Nachricht | Rassismus / Neonazismus «Copy-and-Paste» Terrorismus in Buffalo

Um rechte Morde zu stoppen, müssen wir der weißen Vorherrschaft unserer Gesellschaft entgegentreten

Information

Aktivist*innen protestieren nach dem terroristischen Anschlag weißer Rassisten in Buffalo, NY, am 14. Mai 2022. Foto: IMAGO | xGinaxMxRandazzox

Der Autor des Textes, Bjørn Ihler, überlebte den Terroranschlag in Utøya (Norwegen) von 2011. Er gründete danach das Khalifa Ihler Institute, eine globale Organisation zur Friedensförderung, die sich dem Aufbau und der Stärkung von blühenden und inklusiven Gemeinschaften widmet, und ist Schirmherr von Antifascist Europe, wo dieser Artikel zuerst auf englischer Sprache erschienen ist.

In der Woche, die seit dem Terroranschlag von Buffalo, New York am 14. Mai vergangen ist, haben wir Manifeste analysiert, Chatverläufe des Attentäters durchsucht und den Hintergrund und die Entwicklung eines weiteren Terroristen, der vom gleichen Hass wie viele vor ihm angetrieben war, durchleuchtet. Es wiederholt sich hier das gleiche Muster des Terrors, und mit ihm auch die gleiche Spurensuche durch Kommentator*innen, Forscher*innen, Analyst*innen und Journalist*innen, welche alle Information, die wir nach solch fürchterlichen Ereignissen erhalten, zusammentragen.

Eine Analyse des Manifests des Täters durch das Khalifa Ihler Institute zeigt, dass 28 Prozent des Textes aus Plagiaten bestand, kopiert vor allem aus der Bekennerschrift des Attentäters von Christchurch. Wenn man die operativen Anleitungen und Memes beiseitelässt und sich auf den rein ideologischen Teil des Manifests konzentriert, sind es sogar 57 Prozent.

Einer der zentralen Begriffe der extremen Rechten im gegenwärtigen Diskurs ist der «große Austausch», eine Theorie, die oft auf eine Reihe von Büchern zurückgeführt wird, die der französische Nationalist Renaud Camus zwischen 2010 und 2011 veröffentlichte. Sie greift aber auf wesentlich ältere Verschwörungserzählungen zurück, die im Wesen weißer Gesellschaftsfantasien verankert sind. Sie fand und findet ihren Widerhall in der Angst vor Revolten unter Sklavenhaltern, in antisemitischen Ressentiments und der Furcht vor einer globalen jüdischen Verschwörung, in islamophoben Theorien über «Eurabia» und der islamischen Invasion. Sie war darüber hinaus auch die Triebfeder hinter den Versuchen der «Assimilation» und Auslöschung indigener und anderer als «unerwünscht» titulierter Gruppen.

Um es kurz zu machen. Es ist Rassismus.

#Saytheirnames
Roberta A. Drury
Margus D. Morrison
Andre Mackneil
Aaron Salter
Geraldine Talley
Celestine Chaney
Heyward Patterson
Katherine Massey
Pearl Young
Ruth Whitfield

Weder ist daran etwas besonders neuartig, noch ist es eine neue Entwicklung, dass Rassismus den Grundstein politischer Ideologien bildet, ob ihre täglichen Hassbotschaften nun von Tucker Carlson im Fernsehen oder in den Parlamenten und Machtzentren der Welt verbreitet werden.

Einerseits ist es wichtig, zu verstehen, wie tief Rassismus in unseren Gesellschaften, ihren Machtstrukturen und Bürokratien verankert ist und dass eine fundierte Analyse nötig ist, um ihn zu überwinden. Andererseits ist Rassismus nichts Neues.

Mit anderen Worten: Der Terrorist von Buffalo war in vielerlei Hinsicht nicht weiter bemerkenswert. Das Drehbuch seiner Taten war – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn – von anderen abgeschrieben.

Bemerkenswert, und das sollten wir nie vergessen, ist hingegen der Schmerz und das Leid, das er verursachte, und wir sollten dies im Kontext solcher Taten immer erwähnen und darüber sprechen. Die Taten dieses unscheinbaren Mannes, der seinem ideologischen Kartenhaus keine neuen Einfall hinzuzufügen wusste, haben zehn bemerkenswerten Menschen das Leben gekostet. Menschen, die von ihren Familien geliebt und von ihren Communities gebraucht wurden, die sich um ihre Freund*innen kümmerten und umgekehrt.

Der Verlust dieser zehn Menschen ist ganz und gar sinnlos und reißt eine Lücke in das Leben der Trauernden, ihrer Communities und des ganzen Landes. Eines Landes, das nun weiter damit umgehen muss, dass wieder ein weißer Mann einen Ort des Alltagslebens – in diesem Fall, ein Geschäft – mit der Absicht, so viele Menschen wie möglich einfach nur aufgrund ihrer Identität zu töten, betreten hat.

Zu diesem Zeitpunkt erlebten wir Angriffe auf Sommerzeltlager, auf Stätten des religiösen Lebens wie Kirchen, Moscheen, Synagogen und Sikh-Tempel, aber auch auf Schulen, Gemeindetreffpunkte und auf Geschäfte.

Alles was es braucht um Zerstörung anzurichten, ist ein Mensch, der von der Idee getrieben ist er selbst sei als Überlegener in Gefahr Opfer der gleichen Gewalt zu werden, die er bereit ist, an anderen zu verüben. Anders ausgedrückt: Er glaubt an das Schlimmste im Menschen, daran, dass wir, der Rest der Menschheit, bereit ist, so tief zu sinken wir er.

Aber das sind wir nicht.

Morgen werden wir in unsere Sommerlager, unsere Gebetsstätten, unsere Treffpunkte und Geschäfte zurückkehren. Unser Leben weiter zu leben ist ein Akt des Widerstandes und ein Zeichen der Missachtung gegenüber des Hasses, der erreichen möchte, dass wir auf unsere niederen Instinkte der Furcht und Gewalt zurückfallen.

Dass wir unsere Leben weiterleben, bedeutet, das Scheitern des Terrorismus.

Aus der Perspektive der Terrorismusbekämpfung lautet die Frage offensichtlich, wie wir es schaffen, zukünftige Anschläge zu verhindern. Für die Sicherheitsbehörden lautet die Antwort: Eine Stärkung der eigenen Arbeit und mehr Ressourcen zur Beweismittelerhebung. Für die Betreiber von Social-Media-Plattformen: Eine bessere Infrastruktur zur Löschung von Bekennerschriften und die Entfernung von Livestreams, Videos und Bildern solcher Taten. All dies könnte tatsächlich Teil der Lösung sein, aber im Großen und Ganzen wäre es allenfalls ein kleiner Beitrag.

Was wir brauchen, ist Widerstandsfähigkeit. Wir müssen erreichen, dass diese Angriffe aufhören, dass die Ideen dahinter nicht mehr auf fruchtbaren Boden fallen und dass sie aufhören, zu wachsen und zu gedeihen bis zu dem Punkt, an dem Menschen aus ideologischer Verblendung und gewaltsamer Verzweiflung andere töten und verletzen und dabei Gemeinschaften zerstören.

Um diese Widerstandsfähigkeit aufzubauen, müssen wir das eigentliche Wesen der Bedrohung verstehen. Die Tatsache, dass die Angriffe in Neuseeland, Norwegen, Deutschland und den USA so eng miteinander verflochten sind, sagt uns bereits sehr viel. Dies ist kein lokales Problem, sondern erstreckt sich auf alle Länder mit signifikantem weißen Bevölkerungsanteil. Ziel dieser Anschläge ist keine spezifische Gruppe oder Religion, sondern alle, die als nicht-weiß, oder nicht hinreichend «europäisch» angesehen werden.

Als europäische Antifaschist*innen verdeutlicht uns dies, dass die Kultur der weißen Vorherrschaft unseren Gesellschaften eingeschrieben ist, und dass wir unseren Kampf dagegen fortsetzen müssen – nicht nur gegen den offen zur Schau gestellten Rassismus auf der Straße, sondern auch mit Blick auf unsere eigenen Gemeinschaften, und die Rolle, die wir dort beim Aufbau der Art von Widerstandsfähigkeit, die Terrorismus frucht- und zwecklos macht, spielen können.

Indem wir die zentrale Idee unserer eigenen Vorherrschaft als zugleich lebenswerter und doch gefährdeter als alle anderen auslöschen und sie durch die Idee der Gleichheit ersetzten – dass wir alle so viel wert sind wie alle anderen auch – und diese tief in unserer gesellschaftlichen Infrastruktur, unseren Verwaltungsapparaten, Bildungssystemen, Schulen, Parlamenten und Parteien und in der Wirtschaft verankern können wir dabei helfen, eine bessere, gemeinschaftliche Zukunft aufzubauen: Eine Zukunft der Gleichen, ohne Herrschaft.