Der Tanz der Sprache
Sprache verbindet. Mich schließt sie diesmal aus, da zwei interessante Seminare für mich verloren sind, weil sie wieder nur auf Portugiesisch stattfinden. Das ist ärgerlich, zumal es um sehr interessante Fragen geht. Wie organisiert man den Bürgerhaushalt in verschiedenen Orten der Welt praktisch? Und wie geht es mit dem Bürgerhaushalt in Porto Alegre selbst weiter, nachdem die Regierung der PT – der Partei der Arbeiter, die dieses Modell erfunden hatte - abgewählt wurde? Mich trifft dieses Sprachproblem besonders häufig, denn die Sprache der Partizipation ist Portugiesisch. Vielleicht ein Ausdruck dafür, dass der Norden in dieser Frage weit zurückgeblieben ist. Deutschland lässt sich höchstens und mit viel Augenzudrücken als Schwellenland der Partizipation bezeichnen. Und die entwickelte Partizipationsnation Brasilien verhält sich uns gegenüber, wie es gegenüber Zurückgebliebenen häufig geht: Wer mitreden will, soll es gefälligst in der Sprache der Überlegenen tun. Manchmal fragen sie noch höflich an, ob jemand nicht Portugiesisch kann – auf Portugiesisch. Also Portugiesisch lernen?
Umso überraschter erlebe ich, wie ein junger Amerikaner eine der zwei auf dem Forum anwesenden Kambodschanerinnen dolmetscht. Die kleine Frau berichtet in leisen Worten, wie die Lebensgrundlage ihrer Gemeinschaft zerstört wird. Sie hatten ungenutztes Land besetzt, um das zum Leben Nötigste anzubauen. Jetzt soll dort ein internationaler Flughafen entstehen und plötzlich ist ihr Land wertvoll und unerreichbar für die Armen. Was interessiert noch, wovon sie leben? Die Folge sind erste Selbstmorde. Auf demselben „Weltforum der Würde“ spricht Joãn Pedro Stedile, der unauffällig charismatische Führer der brasilianischen Bewegung der Landlosen MST. In das überfüllte Zelt passen plötzlich noch mehr Menschen. Stedile spricht klar, unaufgeregt und offenbar voller Humor. Redner und Zuhörer verschmelzen in einer Weise, die auch mich bewegt, obwohl ich kaum ein Wort verstehe. Ich lasse die reine Melodie seiner Sprache auf mich wirken und applaudiere am Ende stehend wie alle anderen. Stedile hat mir das Gefühl vermittelt dazuzugehören, ohne sich selbst, wie es sonst so häufig vorkommt, zu erheben. Ich fühle unsere Lust, unsere Lebensfreude, unseren Humor und das gute Gefühl, für die richtige Sache gemeinsam mit anderen zu streiten.
Ein ebensolches Vergnügen ist es, Hillary Wainright zuzuhören. Die lebhafte Engländerin nennt Vorteile der Partizipation für die Demokratie. Dadurch, dass die Menschen ständig einbezogen werden und nicht nur bei Wahlen oder Volksabstimmungen, bekommt ihre Stimme wieder Gewicht. Sie werden unabhängiger von den Verwaltungen. Durch die Partizipation wird das praktische Wissen der einfachen Menschen wieder für politische Entscheidungen nutzbar. Mag der Schuster auch am besten wissen, wie man einen Schuh repariert, der Schuhbesitzer weiß am besten, wo er drückt. Schließlich gibt die partizipative Demokratie linken Regierungen die Kraft, dem Druck der großen Konzerne und der vorgefundenen Verhältnisse zu widerstehen. Wie nötig das ist, kann man in Brasilien an dem Präsidenten Lula oder an der PDS in Berlin studieren.
Eine Veranstaltung wie das Weltsozialforum lebt von den Dolmetschern. Diese leisten unglaubliches. Nicht nur, dass sie ohne Geld arbeiten, sie tun dies bei großer Hitze, die in ihren kleinen Kabinen noch unerträglicher sein muss. Der Unterschied zu den Temperaturen zu Hause nähert sich 50 Grad. Selbst die Wasserverkäufer sind leiser geworden, aber sie brauchen ihre Produkte auch nicht mehr anzupreisen, wir strömen ihnen nur so zu. Gleichzeitig gibt es Menschen, die tanzen, trommeln und singen. Es gibt sie an unzähligen Stellen auf der kilometerlangen Strecke des Treffens. Das Forum ist nicht nur Kongress, sondern ebenso Kulturfestival. Verlorene Seminare geben mir die Chance, die mal sanfte, mal beklemmende, immer eindringliche Sprache der Kultur auf mich wirken zu lassen.