Interview | Kultur / Medien - Westafrika Teil des politischen Kampfes

In der Hauptstadt Senegals thematisiert eine Theatergruppe gemeinsam mit dem Publikum soziale Unterdrückung

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Mouhamadou Diol ist künstlerischer Direktor der Kompanie «Kaddu Yaraax» in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Das Interview führte und übersetzte Claus-Dieter König, Leiter des Büros Westfrika der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar

Wer bist du, was machst du?

Ich heiße Mouhamadou Diol und bin künstlerischer Direktor der Theaterkompanie «Kaddu Yaraax» im Senegal. Wir machen seit 20 Jahren Forum-Theater in unserem Viertel Yaraax, also da, wo wir leben. Inzwischen spielen wir auch an anderen Orten, unter anderem im ländlichen Raum. Wir veranstalten jährlich ein internationales Theatertreffen und nehmen an Treffen in Europa und Südafrika teil.

Was ist Forum-Theater?

Eine Methode, die sich aus den beiden Teilen des Begriffs erklärt. Theater ist eine künstlerische Darstellung: Texte, Dialoge, die auf einer Bühne gespielt werden. Forum, das ist ein öffentlicher Ort, an dem diskutiert beziehungsweise ein Thema erörtert wird. Die Methode des Forum-Theaters sieht vor, dass die Zuschauer*innen in das Geschehen auf der Bühne eingreifen. Sie können vorschlagen, dass sich eine dargestellte Person anders verhält, und übernehmen dann die Rolle der Schauspielerin oder des Schauspielers. Spielen selbst, was sie anders machen würden als im Stück vorgesehen. So werden im Theater verschiedene Handlungsoptionen ausprobiert. Was im Theater gespielt und ausprobiert wird, das sind Interventionen in den Alltag, die politisch sind, weil sie sich gegen unterdrückende Praxen und Strukturen wenden. So wird unsere Art von Theater zu einem Beitrag für einen gewaltfreien Kampf, der der Devise folgt: «Proletarier aller Länder, vereinigt euch!»

Woran machst du hier in der Gemeinde Yaraax Unterdrückung fest?

Yaraax war eine wohlhabende Gemeinde, die vom Fischfang und von der Landwirtschaft lebte. An den Küsten des Senegal gefangener Fisch wurde und wird heute noch handwerklich weiterverarbeitet, zum Beispiel geräuchert, und nach ganz Westafrika exportiert. Dann wurde mit der Kolonisierung Industrie in Yaraax angesiedelt, die den Menschen die Felder stahl und durch die Verschmutzung des Meeres die Erträge aus dem Fischfang reduzierte. So hat diese Kolonisierung Yaraax «unterentwickelt». Oft ist Unterdrückung sichtbar: Militär greift ein, wo sich Widerstand regt. Heute ist Unterdrückung hingegen oft unsichtbar, subtil. Das heißt nicht, dass sie weniger gewalttätig wäre. Es handelt sich um soziale Unterdrückung, Spaltungen der Gesellschaft in Arm und Reich. Sie zu überwinden heißt, ungeschriebene soziale Gesetze zu durchbrechen, zum Beispiel im Verhältnis zwischen Männern und Frauen oder dem der Eltern zu Kindern. Dazu kommen kulturelle Verhältnisse und Klassifizierungen. In der senegalesischen Gesellschaft gibt es die noblen Kasten und die, die dies nicht sind. Zu nennen sind auch noch andere Konflikte, zum Beispiel zwischen linguistischen Mehrheiten und Minderheiten, die religiöse Macht, die in Senegal sehr bedeutsam ist. Und natürlich auch ökonomische Macht: Nepotismus und Korruption, in der Polizei, im Straßenverkehr, im Krankenhaus, in der Schule, in der Universität. Diese unsichtbare Unterdrückung machen wir durch unser Theater sichtbar, um sie besser bekämpfen zu können.

Dieser Artikel erschien zuerst in der maldekstra #13 zum Thema Kunst und Widerstand.

Gibt es aber nicht auch eine Tendenz, dass die sichtbare Unterdrückung wieder zunimmt? Hier in Westafrika meist dann, wenn Präsidenten verfassungswidrig mehr als zwei Amtszeiten regieren wollen. Beeinflussen die auch im Senegal zunehmenden Maßnahmen des Staates gegen die Opposition bereits eure Arbeit als Theaterkompanie?

In einem gewissen Sinne enorm: Statt dass wir Beispiele aus anderen Ländern, wie Mali, nennen, genügt es, darzustellen, was hier um uns herum passiert. Deswegen wirken wir mit an einer Sensibilisierung für die Prinzipien der Verfassung, denn diese sind die einzige Garantie für dauerhaften Frieden im Land.

Wie schafft ihr es, dass euer Theater bei den Menschen ankommt, die ihr erreichen wollt?

Wir spielen auf der Straße und behandeln vor allem Themen, die hier im Viertel virulent sind. Wir machen keine Werbung für unsere Aufführungen, aber kaum haben wir angefangen, ist die Straße voller Leute. Wir spielen in Wolof, der meistgesprochenen Sprache im Senegal, Französisch versteht nur eine Minderheit der Bevölkerung. Wir spielen so, wie die Menschen reden, afrikanisch, mit Sprichwörtern und Parabeln. Die Musik zum Stück kommt von hier. Wir haben zum Beispiel den «Arzt wider Willen» von Molière in Wolof übersetzt und gespielt. Allein die Übersetzung hat uns sechs Monate Zeit gekostet. Das ist hochpolitisch, denn es zeigt, dass unsere nationalen Sprachen ebenso nuanciert und ausdrucksstark sind wie die Sprache Molières. Dass die Sprache der früheren Kolonialmacht heute noch die offizielle Sprache unseres Landes ist, trägt zur Entfremdung eines bedeutenden Teils der Menschen vom Staat bei. Weltliteratur in Wolof auf die Bühne zu bringen ist ein Beitrag zur kulturellen Dekolonisierung. Ein anderer Beitrag ist es, das kulturelle Erbe unseres Landes zu nutzen und zu zeigen, dass es universelle Botschaften vermittelt. Tierno Bokar zum Beispiel, das ist Theologie der Befreiung, gelehrt, als Frankreich sich den heutigen Senegal und Mali kolonial unterwarf. Das Buch «Der Weise von Bandiagara» von Amadou Hampâté Bâ ist lesenswert. Es geht um das Problem der Religion der Tidschani. Es ist ein exzellentes Buch darüber, wie die Religion zum Mittel der Manipulation und Beherrschung von Menschen werden kann. Dieses Problem ist heute noch schlimmer als zu seiner Zeit. Bokar hat dort gelebt, wo heute die ethnische Gewalt zwischen Peulh und Dogon eskaliert. Er hat beide Ethnien gegen die Kolonialmacht vereint, mit einer Theologie der sozialen Gerechtigkeit. Die Kolonialmacht hat ihn verfolgt und Konflikte zwischen den Ethnien wieder geschürt.

Hat die Covid-19-Pandemie Auswirkungen auf eure Arbeit?

Die hat uns wirklich hart getroffen. Deshalb konnten wir unser nationales Programm, mit dem wir überall im Land und vor allem im ländlichen Raum spielen wollten, nicht aufführen. Auch unser internationales Programm fand nicht statt, weder das eigene Festival noch die Teilnahme an Festivals im Ausland. Selbst als die Covid-Zahlen abnahmen, haben wir aus Verantwortungsbewusstsein nicht den normalen Spielbetrieb aufgenommen. Wir sind Theaterleute und konnten fast zwei Jahre nicht spielen. Was wir stattdessen gemacht haben: Produktionen im Internet, auf YouTube, Instagram, Facebook. Die haben den Effekt, dass man Publikum erreicht, das auch in normalen Zeiten nicht zu uns kommen kann. Das hat auch was Gutes, kann aber kein Ersatz sein. Jetzt sind die Fallzahlen gering, und unser neues Kulturzentrum, das wir mit Eigenmitteln aufgebaut haben und unterhalten, wird vom ganzen Viertel genutzt. Täglich finden hier Treffen statt, zum Beispiel von Frauengruppen des Viertels, Jugendlichen, Fischer*innen.