„Militär in der Bundesrepublik Deutschland – Preußische Traditionen und moderne Berufsarmee“

Bericht über die Veranstaltung am 25. Oktober 2005, im Kulturkaufhaus „KATO“, Berlin-Kreuzberg, gefördert u.a. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Sachbericht zur Veranstaltung am 25. Oktober 2005, Kulturkaufhaus „KATO“, gefördert u.a. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung)

Referenten: Thomas Ebermann (Publizist/Hamburg), Tobias Pflüger (EU-Parlamentarier), Frank Brendle (DFG-VK, Journalist und Vertreter des „Bündnis gegen Geschichtsrevisionismus“)

Teilnehmer: 240 Personen


„Militär in der Bundesrepublik – Preußische Traditionen und moderne Berufsarmee“ war der Titel einer Veranstaltung, die am 25. Oktober 2005 im Kreuzberger Kulturkaufhaus „KATO“ veranstaltet wurde. Geladen hatte das „Bündnis gegen Geschichtsrevisionismus und militärische Rituale“, welches sich aus linken Initiativen, Kultur- und Studentengruppen sowie Gewerkschaftsvertretern zusammensetzt. Aktueller Anlass der Veranstaltung war der Große Zapfenstreich der Bundeswehr vor dem Reichstag, der aufgrund des 50jährigen Bestehens der Truppe am 26. Oktober 2005 vor 4.500 Gästen zelebriert wurde. Eine Bündnisvertreterin auf dem Podium warf anfangs die Frage auf, wieso sich die Bundeswehr mit solch überkommenen Ritualen feiert und informierte über die Tradition des „Großen Zapfenstreichs“: Der Zapfenstreich ist demnach das zentrale Ritual der preußisch-deutschen Militärgeschichte und hat sich in seiner Form seit fast 200 Jahren kaum geändert. Damit stellen sich ihres Erachtens die BRD und ihre Armee in die deutsche Militärtradition. Und die speise sich aus Sicht des Bündnisses aus preußischem Kadavergehorsam, bismarckscher Großmachtpolitik, wilhelminischem Kolonialwahn, dem blinden Hurra-Patriotismus des Ersten Weltkrieges, der paramilitärischen Verfolgung republikanischer Bewegungen nach 1919, dem militärischen Gehorsam im nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug, der Wiederaufrüstung in den Kalten Krieg und der „Re-Verkrieglichung“ deutscher Außenpolitik nach 1990. Diese Traditionslinie führe direkt zu den Kriegseinsätzen, die die Bundeswehr in ihrer jüngsten Vergangenheit beschäftigte. Das Motto für das Spektakel am Reichstag lautet: „50 Jahre Bundeswehr – 50 Jahre Parlamentsarmee“. Zwar klinge das sehr demokratisch, doch hätte sich der Bundestag erst im vergangenen Jahr durch das „Parlamentsbeteiligungsgesetz“ weitgehend selbst vom Platz gestellt. Dieses Gesetz ermögliche jetzt Kriegseinsätze mit nachträglicher Parlamentsgenehmigung. Außerdem schaffe es den Parlamentsvorbehalt für sogenannte Erkundungseinsätze und „kleine“ Einheiten in Bündniseinsätzen (z.B. AWACS, Spezialkommandos) ganz ab. Das nenne sich dann „Vereinfachtes Zustimmungsverfahren“. In Wahrheit handele es sich also um ein Parlamentsentmündigungsgesetz. Bei der Vorbereitung von militärischen Operationen müsse das Parlament nicht mehr (in)formiert werden, mit womöglich hinderlichen öffentlichen Debatten müsse man sich kaum noch aufhalten.
Anschließend referierte Frank Brendle über die Geschichte der Bundeswehr – „einer Armee aus dem Geiste des Verdrängens, Verschweigens und Verleugnens des Nationalsozialismus“. Noch immer tragen Kasernen Namen von Wehrmachtsgenerälen, noch immer üben Weltkriegsveteranen und Bundeswehrsoldaten in Traditionskameradschaften und beim Gedenken an ihre toten Kameraden den Schulterschluss, noch immer werden Lieder aus der Nazi-Zeit gesungen und überzeugte Nationalsozialisten als Helden verehrt. Dennoch sei das Bild komplexer und widersprüchlicher geworden. Zwar hätte die rot-grüne Bundesregierung der unkritischen Traditionspflege keineswegs ein Ende bereitet – wie sich auch am Ritual Zapfenstreich erkennen ließe. Gleichzeitig habe sie aber im geschichtspolitischen Umgang mit dem Nationalsozialismus eine entscheidende Kehrtwende gemacht. So wurden in jüngster Vergangenheit kaum noch NS-Verbrechen verharmlost, sondern zugegeben. Deutschland wolle sich als geläutert präsentieren, um seine Vormachtsansprüche auf der weltpolitischen Bühne zu untermauern. Und diese neue Instrumentalisierung von Geschichte betreffe vor allem die Bundeswehr – schließlich brauche es eine Legitimation, wenn Auslandseinsätze deutscher Truppen wieder selbstverständlich sein sollen. Die Bestrebungen, das Verhältnis der Bundeswehr zur NS-Vergangenheit neu zu bestimmen, beschränken sich allerdings vorrangig auf die Oberfläche – auf die Ebene der Bundesregierung, des Verteidigungsministeriums, der Militärführung. Auf die konkrete Traditionspflege in Kasernen und Kameradschaftsverbänden hätten die offiziösen Umdeutungsversuche geringere Auswirkungen. Sogar ein positiver Bezug auf Wehrmachtsvorbilder sei weiterhin willkommen. Je öfter und länger sich die Bundeswehr an militärischen Interventionen beteilige, desto wichtiger würden die „ewigen soldatischen Tugenden“: Tapferkeit, Kameradschaft, die Kraft zum Durchhalten, der selbstverständliche Umgang mit dem Tod…
Auch Thomas Ebermann unterstützte diese Sicht auf die Bundeswehr. Er berichtete über persönliche Erfahrungen in der Bundeswehr, zu der er in seiner Jugend mit dem festen Ziel der „Wehrkraftzersetzung“ gelangt sei. Ihm seien in dieser Zeit alle „Widerwärtigkeiten des militärischen Alltags“ vor Augen geführt worden. Gleichzeitig verwies Ebermann auf die „deutschen Traditionen“, die sich aus der Bundeswehr nicht einfach tilgen ließen. Insofern sei die Institution lediglich ein Spiegel der Gesellschaft. Er versuchte sich an einer Definition länger währender „deutscher Interessen“, die sich aus der Geschichte speisen. Einig waren sich alle Diskutanten in der Aussage, dass die Traditionspflege der Bundeswehr nicht mehr in ein einfaches „Schwarz-Weiß-Raster“ passe. Tobias Pflüger verwies in diesem Zusammenhang auf Elemente einer inneren Modernisierung, die neu definierten Aufgaben der Spezialkommandos im Rahmen von Verteidigungsbündnissen usw. Deshalb finde sich in der Bundeswehr ein weites Spektrum von Verhaltensweisen, das von Distanzierung und Instrumentalisierung über Ignoranz bis zur Verherrlichung von Kriegsverbrechern reiche.
Antimilitaristische Kritik dürfe sich deshalb nicht auf einzelne, besonders skandalöse Elemente der Traditionspflege – wie den Zapfenstreich – beschränken, sondern müsse das Gesamtensemble in den Blick nehmen und dabei die neuen Konfliktlinien zwischen USA und EU berücksichtigen. Tobias Pflüger nahm in diesem Zusammenhang zu einigen Strategien des „parlamentarischen Antimilitarismus“ Stellung. Einig waren sich die Referenten, dass dieser „Protest“ durch den von außerparlamentarischen Bewegungen und antimilitaristischen Initiativen flankiert werden müsse. Zwar sei es dabei richtig und wichtig, die Widersprüche zwischen der demokratischen Selbstdarstellung der Bundeswehr und ihrer tatsächlichen Traditionspraxis anzuprangern. Doch ein zu eng angelegter Protest könne auch „nach hinten losgehen“ – paradoxerweise dann, wenn er erfolgreich ist. Denn wenn allein erreicht wird, dass eine Kaserne ihren nazistischen Namenspatron verliert oder dass Zapfenstreiche nicht mehr zelebriert werden, dann trägt das ungewollt zur Modernisierung bei. Zu der Umdeutung, die bereits im Laufen ist und die eigentlich politisch angegriffen werden sollte.
Das einhellige Fazit des Podiums: Linke Kritik muss bereits vorher ansetzen, bei der vorgeblichen Neu-Interpretation der Bundeswehr als Lehre aus der deutschen Geschichte. Ob es unter einer großen Koalition auf Bundesebene zu größeren Veränderungen im Geschichtsbild der Bundeswehr kommen werde, blieb offen. Dennoch waren die Diskutanten der Meinung, dass sich auch in der Bundeswehr das „pluralisierte Gedenken“ durchsetzen würde, wie es unter der rot-grünen Bundesregierung als geschichtspolitischer Maxime etabliert wurde. An die Opfer des NS-Regimes werde erinnert, sie würden jedoch in einem Atemzug mit den gefallenen Wehrmachtssoldaten und den deutschen Toten des Bombenkrieges genannt – Rituale wie der Zapfenstreich stünden parallel und unhinterfragt daneben und die Bundeswehr könne sich ihren neu definierten „neo-imperialen“ Aufgaben ungehindert widmen…

Im Anschluss beteiligten sich viele Besucher noch an einer regen Diskussion und amüsierten sich bei einem Konzert einer mexikanischen Ska-Band sowie der Party des DJ-Kollektivs „Lucha Amada“.

Aus Sicht der Veranstalter war es eine gelungene Veranstaltung…