Die Fraktion der Partei DIE LINKE wird am Mittwoch der Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr als Teil der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) und der vorgesehenen Ausweitung nicht zustimmen. Das wird für andere Parteien, Journalist*innen und Politiker*innen einmal mehr Anlass sein, mit Bezug auf die kommenden Bundestagswahlen von der LINKEN eine Aufweichung ihres konsequenten «Nein» zu Bundeswehr-Einsätzen zu fordern. Dies sei ideologisch und unrealistisch.
Doch ein Fokus auf externe militärische Intervention ist kontraproduktiv. Denn die aktuelle Lage in Mali zeugt von verschiedenen, unterschiedlich gelagerten und miteinander verwobenen Konflikten, die in einer tiefen Krise des Staates begründet sind. Dass die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS mit Unterstützung der Europäischen Union die Transitionsregierung stark unter Druck setzt, verschlimmert die Lage zusätzlich. Statt dass diese die Wurzeln der Probleme angehen kann – darunter die Legitimations- und Sicherheitskrise, sozioökonomische Krise, Landkonflikte, Korruption – muss sie den Setzungen von außen gerecht werden. Das stärkt das Misstrauen der Malier*innen in die neue Regierung, verschärft durch den nun von der Regierung vorgelegten Wahl-Fahrplan. Es wird deutlich, dass dieselbe politische Elite dieselbe Politik fortführen wird wie bisher. Nichts wird sich wirklich ändern. Eine deutsche Unterstützung müsste weniger militärisch eingreifen, als sich vielmehr an den Bedürfnissen der Malier*innen orientieren und sie in ihrem Bestreben nach politischer wie ökonomischer Selbstbestimmung stärken.
Keine Sicherheit durchs Militär
Natürlich ist Sicherheit nötig, um selbstbestimmt leben zu können. Jedoch ist es unrealistisch, zu glauben, dass die Fortführung der ausländischen Militärintervention für Mali einen Weg in Richtung Sicherheit oder Frieden ebnet. Die Realitäten nach acht Jahren Intervention zeigen das krasse Gegenteil: Krieg und Terror haben sich weiter ausgebreitet und die Krise des malischen Staates verschärft sich zunehmend. Der 2020 vorgelegte Bericht einer Untersuchungskommission der UN listet viele Militärmanöver, bei denen Zivilpersonen ums Leben kamen. Zu Jahresbeginn tötete ein französischer Luftangriff 22 Personen einer Hochzeitsgesellschaft, von denen lediglich drei verdächtig waren, Kämpfer einer fundamentalistischen Miliz zu sein. Zudem haben Krieg und Terror von Mali ausgehend weitere Staaten des Sahel erfasst.
Zwischen Dezember 2019 und Dezember 2020 hat sich die Anzahl der Binnenvertriebenen um 60 Prozent auf über 330.000 erhöht. Grund dafür sind neben den bewaffneten Auseinandersetzungen und Angriffen die Abgaben, die die bewaffneten Gruppen von der Bevölkerung einfordern. Über eine Million Menschen benötigen akute Nothilfen, wozu allerdings auch die sozioökonomischen Konsequenzen der Covid-19-Pandemie und der Maßnahmen zu ihrer Eindämmung beigetragen haben (beispielsweise das zeitweise Verbot von Straßenhandel).
Nicht zuletzt deshalb wird in Frankreich die Kritik am Einsatz in Mali immer lauter und (ex-)Militärs sowie Diplomat*innen reden von einer Sackgasse, in die sich Frankreich hereinmanövriert habe. Der finanzielle Aufwand und die hohe Zahl der Todesopfer stünden in keinem Verhältnis zum Erreichten und Erreichbaren. Pierre Laurent, Senator der Kommunistischen Partei Frankreichs und Vize-Präsident des Senats, brachte es Anfang des Jahres bei einer Rede im Senat auf den Punkt: mit einer Milliarde Euro Kosten pro Jahr und 5.000 Soldat*innen im Einsatz habe man zwar Verluste auf Seiten djihadistischen Gruppen verbuchen können, aber weder die Gewalt zurückgedrängt noch die menschlichen Verluste verringert. Er fordert einen mit der malischen Regierung, der Afrikanischen Union und den Vereinten Nationen abgestimmten Abzugsplan.
Von einer solchen Debatte sind wir in Deutschland weit entfernt. Die Verlängerung des Bundeswehrmandats innerhalb der MINUSMA wird ohne große öffentliche Debatte von Statten gehen, obwohl dieses Mal über eine Erweiterung des Mandats abgestimmt wird.
Die Waffen lokal zum Schweigen bringen
Die militärische Intervention hat die Situation jahrelang nur verschlimmert und die Fronten verhärtet sowie Gewalt zur Normalität werden lassen. Das erschwert Perspektiven für eine zivile Konfliktbearbeitung. Zweifelsohne sind diese aber der Intervention überlegen, wenn es darum geht, zunächst Terror, Gewalt und Waffeneinsatz zu vermindern. Ibrahim Ag Idbaltanat, Soumaguel Oyahit und Abdoulaye Macko, Partner der RLS von der Organisation TEMEDT, die für den Kampf gegen Versklavung im Norden Malis international anerkannt ist, sehen gute Möglichkeiten, das strategisch wichtige Zentrum Malis zu stabilisieren. Die dort vorherrschenden djihadistischen Gruppen seien entstanden, weil sich Konflikte um den Zugang zu natürlichen Ressourcen verschärft hätten und weder staatliche Akteure noch traditionelle Autoritäten ihre friedliche Austragung bewirken konnten. Dass die djihadistischen Gruppen so viel Zuspruch erhielten, liege daran, dass sie staatliche Funktionen wie Rechtsstaatlichkeit (im Rahmen islamischen Rechts) und sozialen Ausgleich leisteten. Das deutet darauf hin, dass eine Stärkung staatlicher Akteure in ihren Grundfunktionen mittelfristig dazu beitragen wird, den Konflikt zu entschärfen.
Ein Weg dahin sind Friedensabkommen, wie sie seit 2019 in vielen Landkreisen im Zentrum Malis auf kommunaler Ebene nachhaltig geschlossenen werden. Kernanliegen, um die es geht, sind meistens die Rückkehr interner Geflüchteter, freier Zugang zu den natürlichen Ressourcen für alle, Freizügigkeit für Personen, Waren und Vieh, sowie der Einsatz für sozioökonomische Entwicklung, die Stärkung staatlicher Institutionen und die Rückkehr von NGOs der Entwicklungszusammenarbeit. Außerdem werden kommunale und traditionelle Autoritäten dazu aufgerufen, sich für Versöhnung und sozialen Zusammenhalt einzusetzen.
Im Gegensatz zur ausländischen militärischen Intervention haben diese zivilen Konfliktlösungsstrategien eine positive Bilanz vorzuweisen. Dies ist so, weil die oben genannten Elemente an den Bedürfnissen der Menschen in den Krisenregionen ansetzen, statt an der Anzahl «neutralisierter Terroristen». Eine sinnvoll geleistete Unterstützung ausländischer Akteure muss hier ansetzen und zum Beispiel lokale staatliche Daseinsfürsorge wie Bildung, Gesundheit und Verkehrsinfrastruktur stärken und kollektive Formen der Landnutzung akzeptieren und fördern.
National große Schritte gehen
Doch die Schwierigkeit liegt darin, die lokalen Abkommen auf die nationale Ebene zu heben. Monatelang protestierten Massen auf den Straßen von Bamako gegen vermuteten Wahlbetrug, Korruption und als Symbol hierfür gegen dem amtierenden Präsidenten Ibrahima Boubacar Keïta. Dass am 18. August 2020 eine Militärjunta die Macht in Mali übernahm, hat vielen Malier*innen Hoffnung auf wirkliche Veränderung gemacht.
Doch aktuell ist diese nicht in Sicht. Laut dem malischen Intellektuellen Chéibane Coulibaly war der internationale Druck, inklusive Wirtschaftssanktionen, zu groß als dass die Junta und nun die Transitionsregierung wirklichen Handlungsspielraum hätten. Mittlerweile hat Letztere einen Fahrplan angekündigt: Ab Juni 2021 soll eine Verfassung erarbeitet und diese im September vorgelegt werden. Im Februar und März 2022 sollen dann Parlament und Präsident*in gewählt werden.
Die Auflösung der unabhängigen Wahlkommission und die bislang ausbleibende Neugründung stärken aber die Befürchtung, dass weder die Übergangsregierung noch eine folgende Zivilregierung die strukturellen Probleme im Visier haben. Der Wunsch vieler Malier*innen, Kontrolle über das eigene Leben zu haben, d.h. sich in einer sozioökonomisch sicheren Lage zu befinden und politisch mitbestimmen zu können, sind groß. Doch es sieht ganz danach aus, dass dieselbe politische Klasse auch in Zukunft die Regierungsgeschäfte führen wird. Entsprechend wenig Legitimation oder gar offene Ablehnung begegnen ihr von Seiten der Bevölkerung. Dabei müssten nicht nur lokal, sondern auch national Ansätze gegen Massenarmut, Korruption, fehlende staatliche Dienstleistungen in Gesundheit, Bildung etc. und nicht zuletzt im Hinblick auf eine Verbesserung der Sicherheitslage gefunden werden. Eine neue Verfassung wird unter diesen Umständen kaum die Grundlage für einen neuen Gesellschaftsvertrag in Mali bilden.
Der Bewegung des 5. Juni-Sammlung der Patriotischen Kräfte (Mouvement du 5 juin-Rassemblement des Forces Patriotiques, M5-RFP) ist es vergangenen Sommer zwar gelungen, Massen zu Portesten auf die Straße zu mobilisieren. Damit hat sie dazu beigetragen, dass das Militär im August 2020 den Putsch verübte. Sie scheiterte allerdings daran, eine grundlegende Neuformierung des Staates, getragen durch die breite Bevölkerung, einzufordern und versteifte sich stattdessen Coulibaly zufolge auf die Frage nach Repräsentation im Transitionsparlament. Auch wenn aktuell Lehrkräfte, Gesundheitspersonal und Beschäftigte im Transportsektor streiken, bleibt noch offen, ob das wirklich mit einer größeren Mobilisierung oppositioneller Kräfte einhergeht und wenn ja, ob diese die verfahrene Lage tatsächlich verändern.
Auch die Linke bietet leider keine strategische Orientierung. Führungskämpfe beuteln die verschiedenen Orgsanisationen und Parteien. Davor ist auch die Linkspartei Solidarité Africaine pour la Démocratie et l‘Indépendance (Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit, SADI) nicht gefeit. Es herrsche eine totale Verwirrung, so beschreibt es ein Parteigenosse SADIs, in der es quasi unmöglich sei, die notwendigen grundlegenden Veränderungen für das Wohl der malischen Bevölkerung zu bewirken.
Die Bewegung M5-RFP hat sich am 21. April nach langer Pause mit einer scharfen Kritik an der Übergangsregierung, die die vorhandenen Probleme verschlimmere, wieder zu Wort gemeldet. Nach dem Ende des Ramadan, also ab Mitte Mai, würde die Bewegung wieder zu Massendemonstrationen aufrufen. Sie habe sich neu strukturiert und komme stärker als zuvor zurück. Ob dies gelingt und was sie bewirken kann, werden wir in den nächsten Tagen sehen. Nicht zuletzt wird ihr Erfolg auch davon abhängen, ob den Malier*innen international Handlungsspielraum gelassen wird, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden.