“Bertelsmann – ein Medienimperium macht (Hochschul-) Politik”

Bericht über den Kongress vom 15. bis 17. Juli 2005 in Hamburg

Bericht über den Kongress vom 15. bis 17. Juli 2005 in Hamburg Bei diesem Kongress ging es um nicht weniger als um die Grundvorraussetzungen der Demokratie. Nicht abstrakt, sondern höchst konkret am Beispiel der Strategie eines der weltgrößten Medien-Konzerne, der bei der Durchsetzung seiner Interessen danach trachtet, demokratische Kontrollen abzustreifen. Hautnah erleben diese Strategie derzeit Studierende und andere Hochschulangehörige, die hochschulpolitisch aktiv sind. Gigantischer Einfluss – ganz diskret Anlass zu diesem Kongress war für die Veranstalter von der Freien Hamburger Hochschule, einer studentischen Initiative, die inzwischen unbestreitbare Omnipräsenz des Bertelsmann-Komplexes aus Medienkonzern und Stiftung bei den gegenwärtigen Hochschulreformen. Während im nationalstaatlichen Rahmen die gemeinnützige und damit steuerbegünstigte Bertelsmann Stiftung über das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) die Reformen auf Landesebene anschiebt, verhandeln Konzernvertreter im internationalen Rahmen der WTO die Liberalisierung von Bildungsdienstleistungen, um sich hier neue Märkte zu erschließen. Bertelsmann und andere Medienkonzerne wiederum propagieren die Reformen oder stellen sie doch wenigstens als alternativlos dar, während die Hintergründe im Dunkeln bleiben. In den Medien spielen auch die vom CHE entwickelten Hochschul-Rankings eine wichtige Rolle, die Konkurrenz und Reformbereitschaft unter den Hochschulen auslösen sollen. Die mangelnde Wahrnehmung des Komplexes aus Medienkonzern und Stiftung in der Öffentlichkeit als einer der einflussreichsten Akteure bei der Einführung von Studiengebühren bildet zu dieser geballten Einflussnahme einen seltsamen Konrast. Dieses geradezu gespenstische Schweigen durchbrechen aber in jüngerer Zeit immer öfter kritische Stimmen, die auf die immense wirtschaftliche und Medienmacht des Bertelsmann-Konzerns und die vielfältigen reformpolitischen Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung auch in anderen Politikbereichen hinweisen. Auf dem Kongress nutzten ca. 70 Menschen die Möglichkeit, sich intensiv und kritisch über Bertelsmann und seinen bisher unkontrollierten politischen Einfluss zu informieren, zu diskutieren und auch über Gegenmaßnahmen nachzudenken. Es zeigte sich bald, dass es sich hierbei um eine recht komplexe Angelegenheit handelt. Ein Firmenpatriarch und sein selbstgewählter gesellschaftlicher Auftrag In einem ersten Vortrag beschrieb Hersch Fischler, Journalist und Mitautor einer kritischen Bertelsmann-Firmengeschichte, das Zusammenwirken von Konzern und Stiftung bei der politischen Einflussnahme. Mit seinem 20-Milliarden-Umsatz ist der Konzern der größte Medienmulti Europas. Haupteigentümerin ist die als gemeinnützig anerkannte Bertelsmann Stiftung, die 1977 zwecks Steuervermeidung gegründet wurde und dem Konzern immer noch wesentlich mehr Steuern spart, als sie Ausgaben tätigt. Insbesondere über diese Stiftung wirke Bertelsmann heute in Deutschland und Europa auf schwer zu überblickende Weise an fast allen wichtigen bildungs- und sozialpolitischen Reformen (Hartz, Agenda 2010) mit und beeinflusse viele weitere Politikfelder von der Gesundheits- bis zur Außen- und Sicherheitspolitik. Zentrale Figur sei hier Firmenpatriarch Reinhard Mohn. Von seinem wirtschaftlichen Erfolg fühle sich Mohn legitimiert, wenn nicht geradezu verpflichtet, staatliche Reformen zu mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit zum Wohle der Gesellschaft durchzusetzen. Zu diesem Zweck wolle er sein Führungswissen Politikern vermitteln. Mohn sei bei seinen Kooperationen auf keine Partei festgelegt, hätte aber zuletzt bei der SPD mehr Erfolg als bei der CDU gehabt, weil die SPD auf das Wohlwollen Bertelsmanns als Medienkonzern und als Lieferant von wirtschaftlichem Knowhow stärker angewiesen sei. Politiker wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer bedienten sich nun bei ihren Politikkonzepten teilweise bis ins Detail bei den Ausarbeitungen aus dem Hause Bertelsmann. Dabei helfe die Bertelsmann-Stiftung, ist doch der Besuch eines Politikers bei einer gemeinnützigen Stiftung wesentlich unverfänglicher als der Besuch bei einem Medienkonzern. Maßgabe für die Bertelsmann-Reformkonzepte seien stets die Lehren Reinhard Mohns, deren Ausarbeitung und Verkauf überwiegend jungen Wissenschaftlern übertragen werde. Eine kritische wissenschaftliche Überprüfung der Konzepte, geschweige denn ihre öffentliche Diskussion und Kontrolle, finde nicht statt; die Folge seien fehlerhafte Konzepte, Realitätsverlust und Maßlosigkeit. Um die Macht Bertelsmanns zu begrenzen, empfahl Fischler den Blick in die USA. Dort dürften gemeinnützige Stiftungen nur 20 Prozent eines Unternehmens besitzen. Damit werde die Steuervermeidung der Konzerne über Stiftungen eingeschränkt, und personelle Macht im Konzern aufgrund der Eigentumsverhältnisse transparenter gemacht. Ergebnis einer expansiven Konzernstrategie – das Centrum für Hochschulentwicklung Den Hamburger Studierenden, die gerade unter der Einführung von Studiengebühren leiden, war ein Projekt der Bertelsmann Stiftung ein besonderer Dorn im Auge: Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), ansässig am Konzernsitz in Gütersloh. Gegründet wurde das CHE 1994 von der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Auch in Hamburg nahm das CHE vielfältig Einfluss, so bei der Auflösung der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP), einer Hochschule, die sich schon seit langem Berufspraktikern auch ohne Abitur geöffnet hatte. Sie wurde jüngst dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Uni Hamburg einverleibt, da halfen ihr auch die hastig eingeführten Bachelor-Abschlüsse nicht. Wie die Propagierung von Studiengebühren überall im politischen Spektrum erfolgreich von Bertelsmann betrieben wurde, machte der Kongressbeitrag des Soziologen Oliver Schöller vom WZB (Wissenschaftszentrum Berlin) deutlich, der die Bündnisstrategien des CHE bis hin zur gewerkschaftsnahen Böckler- und zur grünen Böll-Stiftung nachzeichnete. Personelle Überschneidungen in den jeweiligen Ausschüssen gingen hier mit gleichförmigen Ergebnissen bei Reformvorschlägen zur Studienfinanzierung einher, die sich im wesentlichem alle an einer Ausarbeitung des CHE und des wirtschaftsnahen Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft orientierten. So lieferten verschiedene Akteure dieselben letztlich vom CHE entwickelten Konzepte, aufbereitet für jeweils unterschiedliche Zielgruppen. Jetzt mag es wundern, dass bei so viel Einfluss so wenig über die Aktivitäten Bertelsmanns bekannt ist. Der Medienkonzern Bertelsmann trägt jedenfalls nicht zur Aufklärung bei. Schöller selbst hatte vor zwei Jahren eine kritische Studie über die Bildungspolitik der Bertelsmann-Stiftung in Werner Rügemers Buch „Die Berater“ untergebracht, der Band erschien aber ohne den Bertelsmann-Beitrag. Der Transkript Verlag hatte den Herausgeber dazu bewogen, Schöllers Studie aus dem Sammelband zu entfernen. Für Transkript besorgt Satz und Druck die Bertelsmann-Tochter Digitron, anscheinend zu sehr günstigen Bedingungen, um die der Verlag möglicherweise hätte fürchten müssen. Prof. Martin Bennhold, Rechtssoziologe aus Osnabrück, analysierte in seinem Vortrag „Hochschulreformpolitik als Politik der Unterwerfung“ die gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen die von Bertelsmann behandelten Hochschulreformfragen stehen. Das CHE sei das Ergebnis der Konzernstrategie eines einflussreichen Konzerns mit dem Ziel der Expansion, und zwar der „inneren Expansion“ in vormals gesellschaftliche Bereiche wie den Bildungsbereich. Bennhold betonte die Bedeutung von Studiengebühren als Dreh- und Angelpunkt der Hochschul-Reformen und Motor der Privatisierung des Hochschulbereichs. Sie erst machten Hochschulen für private Investitionen lukrativ. Letztenendes ginge es aber bei der Einführung von Studiengebühren um eine soziale und ideologische Selektion der Studierenden, die nur solche Mentalitäten duldet und als hochschulreif fördert, die sich an den Gesetzen des Marktes orientieren. Medienunternehmen und der Markt für den Einfluss auf unsere Köpfe Abschließend ging Bennhold auf den spezifischen Charakter von Bertelsmann als Medienunternehmen ein. Als Medienunternehmen bediene Bertelsmann eine marktmäßige Nachfrage nach Einflussnahme auf die Köpfe der Menschen. Dies geschehe nicht nur auf dem Gebiet der Werbung, sondern auch in Zusammenhang mit einer mediengelenkten Demokratie, und zwar nicht als Ausnahme, sondern als ständig begleitende Einflussnahme auf dem Gebiet der hohen Politik. Dafür sei die Person Gerhard Schröder ein gutes Beispiel. Weitere Kongressbeiträge lieferten Eckart Spoo, Veteran der legendären Anti-Springer-Kampagnen und Herausgeber der Zeitschrift „Ossietzky“, und der pensionierte Lehrer und Experte im Bereich Globalisierung und Schule Horst Bethge (GEW, PDS), der Bertelsmanns Schulpolitik als Invasion der Kennziffern im Schulalltag beschrieb. Über 900 verschiedene Kennwerte hätte er gezählt, die in Projekten wie „Selbständige Schule“ (NRW) entwickelt würden. Dies sei die regionale Variante der von Bertelsmann gepuschten Lissabon-Strategie der EU, die Ranking- und Best-Practise-Verfahren aus der Industrie in die Bildung holen wolle. Mit der Lissabon-Strategie will die EU bis zum Jahre 2010 “wettbewerbsfähigster wissensbasierter Wirtschaftsraum der Welt” werden. Um sich langwierige Prozesse der Angleichung von Recht und Verwaltung in den Ländern der EU zu ersparen, werde hier mit “normsetzenden Vergleichen” gearbeitet. Erhebungen wie PISA dienten lediglich dazu, Indikatoren für “beste Regierungstätigkeit” zu entwickeln, die über die Medien der Öffentlichkeit vermittelt würden. Über diesen Druck sollte bei den Regierenden die Bereitschaft zu entsprechenden Reformen durchgesetzt werden. Treibende Kraft hinter dem Lissabon-Prozess sei die Industrielobby, nicht zuletzt der hochrangige Europäische Runde Tisch der Industriellen (ERT), in dem auch Bertelsmann lange Zeit Mitglied war. Eckart Spoo beschrieb in seinem Vortrag „Medienkonzentration und Demokratie“ die Zustände insbesondere im Zeitungswesen, das durch Monopolisierung gekennzeichnet sei. Der Zustand der Medien sei absolut verfassungswidrig. Die Leistung der gewöhnlicher Medien bestände in Ablenkung und Einschüchterung, damit die Bevölkerung auf Rechte und Freiheiten, Mitbestimmung und Teilhabe verzichte. Demokratie könne unter monopolisierter Medienmacht nicht gedeihen, wo Verleger von ihrer publizistischen Macht im Sinne ihrer Privatinteressen fröhlich Gebrauch machten, wofür der Referent zahlreiche Beispiele nannte. Der Anspruch auf Information der BürgerInnen, ein Anspruch, sich auch selbst in die Massenkommunikation einbringen zu können, müsse deshalb in Zukunft organisiert geltend gemacht werden, wie das auch mit anderen Grundrechten geschehe. Hier sei Kreativität gefragt. Fazit: Die Beiträge machten jedenfalls deutlich, dass in Bezug auf Bertelsmann ein gewaltiges Defizit an Information und öffentlicher Kontrolle herrscht. Zum einen stehen kaum ausreichende Ressourcen zur Verfügung, die zahlreichen Stiftungs- und Konzernaktivitäten zu recherchieren, zu analysieren und kritisch zu bewerten. Zum anderen ist es schwierig, das wenige momentan leistbare kritische Material zu publizieren und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als Gründe kommen die Konzentration im Medienbereich und mangelnde Pressefreiheit gegenüber dem Einfluss der Verleger in Frage, und die Tatsache, dass die von Bertelsmann forcierte Politik auch im Interesse sonstiger wirtschaftlicher Interessengruppen liegt. Die anhand des Bertelsmann-Komplexes dargestellten Prozesse sind im Rahmen der globalen wirtschaftlichen Entwicklungen (Kapitalkonzentration) zu betrachten und stellen eine akute Bedrohung demokratischer Kontrolle gegenüber privatem Kapital dar. Auf dem Kongress wurden allerding von den Teilnehmenden schon diskutiert, wie der unkontrollierten Macht Bertelsmanns entgegengewirkt werden könne. Um konkrete Maßnahmen mit weiteren Interessierten zu koordinieren und umzusetzen, wurde zunächst ein überregionales Vernetzungstreffen vom 4. bis 6. November 2005 verabredet. Kontakt über email: bertelsmannkritik@web.de