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15 Jahre Kontaktstelle soziale Bewegungen der Fraktion Die LINKE

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15 Jahre Kontaktstelle sind schon ein Moment, um kurz inne zu halten. Es war schon etwas sehr besonders damals, symbolisch wie später auch praktisch, die Kontaktstelle einzurichten, als aktive Verbindung zu einem zivilgesellschaftlichen Feld von Bewegungen, Verbänden und Gewerkschaften. Solche Verbindungen gibt es natürlich an vielen Stellen, über unsere vielen Mitglieder, die auch aktiv in Gewerkschaften und Bewegungen sind, über Abgeordnete, die das in ihrem Themenfeld und oft auch darüber hinaus machen. Aber die Kontaktstelle kann darüber hinaus eine systematische Verbindung und übergreifende Initiativen befördern, auch über Einzelthemen hinaus. 

Sie kann als Seismograf registrieren, was sich in den Bewegungen tut. Der Bezug auf Gewerkschaften, linke Bewegungen und Verbände ist für die LINKE unerlässlich, da sind sich eh alle einig. Es ist gut, wenn Partei und Fraktion deren Positionen stützen und mit vertreten, auf Demos dabei sind, aber es ist nicht genug. (Das können die Grünen teilweise immer noch besser - schon weil sie inzwischen Regierungsaspiranten sind. Bei der reinen Repräsentation laufen sie der LINKEN - nicht überall aber doch häufig - den Rang ab. Bei Gewerkschaften hat die LINKE in den Dienstleistungssektoren und einigen kleinen Gewerkschaften deutlich aufgeholt, etwa gegenüber der SPD, ansonsten bleiben die Gewerkschaften vor allem auf Regierungsparteien oder kommende Regierungsparteien bezogen.)

Mario Candeias ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Vortrages zum 15-jährigen Jubiläum der Kontaktstelle Soziale Bewegungen der Bundestagsfraktion DIE LINKE. 

Die Funktion der LINKEN muss also über Repräsentation hinaus gehen: Es geht 1.) um Verankerung in eben diesen Organisationen: die Kontaktstelle kann gewissermaßen als politische Infrastruktur für die Bewegungen dienen, auch für eine alte und neue Linke in den Gewerkschaften - und sie tut es auch; sie kann konkrete Unterstützung leisten und v.a. organisierender Teil vieler Bewegungen sein, Positionen und Projekte gemeinsam mit den Bewegungen oder der Gewerkschaftslinken entwickeln. 

Und es geht 2.) um Verbinden: also über die Einzelbewegungen hinweg immer wieder eine übergreifende gemeinsame Lageeinschätzung und Positionsentwicklung mit zu organisieren (z.B. über die Bewegungsratschläge), strategische Absprachen zu befördern, eigenständige Impulse zu setzen für konkrete Verbindung von Bewegungen, wie bei #unteilbar, um nur ein Beispiel zu nennen. Das ist jenseits der Großereignisse oft sehr viel Hintergrundarbeit, die nicht immer sichtbar wird, aber sie schafft einen organischen Bezug und verleiht der Linken Glaubwürdigkeit. Dafür braucht es langfristige und belastbare Kontakte, einen langen Atem.

Erfreulicherweise gab es und gibt es eigentlich erstaunliche viel und starke Bewegungen, eine vielfältige Bewegungslandschaft, nicht nur die großen oder medial starken wie #unteilbar, FridaysForFuture, Hambacher Forst oder Danneröder Wald und BLM (Black Lives Matter), sondern viele antifaschistische und antirassistische Initiativen, Mobilisierungen gegen verschärfte Polizeigesetze, Mietenbewegungen natürlich und Mobilitätswende-Inis und immer noch das Thema Hartz-IV/soziale Rechte. Die Zivilgesellschaft ist – für deutsche Verhältnisse – zumindest teilweise mobilisiert, im Westen wie im Osten: Auch im Osten dort gibt es zahlreiche kleine Initiativen gegen rechts, für lokale Belange, gibt es betriebliche Auseinandersetzungen, Fridays for Future und andere Klimabewegte, nicht nur in den Städten, sondern auch auf den Dörfern in der Lausitz und anderswo – #unteilbar in Dresden war ein Ausdruck davon. Es gibt ebenfalls eine neue Generation von Gewerkschaftsaktivist*innen, die der LINKEN nahesteht, nicht zuletzt weil die organischen Wurzeln der Gewerkschaften im Osten zur SPD weit weniger ausgeprägt sind als im Westen. 

Es wäre eine Überforderung überall unterstützend, gar als organisierender Teil aktiv zu sein. Umso wichtiger ist es immer wieder die Bewegungsteile systematisch zusammenzubringen. Das ist eine Arbeit, die viele allein nicht aus sich heraus leisten können. Das gilt auch für die Linken in der Gewerkschaften, die sich mitunter schwer tun, sich gemeinsam Gehör zu verschaffen oder überregional zusammen zu kommen. 

Während der Pandemie ist die gesellschaftliche Linke in eine strukturellen Defensive geraten. Viele Praxen sind derzeit noch stillgestellt, etwa Demonstrationen, reguläre Streiks, die Organisierung in den Vierteln und an den Haustüren. Soziale Bewegungen sind auf Social Media oder kleine kreative Aktionen verwiesen, können aber keinen Druck auf die Straße bringen, sind in ihrer Praxis verunsichert. Insbesondere Gewerkschaften sehen sich unter Druck, für das „allgemeine Wohl“ vermeintliche Partikularinteressen wie den Kampf um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen nach hinten zu stellen, um schwankenden Unternehmen in der Krise nicht noch mehr aufzubürden. Die Tarifrunden, sofern sie nicht verschoben wurden, fallen entsprechend eher mau aus. Zugleich hat sich durch die Pandemie die soziale Lage im Land noch einmal verschärft, in der BRD, europäisch und darüber hinaus. Die Gegenseite wird ihrerseits die Situation nutzen wollen. Verteilungskämpfe dürften an Schärfe gewinnen. Absehbar kommen nun Lockerungen in der Pandemie und fallen mit dem Bundestagswahlkampf zusammen. 

Eine gute Gelegenheit für einen linken Aufbruch. Auch weil es eine qualitative Entwicklung in vielen Bewegungen und in den Gewerkschaften gibt. Es gibt ein größeres Verständnis und einen Willen für eine stärkere Verknüpfung der unterschiedlichen Problematiken, besonders von ökologischer und sozialer Frage. Das ist auch eine Chance für Die LINKE, wenn sie glaubwürdig und mit guten Konzepten und guter Kommunikation daran arbeitet. Da ist auch eine neue Dringlichkeit zu spüren, gemeinsam voranzukommen. Rückverteilung des Reichtums, sozial-ökologischer Umbau und soziale Infrastrukturen bzw. Daseinsvorsorge und ein Sozialstaat des 21. Jh. sind zentralen klassenpolitischen Auseinandersetzungen, in denen aber auch viele Gemeinsamkeiten in der gesellschaftlichen Linken bestehen, allerdings noch nicht wirklich als gemeinsames Projekt.

Eine gute Verankerung in den Bewegungen und Gewerkschaften und die Verbindung der diversen Teile der Mosaiklinken ist auch wichtig, wenn wir über linkes Regieren sprechen. Denn erkennbare Projekte und produktive Konflikte, die mit der LINKEN als Partei verbunden werden, sind nur mit dem mit dem Druck eines gut organisierten Feldes von Bewegungen und Gewerkschaften durchzusetzen, ob in der Mietenpolitik in Berlin und noch mehr in zentralen Fragen auf Bundesebene. Voraussetzung dafür sind eben die Verankerung und gemeinsame Positionsentwicklung, vor und besonders auch nach einem Regierungsantritt (den wir in z.B. in Berlin hoffentlich wieder schaffen - im Bund ist er noch unwahrscheinlich aber auf Überraschungen sollten wir gefasst sein). Aber wie gesagt, die genannten Auseinandersetzungen müssen geführt werden, gleich ob in der Regierung oder in der Opposition.

Um Missverständnissen vorbeugen: ein gutes Verhältnis zu Bewegungen oder Gewerkschaften ist keine Wahlressource und übersetzt sich nicht einfach in Wählerstimmen - ohne Verankerung in Bewegung und Gewerkschaften freilich drohen Stimmenverluste. Wichtig ist aber: Bewegungen sind aber zu allererst eine Machtressource, zur Veränderung von Diskurs- und evtl. auch Kräfteverhältnissen. Eine Partei oder Fraktion kann nicht an ihrer Stelle Politik machen, sondern nur mit ihnen. 

Die Kontaktstelle macht das. Aber sie kann das nicht allein. Das ist keine Aufgabe, die man einfach delegieren kann. Aus meiner Sicht ist das Aufgabe der gesamten Fraktion und Partei, zumindest relevanter Teile. Das muss dann wieder strategisch organisiert werden, dafür braucht es Orte, wo das diskutiert und konkrete Absprachen getroffen werden können. Solidarisch-kritische von halb-außen würde ich sagen, da könnte die Fraktion noch einen drauflegen, was die systematische Verallgemeinerung solcher Aufgaben angeht. Beispiel Syriza und Solidarity4all: jeder Parlamentsabgeordnete von Syriza führte einen wesentlichen Teil seiner Bezüge für den Solidaritätsfonds von Solidarity4all ab, von den Mitarbeiter*innen der Abgeordneten wurde jeweils mindestens eine* für die Arbeit in den sozialen Bewegungen freigestellt. Soweit muss es gar nicht gehen, aber in der Tendenz könnte es mehr werden.

Hier kommt auch die Funktionsteilung zwischen Fraktion und Bewegung ins Spiel: es gibt viele Dinge, die eine Fraktion jenseits der konkrete Verbindungsarbeit zusätzlich leisten kann: parlamentarische Beobachtung auf Demonstrationen, parlamentarische Anfragen, Gutachten, auch Gesetzesvorlagen (z.B. einen bundesweiten Mietendeckel oder ein Antidiskriminierungsgsesetz auf Bundesebene) etc. Umso mehr diese Dinge mit Bewegungen entwickelt werden, desto größer ist die potenzielle Wirkung. Dazu Bedarf es spezifischer fachpolitischer Kenntnisse, aber auch darüber hinaus gehender bewegungspraktischer und politisch-strategischer Fähigkeiten.

Eine Schwierigkeit ist dabei immer: das Verhältnis von Fraktion und Partei als politischer Infrastruktur, die auch nicht immer sichtbar wird (auch nicht werden muss), zu der Notwendigkeit als LINKE doch auch eine stärkere Sichtbarkeit zu erzeugen. Wir wollen ja das die LINKE erkennbar wird - oft sind Parteien aber nicht erwünscht. Das ist immer eine Frage des Fingerspitzengefühls und der konkrete Situation. Aber umso mehr Kontinuität es in der gemeinsamen Arbeit gibt, umso geringer die Berühungsängste. Dann wird auch das LINKEN-Fähnchen zu einer normalen oder sogar gewünschten Begleiterin. Da erweist sich auch der Wert der Kontaktstelle, die dafür ein Sensorium hat - da habt ihr auch tolle Leute, wenn ich das mal sagen darf. Mehr davon, auch über die Kontaktstelle hinaus. 

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