Nachricht | Westasien - Iran - Corona-Krise - Westasien im Fokus Iran muss unterstützt werden

Im Kampf gegen das Corona-Virus braucht die iranische Bevölkerung internationale Hilfe

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Daniel Walter,

Angehörige der «Revolutionsgarden» bei Desinfektionsmaßnahmen in Teheran
Angehörige der «Revolutionsgarden» bei Desinfektionsmaßnahmen in Teheran Mohammad Hassanzadeh (Tasnim)

Iran ist weiter ein Epizentrum der Covid-19-Pandemie. Laut Johns-Hopkins-Universität sind in der Islamischen Republik aktuell rund 58.000 Menschen mit dem Virus infiziert und etwa 3.600 Menschen gestorben. Die Dunkelziffer liegt laut Expert*innen deutlich höher. Iranische Forscher*innen haben berechnet, dass im schlimmsten Fall bis Ende Mai rund 3,5 Millionen Iraner*innen an dem neuartigen Coronavirus sterben könnten. Denn das Gesundheitssystem ist längst an seine Grenzen gekommen. Im ganzen Land kämpfen Ärzt*innen und Pflegekräfte verzweifelt um Menschenleben.

Daniel Walter hat Politikwissenschaft und Middle Eastern Studies in Bonn, Schweden und Teheran studiert. Derzeit promoviert er am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) zu internationaler Wirtschaftsgeschichte der 1980er-Jahre mit einem Schwerpunkt auf Iran.

Das Virus ist für Iran in jeder Hinsicht eine Katastrophe. Nach der Niederschlagung der Proteste im November, der Eskalation mit den USA und dem Abschuss einer Passagiermaschine Anfang Januar 2020 müssen die Iraner*innen die nächste schwere Krise durchstehen. All das in einem Zeitraum von nicht einmal sechs Monaten. Den Menschen blieb kaum Zeit, um die Toten zu betrauern, bevor das nächste Unglück nahte.

Das alles geschieht vor dem Hintergrund einer darniederliegenden Wirtschaft. Infolge von US-Sanktionen und Missmanagement sind die Staatseinnahmen drastisch gesunken und die iranische Währung in den Keller gerutscht. Wie überall trifft das Virus auch in Iran die Armen am härtesten. Sie leben oft von der Hand in den Mund und sind gesundheitlich angeschlagen. Vor allem Frauen müssen angesichts dessen Mehrarbeit leisten, sich noch mehr als sonst um Kinder und Angehörige kümmern.

Kritik am Krisenmanagement

Trotz dieser dramatischen Lage gelten in Iran keine drastischen Ausgangsbeschränkungen. Zwar sind seit Anfang März Schulen und Universitäten geschlossen. Zudem wurden religiöse Großveranstaltungen abgesagt und dazu aufgerufen, rund um das Neujahrsfest nicht zu reisen. Doch Präsident Hassan Rouhani kündigte zuletzt eine Aufhebung aller Maßnahmen binnen weniger Wochen an.

Die Regierung steht wegen ihres Krisenmanagements in der Kritik. Unter anderem wird ihr vorgeworfen, den Ausbruch lange verdeckt gehalten und Kritiker*innen festgenommen zu haben. Während in China die Fallzahlen im Januar in die Höhe schossen, wurden weiterhin Flugverbindungen zum wichtigsten Handelspartner aufrechterhalten. Die erste Infektion soll es offiziell am 21. Februar in der Stadt Qom gegeben haben, vermutlich durch einen chinesischen Studenten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gab es aber schon zuvor Ansteckungen. Doch sowohl die offiziellen Feierlichkeiten zum Jahrestag der Revolution Anfang Februar als auch die Parlamentswahl Ende Februar wurden nicht abgesagt.

Gleichzeitig bemüht sich die iranische Führung nach Kräften, die Verantwortung abzuschieben. Immer wieder wird das Virus als ausländischer Angriff durch den «Zionismus und Amerika» bezeichnet. Ähnliche Verschwörungstheorien wurden zuletzt auch von chinesischer Seite lanciert. Freilich spielt auch Washington auf der rassistischen und nationalistischen Klaviatur: Präsident Donald Trump spricht bekanntermaßen vom «chinesischen Virus».

Die Wut vieler Iraner*innen erregte zuletzt die Trauerfeier für Hossein Assadollahi, einen Brigadegeneral der Revolutionsgarden. Dicht aneinander gedrängt trugen hunderte Menschen dessen Sarg zu Grabe – ganz so, als wolle man das genaue Gegenteil von Social Distancing demonstrieren. Höchstwahrscheinlich war Assadollahi, ein Mitverantwortlicher für die Niederschlagung der Novemberprosteste, an den Folgen des Corona-Virus gestorben. So sehr der spezifische Fall Assadollahi politisch aufgeladen ist, weist er dabei auch auf eine Dimension hin, die das Leben zahlreicher Iraner*innen betrifft. Denn wie schätzungsweise rund 100.000 Veteranen des Iran-Irak-Kriegs (1980-88) – viele von ihnen Pflichteingezogene – soll er laut Medien an den Spätfolgen von Giftgasangriffen der Armee des irakischen Diktators Saddam Hussein gelitten haben. Für diesen Teil der Bevölkerung ist die Lungenkrankheit besonders riskant.

Humanitäre Hilfe im politischen Kreuzfeuer

Die Corona-Krise wirft dabei auch die Frage nach internationaler Hilfe für Iran auf. Während China und Russland bereits medizinisches Material lieferten, sind westliche Länder in vielfacher Hinsicht auf das Verhalten der US-Regierung angewiesen. Zwar gelten in den seit Mai 2018 verhängten Sanktionen Ausnahmen für medizinische Güter, doch unter die enge Definition fallen vor allem Medikamente. Schutzausrüstung hingegen darf nicht geliefert werden, da sie auch in Industrieanlagen gebraucht werden könnte. Auch der von der Schweiz eingerichtete sogenannte «humanitäre Kanal» kann diese Güter und Zahlungen wegen enger Restriktionen nicht zureichend abwickeln.

Die US-Sanktionen sind sicher nicht der Hauptgrund für den Verlauf der iranischen Corona-Krise. Aber sie verschlimmern die Lage zusätzlich. Um die humanitäre Lage zu verbessern, müssten sie keineswegs abgeschafft, sondern nur modifiziert werden. Der Finanzexperte Esfandyar Batmanghelidj hat auf der Nachrichtenseite Bloomberg dargelegt, welche konkreten technischen Schritte Washington zur Verfügung stünden, um zielgerichtete Hilfen zu ermöglichen, darunter eine Ausweitung der von den Sanktionen ausgenommenen medizinischen Güter und die Wiedereinrichtung 2018 abgeschaffter Treuhandkonten. Ein informelles Hilfsangebot der USA hat die iranische Führung unterdessen abgelehnt. «Ihr seid imstande, ein Medikament in unser Land zu bringen, das das Virus am Leben hält und seine Ausrottung verhindert», warf Revolutionsführer Ali Khamenei den USA vor.

Die EU preschte vor wenigen Tagen vor und versprach Teheran 20 Millionen Euro Hilfszahlungen. Hinter den Kulissen soll die britische Regierung die USA drängen, sich in der Sanktionsfrage zu bewegen. Auch ein offizielles Gesuch Teherans zur Aufnahme eines Kredits über fünf Milliarden Dollar beim Internationalen Währungsfonds (IWF) steht weiter im Raum. Dass die Islamische Republik den IWF erstmals überhaupt um einen Kredit bittet, verdeutlicht den Ernst der Lage.

Europa und die USA – inzwischen selbst Krisenherde der Pandemie ­– müssen handeln. Humanitäre Hilfe für die Ärzt*innen, Pflegekräfte und die iranische Bevölkerung sollten das oberste Gebot sein. Iran ist das Epizentrum der Pandemie in einer extrem vulnerablen Region. Eine ausgestreckte Hand würde die iranische Regierung nicht zuletzt stärker in die Verantwortung nehmen.