Kleine Schritte, Ausweichmanöver und ausbleibende Entscheidungen – der Klimagipfel folgt weitestgehend altbewährten Verhandlungsmustern, während die Klimakatastrophe voranschreitet.
Von @RLS_Klima
Rein formal war die COP23 ein unaufgeregter, sehr technischer Klimagipfel. Ihre Aufgabe bestand vor allem darin, das „Work Programme under the Paris Agreement“, das Regelbuch für das Pariser Klimaabkommen, weiter auszubuchstabieren, damit dieses im kommenden Jahr verabschiedet werden kann. Dennoch war das Setting dieses Klimagipfels symbolisch stark aufgeladen: Zu Gast beim ressourcenhungrigen Braunkohle- und Exportweltmeister Deutschland, nur 50 km entfernt von der größten CO2-Quelle Europas, führte mit Fidschi ein Land den COP-Vorsitz, für das der Klimawandel bereits heute harte Realität ist. Kaum ein Moment machte diesen Widerspruch so deutlich sichtbar wie der Besuch der Pacific Climate Warriors am Tag vor Beginn der COP23 auf einer Aussichtsplattform am Rande des RWE-Tagebaus Hambach: Im Vordergrund die Gruppe von Klimaaktivist*innen, darunter einige von den Fidschi-Inseln, die mit dem Slogan „Wir ertrinken nicht, wir kämpfen!“ nicht weniger als um das Überleben ihrer pazifischen Inselstaaten ringen. Im Hintergrund der gigantische Krater, aus dem ein deutscher Energiekonzern Jahr für Jahr weiter Millionen Tonnen klimaschädlichste Braunkohle fördert, um sie – im vollsten Bewusstsein ihres Beitrags zum Klimawandel – für billige Energie und Profit weiter zu verbrennen.
Viele Akteur*innen – staatliche wie nicht-staatliche vor allem aus dem globalen Süden – hatten im Vorfeld und während des Gipfels immer wieder darauf hingewiesen, dass diese COP unter dem Vorsitz von Fidschi ein starkes Signal in Richtung der am stärksten vom Klimawandel Betroffenen senden müsse. Entsprechend groß waren die Hoffnungen, dass endlich zentrale Themen vorangebracht werden könnten: allen voran die schnelle Senkung der Emissionen, die effektive Erhöhung der Klimahilfen, die verbindliche finanzielle Kompensation der Verluste und Schäden des Klimawandels. Doch das viel beschworene Momentum von Paris – die Dynamik, die durch die Pariser Klimakonferenz 2015 in Gang gesetzt wurde – scheint zwei Jahre später schon wieder verpufft zu sein. Die COP23 ist ein Gipfel der verpassten Chancen. Statt ein starkes Signal zu senden, brachte sie wenige, kleine Schritte, Ausweichmanöver und falsche Entscheidungen.
Verschleppte Zusagen und die Kohleallianz
Alles in allem folgte der Gipfel dem gemächlichen Verhandlungstempo aller vorangegangenen COPs – aus der Logik der Verhandlungen heraus nachvollziehbar, vor dem Hintergrund der rasant voranschreitenden Erderwärmung eine Katastrophe. Zumal zum Gipfel die Hiobsbotschaft bekannt wurde, dass die globalen CO2-Emissionen in diesem Jahr wieder gestiegen sind – nachdem sie zuletzt zumindest stagniert hatten. Die Zahlen des internationalen Forschungsverbunds Global Carbon Project für 2017 zeigen deutlich, woran das liegt: Wenn das Wirtschaftswachstum anzieht, so wie jetzt wieder geschehen, steigen die Emissionen. Beziehungsweise, falls sie sinken, dann nur marginal und lange nicht so sehr, wie es nötig wäre. Das bedeutet: Solange staatliches und unternehmerisches Handeln von der Zielgröße Wirtschaftswachstum dominiert sind, wird es die nötige drastische Senkung der Emissionen nicht geben.
Dies entlarvt einmal mehr die gefährliche Illusion, dass sich im Rahmen eines lediglich grün angestrichenen Business-as-usual Wirtschaftswachstum und Emissionen ausreichend entkoppeln ließen. Dieser offensichtliche Punkt ist jedoch nach wie vor kein Thema auf den Verhandlungen: Wir werden die Klimakatastrophe nicht verhindern, solange unsere nationalen Ökonomien am Wirtschaftswachstum hängen. Kaum etwas macht das so deutlich wie der Blick hinter die Fassade des vorgeblichen „Klimachampions“ Deutschland – wie unsere vierteilige Serie hierzu zeigt (siehe Kasten).
In einer vierteiligen Serie entlarven wir den Mythos vom "Klima-Champion Deutschland"
- Den Mythos entlarven In keinem anderen Land wird mehr Braunkohle verfeuert als in Deutschland."
- Die Autoindustrie im Blick Wer den Wandel will, muss sich mit der Autoindustrie anlegen.
- Lebensfeindlicher Agrar-Export Im deutschen Landwirtschaftssektor zeigt sich die "imperiale Lebensweise"
- Geklauter Wohlstand an der Nadel Die Rohstoffpolitik des Exportweltmeisters schadet Klima, Menschenrechten und Entwicklung
Das Ziel: noch nicht einmal in Reichweite
Von dem Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf „deutlich unter zwei Grad“ einzudämmen, bleiben wir auch mit der COP23 nach wie vor viel zu weit entfernt. Zwar hat es das Thema Kohleausstieg mit der bejubelten „Powering Past Coal Alliance“ endlich in den UN-Verhandlungsraum geschafft. Das ist ein positives Signal, denn bislang war das Thema dort so sehr tabu, dass das Wort nicht einmal mit Pariser Vertrag stehen durfte. Den notwendigen Bruch mit einer extrem energieabhängigen Wirtschaft, bedingt durch die kapitalistischen Wachstumslogik, wird aber auch diese Allianz kaum bringen. Das zeigen Äußerungen der beiden Staaten, unter deren Führung sich die Allianz von 20 Staaten zusammengeschlossen hat: Kanada und Großbritannien. Beide Staaten beschwören als alternative Optionen für ihre energetische Zukunft die Hochrisikotechnologie Atomkraft und die bislang im Großmaßstab unerprobt und ökologisch verheerende CCS-Technologie. Das sind gefährliche Ausweichmanöver, die unter dem zunehmenden Handlungsdruck künftig noch weiter um sich zu greifen drohen. Denn kontinuierlich bewerben die fossilen und atomaren Lobbys diese falschen Lösungen als echte Alternativen – in Side Events am Rande der COP und an optisch ansprechenden Ständen auf dem erweiterten Konferenzgelände, als Mitverhandelnde der offiziellen Länderdelegationen und als Widerhall in den Worten allzu technikgläubiger Verhandler*innen.
Talanoa-Dialog ab 2018 & die knappe Zeit bis 2020
Nach wie vor gilt, dass ein Großteil der Industriestaaten auch nach einem weiteren Jahr voller extremer Wettereignisse - darunter der stärkste jemals gemessene Hurrikan in der Karibik - nicht ausreichend bereit ist, die Anstrengungen zur Emissionsreduktion vor 2020 umfassend zu erhöhen. Zwar sind sich auf dem Papier alle einig, die Weltwirtschaft bis 2050 „klimaneutral“ zu organisieren. (Das schließt Rest-Emissionen nicht aus und öffnet ein Einfallstor für das Zahlenspiel mit Negativemissionen.) Einig ist man sich ebenso, dass die vorliegenden Klimaziele der Staaten hierfür nicht ausreichen. Zusätzliche Emissionszusagen aber wurden erneut verzögert - und dies, obwohl sich das Zeitfenster für das 1,5-Grad-Limit rasant schließt.
Daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass der „Facilitative Dialogue“, in dem geklärt werden soll, ob die Emissionsreduktionen der Mitgliedsländer tatsächlich ausreichen, in „Talaona Dialog“ umbenannt wurde. Das fidschianische Wort „Talanoa“ steht für einen partizipativen, inklusiven und offenen Dialog. Starten soll dieser Dialog Anfang 2018, geleitet von Fidschi in Kooperation mit Polen, das im kommenden Jahr den UN-Klimagipfel ausrichten wird. Zwar ist die Verabschiedung des Talanoa Dialogs als Erfolg für die Präsidentschaft Fidschis zu werten. Tragfähig und tatsächlich relevant kann dieser Dialog allerdings nur dann werden, wenn sich das Reden der Partner*innen auch in ernsthaftem Engagement niederschlägt. Sprich: Die Lücke zwischen den jetzigen Klimazielen der Staaten und dem 1,5-Grad-Ziel muss geschlossen werden; die Staaten müssen mehr Emissionssenkungen auf den Tisch legen.
Reichen die Maßnahmen für das Pariser Klimaziel, ja oder nein?
Dass diese Bilanzierung schon vor 2020, das heißt vor dem Inkrafttreten des Pariser Abkommens, geschehen muss, konnten die Staaten des globalen Südens erst nach langem Ringen durchsetzen. Das ist ein Verhandlungserfolg. Das Beschlusspapier zur COP23 fordert die Staaten auf, weitere Informationen bereitzustellen, wie sie ihr Engagement noch vor 2020 effektiv erhöhen werden. Diese Informationen sollen dann in einen Bericht einfließen, auf dessen Grundlage die Staaten 2018 und 2019 Bilanz ziehen wollen: Reichen die Maßnahmen aus, die sie angekündigt haben, ja oder nein? So soll sichergestellt werden, dass die Welt auf einen klimaverträglichen Emissionspfad einschwenkt. Pessimistisch stimmt allerdings, wenn man betrachtet, wie schwer es dem globalen Süden fiel, dem Norden dieses bloße Zugeständnis abzuringen. Die Diskussion bestimmte tagelang das Verhandlungsgeschehen in Bonn und zeugt vom Unwillen der emissionsintensiven Staaten, ihr Wohlstandsmodell grundlegend zu hinterfragen. Ab 2023 soll es einen solchen Prüfmechanismus automatisch alle fünf Jahre geben; aber die Zeit drängt.
Mehr als kritisch zu sehen ist nach wie vor die Teilnahme von Lobbyist*innen derjenigen Konzerne, die mit ihren Geschäftsmodellen zu den multiplen Krisen unserer Zeit beitragen, allen voran die fossilen Energiegiganten und Agrarkonzerne. Hinter den Kulissen, als Teil der offiziellen Verhandlungsdelegationen, auf Messeständen und in Side Events pushen sie ihre Agenda. Punktuell gab es dagegen Widerstand in Bonn, etwa als Aktivist*innen eine Präsentation der Europäischen Investitionsbank störten, die die Trans-Adria-Pipeline mitfinanziert, ein fossiles Infrastrukturprojekt, das noch auf Jahrzehnte hinaus die Abhängigkeit von Erdgas manifestieren wird. Vereinzelte Bemühungen, diese Lobbyist*innen aus den Verhandlungen auszuschließen, blockt die UNFCCC bislang ab.
Der Norden will nicht viel zahlen
Auch das Dauerstreitthema Klimafinanzierung lag in Bonn wieder auf dem Tisch. Darunter fallen zunächst alle Gelder, die den globalen Süden bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels unterstützen sollen sowie Mittel, um die dortigen Wirtschaften auf einen emissionsarmen Pfad zu bringen. Als Orientierung dient hierbei die Zahl von 100 Milliarden US-Dollar, die die Industriestaaten dem globalen Süden ab 2020 jährlich zu zahlen angekündigt haben. Umstritten ist nach wie vor, welcher Anteil dieses Geldes aus staatlichen Töpfen kommen soll – zusätzlich zu dem, was bislang im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit fließt – und welcher Teil als private Mittel „mobilisiert“ und auf die 100 Milliarden angerechnet werden darf.
Heftig umstritten war in diesem Jahr insbesondere die Berichterstattung der Industrieländer über die bereitgestellten finanziellen Mittel. Fließen diese Gelder tatsächlich zusätzlich zu sonstigen Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit? Werden Posten doppelt angerechnet, um die Bilanz zu schönen? Die Klimafinanzierung ist zentral gerade für die vom Klimawandel besonders betroffenen, armen Staaten. Denn Instrumente wie der „Anpassungsfonds“ oder der „Least Developed Countries Fund“ sollen ihnen helfen Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren. Finanzielle Zusagen zu diesen Fonds sind für viele dieser Staaten deshalb so wichtig, weil sie damit planen müssen – zum Beispiel, wie sie ihre Bevölkerungen gegen steigende Meeresspiegel schützen oder durch angepasste Bewässerungssysteme auf heftige Dürren und Ausfälle in der Landwirtschaft vorbereiten können.
Das Verhalten der Industriestaaten in Bonn ist bezeichnend für den Unwillen zu zahlen.
Eine Einigung über die konkrete Ausgestaltung der Anrechnungsregeln für die 100 Milliarden US-Dollar wird es vermutlich erst im kommenden Jahr geben. Hier gilt weiterhin: Transparenz und Rechenschaft sind unabdingbar – zumal es Befürchtungen gibt, dass die Hälfte der 100 Milliarden Dollar über rückzahlbare Kredite fließen könnte. Dies wird dem Anspruch des globalen Südens nach Klimagerechtigkeit nicht gerecht.
Um Planungssicherheit zu haben und sich schon jetzt an teils gravierenden Folgen des Klimawandels anzupassen, forderten in Bonn unter anderem die ärmsten afrikanischen Staaten verbindliche Zusagen für die Klimahilfen auch für die kommenden Jahre, d.h. vor 2020. Außerdem verlangten sie, dass erkennbar sein müsse, wir diese Hilfen in nächster Zeit wachsen werden. Die Verhandlungen hierzu zogen sich bis zur letzten Minute hin. Bezeichnend für den Unwillen zu zahlen ist das Verhalten der Industriestaaten in Bonn. Diese verzögerten unter dem Vorwand der knappen Zeit bis kurz vor Schluss eine Entscheidung über den Wunsch der Gruppe der afrikanischen Staaten, diesen Punkt als regulären Bestandteil der Tagesordnung aufzunehmen. Die EU hob sich dabei nicht von den USA ab.
Erreicht wurde bei der Klimafinanzierung lediglich eine Kompromissformel für den Anpassungsfond. Bislang läuft dieser unter der Vertragsarchitektur des Kyoto-Protokolls, der globale Süden fordert dessen Umsiedlung unter die nun neue Vertragsstruktur des Pariser Abkommens. Der Kompromiss sieht eine schrittweise Umsiedlung vor, die im kommenden Jahr beschlossen werden soll. Das ist positiv, jedoch nicht ausreichend. Zentral ist und bleibt es, eine ausreichende Finanzierung sicherzustellen. Während der Norden sich sträubt und immer deutlicher wird, dass eine Finanzierung über die Einkünfte aus dem Clean Development Mechanismus nicht funktionieren, ringt der Süden nach wie vor um verbindliche und ausreichende Zusagen.
Bei ‚Loss & Damage‘ waren die Hoffnungen groß, dass unter der fidschianischen Verhandlungsführung konkrete Zusagen für Kompensationen durch die Verursacherstaaten erreicht werden könnten.
Geradezu zynisch angesichts einer COP unter der Präsidentschaft Fidschis wirkt die Entscheidung, den Warschau-Mechanismus (WIM), welcher für klimabedingte Schäden und Verluste zuständig ist, ganz ohne finanzielle Zusagen auszustatten. Gerade die pazifischen Inseln sind von klimabedingten Schäden und Verlusten besonders betroffen. Ackerböden versalzen, ganze Staaten drohen im Meer zu versinken. Menschen werden in die Flucht gezwungen, Kultur und Identitäten bedroht. Entsprechend groß waren die Hoffnungen, dass unter der fidschianischen Verhandlungsführung hier konkrete Zusagen für Kompensationen durch die Verursacherstaaten erreicht werden könnten. Zwar haben sich die Staaten nun in Bonn einen weiteren Arbeitsplan für das Themenfeld gegeben. Dies aber besagt nicht viel. Gegen die verbindliche Übernahme finanzieller Verantwortung sträuben sich die Industriestaaten nach wie vor und es gibt keinen zielführenden Prozess hin zu einer fundierten Unterfütterung mit nur ansatzweise adäquaten Mitteln. Gerade einmal im Rahmen eines Expertendialogs darf der Warschau-Mechanismus über Ideen für Finanzierungsmöglichkeiten sprechen. Nach wie vor gilt es also, viel Druck auf die historischen Verursacher des Klimawandels zu machen, damit diese angemessene finanzielle Zusagen für die Übernahme von Verantwortung für die Schäden und Verluste übernehmen, die der Klimawandel schon jetzt massiv verursacht.
Als einziges konkretes Finanzangebot des globalen Nordens an die Betroffenen stehen nach wie vor die umstrittenen Klimarisikoversicherungen im Raum. Nur dieser Ansatz wurde in Bonn vorangetrieben, um die vom Klimawandel betroffenen Menschen zu unterstützten. Gestartet wurde hier die sogenannte InsuResilience Global Partnership der G20, für die sich insbesondere Deutschland einsetzt. Das Prinzip dahinter: Die vom Klimawandel betroffenen Menschen sollen Versicherungen kaufen, um sich selbst zu gegen Schäden und Verluste zu schützen. Mit anderen Worten: Man lässt vor allem diejenigen zahlen, die am wenigsten für den Klimawandel können.
Erfolge unter Vorbehalt
Dennoch verbucht diese COP auch einige kleinere Erfolge. Mit dem Gender Action Plan wird anerkannt, dass die Auswirkungen des Klimawandels Frauen mit besonderer Härte treffen. Genauso ist die neue Plattform für die Belange indigener Gemeinschaften ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Bei beiden Beschlüssen muss sich aber erst zeigen, ob den Bekenntnissen konkrete Taten (und deren Finanzierung) folgen, oder ob damit nur unbequeme Themen ruhig gestellt werden sollen.
Viele Staaten drücken sich davor, Verantwortung zu übernehmen.
Weiterhin fehlende Ambitionen bei der Senkung der Emissionen, fehlende verbindliche und nicht ausreichende Finanzzusagen – all dies trug dazu bei, dass es den Verhandlungen zur Umsetzung des Pariser Abkommens an Dynamik fehlte. Ein Großteil der Staaten drückt sich darum, schon vor 2020 Farbe zu bekennen und Verantwortung zu übernehmen. Die fehlende Bereitschaft seitens des globalen Nordens hat verhindert, dass alle mit Ambition weitermachen.
Immerhin hat in diesem Jahr das Bild von Deutschland als Klimachampion erhebliche Kratzer bekommen: Zum einen, indem Klimaaktivist*innen von Ende Gelände gleich zum Gipfelauftakt das Augenmerk der Welt auf die gigantischen Braunkohlekrater nur 50 Kilometer entfernt vom Gipfelort richteten. Zum anderen durch das ausweichende Lavieren der Klimakanzlerin in der zweiten Gipfelwoche, was den Klimazynismus der deutschen Bundesregierung besonders deutlich machte. Dabei hätte sich Deutschland als größter Braunkohleproduzent der Welt der Kohleausstiegsallianz anschließen müssen - anstatt mit dem kleinlichen Geschacher der Jamaika-Koalitionsverhandlungen zu demonstrieren, wie wenig die Interessen des globalen Südens in der deutschen Politik berücksichtigt werden. Gut, dass zivilgesellschaftliche Gruppen und Aktivist*innen sowie kritische nationale und internationale Pressestimmen die verfehlte Klima- und Energiepolitik der deutschen Bundesregierung offen zum Thema machten.
Umwelt- und Klimaschutz sind keine gefälligen Randthemen, sondern integraler Bestandteil jeder global gerechten Politik.
Die Debatten rund um den Klimagipfel und die parallel laufenden Jamaika-Verhandlungen haben vor allem eines noch einmal in aller Deutlichkeit gezeigt: Wir brauchen endlich eine sehr viel ehrlichere Debatte, was globale Klimagerechtigkeit für Deutschland bedeutet - sehr viel ehrlicher als die weichgespülten Aussagen der Bundeskanzlerin in Bonn und das Geschacher von Jamaika zum Kohleausstieg. Die Mehrheit der Bevölkerung weiß inzwischen: Der Klimawandel ist da und es muss und wird einen Wandel in unserer Art zu wirtschaften und zu leben geben. Deshalb sind wir - und diese Forderung richtet sich auch an die gesellschaftliche Linke - gefordert, diese gesellschaftliche Dynamik aktiv zu gestalten. Das fängt bei einem Kohleausstieg an, der diesen Namen auch wirklich verdient, und reicht bis hin zu einer grundlegenden Transformation im Verkehrssektor, in der Landwirtschaft und Ressourcenpolitik. Umwelt- und Klimaschutz sind keine gefälligen Randthemen, sondern integraler Bestandteil jeder global gerechten Politik. Wir müssen uns den damit verbundenen Diskussionen um Macht, Eigentum, Demokratie, Teilhabe und soziale Gerechtigkeit stellen.
Zum Abschluss des Klimagipfels COP23 ist von Nadja Charaby auch "Klimakonferenz: Gipfel der verpassten Chancen" im Mosaik-Blog erschienen.