Eine Stimme Lateinamerikas

Mein lieber Freund, ich schreibe Dir, bevor der Verstand die getragene Stimmung, die Emotionen wieder einholt, mit denen ich das völlig überfüllte Zelt verlassen habe. Über 2000 Menschen drängten sich,  die Stimmen Lateinamerikas gegen die Privatisierung des Wassers zu hören. Ein jeder auf diesem Podium und vor allem auch die Organisatoren der Casa Bert Brecht und der rls verdienen nicht nur meinen Respekt.  Es war einfach unglaublich: Wissen und Leidenschaft, die Kenntnis der Sache verbunden mit der Kenntnis des Lebens und der Geschichten ihrer Länder. Und einer, der letzte von ihnen - Eduardo Galeano - fasste das vor ihm Gesprochene, Erfahrene und Gefühlte all jener, die neben ihm auf dem Podium und vor ihm saßen wie in einem Poem zusammen. Ein großes Poem, eine Saga, die irgendwann begann und weit über das Forum hinaus reichen wird. Es geht nicht nur um den Kampf für das Wasser als Lebens- als Grundrecht. Der Kampf um das Wasser ist  hier der Kampf um das Leben selbst. Deshalb erzählt Galeano vom Wasser und vom Leben. Deshalb lässt er auch den Alltag der Kämpfe und die Kämpfer selbst mit seinen Worten lebendig werden. Und er formuliert sie in einer Sprache, die klar ist, die verstanden wird. Es ist seine Sprache, die zugleich die Sprache der Kämpfenden ist, egal ob sie aus Bolivien, aus Paraguay, Kolumbien, Brasilien, Kanada oder wie ich aus Europa kommen. Es ist eine Sprache der Würde und Lebensfreude. Ich konnte seine Worte nur teilweise verstehen, aber das war nicht wichtig. Wichtig war, dass die Menschen um mich herum sie aufgriffen und seine Freude und Leidenschaft teilten, seinem Spott gegenüber den scheinbar Mächtigen, den transnationalen Konzernen herzlich lachend folgten. Da wächst Lust zu kämpfen, da wächst Lust, ein Teil dieser Bewegung zu sein. Meine Güte, wie angestrengt sehen wir Deutschen oft aus, wenn wir über Emanzipation, über eine bessere Welt nachdenken oder reden. Mir fällt auch kein Deutscher ein, mit dem ich Galeano vergleichen könnte. Vielleicht am ehesten noch Pablo Neruda, aber der ist ja nicht mal Europäer. Lieber Freund verzeih, es ist eben nicht leicht, ein Poem zu beschreiben.