Sachbericht zur Tanzperformance der Gruppe Tomates Bravos zum G8-Protest
Vom 27. bis zum 29. April fand das Probenwochenende auf dem Gelände des Karlshofs nahe Templin statt, an welchem insgesamt 20 Menschen unserer Gruppe „Tomates Bravos“ teilnahmen. Unter Leitung von Heike Kuhlmann und Ulrike Stockburger wurde die zwischen September 2006 und Mai 2007 entworfene Performance fertig gestellt und eintrainiert.
Vom 27. bis zum 29. April fand das Probenwochenende auf dem Gelände des Karlshofs nahe Templin statt, an welchem insgesamt 20 Menschen unserer Gruppe „Tomates Bravos“ teilnahmen. Unter Leitung von Heike Kuhlmann und Ulrike Stockburger wurde die zwischen September 2006 und Mai 2007 entworfene Performance fertig gestellt und eintrainiert. Das Ergebnis war ein ungefähr 30 Minuten umfassendes Stück mit folgendem Inhalt und Ablauf:
Nach Erreichen des Spielorts legen die Gruppenmitglieder unter Nutzung von Tanz- und Gesangselementen eine Bühne fest. Diese wird durch ein Seil symbolisch dem Publikum verdeutlicht, welches sich, aufmerksam geworden durch die äußere Erscheinung der Gruppe – in grüner und roter Kleidung –, interessiert um die Bühne gruppiert. In der Mitte des Kreises steht ein Mensch mit dem Banner der Gruppe. Ein weiteres Gruppenmitglied spielt auf der Geige die Melodie des Gruppenliedes. Nachdem sich Publikum und Darsteller um die Spielfläche herum eingefunden haben, treten zwei Mitglieder der Gruppe in den Kreis und kündigen die Gruppe und deren Anliegen an: eine Tanzperformance als szenischer Protest gegen den G8-Gipfel. Darüber hinaus platzieren sie die für das Stück benötigten Plastiktomaten in der Mitte.
Daraufhin bewegen sich die Gruppenmitglieder mit musikalischer Untermalung in die Spielfläche hinein, folgenden Text singend:
„Wir hören täglich das alte Lied
von viel Entbehrung und Mühsal schwer,
viel mehr noch lastet das Mitgefühl
von Globalupholders milliardenschwer’. ‚Dreht euch nach uns, dreht euch nach uns herum,
wir wollen frei sein, packt euern Scheiß ein,
dreht euch nach uns, dreht euch nach uns herum,
finally we turn life on‘. Während die erste Strophe eher tief gesungen wird, ist die zweite Strophe in ihrer Betonung stärker und fordernder. Nach dreimaliger Wiederholung folgt das erste choreographische Element, das sich aus Bewegungsfolgen zum Thema Widerstand zusammensetzt. Dabei wurden die erarbeiteten Sequenzen in drei verschiedenen Untergruppen geteilt, welche zeitlich gestaffelt gezeigt werden. Die Tomatenrequisiten werden nach Ablauf der Darstellung von den Akteuren angepriesen – durch auf Tomaten bezogene Variationen von bekannten Werbeslogans. Während alle Darsteller nach dreimaliger Expression ihrer Werbung den Rand aufsuchen, bleibt ein Mensch im Kreis. Durch Beschleunigung und Veränderung seiner Bewegungsabläufe wird zur nächsten Szene übergeleitet: die Geldmaschine. In dieser Szene bauen sich zwei Kreisläufe nebeneinander auf. Im ersten Kreislauf tauschen die Glieder des Systems Waren fair miteinander aus, dieser Kreislauf symbolisiert ein auf Kommunikation und Zusammenarbeit basierendes Wirtschaften und Leben. Im zweiten Kreislauf wird eine durch Anhäufung und Expansion geprägte Form des Arbeitens dargestellt. Dieser Produktionskreislauf greift in seinem Expansionsbestreben in den ersten Kreislauf ein und entfernt die Waren, sodass die erste Form des Wirtschaftens nicht fortbestehen kann. Im nachfolgenden werden verschiedene Formen des Umgangs mit dieser Entfremdung im ersten Kreislauf gezeigt. Eine mögliche Reaktion ist die Hinwendung hin zum kapitalistischen System. Das Bild wird aufgelöst dadurch, dass alle sich dem Streben nach Mehr zuwenden, was in der Konsequenz zum Zusammenbruch führt. Darauf folgt eine Szene, die auf einer Parkbank in Heiligendamm stattfinden könnte. Dargestellt werden Wirkungen und Ansichten zum G8-Gipfel in Form kleiner Dialoge. Verschieden typisierte Menschen führen Dialoge über das Treffen als Rahmenhandlung, es kommen dabei Mitarbeiter des Treffens sowie in Heiligendamm lebende Menschen und auch Demonstranten zu Wort. Durch Darstellung von Bäumen und Sträuchern durch die anderen Akteure wird eine parkähnliche Atmosphäre geschaffen. Im Anschluss an diese Szene werden die Widerstandsequenzen in anderen Form choreographiert wiederholt. Diese werden abgelöst von einer Beschuldigungsszene, in der Anschuldigungen zu unterschiedlichen globalisierungskritischen Themen aus einer Gruppe von Menschen heraus gegen einen Einzelnen aufgegriffen werden und die Ohnmacht des Einzelnen überspitzt demonstriert. Die Beschuldigungen werden durch die choreographische Anordnung der Gruppe im Gegensatz zum Einzelnen verstärkt und ins Absurde geführt. Mit den Worten „Ich kann machen was ich will.“ wird einerseits ein Ende für die Szene gefunden und andererseits die Möglichkeit verschiedenartiger Interpretationen gegeben. Die Darsteller fallen daraufhin in sich zusammen. Als Abschluss stehen sie auf und gehen über die Bühne, wobei sie für sich die Worte der letzten Szene wiederholen und dadurch die Problemfelder und Widersprüchlichkeit andeuten, in denen sich das Individuum bewegt bzw. gefangen ist, und schließlich in völliger Bewegungslosigkeit erstarren muss, wenn es vor jedem Problem zurückweicht. Das ist das Ende des Stückes. Am 30. April fand die erste Aufführung auf der Admiralsbrücke in Kreuzberg statt. Gegen 18 Uhr hat sich die Gruppe am Bethanien getroffen und ist singend und tanzend in Richtung des Spielortes gestartet. Auf dem Weg wurden Flyer und Postkarten verteilt, Passanten angesprochen und eingeladen, sich die Performance anzusehen. Nach der Festlegung der Markierung war insgesamt ein Publikum von bis zu 70 Menschen anwesend. Der erste Auftritt verlief sehr erfolgreich. Einige bei der Generalprobe gemachte Fehler konnten behoben werden, sodass es insgesamt eine gelungene Premiere wurde, die sogar an einigen Stellen Szenenapplaus erhielt. Der Auftritt am ersten Mai fand am Lausitzer Platz gegen 14.30 Uhr statt. Obwohl die MayDay-Parade wie geplant noch nicht gestartet war, gab es dennoch einen hohen Lärmpegel, sodass es während des Stückes zu einzelnen Problemen bei der Verständlichkeit kam. Gerade die Parkbankszene setzt eine gewisse Aufmerksamkeit und Verständlichkeit beim Publikum voraus. Dennoch sahen sich rund 100 Besucher der Maifeierlichkeiten das Stück an, von denen der Großteil positiv reagierte. Sogar einige Mitarbeiter von regionalen Medien befassten sich mit dem Stück und seiner Botschaft. Diese ersten beiden Auftritte wurden innerhalb der Gruppe sehr positiv gewertet, da die Reaktionen des Publikums ausgesprochen gut waren. So fand das Stück ebenso bei kleinen Kindern wie auch bei älteren Menschen Zustimmung. Es animiert dazu, sich wieder in sozialen Bewegungen zu engagieren – so die Einschätzung eines Zuschauers. Der Wechsel von Sprach- und Tanzszenen ermöglicht ein Verständnis des Stückes auch bei äußerer Lärmeinwirkung. Wir haben das Stück dann an jedem Wochenende im Mai in Berlin und Umgebung aufgeführt.
Am 1. Juni traf sich unsere Gruppe im Camp Reddelich. Die Anreise erfolgte in Fünfergruppen mit dem PKW. Nachdem alle Mitwirkenden den Treffpunkt erreicht und sich mit den Gegebenheiten im Camp vertraut gemacht hatten, wurde eine längere Gruppenbesprechung abgehalten. Neben der Festlegung sicherheitsrelevanter Verhaltensweisen wurde die Gruppe in verschiedene Bezugsgruppen eingeteilt und jeder Bezugsgruppe eine Telefonnummer zugeteilt, sodass die Kommunikation in Notfällen gewährleistet sein würde. Für die gemeinsame Zeit und den Besuch der Veranstaltungen wie beispielsweise der Großdemo am Samstag wurde die Festlegung getroffen, dass sich die Tanzgruppe während der gesamten Zeit möglichst geschlossen bewegen sollte. Außerdem haben wir uns bereit erklärt, uns am Kochen und Aufräumen im Camp zu beteiligen. Da der nächste Tag bereits um 7 Uhr morgens beginnen sollte, wurde die Idee eines ersten Auftritts im Camp verworfen und sich früh zu Bett begeben. Am Samstag, dem 2. Juni, fanden ab 10 Uhr die Großdemonstrationen in Rostock statt. Die Gruppe entschied sich dafür, sich bei der vom Rostocker Hauptbahnhof startenden Demonstration einzubringen, zum einen, da es logistisch leichter zu arrangieren war, und zum anderen, da der von Parteien unabhängigeren Demonstration mehr Bürgernähe unterstellt wurde, was unserer Intention eher entsprach. Hierbei waren zwei Auftritte geplant, einer zu Beginn der Demonstration und einer nach Abschluss der gemeinsamen Kundgebung am Hafen. Nachdem um 8 Uhr geschlossen das Camp verlassen worden war, befand man sich gegen 9 Uhr am Rostocker Hauptbahnhof. Aufgrund der immensen Auslastung des Platzes und dem hohen Lärmpegel musste nun ein Spielort gefunden werden, der den Anforderungen der Gruppe gerecht werden konnte. Gerade der Umstand, dass eine Bühne vorhanden war, wo viel Betrieb herrschte, zwang die Gruppe dazu, sich auf der gegenüberliegenden Seite am Fahrbahnrand einen Spielraum zu schaffen. Der halbstündige Auftritt, der aufgrund der äußeren Umstände sehr schwer verständlich war und auch mehrfach von Menschen, die über die begrenzte Spielfläche traten, gestört wurde, verlief insgesamt nur mäßig erfolgreich. Das Publikum und die Stimmung auf dem Platz waren laut, angespannt und unübersichtlich, so dass wahrscheinlich nur ein Publikum von ca. 50 bis 100 Menschen die Performance durchgehend verfolgen konnte. Ausgehend von diesem ersten Versuch wurde die zwischenzeitliche Idee, die Zeit bis zu Demonstrationsbeginn noch mit einem weiteren Auftritt an anderer Stelle zu überbrücken, verworfen. Stattdessen wollten wir die Demonstration begleiten, und um tänzerische Elemente einbringen zu können, entschieden wir uns, neben einer Sambagruppe zu laufen. Der Verlauf der Demo zeigte, dass das Zusammenhalten von 20 Menschen auf einer Demonstration dieser Größenordnung nicht leicht ist. Nichtsdestotrotz gab es immer wieder Versuche, kleinere Elemente der Performance neben der Demo zu präsentieren oder mit einer Gruppe von Clowns zusammen zu improvisieren. Diese kleineren Aktionen fügten sich ein in die vielfältigen künstlerischen Aktivitäten, die auf der Demo zu sehen waren. Im Verlauf der folgenden Stunden geriet unsere Gruppe dann eher an das Ende der Demonstration, so dass wir bei unserer Ankunft im Hafengebiet aus der Entfernung den Beginn der Krawalle verfolgen konnten. In einer kurzen Besprechung verständigten wir uns darüber, die Gruppe zu teilen in Menschen, die aufgrund gewisser berechtigter Ängste den Demonstrationsort verlassen wollten, und jene, welche versuchen wollten, Deeskalation zu betreiben. Diesen Maßnahmen war zwar leider kein Erfolg beschieden, dennoch kann positiv festgehalten werden, dass es innerhalb der Gruppe keine verletzten Mitglieder zu beklagen gab. Der zur Abschlusskundgebung geplante zweite Auftritt entfiel aufgrund der Eskalation auf der Demo. Am Abend haben wir den Tag und das Verhalten der Gruppe ausgewertet.
Am Sonntag, dem Tag der Landwirtschaft, waren erneut zwei Auftritte geplant. Einige Gruppenmitglieder begaben sich bereits am Morgen zur Auftaktkundgebung in einen Rostocker Vorort und begleiteten von dort den Demonstrationszug in Richtung Innenstadt. Ein anderer Teil der Gruppe verbrachte den Vormittag im Camp und machte sich dort nützlich. Gegen 18 Uhr traf sich dann die gesamte Gruppe in Groß Lüsewitz, wo eine Kundgebung und ein Straßenfest die Gentechnologie im Bezug auf die Landwirtschaft thematisierte, da sich in diesem Ort eine der größten Gentechnikanlagen Deutschlands befindet. Der Auftritt erfolgte vor einem sehr großem Publikum von ca. 200 Zuschauern. Die Stimmung war ausgelassen und die Aufmerksamkeit richtete sich vollständig auf den Gruppenauftritt. Die Reaktion des Publikums begeisterte die Gruppe, und der Auftritt wurde als großer Erfolg angesehen. Unsere Performance passte gut zu Thema, Auftrittsort und Termin. Im Anschluss fuhren die „Tomates Bravos“ geschlossen zurück nach Rostock in Richtung Hafen, wo der zweite Auftritt des Tages geplant war. Die Kuratorin Adriane Goehler hatte die Gruppe eingeladen, auf der Ausstellung „Art goes Heiligendamm“ zu spielen. Auf dem Gelände der Ausstellung zeigten wir gegen 22 Uhr unser Stück. Das Publikum war kleiner und es war das erste Mal, dass in einer Bühnensituation, d.h. frontal zum Publikum, gespielt wurde. Die Reaktionen des zumeist aus Künstlern und Kunstinteressierten bestehenden Auditoriums waren sehr positiv. Am Abend gab es weitere Auswertungen, und die ersten Gruppenmitglieder waren aufgrund ihrer Arbeitsverhältnisse gezwungen, die Heimreise anzutreten.
Am folgenden Tag waren Teilnahme an und Auftritt bei der Demonstration zur Erinnerung an die Attacken im August 1992 gegen das Asylbewohner- und Ausländerwohnheim in Rostock-Lichtenhagen geplant. Aufgrund von Straßensperren und Polizeikontrollen trafen jedoch nicht alle Gruppenmitglieder rechtzeitig ein, zudem machten die starke Polizeipräsenz und das Vorgehen einiger Polizisten gegenüber Demonstrierenden einen ruhigen Auftritt zweifelhaft. Die Gruppe entschied sich kurzfristig dafür, an diesem Tag einen Auftritt auf einem öffentlichen Platz in einer belebten Einkaufspassage zu versuchen. Da sich der Großteil der Gruppe an diesem Abend auf den Weg machen musste, war dieser Auftritt vor ungefähr 40 Passanten auf dem Universitätsplatz in Rostock der letzte der „Tomates Bravos“ während des G8-Gipfels. Einige Mitglieder hielten sich noch den Rest der Woche in der Nähe von Rostock und bei Reddelich auf, beteiligten sich an verschiedenen Aktionen und unterstützen diese musikalisch und tänzerisch, zum gemeinsamen Auftritt der gesamten Gruppe kam es jedoch erst wieder beim Festival „Berlin lacht“ am 10. Juni.
„Tomates Bravos“ sind das gelungene Experiment, nicht nur Tanz und Theater miteinander zu verbinden, sondern damit auch politische Inhalte zu verknüpfen und auf die Straße zu bringen. Vor, während und nach dem G8-Gipfel gelang es, ein eigenes Stück zu erarbeiten und in diesem eine politische Sichtweise zu vermitteln. Ob diese von allen Zuschauern verstanden wurde und inwieweit sich dadurch Nachdenken und praktische Veränderungen entwickelt haben, ließ sich schwer ermitteln, zu unterschiedlich waren die Reaktionen und Aussagen der Zuschauer. Es lässt sich jedoch festhalten, dass die Gruppe selbst mit dem Ergebnis und dem Geleisteten zufrieden ist. Ausgehend davon, dass von den ca. 1.500 Menschen, die bisher insgesamt das Stück gesehen haben, viele gemäß ihren Reaktionen oder eigenen Aussagen durch das Stück zum Nachdenken angeregt wurde, kann man wohl von einem Erfolg sprechen. Im Zeitraum des Gipfels hat sich zwar gezeigt, dass ein Straßentheaterprojekt in kritischen Situationen und in großen Menschenmengen nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommt wie eine Bühnenaufführung, jedoch wurde auch deutlich, dass diese Art, Kunst und Politik miteinander zu verbinden, die Stimmung aller hebt. Um damit wirklich deeskalierend zu wirken, hätte die Gruppe noch mehr Erfahrung haben müssen, wie in bestimmten Situationen sinnvoll zu reagieren und künstlerisch zu improvisieren ist. Die positiven Reaktionen des Publikums in Groß Lüsewitz zeigen, dass durchaus ein kritisches Bewusstsein bei vielen vorhanden ist, und die Verbindung von Kunst und Politik sehr gut ankommt. In jedem Fall wurde der kritische Protest gegen den G8-Gipfel durch die Beteiligung der „Tomates Bravos“ gefördert. Wenn es in den Medien auch mehrheitlich eine negative Darstellung der Proteste gab, konnte zumindest der Bevölkerung vor Ort gezeigt werden, dass eine kreative und gewaltfreie Protestkultur möglich ist.
Insgesamt hat es sich gezeigt, dass es schwierig ist, in einer so großen Gruppe von 20 Leuten die notwendige Zeit aufzubringen. Neben Beruf, Studium und anderem noch weiter an dem Stück zu feilen, die Wirksamkeit und den künstlerischen Ausdruck zu vergrößern und die notwendigen Erfahrungen zu sammeln, um bei zukünftigen Aktionen noch besser ins Improvisieren und damit noch weiter ins künstlerische Agieren zu kommen, erwies sich als äußerst schwierig. Wenn man an Großdemonstrationen mit dieser Absicht teilnehmen will, muss man an diesen Punkten stärker arbeiten. Um aber die politisch weniger informierte Majorität zum kritischen Hinterfragen der eigenen Lebensumwelt zu bringen, war der Weg eines kurzen Straßentanztheaterstücks zu einem wesentlichen Thema durchaus richtig und dem Anlass angemessen. Die große Anzahl der Gruppenmitglieder hatte Vor- und Nachteile. Von Vorteil war, dass fehlende Mitglieder ersetzt werden konnten, nachteilig wirkte sich die Gruppengröße insofern aus, als dass die Koordination nicht einfach war und der Spielablauf jeweils modifiziert werden musste. Um eine leichtere Verständlichkeit zu erreichen und die Wirkung weiter zu erhöhen, könnte das Stück als Ganzes wie auch einzelne Elemente noch optimiert werden. Insgesamt aber sprechen unsere Erfahrungen davon, dass das Straßentanztheater beträchtliche Potenzen politischer Bildung hat. Gerade die Kombination von Tanz und Theater funktioniert: In den Momenten, in denen die Worte nicht durchdringen, kommen die tänzerische Bilder und Botschaften dennoch gut an.
von viel Entbehrung und Mühsal schwer,
viel mehr noch lastet das Mitgefühl
von Globalupholders milliardenschwer’. ‚Dreht euch nach uns, dreht euch nach uns herum,
wir wollen frei sein, packt euern Scheiß ein,
dreht euch nach uns, dreht euch nach uns herum,
finally we turn life on‘. Während die erste Strophe eher tief gesungen wird, ist die zweite Strophe in ihrer Betonung stärker und fordernder. Nach dreimaliger Wiederholung folgt das erste choreographische Element, das sich aus Bewegungsfolgen zum Thema Widerstand zusammensetzt. Dabei wurden die erarbeiteten Sequenzen in drei verschiedenen Untergruppen geteilt, welche zeitlich gestaffelt gezeigt werden. Die Tomatenrequisiten werden nach Ablauf der Darstellung von den Akteuren angepriesen – durch auf Tomaten bezogene Variationen von bekannten Werbeslogans. Während alle Darsteller nach dreimaliger Expression ihrer Werbung den Rand aufsuchen, bleibt ein Mensch im Kreis. Durch Beschleunigung und Veränderung seiner Bewegungsabläufe wird zur nächsten Szene übergeleitet: die Geldmaschine. In dieser Szene bauen sich zwei Kreisläufe nebeneinander auf. Im ersten Kreislauf tauschen die Glieder des Systems Waren fair miteinander aus, dieser Kreislauf symbolisiert ein auf Kommunikation und Zusammenarbeit basierendes Wirtschaften und Leben. Im zweiten Kreislauf wird eine durch Anhäufung und Expansion geprägte Form des Arbeitens dargestellt. Dieser Produktionskreislauf greift in seinem Expansionsbestreben in den ersten Kreislauf ein und entfernt die Waren, sodass die erste Form des Wirtschaftens nicht fortbestehen kann. Im nachfolgenden werden verschiedene Formen des Umgangs mit dieser Entfremdung im ersten Kreislauf gezeigt. Eine mögliche Reaktion ist die Hinwendung hin zum kapitalistischen System. Das Bild wird aufgelöst dadurch, dass alle sich dem Streben nach Mehr zuwenden, was in der Konsequenz zum Zusammenbruch führt. Darauf folgt eine Szene, die auf einer Parkbank in Heiligendamm stattfinden könnte. Dargestellt werden Wirkungen und Ansichten zum G8-Gipfel in Form kleiner Dialoge. Verschieden typisierte Menschen führen Dialoge über das Treffen als Rahmenhandlung, es kommen dabei Mitarbeiter des Treffens sowie in Heiligendamm lebende Menschen und auch Demonstranten zu Wort. Durch Darstellung von Bäumen und Sträuchern durch die anderen Akteure wird eine parkähnliche Atmosphäre geschaffen. Im Anschluss an diese Szene werden die Widerstandsequenzen in anderen Form choreographiert wiederholt. Diese werden abgelöst von einer Beschuldigungsszene, in der Anschuldigungen zu unterschiedlichen globalisierungskritischen Themen aus einer Gruppe von Menschen heraus gegen einen Einzelnen aufgegriffen werden und die Ohnmacht des Einzelnen überspitzt demonstriert. Die Beschuldigungen werden durch die choreographische Anordnung der Gruppe im Gegensatz zum Einzelnen verstärkt und ins Absurde geführt. Mit den Worten „Ich kann machen was ich will.“ wird einerseits ein Ende für die Szene gefunden und andererseits die Möglichkeit verschiedenartiger Interpretationen gegeben. Die Darsteller fallen daraufhin in sich zusammen. Als Abschluss stehen sie auf und gehen über die Bühne, wobei sie für sich die Worte der letzten Szene wiederholen und dadurch die Problemfelder und Widersprüchlichkeit andeuten, in denen sich das Individuum bewegt bzw. gefangen ist, und schließlich in völliger Bewegungslosigkeit erstarren muss, wenn es vor jedem Problem zurückweicht. Das ist das Ende des Stückes. Am 30. April fand die erste Aufführung auf der Admiralsbrücke in Kreuzberg statt. Gegen 18 Uhr hat sich die Gruppe am Bethanien getroffen und ist singend und tanzend in Richtung des Spielortes gestartet. Auf dem Weg wurden Flyer und Postkarten verteilt, Passanten angesprochen und eingeladen, sich die Performance anzusehen. Nach der Festlegung der Markierung war insgesamt ein Publikum von bis zu 70 Menschen anwesend. Der erste Auftritt verlief sehr erfolgreich. Einige bei der Generalprobe gemachte Fehler konnten behoben werden, sodass es insgesamt eine gelungene Premiere wurde, die sogar an einigen Stellen Szenenapplaus erhielt. Der Auftritt am ersten Mai fand am Lausitzer Platz gegen 14.30 Uhr statt. Obwohl die MayDay-Parade wie geplant noch nicht gestartet war, gab es dennoch einen hohen Lärmpegel, sodass es während des Stückes zu einzelnen Problemen bei der Verständlichkeit kam. Gerade die Parkbankszene setzt eine gewisse Aufmerksamkeit und Verständlichkeit beim Publikum voraus. Dennoch sahen sich rund 100 Besucher der Maifeierlichkeiten das Stück an, von denen der Großteil positiv reagierte. Sogar einige Mitarbeiter von regionalen Medien befassten sich mit dem Stück und seiner Botschaft. Diese ersten beiden Auftritte wurden innerhalb der Gruppe sehr positiv gewertet, da die Reaktionen des Publikums ausgesprochen gut waren. So fand das Stück ebenso bei kleinen Kindern wie auch bei älteren Menschen Zustimmung. Es animiert dazu, sich wieder in sozialen Bewegungen zu engagieren – so die Einschätzung eines Zuschauers. Der Wechsel von Sprach- und Tanzszenen ermöglicht ein Verständnis des Stückes auch bei äußerer Lärmeinwirkung. Wir haben das Stück dann an jedem Wochenende im Mai in Berlin und Umgebung aufgeführt.
Am 1. Juni traf sich unsere Gruppe im Camp Reddelich. Die Anreise erfolgte in Fünfergruppen mit dem PKW. Nachdem alle Mitwirkenden den Treffpunkt erreicht und sich mit den Gegebenheiten im Camp vertraut gemacht hatten, wurde eine längere Gruppenbesprechung abgehalten. Neben der Festlegung sicherheitsrelevanter Verhaltensweisen wurde die Gruppe in verschiedene Bezugsgruppen eingeteilt und jeder Bezugsgruppe eine Telefonnummer zugeteilt, sodass die Kommunikation in Notfällen gewährleistet sein würde. Für die gemeinsame Zeit und den Besuch der Veranstaltungen wie beispielsweise der Großdemo am Samstag wurde die Festlegung getroffen, dass sich die Tanzgruppe während der gesamten Zeit möglichst geschlossen bewegen sollte. Außerdem haben wir uns bereit erklärt, uns am Kochen und Aufräumen im Camp zu beteiligen. Da der nächste Tag bereits um 7 Uhr morgens beginnen sollte, wurde die Idee eines ersten Auftritts im Camp verworfen und sich früh zu Bett begeben. Am Samstag, dem 2. Juni, fanden ab 10 Uhr die Großdemonstrationen in Rostock statt. Die Gruppe entschied sich dafür, sich bei der vom Rostocker Hauptbahnhof startenden Demonstration einzubringen, zum einen, da es logistisch leichter zu arrangieren war, und zum anderen, da der von Parteien unabhängigeren Demonstration mehr Bürgernähe unterstellt wurde, was unserer Intention eher entsprach. Hierbei waren zwei Auftritte geplant, einer zu Beginn der Demonstration und einer nach Abschluss der gemeinsamen Kundgebung am Hafen. Nachdem um 8 Uhr geschlossen das Camp verlassen worden war, befand man sich gegen 9 Uhr am Rostocker Hauptbahnhof. Aufgrund der immensen Auslastung des Platzes und dem hohen Lärmpegel musste nun ein Spielort gefunden werden, der den Anforderungen der Gruppe gerecht werden konnte. Gerade der Umstand, dass eine Bühne vorhanden war, wo viel Betrieb herrschte, zwang die Gruppe dazu, sich auf der gegenüberliegenden Seite am Fahrbahnrand einen Spielraum zu schaffen. Der halbstündige Auftritt, der aufgrund der äußeren Umstände sehr schwer verständlich war und auch mehrfach von Menschen, die über die begrenzte Spielfläche traten, gestört wurde, verlief insgesamt nur mäßig erfolgreich. Das Publikum und die Stimmung auf dem Platz waren laut, angespannt und unübersichtlich, so dass wahrscheinlich nur ein Publikum von ca. 50 bis 100 Menschen die Performance durchgehend verfolgen konnte. Ausgehend von diesem ersten Versuch wurde die zwischenzeitliche Idee, die Zeit bis zu Demonstrationsbeginn noch mit einem weiteren Auftritt an anderer Stelle zu überbrücken, verworfen. Stattdessen wollten wir die Demonstration begleiten, und um tänzerische Elemente einbringen zu können, entschieden wir uns, neben einer Sambagruppe zu laufen. Der Verlauf der Demo zeigte, dass das Zusammenhalten von 20 Menschen auf einer Demonstration dieser Größenordnung nicht leicht ist. Nichtsdestotrotz gab es immer wieder Versuche, kleinere Elemente der Performance neben der Demo zu präsentieren oder mit einer Gruppe von Clowns zusammen zu improvisieren. Diese kleineren Aktionen fügten sich ein in die vielfältigen künstlerischen Aktivitäten, die auf der Demo zu sehen waren. Im Verlauf der folgenden Stunden geriet unsere Gruppe dann eher an das Ende der Demonstration, so dass wir bei unserer Ankunft im Hafengebiet aus der Entfernung den Beginn der Krawalle verfolgen konnten. In einer kurzen Besprechung verständigten wir uns darüber, die Gruppe zu teilen in Menschen, die aufgrund gewisser berechtigter Ängste den Demonstrationsort verlassen wollten, und jene, welche versuchen wollten, Deeskalation zu betreiben. Diesen Maßnahmen war zwar leider kein Erfolg beschieden, dennoch kann positiv festgehalten werden, dass es innerhalb der Gruppe keine verletzten Mitglieder zu beklagen gab. Der zur Abschlusskundgebung geplante zweite Auftritt entfiel aufgrund der Eskalation auf der Demo. Am Abend haben wir den Tag und das Verhalten der Gruppe ausgewertet.
Am Sonntag, dem Tag der Landwirtschaft, waren erneut zwei Auftritte geplant. Einige Gruppenmitglieder begaben sich bereits am Morgen zur Auftaktkundgebung in einen Rostocker Vorort und begleiteten von dort den Demonstrationszug in Richtung Innenstadt. Ein anderer Teil der Gruppe verbrachte den Vormittag im Camp und machte sich dort nützlich. Gegen 18 Uhr traf sich dann die gesamte Gruppe in Groß Lüsewitz, wo eine Kundgebung und ein Straßenfest die Gentechnologie im Bezug auf die Landwirtschaft thematisierte, da sich in diesem Ort eine der größten Gentechnikanlagen Deutschlands befindet. Der Auftritt erfolgte vor einem sehr großem Publikum von ca. 200 Zuschauern. Die Stimmung war ausgelassen und die Aufmerksamkeit richtete sich vollständig auf den Gruppenauftritt. Die Reaktion des Publikums begeisterte die Gruppe, und der Auftritt wurde als großer Erfolg angesehen. Unsere Performance passte gut zu Thema, Auftrittsort und Termin. Im Anschluss fuhren die „Tomates Bravos“ geschlossen zurück nach Rostock in Richtung Hafen, wo der zweite Auftritt des Tages geplant war. Die Kuratorin Adriane Goehler hatte die Gruppe eingeladen, auf der Ausstellung „Art goes Heiligendamm“ zu spielen. Auf dem Gelände der Ausstellung zeigten wir gegen 22 Uhr unser Stück. Das Publikum war kleiner und es war das erste Mal, dass in einer Bühnensituation, d.h. frontal zum Publikum, gespielt wurde. Die Reaktionen des zumeist aus Künstlern und Kunstinteressierten bestehenden Auditoriums waren sehr positiv. Am Abend gab es weitere Auswertungen, und die ersten Gruppenmitglieder waren aufgrund ihrer Arbeitsverhältnisse gezwungen, die Heimreise anzutreten.
Am folgenden Tag waren Teilnahme an und Auftritt bei der Demonstration zur Erinnerung an die Attacken im August 1992 gegen das Asylbewohner- und Ausländerwohnheim in Rostock-Lichtenhagen geplant. Aufgrund von Straßensperren und Polizeikontrollen trafen jedoch nicht alle Gruppenmitglieder rechtzeitig ein, zudem machten die starke Polizeipräsenz und das Vorgehen einiger Polizisten gegenüber Demonstrierenden einen ruhigen Auftritt zweifelhaft. Die Gruppe entschied sich kurzfristig dafür, an diesem Tag einen Auftritt auf einem öffentlichen Platz in einer belebten Einkaufspassage zu versuchen. Da sich der Großteil der Gruppe an diesem Abend auf den Weg machen musste, war dieser Auftritt vor ungefähr 40 Passanten auf dem Universitätsplatz in Rostock der letzte der „Tomates Bravos“ während des G8-Gipfels. Einige Mitglieder hielten sich noch den Rest der Woche in der Nähe von Rostock und bei Reddelich auf, beteiligten sich an verschiedenen Aktionen und unterstützen diese musikalisch und tänzerisch, zum gemeinsamen Auftritt der gesamten Gruppe kam es jedoch erst wieder beim Festival „Berlin lacht“ am 10. Juni.
„Tomates Bravos“ sind das gelungene Experiment, nicht nur Tanz und Theater miteinander zu verbinden, sondern damit auch politische Inhalte zu verknüpfen und auf die Straße zu bringen. Vor, während und nach dem G8-Gipfel gelang es, ein eigenes Stück zu erarbeiten und in diesem eine politische Sichtweise zu vermitteln. Ob diese von allen Zuschauern verstanden wurde und inwieweit sich dadurch Nachdenken und praktische Veränderungen entwickelt haben, ließ sich schwer ermitteln, zu unterschiedlich waren die Reaktionen und Aussagen der Zuschauer. Es lässt sich jedoch festhalten, dass die Gruppe selbst mit dem Ergebnis und dem Geleisteten zufrieden ist. Ausgehend davon, dass von den ca. 1.500 Menschen, die bisher insgesamt das Stück gesehen haben, viele gemäß ihren Reaktionen oder eigenen Aussagen durch das Stück zum Nachdenken angeregt wurde, kann man wohl von einem Erfolg sprechen. Im Zeitraum des Gipfels hat sich zwar gezeigt, dass ein Straßentheaterprojekt in kritischen Situationen und in großen Menschenmengen nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommt wie eine Bühnenaufführung, jedoch wurde auch deutlich, dass diese Art, Kunst und Politik miteinander zu verbinden, die Stimmung aller hebt. Um damit wirklich deeskalierend zu wirken, hätte die Gruppe noch mehr Erfahrung haben müssen, wie in bestimmten Situationen sinnvoll zu reagieren und künstlerisch zu improvisieren ist. Die positiven Reaktionen des Publikums in Groß Lüsewitz zeigen, dass durchaus ein kritisches Bewusstsein bei vielen vorhanden ist, und die Verbindung von Kunst und Politik sehr gut ankommt. In jedem Fall wurde der kritische Protest gegen den G8-Gipfel durch die Beteiligung der „Tomates Bravos“ gefördert. Wenn es in den Medien auch mehrheitlich eine negative Darstellung der Proteste gab, konnte zumindest der Bevölkerung vor Ort gezeigt werden, dass eine kreative und gewaltfreie Protestkultur möglich ist.
Insgesamt hat es sich gezeigt, dass es schwierig ist, in einer so großen Gruppe von 20 Leuten die notwendige Zeit aufzubringen. Neben Beruf, Studium und anderem noch weiter an dem Stück zu feilen, die Wirksamkeit und den künstlerischen Ausdruck zu vergrößern und die notwendigen Erfahrungen zu sammeln, um bei zukünftigen Aktionen noch besser ins Improvisieren und damit noch weiter ins künstlerische Agieren zu kommen, erwies sich als äußerst schwierig. Wenn man an Großdemonstrationen mit dieser Absicht teilnehmen will, muss man an diesen Punkten stärker arbeiten. Um aber die politisch weniger informierte Majorität zum kritischen Hinterfragen der eigenen Lebensumwelt zu bringen, war der Weg eines kurzen Straßentanztheaterstücks zu einem wesentlichen Thema durchaus richtig und dem Anlass angemessen. Die große Anzahl der Gruppenmitglieder hatte Vor- und Nachteile. Von Vorteil war, dass fehlende Mitglieder ersetzt werden konnten, nachteilig wirkte sich die Gruppengröße insofern aus, als dass die Koordination nicht einfach war und der Spielablauf jeweils modifiziert werden musste. Um eine leichtere Verständlichkeit zu erreichen und die Wirkung weiter zu erhöhen, könnte das Stück als Ganzes wie auch einzelne Elemente noch optimiert werden. Insgesamt aber sprechen unsere Erfahrungen davon, dass das Straßentanztheater beträchtliche Potenzen politischer Bildung hat. Gerade die Kombination von Tanz und Theater funktioniert: In den Momenten, in denen die Worte nicht durchdringen, kommen die tänzerische Bilder und Botschaften dennoch gut an.