Es ist so einiges ein Trauerspiel in Mexiko. Die PRI hat das Land in den vergangenen Jahren in den Boden gewirtschaftet, die Lebenshaltungskosten steigen, die Wirtschaft lahmt. Repression und Gewalt nahmen neue Ausmaße an. 2017 ist das gewalttätigste Jahr seit dem Beginn der Statistik 1990 in Mexiko, mehr als 26.500 Morde wurden gezählt. Zu den Opfern von Mord und Repression zählen zahlreiche Aktive aus sozialen Bewegungen und auch Journalist_innen. Die Menschen haben die Nase voll, der scheidende Präsident Enrique Peña Nieto wird von über 85 Prozent der Mexikaner_innen abgelehnt. Der Wahlkampf ist so blutig wie nie zuvor, 110 Morde und 380 Angriffe auf Kandidat_innen fast aller Parteien wurden verzeichnet.
Ein Trauerspiel waren dann auch die drei TV-Debatten der verbliebenen vier Präsidentschaftskandidaten, die sich am 1. Juli zur Wahl stellen, die letzte am vergangenen 12. Juni, in der sich die Anwärter alle gegenseitig nur ins Gefängnis stecken wollten. Inhaltlich stach der linksgerichtete Kandidat Andrés Manuel López Obrador von der «Bewegung zur Erneuerung Mexikos» (MORENA) mit seinen Forderungen nach Verbesserungen im Gesundheitsbereich und der Rücknahme der umstrittenen Bildungsreform, gegen die es Massenproteste gegeben hatte, hervor.
Dem Kandidaten der rechtskonservativen «Partei der Nationalen Aktion» (PAN), der unterstützt wird von einem Wahlbündnis mit der vormals linken «Partei der Demokratischen Revolution» (PRD) und dem sozialdemokratischen Wahlverein «Staatsbürgerliche Bewegung» (MC), Ricardo Anaya, war seine Verzweiflung anzusehen. In Umfragen liegt er zwar auf Platz Zwei (knapp 25 Prozent), aber Favorit López Obrador erreicht mit 50 Prozent unerreichbare 25 Prozentpunkte mehr. Im Wahlkampfendspurt muss sich der Rechtskatholik nun auch noch mit Korruptionsanklagen herumschlagen, die eigene Parteifreunde gegen ihn vorbringen. Der neoliberale Ökonom ohne Parteibuch José Antonio Meade, den die PRI ins Rennen schickt, dümpelt bei 20 Prozent. Als einziger «unabhängiger» Kandidat verbleibt «der Hengst» Jaime Rodriguez im Rennen. Offenbar hatte er gar nicht die Mindestanzahl der nötigen Unterstützungsunterschriften für die Kandidatur erreicht und böse Zungen behaupten, er dürfe nur antreten, um Protestwählende anzuziehen, die sonst für López Obrador gestimmt hätten. Wenn das mexikanische Wahlvolk am 1. Juli dann aber tatsächlich so abstimmt, wie erwartet und es mit rechten Dingen zugeht, dann werden seine 3-4 Prozent nicht ins Gewicht fallen. Denn in Mexiko wird der Kandidat Präsident, der die meisten Stimmen hat; eine Stichwahl gibt es nicht.
Und obwohl López Obrador sich sehr versöhnlich gibt und systemtreue, stramm neoliberale Wirtschaftsleute in sein Schattenkabinett aufgenommen hat, geht der Oligarchie der Arsch auf Grundeis bei dem Gedanken an eine MORENA-geführte Regierung. Die Wahlkampfmaschinen von PRI und PAN («PRI-AN» ist als Bezeichnung für das Machtkartell dieser Parteien zum geflügelten Begriff geworden) konzentrieren sich zuletzt mehr darauf, López Obrador zu diskreditieren anstatt ihre eigenen Kandidaten zu bewerben. In den vergangenen Wochen rollte eine so noch nicht dagewesene Spam-Telefonkampagne durch das Land, in der eine automatische Anruferstimme gegen den linksgerichteten Kandidaten hetzte. Dass es sich dabei offensichtlich um einen Verstoß gegen das strenge mexikanische Datenschutzgesetz handelt, rief indes das Oberste Wahlgericht nicht auf den Plan.
Indizien und Belege für Wahlbetrug gibt es in Mexiko zuhauf, insbesondere aus den Wahlprozessen 1988 und 2006. Beide Male wurde dem progressiven Kandidaten der sicher geglaubte Wahlsieg versagt und hinterher die Spuren verwischt. Im Jahr 2006 war López Obrador das Opfer bei seinem ersten Wahlantritt. Politisch hat sich der Kandidat in den vergangenen zwölf Jahren aber auch weit von seiner kämpferischen Basis entfernt. Er ist nicht nur versöhnlicher geworden, sondern hat gerade in den vergangenen Monaten höchst fragwürdige Gestalten und Formationen in sein Bündnis «Wir machen Geschichte» geholt. Neben bereits erwähnten neoliberalen Unternehmern sind das auch ehemalige Saboteure des Friedensabkommens von San Andrés mit den Zapatist_innen aus den Jahren 1995/96 und sogar Faschisten vom «El Yunque». Zu seinem Wahlbündnis gehört neben der kleinen linken «Arbeiterpartei» (PT) nun auch die «Soziale Begegnung» (PES), eine rechte Formation von evangelikalen Menschenfeinden.
Das wirft die Frage nach dem politischen Kurs einer Regierung unter López Obrador auf. Die Menschen nehmen ihm seinen Antikorruptionskurs ab und mit den aus dem Korruptionssumpf befreiten Ressourcen könnten in der Tat soziale Verbesserungen finanziert werden. Es wäre ein historischer Moment, wenn die PRI-AN erstmals das Präsidialamt verliert.
Auch wird die «Bildungsreform» mit Sicherheit modifiziert werden, abhängig vom Kräfteverhältnis im nächsten Parlament, das auch am 1. Juli neu gewählt wird, und die Opfer staatlicher Repression wie die Angehörigen der 43 «verschwundenen» Studenten aus Ayotzinapa können auf eine bessere Aufarbeitungspolitik hoffen. Aber sonst wird sich wohl nicht viel bewegen, ohne eine konzertierte Aktion der immer noch kaum verbundenen Bewegungen von Indigenen, Frauen, Studierenden, Lehrer_innen, Land- und Industrie-Arbeiter_innen. Die muss Druck von unten machen.