Hegemonie und Kritik im Neoliberalismus

Bericht über die Akademie vom 26. bis 30. September 2005 in Werftpfuhl bei Berlin

Akademie, 26. bis 30. September 2005
Tagungsort: Werftpfuhl bei Berlin
VeranstalterInnen: Helle Panke zur Förderung von Politik, Bildung und Kultur; Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler / BdWi; Rosa-Luxemburg-Stiftung;  AStA FU Berlin
TeilnehmerInnen: 63 Personen, darunter 48 TeilnehmerInnen, 15 ReferentInnen

Thema der Tagung war die Fragestellung, wie im neoliberalen Kapitalismus, der immer weniger Menschen eine soziale Perspektive bietet, dennoch Herrschaft und Hegemonie gesichert werden, aber auch welche Möglichkeiten von Kritik und gegenhegemonialer Praxis denkbar sind.
Den Auftakt machte Iris Nowak, die in ihrem Beitrag das Gramsci’sche Hegemoniekonzept und den darin erstmalig in dieser Form theoretisch entfalteten Zusammenhang von Produktions- und Lebensweise erläuterte. Frigga Haug analysierte im Anschluss die Entwicklungslinien von feministischer Politik der letzten 30 Jahre und den aktuellen Zugriff von neoliberalen Politikmodellen und Diskursen auf Frauen bzw. die »Umdefinition« der Themen Frauenarbeit und Selbstbestimmung in diesen Diskursen. Anhand der bayerisch-sächsischen Zukunftskommission konnte sie aufzeigen, wie in einer »passiven Revolution« (in Anlehnung an Gramsci) die ursprünglichen Forderungen der Frauenbewegung im Rahmen neoliberaler Politik reartikuliert und unter markt- und konkurrenzzentrierte Dispositive untergeordnet werden.
Christoph Görg eröffnete den zweiten Themenstrang in der Tagung, der auf die internationalen Hegemonieverhältnisse ausgerichtet war. Görg erläuterte den Funktionswandel bzw. die Internationalisierung staatlicher Formen als neue Verdichtungsstrukturen von Kräfteverhältnissen. Dieser Strang wurde von Sabah Alnasseri mit Blick auf die peripheren Staaten, v.a. am Beispiel des Irak, weiterverfolgt. Die ideologischen und ideologiepolitischen »Verarbeitungsformen« der Fragmentierung peripherer Staaten wurden von ihm am Ende der Tagung am Beispiel des Islamismus erneut aufgegriffen.
Die Rolle der Intellektuellen (genauer: der »großen« und »organischen« im Sinne Gramscis) für die Sicherung von Hegemonie und die Möglichkeiten von Dissidenz, Gegenhegemonie und Kritik thematisierte der Beitrag von Tilman Reitz, der dies exemplarisch an der intellektuellen Praxis von Jean-Paul Sartre in Gegenüberstellung zu Michel Foucault erläuterte. Daran schloss sich eine abendliche Podiumsdiskussion zur gleichen Frage (»Aufgabe von Intellektuellen im gegenwärtigen Neoliberalismus«) an, die zwischen Tilman Reitz, Alex Demirovic, Torsten Bultmann und Uwe Hirschfeld z.T. kontrovers ausgetragen wurde.
Diese Kontroverse strukturierte plastisch die folgenden Themen der Tagung, insbesondere die Form eines Podiums wurde von den TeilnehmerInnen als angenehme Bereicherung empfunden – ebenso wie die Abendveranstaltung mit Rainer Rilling und Wolf-Dieter Narr, die nach der Veränderbarkeit von Hegemonieverhältnissen und neuen Politikoptionen im Verhältnis zum Ausgang der Bundestagswahlen fragten. Dabei wurde nicht nur das Abschneiden der Linkspartei bewertet, sondern grundsätzlicher das Verhältnis von Gegenhegemonie und Parlamentarismus in den Blick genommen.
Frieder Otto Wolf untersuchte die Entwicklungen akademischen Philosophierens selbst als Kampfplatz für Hegemonie und erläuterte sein Verständnis einer radikalen Philosophie. Torsten Bultmann befasste sich mit den institutionellen und konzeptionellen Veränderungen von Bildung und Wissensproduktion im Neoliberalismus und deren Konsequenzen für kritische Wissenschaften. Uwe Hirschfeld analysierte die Veränderungen in Ausbildung und Studium der Sozialen Arbeit. Er konnte zeigen, wie sich darin die Vermittlung neoliberaler Selbst-Konzepte materialisiert.
Hieran schloss der Beitrag von Christina Kaindl an, die die Anforderungen und Versprechungen neoliberaler Subjektkonzepte analysierte und zeigte, wie sie etwa in der alltäglichen Lebensweise von Künstlern und Intellektuellen aufgegriffen und gelebt werden, da die neoliberalen Konzepte der Lebensweise als passive Revolution die – ursprünglich emanzipatorisch gemeinte – Kritik an fordistischen Zumutungen in sich aufgenommen haben. In dem Beitrag wurde gleichzeitig deutlich, welche psychischen Kosten diese Zumutungen gleichzeitig gerade für diejenigen bedeuten, die etwa mit den Hartz-Gesetzen eher der repressiven Seite neoliberaler Hegemonie ausgesetzt sind und wie der Kampf um neue Lebensweisen sich auch durch kulturelle Produktionen zieht.
Bernd Röttger beleuchtete die veränderten Anforderungen in der Arbeit und die Rolle, welche die Gewerkschaften als Teil des fordistischen Blocks gespielt haben. Dabei wurde zugleich die Funktion des Keynesianismus als integraler Theorie dieses Blocks deutlich. Heute stellt der Keynesianismus eher ein Hindernis auf der Suche nach neuen gegenhegemonialen Konzepten für die Gewerkschaften dar, eine Suche, die sich etwa im social movement unionism andeutet.
Schließlich zeigte Gudrun Hentges anhand der Forschungsergebnisse des europaweiten Projektes SIREN, wie mit den veränderten Anforderungen in der Arbeit und dem »Übergang« der Sozialdemokratie zum Neoliberalismus die Denk- und Politikangebote der extremen Rechten (Parteien) diese Erfahrungen und Probleme aufgreifen (können) und damit eine Herausforderung an linke Kritik des Neoliberalismus darstellen.