Das Weltsozialforum

Der Historiker und kenntnisreiche Analytiker des Weltwirtschaftssystems, Immanuel Wallerstein, betonte bereits 2003, dass es in der Welt einen Bruch gebe zwischen „Davos“ und „Porto Alegre“. Sowohl in dem „Geist von Davos“ als auch in dem von „Porto Alegre“ stecken Transformationsbewegungen, die auf Veränderungen in der Welt, auf die „strukturelle Krise des Weltsystems“ Antworten suchen, allerdings grundsätzlich verschiedene, entgegengesetzte. Es sind die beiden Pole, zwischen denen die politischen und moralischen Grundentscheidungen über die Zukunft getroffen werden: ist der Mensch, sind seine Bedürfnisse und Interessen das Maß aller Dinge, oder aber ist dies eine entgrenzte Profitwirtschaft. Der Bruch zwischen dem Geist von Davos und dem von Porto Alegre lässt sich geographisch nicht lokalisieren. Er ist der grundlegende Bruch, an dessen Linien um die Zukunft der Menschheit gerungen wird. Mumbai war 2004 eine großartige Fortsetzung der aus Porto Alegre kommenden Bewegung. Jetzt, im Januar 2005, sind wir wieder in Porto Alegre. Sozialforum heißt seit Anbeginn, einen breiten gesellschaftlichen Ratschlag zu führen: zwischen Arbeitern und Arbeitslosen, Wissenschaftlern und Bauern, Schwulen, Lesben und Vertretern von Jugendbewegungen, Gläubigen und Atheisten. Die Globalisierung schreitet voran: die des alternativen Denkens. In Europa haben bisher drei Sozialforen stattgefunden: in Florenz (2002), in Paris (2003) und in London (2004). Jetzt wird eine breite Debatte über die Zukunft dieser Bewegung geführt, das bisher Erreichte und die künftigen Herausforderungen. Die Ideologie des Neoliberalismus hat weltweit an Kraft verloren. Viele, die noch vor wenigen Jahren zweifelten, ob es denn überhaupt Sinn habe, sich gegen seine Zumutungen aufzulehnen, schöpfen heute neue Kraft aus dem Ruf: „Eine andere Welt ist möglich!“ Zugleich sind Illusionen von einem raschen Wandel verflogen. Die sozialen Bewegungen diskutieren jetzt, Instrumente für eine lange Periode der Auseinandersetzung zu entwickeln. Das heißt auch, die Einheit zu wahren, ohne die Vielfalt in Frage zu stellen, und eine neue Agenda auszubilden, neue Praktiken der Organisation an der Basis und Strategien, Projekte sowie eine Kultur der Globalisierung „von unten“ zu entwickeln. Kapitalismuskritiker aller Länder, vereinigt Euch! – Im Geiste von Porto Alegre in Porto Alegre.