10. November 2023 Tagung/Konferenz Demokratie ohne Opposition?

Symposium anlässlich des 80. Geburtstages von Michael Buckmiller

Information

Veranstaltungsort

Rotation in den ver.di Höfen
Goseriede 10
30159 Hannover

Zeit

10.11.2023, 13:30 - 20:30 Uhr

Themenbereiche

Arbeit / Gewerkschaften, Soziale Bewegungen / Organisierung, Commons / Soziale Infrastruktur, Gesellschaftstheorie

Zugeordnete Dateien

Der gesellschaftliche Zukunftshorizont hat sich zunehmend verdunkelt. Die politischen, sozialen, ökologischen Krisensymptome haben sich längst zu einem Komplex der Vielfachkrise verdichtet, aus der es kaum einen Ausweg zu geben scheint. Die Krisen drohen zu einem fragilen Dauerzustand, zu einer neuen Normalität zu werden, dessen Kipppunkte kaum absehbar sind. Selbst die Krisendiagnose und -theorie ist in der Krise: Weniger denn je sind die westlichen Gesellschaften in der Lage, sich ein zutreffendes Bild von der Wirklichkeit zu machen und angemessene Gegenkonzepte zum Bestehenden zu entwickeln.

Von dieser verallgemeinerten Orientierungslosigkeit ist auch die politische Linke im weitesten Sinne betroffen: An die Stelle konkreter, wissenschaftlich fundierter Gesellschaftskritik, aus der sich konkrete Utopien und Gegenpositionen für einen gesellschaftlichen Wandel entwickeln lassen, ist der Rückzug auf das vermeintlich sichere Terrain verdinglichter Grundpositionen getreten. Moralisierungen, das Denken in Freund-Feind-Kategorien und autoritäre
Scheinlösungen haben vielerorts tragfähige Argumentationen verdrängt.

In dieser Gemengelage zu agieren erfordert besondere Umsicht: Je kurzatmiger der vorherrschende Politikbetrieb wird, desto dringender braucht es kritische Gegenpositionen, die über den Tag hinausreichen. Mehr denn je kommt es darauf an, die geistigen Suchbewegungen zu forcieren, sich gemeinsam zu orientieren und zu organisieren.

Dazu wollen wir mit unserem Symposium einen Beitrag leisten. Dabei geht es sowohl um eine aktuelle Krisendiagnose als auch um das Ausloten historischer und politischer Ankerpunkte.

Michael Buckmiller ist ehemaliger Professor der Politikwissenschaften und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Geschichte und Theorie der Arbeiterbewegung und der Rätedemokratie. Die beiden Theoretiker und Aktivisten Karl Korsch und Wolfgang Abendroth liegen ihm besonders am Herzen. Buckmiller ist Herausgeber von deren historisch-kritischen Gesamtausgaben im Offizin-Verlag und war Mitbegründer der Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftler*innen.

Programm (Details s.u.)
13.00 Uhr Ankommen und Begrüßungscafé
13.30 Uhr Eröffnung des Symposiums 
                 Michael Dunst, Bildungswerk ver.di, Gregor Kritidis, Loccumer Initiative
13.45 Uhr Vorträge und Diskussion
17.30 Uhr Podiumsdiskussion: Demokratie ohne Opposition?
19.00 Uhr Proletarisches Mahl und Musik mit der Gruppe Spätlese – rot und trocken (Dieter Schäfer, Arnos Dinse, Erich Rickmann)
20.30 Uhr Ende der Veranstaltung

Die Ausstellung »Die Erneuerung des Marxismus – Karl Korsch 1886 -1961« wird parallel zum Symposium gezeigt

 

Vorträge und Podiumsdiskussion

Wolfgang Hecker - Über große und kleine Fische in den trüben Gewässern der Universität Marburg
In den vergangenen 75 Jahre vermochte es die Universität Marburg nicht, ihre NS-Vergangenheit umfassend aufzuarbeiten, obwohl es gute Ansätze dazu gab. Warum nicht und was hat das für Folgen? Am Beispiel des ausgewiesenen Militärstrafrechtlers Erich Schwinge (»furchtbare Juristen«) wird gezeigt, was mit feinem Fangnetz ans Licht gezogen werden kann. Und was das mit Wolfgang Abendroth zu tun hat, der »roten Blüte im brauen Sumpf« der 50er und 60er Jahre.
Dr. Wolfgang Hecker (77) war über drei Jahrzehnte wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg.

Ralf Hoffrogge - Von der Fabrik ins Wohnzimmer: Deutsche Wohnen & Co Enteignen und die Wiederkehr der Sozialisierung
Eine demokratische Organisation der industriellen Produktion ist eine Ur-Forderung der Arbeiterbewegung, die sich von ersten Kooperativen im Frühkapitalismus über die Sozialisierungsforderungen der europäischen Revolutionen 1917-1919 bis zu den Plänen zu einer Neuordnung der Produktion nach den Verheerungen des zweiten Weltkrieges verfolgen lässt.
Jedoch verschwand die Forderung in Deutschland bereits in den 1980er Jahren aus dem Repertoire von Gewerkschaften und Sozialdemokratie. Nach langem Dornröschenschlaf tauchte sie ab 2018 in einer neuen Vergesellschaftungsbewegung wieder auf – nicht in der Industrieproduktion, sondern in der Daseinsvorsorge bei Wohnen, Gesundheit, Energieversorgung. Akteure sind weniger die Arbeitenden, sondern die Konsument*innen dieser Leistungen. Ist damit ein historisches Ende der Arbeiter*innenbewegung erreicht – oder ein neuer Abschnitt angebrochen?
Ralf Hoffrogge, Historiker am ZZF Potsdam und an der RuhrUniversität, forscht zu Gewerkschaften, Wirtschaftsdemokratie und der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung.

Marcus Hawel - Das Verstummen der Kritik – Gesellschaftskritik in der Krise?
Die immer wieder erhobenen Forderungen nach Anpassung an die bestehende Ordnung und die Grundprinzipien der liberalen Demokratie und des freien Marktes sind in der gegenwärtigen Krise und Transformation nicht angemessen. Auch die einfache Ablehnung und Verurteilung, vor allem von rechts, reicht nicht über symbolisches Verhalten hinaus.
Politische Opposition geht anders und benötigt eine fundierte wissenschaftliche Kritik an der Gesellschaft, die sich konkret auf Raum und Zeit bezieht und über die aktuellen Zustände vor Ort hinausweist. Die »Hannoversche Schule« steht in dieser Tradition und verbindet »Arbeiterbewegungsmarxismus ohne Leninismus sowie kritische Theorie ohne deren philosophische Überspitzungen« (Michael Buckmiller). Es werden viereinhalb Thesen zur Kritik im politischen Handgemenge vorgestellt und diskutiert.
Marcus Hawel, Jg. 1973, hat in Hannover Sozialwissenschaften studiert und ist stellv. Leiter des Studienwerkes der RosaLuxemburg-Stiftung.

Podiumsdiskussion: Demokratie ohne Opposition?
Einführung Michael Buckmiller: »Ultralinks« (Korsch) und »Einheitsfront« (Abendroth) – Wie geht das zusammen?
in Diskussion mit

  • Margareta Steinrücke, Soziologin und Autorin aus Bremen
  • Jens Schäfter, Betriebsrats-Vorsitzender von ZF/WABCO
  • Jan Orbach, Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Hannover-Heide-Weser

Moderation: Gregor Kritidis, Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen-Anhalt

 

Infos & Anmeldung:
Bildungswerk ver.di, Astrid.Ritter@bw-verdi.de, Tel. 0511 / 12 400 414

 

Veranstaltet von Bildungswerk ver.di und Loccumer Initiative
In Kooperation mit: ver.di, DGB, Forum für Politik und Kultur e.V., Kooperationsstelle Hochschulen & Gewerkschaften Hannover-Hildesheim, Arbeit und Leben Niedersachsen, GEW, IG Metall und der Rosa Luxemburg Stiftung Niedersachsen

Standort

Kontakt

Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen

Telefon: (0511) 2790934