidemann und Konsorten damals zu Beginn des Krieges aufgestellte Parole. „Burgfrieden, Waffenruhe zwischen den Klassen, zwischen Wölfen und Lämmern, zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse, zwischen den henkerischen Monarchen und den Soldaten und Bauern“ – das war damals die offizielle Losung der deutschen Sozialdemokratie. Der letzte Satz in dem Schreiben Liebknechts lautete: „Genossen, unsere Sache ist, jetzt zu sagen – kein Burgfrieden, sondern Bürgerkrieg, das ist die Parole unserer Tage.“

     Liebknecht stimmte allein im deutschen Reichstag gegen die Kriegskredite, und seine Stimme wurde in der ganzen Welt gehört.

     Genossen, wir wollen auch nicht vergessen, dass in Frankreich, wo die Bourgeoisie eine besonders mächtige Woge des Chauvinismus erhob, wo alles Deutsche 1915 in Acht und Bann getan wurde, wo die Arbeiter und Soldaten von einem ungewöhnlichen Menschenhass angesteckt wurden, der Name Liebknecht mit Liebe ausgesprochen wurde! Und wir kennen nur ein Beispiel aus der französischen Geschichte, dass ein deutscher Sozialist eine solche Liebe der französischen Arbeiter erworben hat: Ich meine Friedrich Engels.

Bemerkung über Friedrich Engels.

     Zu Beginn des Krieges, im Jahre 1915, wurde in Frankreich alles Deutsche geächtet. Das deutsche Proletariat wurde als Raubgesindel geschildert. Man war bestrebt, die Sache so darzustellen, als ob die Politik Scheidemanns die folgerichtige Durchführung der Lehre von Marx wäre. Darüber wurden so manche Artikel in den verbreitetsten bürgerlichen Blättern veröffentlicht und ganze Bücher herausgegeben über das Thema, dass Karl Marx selbst immer ein Pangermanist, ein Anhänger des bürgerlichen „Großdeutschland“ gewesen sei. Und als die ganze offizielle, sogenannte sozialistische Partei Frankreichs sich dieser chauvinistischen Strömung hingab, da hielt, wie ich mich entsinne, der greise Vaillan, der alte Kommunist, der in seinen alten Tagen dem Teufel der Durchhalterei die Hand gereicht hatte, es doch nicht aus, als man in den Zeitungen Engels anzugreifen begann. Obgleich er damals bereit war, jeden Deutschen in einem Wasserglas zu ertränken, trat er mit einem Artikel auf, in welchem er schrieb: In Deutschland gab es nur zwei Deutsche, die nach dem deutsch-französischen Krieg Internationalisten blieben – Marx und Engels.

Die Franzosen und Karl Liebknecht.

     Und das gleiche Vertrauen und die gleiche Popularität wurde Karl Liebknecht in den letzten Jahren in Frankreich zuteil. Es gibt ein Dokument – und wahrscheinlich gibt es ihrer viele, – das von der Liebe zu Karl Liebknecht in Frankreich zeugt. Wir meinen das vorzügliche Buch von Henri Barbusse „Im Feuer“. Selbst ein Soldat, schildert uns Barbusse eine Gruppe französischer Soldaten, die sich nach einer missglückten Schlacht in den Schützengräben versammelt hatten. Darunter gab es einige intelligente französische Arbeiter. Und da sagte einer von ihnen die bedeutungsvollen Worte: „Und es gibt doch auf der Welt Menschen, die gegen diese Hölle kämpfen, es gibt sogar einzelne, die allein die Straße der Weltgeschichte betreten und ausrufen: ‚Nieder mit dem Krieg‘.“ Darauf antwortete ein anderer französischer Soldat: „Ja, Karl Liebknecht.“ In den Schützengräben, dort, wo man besonders bestrebt war, den Chauvinismus zu entfachen, in Frankreich, das ganz von der Flamme des Chauvinismus ergriffen war und alles Deutsche hasste, da erwähnten 1915, vor vier Jahren, die besten Männer, die besten Soldaten, die besten Arbeiter mit Ehrfurcht den Namen Karl Liebknechts.

     Genossen, nun stellt Euch vor, welchen Schmerz die Nachricht von dem Tode Karl Liebknechts in den Herzen der deutschen und französischen Arbeiter erwecken muss. Malt Euch aus, zu welch machtvoller Propaganda der Ideen des Kommunismus selbst der Tod eines solchen Mannes wie Karl Liebknecht dienen wird!

Was ihn mit Russland verknüpfte.

     Als Karl Liebknecht aus dem Gefängnis, aus dem steinernen Grabe kam, als die wogende Arbeiterbewegung ihn befreite, war seine erste seelische Bewegung: Der Arbeiterklasse des Landes zu gedenken, in welchem diese Klasse das Banner der Kommune erhoben hatte und der das größte Glück – zu siegen – zuteil geworden war. Karl Liebknecht gedachte vor allen Dingen unser, der russischen Revolution, und ging direkt zum Ziel, ins Gebäude der russischen Botschaft, wo damals noch unsere Genossen weilten, entblößte das Haupt vor diesem Gebäude und sagte, dass er der „ersten Regierung der schwieligen Hände seinen Brudergruß“ sendet.

     Ja, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg fühlten sich immer durch intimste brüderliche Bande mit unserer Revolution verknüpft. Gerade deshalb waren sie der Berliner Sozialdemokratie besonders verhasst. Gegenwärtig leben Scheidemann und seine Bande, Ebert und seine Regierung ausschließlich von der Gnade des reichen Onkels Wilson und der französischen Imperialisten, welche die Wogen des Bolschewismus zu dämmen hoffen. Der Regierung Scheidemann wird die Geneigtheit der internationalen Räuber nur insofern zuteil, als sie im Kampf gegen die russische Revolution vorgeht.

     Ihr erinnert Euch des Zwiegesprächs, das kürzlich zwischen den französischen und deutschen Generälen stattfand. Ein französischer General machte einem deutschen General Vorwürfe, dass die deutschen Truppen angeblich in den okkupierten Ländern bei Riga uns, den Bolschewiki, beiständen. Der deutsche General antwortete: „Exzellenz, begreifen Sie denn nicht, dass Ihre Beschuldigung durch nichts begründet ist? Deutschland ist Russland näher gelegen, also ist der Bolschewismus für uns gefährlicher als für Sie.“ Seht, diese Leute verheimlichen im Gespräch miteinander nicht, um was es sich handelt.

     Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren ihnen verhasst, weil sie kühn, sicher und talentvoll alles das verteidigten, was es Bestes gibt unter dem russischen Proletariat; sie waren der russischen Revolution ergeben und wollten ihren Spuren folgen.

     Wollt Ihr wissen, wofür man eigentlich Rosa Luxemburg getötet hat? Lest ihre Rede auf dem Kongress des Spartakusbundes am 31. Dezember 1918. Rosa Luxemburg beschuldigte Scheidemann und seine Bande, dass sie wünschten an der Erwürgung der russischen Revolution mitzuhelfen. Sie sagte: „Das beleuchten blitzartig die Vorgänge in Riga. Dort marschieren jetzt dank der Niederträchtigkeit der Regierung Ebert-Scheidemann und dank der Arbeit des deutschen Gewerkschaftsführers August Winnig deutsche Proletarier gemeinsam mit Ententetruppen und baltischen Baronen gegen russische bolschewistische Truppen. Das ist so infam, dass ich ruhig erkläre, dass die deutschen Gewerkschaftsführer und die deutsche Sozialdemokratie die größten Halunken sind.“

     Das hat sie ihnen direkt ins Gesicht gesagt! Rosa Luxemburg fügte hinzu: „Wir haben heute an der Seite der deutschen Regierung nicht nur Judasse der proletarischen Revolution, sondern Zuchthäusler!“

     Es ist nun klar, warum diese Führer des deutschen Proletariats den Scheidemännern verhasst waren! Alle Hoffnungen der Weltbourgeoisie konzentrierten sich darauf, durch irgendein Bollwerk die Arbeiter eines Landes von den Arbeitern der anderen Länder und hauptsächlich von den Arbeitern Russlands zu trennen, die ihre Bourgeoisie besiegt haben. Und sie konzentrierten alle ihre Kräfte, all ihre Blutgier gegen die Menschen, welche die Grenzen der Revolution erweitern, welche Internationalisten sind, welche die deutschen Arbeiter lehren, den Spuren der russischen kommunistischen Arbeiterklasse zu folgen. Dafür sind Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gestorben, und dafür werden sie von den russischen Arbeitern und Bauern geliebt, welche in einer ganzen Reihe von Gemeinden ihre Dörfer als „Dorf Karl Liebknecht“ umzunennen pflegten. Diese Bauern, diese Arbeiter und Soldaten werden ewig die Namen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg hochschätzen.

Man soll das Andenken der großen Führer ehren.

     Genossen! Wir haben es hier nicht leicht. Besonders schwierig ist unsere Lage in den letzten Wochen. Uns stehen vielleicht noch schwerere Tage in den nächsten Monaten bevor. Doch, Genossen, in dem Augenblick, wo es uns besonders schwer ums Herz ist, wenn unsere Rotarmisten irgendwo im Bezirk Archangelsk oder an irgendeiner anderen fernen Front in der Kälte, schlecht bekleidet und beschuht, in den Schützengräben liegen und die imperialistischen Banden abwehren müssen, oder wenn unsere Arbeiterin mit einem Achtel Brot zu ihren hungrigen Kindern heimkommen muss, oder wir dieses oder jenes neue Missgeschick zu überwinden haben, in dem Augenblick werden wir uns Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs erinnern.

Wofür die deutschen Kommunisten kämpften.

     Wofür kämpften die deutschen Kommunisten, was wollten die deutschen Arbeiter erreichen, was erstrebten ihre größten Führer, Liebknecht und Luxemburg? Sie erstrebten das, was wir bei uns schon haben. Sie waren sich sehr wohl der Bedeutung des Sieges bewusst, den zu erringen des galt. Wenn sie morgen siegten, so hieße das noch nicht, dass die Arbeiter Berlins zu zwei Pfund Brot bekommen und es in Berlin Lebensmittel geben und es sich dort leben lassen würde, wie im Schlaraffenland. Die Berliner Kommunisten wussten ebenso wie die Petrograder Arbeiter im Oktober vorigen Jahres, was ihnen nach der Eroberung der Macht bevorsteht. Vielleicht mehrere Jahre schwerer Entbehrungen, schweren Kampfes, Hungers, Hungerstodes! Das wussten sie alle sehr gut. Und sie betrogen die Berliner Arbeiter nicht und sagten ihnen nicht, dass sie sogleich alle satt würden, wenn die Kommunisten morgen siegten.

Zu Beginn eines neuen Kampfes.

     Nein, sie sagten: Euer harren neue Schlachten. Das hob besonders Rosa Luxemburg hervor. Sie sagte: „Wir stehen vor einem neuen Kampf. Vor uns eine Reihe von Monaten, vielleicht sogar von Jahren schwerer Heimsuchungen, Entbehrungen, schweren Kampfes.“

     Die Berliner Kommunisten wussten, was ihnen bevorsteht; sie wagte es – und starben zu Hunderten, sie gingen der besten aus ihrer Mitte verlustig. Wer kann jetzt nach dem Tode Liebknechts und Luxemburgs an sein persönliches Leben denken?

     Wenn die Arbeiterklasse so freigiebig ihr Blut opfert, das Beste hingibt, was sie hat, ohne einen Augenblick zu zaudern, können da die übrigen Teilnehmer der Bewegung schwanken? Kann unsere Klasse überhaupt unter dem Einfluss irgendwelcher Entbehrungen, irgendwelcher Elemente auch nur einen einzigen Augenblick schwanken?

     Die Berliner Arbeiter bleiben nicht hinter den Petrograder und Moskauer Arbeitern zurück und sind jetzt der Mittelpunkt des proletarischen Kampfes in der ganzen Welt. Sie haben unsere Bahn beschritten, sie sind zu Tausenden gefallen und werden morgen noch zu Tausenden fallen im Namen der Eroberung dessen, was wir in Petrograd und Moskau und in Sowjetrussland bereits haben.

Ihre Bahn ist unsere Bahn und die Bahn aller Arbeiter der ganzen Welt.

     Ist das nicht die größte Befriedigung für die Arbeiter, für die Bauern und Rotarmisten Sowjetrusslands? Das Beste, was die Menschheit besitzt, folgt unserer Bahn, da es die Unvermeidlichkeit und Richtigkeit dieser Bahn einsieht. Schwer war´s uns gestern ums Herz, Genossen, und schwer ist´s heute, schwer ist´s uns in dieser ganzen Zeit ums Herz. Und doch unterliegt es keinem Zweifel, dass das Blut Liebknechts und Luxemburgs das Heranreifen der sozialistischen Weltrevolution beschleunigt!

     Genossen! Ebenso wie wir in diesem Saale fühlen, ebenso, seid überzeugt davon, fühlten gestern und heute die Arbeiter und Arbeiterinnen der ganzen Welt. Könnt Ihr wirklich daran zweifeln, dass die Pariser Arbeiter und Arbeiterinnen, die so edle revolutionäre Traditionen haben, Menschen, die 1915 mit Ehrfurcht den Namen Karl Liebknecht aussprachen, könnt Ihr wirklich zweifeln, dass sie gleich Euch entschlossen sind, bis zum Ende zu kämpfen, und dass sich auch ihre Fäuste ballen und sie sagen: „Wir wollen uns für das heilige Blut Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs rächen!“

     So sprechen jetzt die Arbeiter der ganzen Welt. Und das Verbrechen, das Scheidemann und Ebert vollführten, wird ihnen teuer zu stehen kommen. Genossen! Ich bin überzeugt, dass jetzt die Besten, die es in den Reihen des deutschen Proletariats gibt, sich fest einprägen: „Können wir wirklich noch eine Stunde die Gewalt der bürgerlichen Mörder dulden, die sich Sozialdemokraten nennen, die Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, den Stolz des internationalen Proletariats, ermordet?“

Die verbrecherische Politik der Berliner Regierung.

     Nun sehen wir das Ergebnis der verbrecherischen Politik der Herren Scheidemänner.

     Auf den ersten Blick scheint vielleicht das, was in Deutschland vorging, unverständlich. Da steht ja noch immerhin eine Regierung an der Macht, welche sich die Regierung einer sozialistischen Republik nennt.

     Rosa Luxemburg schilderte mit der ihr eigenen Klarheit in ihrer letzten Rede mit wenigen Worten die Lage in Deutschland. Geschehen ist folgendes. Die deutsche Sozialdemokratie, die bereits jahrelang eine reaktionäre Rolle in der Geschichte gespielt hat, vermochte durch ihren bureaukratischen Beamtenapparat die Räte zu ergreifen, deren Rechte zu usurpieren, ihnen ihre Politik aufzudrängen, alles in ihre eigenen Hände zu nehmen. Diese Herren maskierten sich unverzüglich als Anhänger der Sowjetmacht, ergriffen die Zügel der Verwaltung, und die Arbeiter Deutschlands müssen um zur Macht zu gelangen, über die Leichen der sogenannten Sozialdemokratie schreiten.

     Scheidemann und Ebert berufen nun ihre Nationalversammlung ein.

     Genossen! Wir haben genau vor 12 Monaten unsere Konstituierende Versammlung auseinander gejagt. Seht, wie das internationale Proletariat unsere Politik wertet. Wer ist in Deutschland für die Nationalversammlung? Eine Bande Bankiers, die Banden Wilhelms, die Mörderbande, die Liebknecht und Luxemburg ums Leben brachte. Es ist noch nicht ein Monat verflossen, seitdem das deutsche Proletariat erklärte: „Nur über unsere Leichen kommt ihr zur Nationalversammlung.“ Den Bourgeois scheint es, als ob das deutsche Proletariat eine Leiche sei, über welche sie schreiten und zur Nationalversammlung gelangen. In Wirklichkeit ist aber die alte wurzelfaule Sozialdemokratie mit ihren zu bürgerlichen Henkern gewordenen Mitgliedern eine Leiche. Und die Arbeiter Deutschlands werden über sie hinwegschreiten. Und wir werden zusammen mit ihnen den vollen Sieg der Dritten Internationale erringen!


Rede gehalten von Grigori Sinowjew auf der Sitzung des Petrograder Sowjets am 18. Januar 1919, Petrograd 1920.