Nachricht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Afrika - Frankreich-Wahl 2022 Frankreichs Afrikapolitik ist in der Sackgasse

... und Putin auf der Überholspur.

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28. Mai 2021, Bamako, Mali. 
Malier*innen auf einer Demonstration zur Unterstützung der malischen Streitkräfte (FAMa). Sie fordern eine Zusammenarbeit zwischen Mali und Russland auf Kosten der derzeitigen französischen Politik und der Barkhane-Truppe. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Nicolas Remene

Malis Militärjunta hat dem Botschafter Frankreichs den Stuhl vor die Tür gesetzt. Joël Meyer hatte die Entscheidung der Militärs kritisiert, die Wahlen auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Zuvor hatte die regionale Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikas (ECOWAS), Sanktionen gegen das Land verhängt. Paris hatte im UN-Sicherheitsrat für Sanktionen gegen Mali geworben, Russland und China blockierten eine solche Verurteilung.

Malische Soldaten mit Oberst Assimi Goïta an der Spitze, sind seit einem Putsch im August 2020 gegen die demokratisch gewählte Regierung und einem weiteren Staatsstreich gegen die Übergangsregierung im Mai 2021 an der Macht. Malis Putschisten, die in der Bevölkerung der Hauptstadt gegenwärtig wohl großen Rückhalt genießen, werfen Frankreich vor, im Kampf gegen die Dschihadisten versagt zu haben. Der malische Premier Choguel Kokalla Maiga sprach kürzlich davon, dass die Franzosen die Absicht hätten, das Land zu spalten. Auch in Malis gestürzter ziviler Regierung gab es Stimmen, die Frankreich für die um sich greifende Gewalt und Unsicherheit im Land verantwortlich machten.

Armin Osmanovic ist der Leiter des RLS-Büros Nordafrika in Tunis.

In Bamako kommt es seit Monaten immer wieder zu anti-französischen Demonstrationen. Die Demonstranten fordern den Abzug der etwa 5.000 im Sahel stationierten französischen Soldaten, die im Rahmen der Operation Barkhane zusammen mit den G5 Sahelländern (Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad) die Dschihadisten bekämpfen. Darüber hinaus befinden sich seit dem Jahr 2013 etwa 13.000 Soldaten der UN-Mission MINUSMA im Land, darunter auch etwa 1.000 Bundeswehrsoldaten, die für Frieden und Sicherheit in Mali sorgen sollen. Auf die sich kaum verbesserte Sicherheitslage haben Malis neue militärische Machthaber vor einigen Wochen die Wagner Gruppe, russische Söldner, um Hilfe im Kampf gegen die Dschihadisten beauftragt. Etwa 300 Söldner sollen im Land sein und bereits im Zentrum des Landes kämpfen. Stehen der geforderte Abzug der einen und die Beauftragung der anderen für eine Zeitenwende?

Gewalt und Vertreibung

Frankreichs Soldaten sind seit dem Jahr 2013 im Land. Die damalige malische Übergangsregierung, die ebenfalls durch einen Putsch an die Macht kam, hatte Paris um Militärhilfe gegen Tuaregrebellen und Dschihadisten gebeten. Den Militäreinsatz rechtfertigte Paris mit einer drohenden Eroberung Bamakos durch die Dschihadisten. Viele Beobachter stellten dieses vermeintlich uneigennütziges Handeln aber in Frage. Als die französische Armee Timbuktu von den Dschihadisten befreite, jubelten viele Malier dem französischen Präsidenten Hollande bei seinem Besuch vor Ort zu. Neun Jahre später ist vom damaligen Jubel im Land nicht fiel geblieben. Zwar hat sich im Norden Malis, in der von den Tuaregs kontrollierten Gebieten, die Lage etwas beruhigt, doch im Zentrum des Landes herrscht Gewalt und Vertreibung. Von dort ist in den letzten Jahren die Gewalt in die Nachbarländer Burkina Faso und Niger übergesprungen.

Westafrikas Staaten sind von großen Unterschieden zwischen den Metropolregionen und den vernachlässigten Peripherien gekennzeichnet, was vieler Orten zu Konflikten der vernachlässigten Bevölkerungsgruppen mit den Eliten in den Hauptstädten des Landes führt. So kam es seit der Unabhängigkeit in Mali immer wieder zu Aufständen der Tuaregs, die mehr Autonomie von Bamako einfordern. Bamakos korrupte Elite kümmerte sich kaum um den Rest des Landes, wo sich seit vielen Jahren die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, nicht zuletzt auch wegen den Auswirkungen der Klimakatastrophe verschlechterten. Ähnliches lässt sich auch über die politische Klasse in Burkina Faso sagen, wo der Langzeitherrscher Blaise Compaoré 2014 gestürzt wurde. Auch Compaoré galt als kleptokratischer Herrscher, der sich selbst bereicherte. Die Eliten in Bamako und Ouagadougou konnten in der Vergangenheit immer auf die Unterstützung Frankreichs zählen. Compaoré wurde durch die ehemalige «Kolonial- und Schutzmacht» vor den Putschisten in Sicherheit gebracht.

Die Spirale aus Gewalt und Vertreibung hat ihre Ursache nicht nur in den korrupten Eliten, auch die lokalen Machthaber haben in den Augen vieler Menschen an Legitimität verloren. Wütend sind vor allem viele junge Menschen. Lokalpolitiker, Richter und traditionelle Autoritäten werfen sie vor, sie um ihre Zukunft zu bringen. Seit vielen Jahren gewinnen religiöse Reformbewegungen an Kraft. Dschihadistenführer, wie Amadou Kouffa, Anführer der Terrorgruppe Katiba Macina, haben als salafistische Prediger und Jugendführer begonnen. Heute verschwimmen die Grenze zwischen Dschihadisten, Rebellen, religiösen Anführern und Banditen.[1]

Macron der Bösewicht

Nicht nur in Mali, auch im Nachbarland Burkina Faso wächst die Wut auf die Franzosen. Im November 2021 stoppte eine aufgebrachte Menge einen militärischen Konvoi Frankreichs mit Nachschub. Die Protestierenden beschuldigten die französischen Soldaten Waffen an die islamistischen Terroristen zu liefern, um im Schatten des sich ausbreitenden Chaos weiter ungestört die Bodenschätze ausbeuten zu können. Verschwörungserzählungen, wie diese, die in den sozialen Netzwerken kursieren, haben in der von Gewalt und Unsicherheit aufgeheizten Hysterie, leichtes Spiel. Frankreich beschuldigt Russland hinter der Verbreitung von Fake News zu stecken.

Ob der Angriffe auf die Franzosen lachen sich die Dschihadisten sicher ins Fäustchen. Ihr Ziel, der Abzug Frankreichs, ihrem stärksten Gegner in der Region, rückt näher. Malis Militärjunta kommt die missliche Lage Frankreichs ebenfalls gelegen. Man will vom eigenen Versagen ablenken, denn das malische Militär ist tief in den Konflikt verstrickt. In großen Teilen der Bevölkerung außerhalb Bamakos genießt es kein Vertrauen. Die malischen Streitkräfte sind für gewalttätige Übergriffe auf Zivilisten verantwortlich. Malische Soldaten verkaufen systematisch militärisches Material an Banden und an die organisierte Kriminalität, die im Sahel den Schmuggel abwickelt.

Eigentlich wollte Frankreich im Sahel alles besser machen. Doch Frankreich ist nicht ohne Grund zum Bösewicht geworden. Um dem Vorwurf der neokolonialen Einmischung zu entgegnen, hat sich Frankreich früh um eine Einbindung der westafrikanischen Staaten bemüht. Doch diese Strategie scheiterte an der Tatsache, dass durch die Spirale an Gewalt und Unsicherheit die Regime in der Region rasch an Rückhalt in der Bevölkerung verloren haben. Nun steht Frankreich, wie eh und je, als Helfershelfer einer verhassten afrikanischen Elite da und hat in Mali durch den Putsch selbst diesen Partner verloren.

Macron hatte versucht, sich von den alten Eliten Afrikas abzusetzen. Dafür hatte er 2017 in seiner Rede an der Universität in Ouagadougou geworben und zusammen mit Achille Mbembe das alternative Format des Afrika-Frankreich Gipfels unter Ausschluss der Staats- und Regierungschefs des Kontinents durchgesetzt. Dieser Versuch der afrikapolitischen Neuorientierung blieb aber nur Stückwerk. Im Tschad unterstützt Frankreich über den Tod des Diktators Idriss Déby hinaus weiter das Regime. Macron reiste sogar zur Trauerfeier nach N‘Djamena und billigte damit den Staatsstreich. Ein Militärrat hatte kurzerhand den Sohn, Mahamat Idriss Déby, zum Nachfolger seines getöteten Vaters ernannt.

Ohne Rücksicht auf demokratische Prinzipien und Menschenrechte unterstützt Macron auch weiter Norden auf dem Kontinent, das ägyptische Regime von Militärmachthaber Abd al-Fattah as-Sisi. Im Mai 2021 gab Ägypten die Bestellung von 30 französischen Kampfflugzeugen des Typs Rafale im Wert von 4 Milliarden Euro bekannt. Human Rights Watch kritisierte scharf die Entscheidung Frankreichs, das Unrechtsregime am Nil damit zu unterstützen. Auch auf der arabischen Halbinsel verfolgt Macron seine ultrarealistische und merkantilistische Außenpolitik. An die Vereinigten Arabischen Emirate liefert Frankreich 80 Rafale und 12 Militärhubschrauber, zusammen ein Auftragswert von 16 Milliarden Euro. Auch war der französische Staatspräsident der erste westliche Staatschef, der den saudischen Kronprinzen, der laut der CIA für den Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi verantwortlich ist, seine Aufwartung machte.

Frankreichs Warnung an die malische Regierung, sich nicht mit der Wagner Gruppe einzulassen, erscheint vor dem Hintergrund der eigenen außenpolitischen Skrupellosigkeit als grotesk und verhallte daher ungehört.

Putin – ein Gewinner

Angesichts der schädlichen, weil wertentleerten und damit kontraproduktiven, Afrikapolitik Macrons, ist es kaum überraschend, dass es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu gelingen scheint, auch in Afrika den Westen vor sich her zu treiben. Zumindest hatte die russische Wagner Gruppe einigen Erfolg auf dem Kontinent. In kurzer Zeit wurden sie in mehreren Ländern Afrikas, darunter in der Zentralafrikanischen Republik, Libyen und Mosambik «zu Hilfe gerufen», und konnten vielfach Frankreichs Einfluss zurückdrängen. Putin bestreitet offiziell alle Verbindungen zur Wagner Gruppe, dessen Anführer Yevgeny Prigozhin ein Freund des russischen Präsidenten ist.

Doch auch mit ersten Schwierigkeiten hatte die Wagner Gruppe in Afrika schon zu kämpfen. Das galt sowohl für Libyen, wo sie mit General Haftar an der Eroberung Tripolis scheiterten, als auch in Mosambik, wo sie sich vor den herannahenden Dschihadisten in Sicherheit bringen mussten. In der Zentralafrikanischen Republik, wo bis zu 1.000 russischen Söldner operieren sollen, die dort im Bergbaugeschäft aktiv sind, soll die Wagner Gruppe auf unbezahlte Rechnungen der Regierung in Bangui sitzen geblieben sein. In Mali hat die Wagner Gruppe in Kämpfen die ersten Verletzten zu beklagen. Auch haben die Tuaregrebellen der CMA (Coordination des Mouvements de l’Azawad), die mit Bamako im Jahr 2015 einen Waffenstillstand geschlossen hatten, bereits angekündigt, gegen die russischen Söldner kämpfen zu wollen, sollten sie in ihr Gebiet vorstoßen. Macron musste sich bei seinem Besuch im Kreml mit der Zusicherung Putins zufriedengeben, dass es immerhin keine offiziellen russischen Militärausbilder in Mali gibt. Das wird Macron kaum beruhigt haben.


[1] Alexander Thurston (2020): Jihadists of North Africa and the Sahel. Local Politics and Rebel Groups. Cambridge 2020.