Der erste Arbeitstag
Um 8.30 Uhr beginnen die Veranstaltungen. Schwankend zwischen preußischem Pflichtbewusstsein und bisherigen Erfahrungen bin ich kurz nach 9:00 Uhr am Ort. Natürlich beginnt noch nichts. Als dann tatsächlich etwas beginnt, geht es nicht wie für dieses Zelt angekündigt um partizipative Bildung und Bürgerhaushalte, sondern um Probleme in Arabien. Eine tolle Gelegenheit, sich eine andere spannende Debatte anzuhören, die von unserer eigenen Stiftung organisiert wurde. Es geht um die eigentliche Frage dieses Forums, nämlich nicht nur Nein zu sagen, sondern Ja. Eine andere Welt ist möglich, aber wie? Ein bekanntes konkretes Projekt ist das Forum selbst. Christen neben Kommunisten, Palästinenser neben Juden, Blumenkinder neben Akademikern, Junge neben Älteren – nein, nicht nebeneinander, miteinander! Ein anderes Projekt ist der Bürgerhaushalt. Ein weiteres könnte ein Grundeinkommen für alle sein, unabhängig von der Arbeit. Eine Idee, heute so phantastisch wie der Achtstundentag und das Verbot von Kinderarbeit vor einhundert Jahren. Eine andere einfache Idee, die schwer umzusetzen sein wird, lerne ich in einem anderen Zelt kennen, die solidarische Ökonomie. Die Brasilianer versuchen die vielen kleinen Selbständigen zusammenzubringen, die alle mehr oder weniger an der Existenzgrundlage herumwerkeln. Aus Ich-AG’s werden Genossenschaften. Das macht die Arbeit effektiver und schafft für alle mehr soziale Sicherungen.
Das nächste Seminar, das ich mir vorgenommen hatte, findet statt – in Portugiesisch. Die Mittel haben leider nicht für alle Übersetzungen gereicht. So müssen sich die Argentinier und Brasilianer eben ohne die Weltöffentlichkeit über ihre Erfahrungen mit der partizipativen Demokratie austauschen. Ich wechsle in ein auch ohne mich überfülltes Zelt. Die Debatte geht um eine alte Frage der Linken: Können wir die Welt verändern ohne Macht zu ergreifen? Die Positionen sind nicht so neu, aber es findet eine echte Debatte mit unterschiedlichen Positionen und neuen, klugen Argumenten statt, während sonst sich das Forum oft genug auch nur selbst bestätigt. Das macht Spaß, trotz der unbarmherzigen Sonne. Eine wunderbare Erfrischung bietet der Saft grüner, frisch aufgeschlagener Kokosnüsse. Wenn man es schafft, sich eine zu bestellen. Die angebliche Weltsprache Englisch nutzt einem hier wenig. Zeigen und unverständlich Murmeln bringt einen da schon eher ans Ziel.
Das dritte Seminar wird für mich ein voller Erfolg. Es geht um Bürgerhaushalte im Norden. Das Zelt ist voll. Die Teilnehmer kommen aus Brasilien, Kanada, Italien, Norwegen, Thailand, Spanien, Argentinien, Frankreich, Chile und Deutschland. Vertreten sind Bürgerbewegungen ebenso wie Wissenschaftler und Stadtverwaltungen. Ich erfahre aus erster Hand über den neuesten Stand in Sevilla, über neue Projekte in Toronto und über die Bemühungen in Oslo. Ich erwische mich aber auch bei einiger eurozentristischer Arroganz, finde ich es doch gewöhnungsbedürftig, dass ein Wissenschaftler aus dem Süden studiert, wie sich bei uns im Norden diese Idee entwickelt. Ein deutliches Zeichen dafür, dass wir diesmal die unterentwickelte Region sind. Am Ende des Seminars ergeben sich viele neue Kontakte. Am interessantesten ist sicher der zu einem Wissenschaftler aus Florenz, der einen guten Überblick über die Entwicklung in ganz Europa und die Unterschiede zu dem Modell von Porto Alegre gab. Aber auch Verbindungen zu attac Norwegen oder nach Bangalore in Indien können spannend werden.
Den Sonnenuntergang und die schnell einsetzende kühle Erlösung erleben wir auf dem Wasser und vor dem Hintergrund der beeindruckenden Skyline von Porto Alegre. Unsere Gruppe fährt mit unseren Partnern zu einer Gaststätte auf einer vorgelagerten Insel. Bei einigen Caipirinhas diskutieren wir mit Orlando Junior aus Rio die brasilianische Innenpolitik und insbesondere die Politik Lulas, des einstmals linken brasilianischen Präsidenten.