Nachricht | Rohrmoser: Antifa. Porträt einer linksradikalen Bewegung; München 2022

Ein Buch mit etlichen Mängeln

Information

Richard Rohrmoser hat zum Thema Ziviler Ungehorsam gegen Nuklearrüstung in Mutlangen 1983–1987» (Buchpublikation) an der Universität Mannheim promoviert. Sein aktuelles Buch widmet sich ebenfalls der Protestgeschichte. Es erscheint aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der antifaschistischen Bewegung (wobei die Antifaschistische Aktion als Organisation in Deutschland erst 1932 gegründet wurde). Ziel des Buches sei es, «sich der (Begriffs-)Geschichte und den Charakteristika der facettenreichen Antifa-Bewegung anzunähern und ein differenziertes Bild zu zeichnen» (S.17).
Zu Beginn skizziert Rohrmoser die Entstehung des historischen Antifaschismus aus den Abwehrkämpfen der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung und den Strategien linker Parteien in Deutschland und Italien. Anschließend konzentriert er sich auf die beiden deutschen Staaten. Während die DDR aber jenseits einiger Sätze kaum vorkommt, stellt er für die Bundesrepublik der 1950er- bis 1970er-Jahre mit der VVN, der KPD und der ihr nachfolgenden DKP sowie dem neolinken Kommunistischen Bund (KB)vier Parteien bzw. Organisationen vor, die im Feld des Antifaschismus je auf ihre Art in diesem Zeitraum relevant waren.
In der zweiten Hälfte des Buches geht es dann (nur noch) um die «autonome Antifa» und ihre Geschichte seit Ende der 1970er-Jahre. Diese wird relativ detailliert aufgearbeitet, indem wichtige Anlässe und Kampagnen bis hin zu einzelnen Demonstrationen ebenso referiert werden wie politische Umgruppierungen und Debatten im Feld der außerparlamentarischen Linken. So spannt sich der Bogen von der militanten Demonstration in Bad Fallingbostel 1983 über die Debatten rund um «1989» bis hin zu antideutschen und post-autonomen Debatten, Gruppen und Praktiken (Interventionistische Linke, Ums-Ganze-Gruppen etc.).
In seinem Nachwort wird Rohrmoser dann normativer. Antifaschistische Recherche und Aufklärung seien gut und notwendig, die Antifa als Frühwarnsystem und etwaiges Korrektiv sehr wichtig. «Gewalt», bzw. das, was Rohrmoser angesichts seines sehr weiten Gewaltbegriffes darunter subsumiert, sei aber schlecht. An dieser Stelle wäre eine Auseinandersetzung mit der Reflexion der Thematik innerhalb des Antifa-Spektrums aufschlussreich gewesen. Mit den durchaus geführten differenzierten Militanzdebatten der 1990er-Jahre hat Rohrmoser sich jedoch nicht beschäftigt, sie kommen in seinem Buch nicht vor.
Es handelt sich hier um ein aus Anlass eines Jahrestages erscheinendes, populärwissenschaftliches Werk. So muss notgedrungen verkürzt, wenn nicht oberflächlich argumentiert werden. Sicher ist es richtig, dass, was Rohrmoser (kritisch) anmerkt, zum Thema hauptsächlich entweder Literatur aus Perspektive der Extremismus- und Totalitarismustheorie oder aktivistische Literatur von (ehemals) Beteiligten vorliegt. Es gibt aber definitiv mehr (und gute) Literatur, als Rohrmoser benennt. Problematisch ist vor allem das Neben- und Durcheinander an Bewegungen, Organisationen und Parteien, die Rohrmoser mehr oder minder über einen Kamm schert, und so deren Eigenlogiken und jeweilige historische Einbettung
zu wenig beachtet. So gibt es sehr wohl Antifaschismus, der nicht linksradikal ist, wie etwa den der VVN. Sein Buch argumentiert auch so, als ob «Aktion», also eine Vorgehensweise, die Rohrmoser zusätzlich mit Gewalt gleichzusetzen scheint, das Unterscheidungsmerkmal der ausführlich beschriebenen Autonomen zu anderen politischen AkteurInnen sei – nicht etwa deren Inhalte und politischen Ziele.
Das Buch wirkt auf der einen Seite seltsam naiv und unpolitisch, um dann auf der anderen Seite mit Begriffen wie «Farbschmierereien» oder «Terrorbanden» (S.132, bezogen auf verdeckt agierende Gruppen wie die «Rote Zora») den Duktus der Boulevardpresse oder von Polizei-Presseberichten zu übernehmen. Verwirrend ist auch, dass der Autor Texte und Stellungnahmen «der Antifa» oftmals «Schreiben» nennt. Zusätzlich zu Ungenauigkeiten, Undifferenziertheiten und Begriffsverwirrungen haben sich auch auf der Faktenebene Fehler eingeschlichen, so entstand z.B. der KB nicht, wie auf Seite 68 behauptet, aus den K-Gruppen, sondern war selbst eine.
Auch eine kritische Quelleneinordnung sucht man an manchen Stellen vergeblich. So werden Texte und Publikationen des Verfassungsschutzes als neutrale Informationen behandelt, ohne zu hinterfragen, ob es sich bei diesem nicht auch um einen politischen Akteur mit einem spezischen Standpunkt handelt, welcher in der Vergangenheit oft genug darin bestand, Nazis zu unterstützen, statt diese zu bekämpfen. Das ist wissenschaftlich unredlich und politisch naiv.
Wer sich «der Antifa» annähern möchte, kann das Buch zurate ziehen und wird einiges Nützliches erfahren. Die vorliegenden Bücher aus der antifaschistischen Bewegung verbundenen Verlagen bieten aber weiterhin mehr Expertise und wären deshalb vorzuziehen.  Nicht nur wer selbst in «der» Antifa engagiert war oder ist, sondern auch, wer mit dem «kalten Blick“ des Historikers auf die antifaschistische Bewegung schaut, wird sich öfters ärgern.

(1) Z.B. Mirja Keller u. a.: Antifa. Geschichte und Organisierung, 3. aktualisierte Auflage, Stuttgart 2018.

Richard Rohrmoser: Antifa. Porträt einer linksradikalen Bewegung. Von den 1920er Jahren bis heute, C. H. Beck Verlag, München 2022, 208 S., 16 EUR

Diese Rezension erschien zuerst in Heft 2/2022 von Arbeit - Bewegung - Geschichte. Zeitschrift für historische Studien. Dieses hat den Schwerpunkt Antifaschismus vor 1945.