Dokumentation «Solange wir auf dieser Erde gehen…»

Vernissage «Gedenken - Begegnen - Helfen» über mehr als 20 Jahre Erinnerungsarbeit des Fürstenfelder Fördervereins Ravensbrück

Information

Zeit

09.03.2016 - 05.04.2016

Veranstalter

Cornelia Domaschke,

Themenbereiche

Geschichte, Erinnerungspolitik / Antifaschismus, Deutsche / Europäische Geschichte, Osteuropa

Eine ganz besondere Zeitreise durch 70 Jahre deutscher und europäischer Geschichte war am Mittwochabend (09. März 2016) im Foyer des RLS-Gebäudes in Berlin zu erleben. Die Tour durch die Jahrzehnte begann mit einer Vernissage zur Ausstellung «Gedenken - Begegnen - Helfen», die mehr als 20 Jahre Arbeit des Fördervereins Ravensbrück (Brandenburg) widerspiegelt, und endete mit einem Salon-Gespräch der Autorin Karlen Vesper mit der Historikerin Dr. Bärbel Schindler-Saefkow.

Passend zu zwei Jahrzehnten Arbeit des Fördervereins zeigt die Ausstellung auf zwanzig Tafeln die ganze Vielfalt seiner Tätigkeit. Gerade das «Bewahren von Geschichte und der Biographien der in der Zeit des Faschismus  Ermordeten, Gefolterten und Misshandelten, diese Biografien im Erinnern und lebendig zu halten», gehöre zu den Aufgaben der Rosa-Luxemburg-Stiftung, betonte die Stiftungsvorsitzende Dr. Dagmar Enkelmann eingangs der Vernissage. «Die Auseinandersetzung mit Faschismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus ist aktueller denn je, um so wichtiger ist die Erinnerung.»

Die Schicksale der Ravensbrückerinnen weisen dabei, so Enkelmann, besondere Aspekte auf, nicht nur deswegen, weil sogar Frauen aus der - damals sowjetischen - Halbinseln Krim in den Zeiten deutscher Besatzung im II. Weltkrieg verschleppt wurden. Das KZ, eigentlich in idyllischer Umgebung gelegen, bot eine «grausame Wirklichkeit». Man frage sich, wie und warum gerade die Aufseher, zumeist Frauen, die Häftlinge mit einer Grausamkeit behandelten, die eigentlich nicht zu schildern ist, wie Überlebende später bekannten. Es habe den Aufseherinnen offenbar einfach «Spaß gemacht», Menschen zu quälen und zu töten. Es stelle sich aber auch, so Enkelmann, die Frage, wie die Häftlinge all dies überstehen konnten, woher sie Mut und Hoffnung schöpften.

Anschließend gab die Vorsitzende des Fürstenberger Fördervereins, Yvonne Nägel, einen Abriss über dessen umfangreiche Erinnerungs-Arbeit, die inzwischen nicht nur das Land Brandenburg erfasst hat, sondern sich praktisch über das halbe Europa erstreckt, überall, wo heute noch Überlebende des KZ oder deren Kinder leben. Im Gründungsjahr des Vereins, 1994, war der Gedenkort Ravensbrück, erinnert sich Nägel, in der Gefahr, ganz in Vergessenheit zu geraten - ein wesentliches Motiv, um den Förderverein zu gründen. In den ersten Jahren widmete sich dieser vor allem Schulprojekten. Durch jahrelange Kleinarbeit gelang es in der Folgezeit, Kontakte zu Zeitzeugen herzustellen und ihre Geschichten festzuhalten. In Zusammenarbeit mit anderen Stiftungen konnte 2006 in Simferopol auf der Krim das «Haus der Hoffnung»,  eine Begegnungsstätte und ein Treffpunkt für KZ-Überlebende geschaffen werden.  

Was wenig bekannt ist und woran Yvonne Nägel erinnerte: Selbst auf der Krim hatte die deutsche Besatzungsmacht ein KZ eingerichtet. Auch an dem Ort konnte - auch dank des Engagements des Fördervereins - im letzten Jahr eine Gedenkstätte eröffnet werden.

Deren Bedeutung auf der Krim könne man kaum überschätzen, sagte die Vereinsvorsitzende. Bis in die 1990er Jahre hinein durften die Frauen dort über ihre traumatischen Erlebnisse kaum reden. «Es galt als eine Schande, in Deutschland inhaftiert gewesen zu sein, und als eine noch größere, dass man diese Zeit noch überlebte», so Nägel. Eine Folge: Die Frauen, die im KZ gewesen waren, hätten sich oft nicht getraut, sich für höhere berufliche Positionen zu bewerben, weil sie den Makel «Deutschland» in ihrer Biografie hatten.

Über die Schwierigkeiten der Erinnerungsarbeit gerade wenn es um die Geschichte von und für Frauen geht, drehte sich auch das anschließende Salongespräch. ND-Redakteurin und Buchautorin Karlen Vesper las zuerst einen Passus aus ihrem 2015 erschienenen Buch «Die Puppennäherin von Ravensbrück», in dem sie zwölf Schicksale zur Nazizeit schildert. Die von ihr in der Titelgeschichte porträtierte Puppennäherin, die Wienerin Elisabeth Jäger und heute weit über 90 Jahre alt, lebt übrigens ganz in der Nähe der RLS-Gebäudes in der Berliner Karl-Marx-Allee, wie Vesper nebenbei offenbarte.

Auch als Journalistin sehe sie die persönlichen Geschichten der Zeitzeugen als «unersetzlich» an. Vielleicht sei man zu spät darauf gekommen, sagte sie bedauernd. «Viele, viele Geschichten sind schon verlorengegangen». Die Ansicht teilte auch Dr. Bärbel Schindler-Saefkow. Die Historikerin fordert, gerade Frauen sollten «einen Blick auf Ravensbrück als Ort haben.» Der dürfe  nicht vergessen werden.

In dem Punkt anknüpfend fragte Vesper die Historikerin, wie es käme, dass gerade Ravensbrück - das einzige Frauen-KZ in «Himmlers Reich» - über Jahrzehnte vergleichsweise als «vergessenes KZ» galt und zu DDR-Zeiten hinter Buchenwald und anderen Orten gewissermaßen in der zweiten Reihe des Gedenkens stand.

Schindler-Saefkow macht dafür zum Einen den generellen Umstand verantwortlich, dass Frauen in der Geschichtsschreibung oftmals hintenan stehen. Zudem sei es so gewesen, dass in Buchenwald und in Sachsenhausen, die als Gedenkort obenan gestanden haben, einfach auch die maßgeblichen Männer der DDR inhaftiert gewesen waren und auch dort ihre Erinnerungsorte hatten. Die größte Gruppe in Ravensbrück - 40.000 der insgesamt 130.000 Inhaftierten - seien dagegen polnische Frauen gewesen. Der Fakt sei bis heute wenig bekannt.

«Für Ravensbrück hätte sich bestimmt niemand interessiert, wenn nicht einige Frauen angefangen hätten, ihre eigene Geschichte zu schreiben», bilanzierte Schindler-Saefkow. Sie stieß allerdings auch auf ganz objektive Schwierigkeiten, wie dass über das Frauen-KZ einfach nicht genügend Dokumente in den Archiven liegen. «Wo über Buchenwald und Sachsenhausen ein Zentner an Papier vorhanden ist, sind es über Ravensbrück drei Blätter.» Inzwischen habe sich die Lage dank der Öffnung der Archive nach 1990 ein wenig gebessert. Auch sei die Bereitschaft, sich den Frauen als Thema in der Geschichte der Konzentrationslager zuzuwenden unvergleichlich gestiegen.

Die Vernissage ist dafür sicher ein sichtbares und gutes Beispiel.

Text: Jörg Staude

Die Ausstellung wird noch bis zum 5. April 2016 zu sehen sein.

Weitere Fotos gibt es im flickr-Account der Rosa-Luxemburg-Stiftung.