Wie alles anfing

Paul Levi über den 11. November 1918

Ein […] Freund von uns hatte sich irgendwo auf der Straße zehn Mann aufgelesen und war an deren Spitze - ‹ein Leutnant und zehn Mann› - auf Heldentaten ausgezogen, hatte den ‹Berliner Lokalanzeiger› besetzt […]. Das war am Sonntag. Diese unsere Eroberung schien uns gesichert durch jene zehn Mann, die erzbewaffnet vor dem Tore standen und keinen durchließen, der nicht wenigstens behauptete, er gehöre zu uns. Am Montag früh kamen wir wieder [...]. Wir waren alle versammelt. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, zehn oder zwölf andere Genossen, als plötzlich sich die Tür auftat, der Verlagsdirektor erschien und erklärte, daß künftig keine Zeitung mehr [‹Die Rote Fahne›] erscheine. Das sei noch schöner, meinten wir. Der Verlagsdirektor ward frech; auch das Personal weigerte sich zu drucken [...]. Es gab ein langes Parlamentieren, das kurz schloß: Als nämlich einer von uns sich entfernen wollte, um sich an den Arbeiter- und Soldatenrat zu wenden, fand er im Haustor Gewehrläufe gegen sich gewendet. Der Verlag Scherl hatte unsere Wache aufgekauft und die erklärte, daß keiner von uns lebend das Haus verlasse, ehe die Firma Scherl zustimme [...]. So saßen wir, ein Dutzend Gefangene unserer eigenen Militärmacht, am dritten Tag der Revolution und machten uns Gedanken darüber, wie eine Revolution wohl laufen werde, wo die ‹revolutionären Soldaten› zwischen dem ersten und dem zweiten Frühstück von einem beliebigen Kapitalisten schnell geramscht wurden [...]. Das war nur eine Episode. Aber es ist eine Episode, in der nicht ein Teil des ganzen Geschehnisses beschlossen wäre. Es war fast ein Symbol der Revolution.


Vgl. Paul Levi: Wie es anfing, in: Volksblatt-Almanach, Zwickau 1929, S. 33.