Des Wahnsinns letzter Schrei

Bericht über die Dokumentarfilmproduktion "Des Wahnsinns letzter Schrei", gefördert u.a. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung


BRD 2005, Dokumentarfilm, 56 Minuten, PAL (gefilmt auf DVCam)
Buch/Regie: Bärbel Schönafinger und Tanja v. Dahlern
Kamera: Britta Schneider
Produktion: kanalB

Mit (u.a.):
Franz Müntefering, Partei- und Fraktionsvorsitzender der SPD
Jürgen Bielert, Geschäftsführer Operativ Arbeitsamt Berlin Süd
Klaus Brandner, Arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD
Dieter Althaus, Ministerpräsident von Thüringen
Paul Nolte, Professor für Geschichte
Michael Hüther, Institut der Deutschen Wirtschaft
Elmar Altvater, Professor für politische Ökonomie
Horst Afheldt, Jurist und Autor

BRD 2005. Umwälzungen finden statt. Obwohl es zu wenige Arbeitsplätze gibt, werden Arbeitslose per Gesetz gezwungen ihre Ersparnisse aufzubrauchen, unterhalb der Armutsgrenze zu leben und für 1,50 Euro eine ihnen zugewiesenen Arbeit zu leisten. Gleichzeitig wird so viel Geld verdient wie noch nie. Die Einnahmen aus Kapital werden immer grösser. Firmen schreiben Rekordgewinne. Der Film versucht zu erklären, wie diese beiden Phänomene nebeneinander bestehen können. “Des Wahnsinns letzter Schrei” ist keine Reportage, sondern ein von verletztem Gerechtigkeitsempfinden vorangetriebener, persönlicher Film, der sein faktenlastiges Thema auf einer emotionalen Ebene rezipierbar darstellt. Ein Film über die Verhältnisse in der BRD in Zeiten, da die Verteilung des produzierten Reichtums neu verhandelt wird.


1. Hintergrund
Standortkonkurrenz, Hartz IV, Ein-Euro-Jobs, Ausbau eines Niedriglohnsektors, 25 % Rendite für Anlegerinnen der Deutschen Bank, Prekarisierung – Auf der einen Seite die leeren Kassen, die Einsparungen und zunehmende Armut, auf der anderen Seite Rekordgewinne großer Unternehmen und steigende Einnahmen aus Kapitalanlagen.

2. Anliegen
Der Film ist ein mosaikartiges Portrait der Gesellschaft in Zeiten der sozialpolitischen und ideologischen Neuausrichtung in zehn Kapiteln.

Warum wird der Sozialstaat reformiert? Was bedeuten die Veränderungen für die Menschen, die sie erleben (müssen), und wohin führen sie? Und möchten wir überhaupt dorthin?

Dies sind die Fragen welche der Film aufwirft. Und er zeigt, dass die durch ständiges Wiederholen in den Rang handfester Wahrheiten aufgestiegenen Aussagen wie: "Es geht nicht mehr so" oder "Die anderen machen es auch so" als Rechtfertigungen für politisches Handeln nicht taugen.  

Des Wahnsinns letzter Schrei zieht die vermeintliche Alternativlosigkeit des dominierenden wirtschaftspolitischen Modells in Zweifel. Er stellt sowohl die altmodische Frage danach, in welchem Verhältnis die absehbaren Folgen der Neuausrichtung der Arbeitsgesellschaft zu den Bedürfnissen der Menschen stehen, als auch die "verkrustete" Forderung nach einer gerechteren Verteilung des Reichtums.


3. Personen
Der Film stellt Menschen vor, die von den Hartz-Gesetzen betroffen sind: Die allein erziehende Mutter, die aus ihrem Haus ausziehen muss, die arbeitslose vierzigjährige Flashdesignerin, die sich nicht vorstellen kann, dass auf dem Arbeitsmarkt noch Interesse für Jemanden in ihrem Alter bestehen könnte, die Wissenschaftlerin, die nun für 1,50 Euro pro Stunde in ihrem Beruf arbeiten soll.

Herrn Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft und kritisch eingestellte Wissenschaftler wie den Ökonomen Elmar Altvater oder den Juristen Hort Afheldt.

Warum können wir uns den Sozialstaat nicht mehr leisten, der heute 32% des Sozialproduktes kostet, was er auch 1970 auch schon getan hat, wie Horst Afheldt zu bedenken gibt. Brauchen wir mehr Wachstum? Das Wachstum in der Bundesrepublik ist in den 90er Jahren und in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends um durchschnittlich 1% gestiegen. Trotzdem sind die Menschen nicht alle um durchschnittlich  1% reicher geworden.

4. Inhalt
Sozialstaatliche Errungenschaften werden zurückgefahren, denn die öffentlichen Kassen sind leer, während private Vermögen immer weniger zur Finanzierung des Sozialstaates beitragen müssen. Der steigenden Arbeitslosigkeit wird dadurch begegnet, dass das Arbeitslosengeld gekürzt wird und die Arbeitlosen stark unter Druck gesetzt werden. Ein-Euro-Jobs begünstigen den Ausbau eines Billiglohnsektors, der einem Großteil der politischen Öffentlichkeit als der einzige Ausweg aus der Arbeitslosigkeit gilt.

Der Druck auf die Arbeitsverhältnisse nimmt beständig zu; Versuche scheitern, sich dagegen zu wehren, wie etwa der Streik in Bochum im Winter 2004. Die international deregulierten Arbeits-, Waren- und Kapitalmärkte erzeugen eine Situation, in welcher die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerinnen immer weiter geschwächt wird; sie sind kaum noch in der Lage, ihre Forderungen durchzusetzen. So werden billige Löhne als ein wichtiger Standortfaktor propagiert, als Voraussetzung dafür, dass die Unternehmen ihre Rendite erhöhen können. Eine hohe Rendite wiederum ist notwendig, sofern ein Unternehmen auf den international deregulierten Finanzmärkten für die Anlegerinnen attraktiv sein will. Diese Konstellation bedingt, dass die Arbeitnehmerinnen zunehmend um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden, während ein immer größerer Teil des von ihnen erwirtschafteten Reichtums an den Finanzmärkten abgeschöpft wird. Seit den 70er Jahren ist das jährliche Nettoeinkommen anhängig Beschäftigter in der BRD real nicht mehr gestiegen, während das Nettoeinkommen aus Unternehmen und Vermögen sich vervierfacht hat.

Dieser für den Großteil der Menschen negative Entwicklung wird politisch kaum Etwas entgegengesetzt. Im Gegenteil wird sie von den meisten politischen Parteien als Ideal einer liberalen Bürgergesellschaft u.a. durch die Steuergesetzgebung vorangetrieben. Indes stehen hinter diesem Prozess natürlich bestimmte ökonomische Interessensgruppen, welche konkrete Maßnahmen ergreifen, um ihre ideologischen Konzepte und die damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen durchzusetzen. So wurde etwa die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ins Leben gerufen, ein sehr aufwändiges und umfassendes PR-Projekt, welches das Ziel hat, eine insgesamt neoliberale Stimmung im Land zu verbreiten. Die Initiative ist von Gesamtmetall initiiert und finanziert und versucht erfolgreich in Zusammenarbeit mit Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen und professionellen PR-Agenturen die Medienlandschaft in der BRD zu vereinnahmen.

Des Wahnsinns letzter Schrei öffnet eine neue Blickweise auf dieses Panorama und möchte eine offene Diskussion über eine Neugestaltung der Gesellschaft anregen, indem er zeigt, wie unverschämt das bestehende Wirtschaftssystem die Lohnanhängigen benachteiligt.