Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Westeuropa - Griechenland Herbe Niederlage für Tsipras

Griechenland: Auf die EU-Wahlen folgen vorgezogene Parlamentswahlen

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Maria Oshana,

Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras spricht im Europäischen Parlament. CC BY-NC-ND 2.0, Foto: European Parliament / flickr

Schon Stunden vor den erwarteten ersten Hochrechnungen wurde es unruhig in den linken sozialen Netzwerken. Der griechische Premierminister Alexis Tsipras war zu einer Sitzung in die Parteizentrale geeilt, erste Gerüchte machten sich breit: der Abstand zwischen der regierenden SYRIZA und der konservativen Opposition Nea Dimokratia (ND) könne deutlich über 5% zugunsten von ND ausfallen. Sollte sich dies bestätigen würde Tsipras den Weg für vorgezogene Parlamentswahlen frei machen (müssen).

Zähe Stunden zwischen Bangen und Hoffen bis zu den ersten offiziellen Ergebnissen.  Würde Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis SYRIZA tatsächlich mit erheblichem Abstand auf den zweiten Platz verweisen? Wie würden die anderen linken Parteien abschneiden? Und nicht zuletzt: würde die faschistische Goldene Morgenröte von dem allgemeinen Rechtsruck und der nationalistischen Polarisierung in der Mazedonien-Frage profitieren, um  drittstärkste Kraft zu werden?

Der Abstand von knapp 10% zwischen ND (33,3%) und SYRIZA (23,7%) hat die letzten Prognosen noch übertroffen. Zwar hat sich SYRIZA im Vergleich zu den EU-Wahlen 2014 nur um drei Prozentpunkte verschlechtert, dennoch ist das Ergebnis eine herbe Niederlage für die Regierung Tsipras. Er selbst hatte die EU-Wahl zu einer Vertrauensabstimmung über seine Politik erklärt – und ist damit gescheitert. In den letzten Wochen und Monaten hatte SYRIZA versucht, mit diversen wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler wieder zu gewinnen und das Umfragetief positiv zu wenden. Es ist nicht gelungen. In seiner Rede am späten Abend kam Tsipras Rücktrittsforderungen zuvor und erklärte, den Staatspräsidenten nach den kommunalen Stichwahlen am kommenden Sonntag, den 2. Juni 2019, um umgehende Neuwahlen zu bitten. Diese werden voraussichtlich in der letzten Juni-Woche durchgeführt werden.

Zum vorläufigen Ergebnis:

EU-Wahlen:

Nea Dimokratia konnte sich im Vergleich zu 2014 um gut 10% deutlich steigern, die „Bewegung für den Wandel“ (KINAL), ehemals PASOK, hat es mit 7,5% auf Platz drei geschafft und damit den befürchteten Komplettabsturz zunächst abgewendet. Sie könnte sich Nea Dimokratia als Koalitionspartner nach den Parlamentswahlen anbieten, sollte es für eine Alleinregierung nicht reichen. Die 50+ Sitze für die stärkste Partei hat SYRIZA zwar wieder abgeschafft, das Gesetz tritt aber erst nach der nächsten Parlamentswahl in Kraft.

Die Kommunistische Partei KKE verlor leicht und liegt mit 5,3% auf Platz vier, knapp vor den Neonazis der Goldenen Morgenröte. Deren Ergebnis hat sich von 9,39% in 2014 auf 4,8% halbiert. Das zumindest ist eine gute Nachricht. Dafür hat die 2016 gegründete christlich-nationalistische „Griechische Lösung“ (Elliniki Lisi), knapp über 4% eingefahren. Die rechtspopulistische ANEL, ehemaliger Koalitionspartner SYRIZAS, ist auf unter 0,5% gestürzt und damit politisch erledigt.

DIEM25 hat es entgegen den Erwartungen knapp über die 3% Hürde geschafft  – und Yanis Varoufakis noch am Wahlabend „den Beginn des Endes der Krise“ angekündigt. Für DIEM25 wird Sofia Sakorafa erneut ins EU-Parlament einziehen. Sie war 2014 für SYRIZA  ins EU-Parlament eingezogen, hatte sich dann von SYRIZA getrennt und ihr Mandat als Unabhängige ausgeübt. Die Abspaltungen von SYRIZA Laiki Enotita (United Left) von Lafazanis (0,58%) und Plefsi Eleftherias (Course of Freedom) unter Zoi Konstantopoulou (1,63%) scheiterten ebenso wie die Antikapitalistische Linke Front ANTARSYA (0,68%) deutlich an der 3%-Hürde.

Im EU-Parlament wird die griechische Linke somit voraussichtlich mit 7 Sitzen in der GUE/NGL vertreten sein (6 SYRIZA, 1 DIEM25), also annähernd gleich stark wie 2014. Insgesamt haben sich die Kräfteverhältnisse im EU-Parlament nach rechts verschoben. Was das kommende griechische Parlament angeht, sieht es im Moment ähnlich aus. Tsipras hatte den neoliberalen Kräften um Nea Dimokratia und der extremen Rechten den Kampf angesagt und insbesondere mit Blick auf die Mittelschicht für eine progressive Allianz geworben, um mit wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen das Land aus der Austeritätspolitik der letzten Jahre herauszuführen. Für eine solche progressive Front fehlt es derzeit an Mehrheiten und Partnern – KINAL hat sich bereits eng an ND gerobbt und eine Zusammenarbeit von Tsipras und Varoufakis ist so gut wie ausgeschlossen. So bleibt die Linke in Griechenland zwar eine starke Kraft, aber gespalten. Dem konservativen Mitsotakis hingegen scheint es zu gelingen, mit radikal-neoliberalem Kurs Mehrheiten zu gewinnen – obwohl er unverhohlen u.a. die Ausweitung der Arbeitszeit auf bis zu 7 Wochentagen und den Abbau des Sozialstaates angekündigt hat.

Kommunal- und Regionalwahlen: 

Eine Auswertung der landesweiten Ergebnisse braucht Zeit. Fest steht bereits jetzt: bei den Kommunal- und Regionalwahlen hat SYRIZA in geringem Umfang verloren – fehlende regionale und kommunale Verankerung der Linken hatten das Ergebnis erwartbar gemacht, es gab nicht viel zu verlieren. Relevant ist der Verlust in Attika. Der ultra-konservative Giorgos Patoulis (ND), Vorsitzender des Dachverbandes der Kommunen (KEDE) und politischer Freund des ehemaligen CDU-Staatssekretärs Fuchtel, führt im ersten Wahlgang mit 37,5% deutlich vor der bisherigen SYRIZA Gouverneurin Rena Dourou (19,96%). Die Stichwahl am kommenden Sonntag wird den Sieg von Patoulis bestätigen. Einen kleinen Achtungserfolg im traditionell konservativen Zentrum Athens konnte der stellvertretende Arbeitsminister Nassos Illiopoulos für sich verbuchen. Als Bürgermeisterkandidat von SYRIZA für Athen schaffte er es auf den zweiten Platz hinter Kostas Bakoyannis, dem Sohn von Mitsotakis Schwester Dora Bakoyannis, wenn auch mit einem Abstand von 24%-Punkten.