In Bosnien konnten die Bürgerinnen und Bürger am vergangenen Wochenende gleich bei jeweils drei Wahlen parallel ihre Stimmen abgeben.
Auf gesamtstaatlicher Ebene wurden das aus drei Mitgliedern bestehende Staatspräsidium und das Abgeordnetenhaus gewählt. In der Republika Srpska (welche neben der Föderation von Bosnien und Herzegowina die zweite Staatsbildende Entität des Gesamtstaates ist) standen das Präsidentschaftsamt sowie das Entitätsparlament zur Wahl. In der Föderation das Entitätsparlament sowie die Versammlungen der Kantone.
In einem früheren Artikel habe ich kurz erklärt, wie Bosnien und Herzegowina politisch aufgebaut ist. Hier nun noch die kurze Erklärung, wie die Wahl auf kantonaler Ebene funktioniert. Die Föderation von Bosnien und Herzegowina ist in zehn Kantone unterteilt, was bedeutet, dass die Bürger*innen nur über die Vertreter*innen in ihrem jeweiligen Kanton abstimmen können. Ungefähr die Hälfte der Bosnier*innen (fast 1,7 Millionen Menschen) leben derzeit im Ausland. Die verzögerte Auszählung der in der Diaspora abgegebenen Stimmen verzögerte auch die endgültige Feststellung des Wahlergebnisses. Der Zentrale Wahlausschuss reagierte außerdem nur langsam auf Unregelmäßigkeiten bei der Wahl, so dass sich die Auszählung in anderen Gemeinden im ganzen Land verzögerte.
Wenn wir uns die Wahlkämpfe in diesem Jahr ansehen, werden wir die übliche ethno-nationalistische Opferhaltung und Kriegstreiberei feststellen, was in der bosnischen Politik nach dem Friedensabkommen von Dayton eigentlich nichts Neues ist. Eine weitere Tatsache und kein Geheimnis ist: Die Parteien haben öffentliche Gelder für Wahlkampfmaterialien veruntreut, die im Wesentlichen die Biografien der Kandidat*innen wiedergeben und wenig bis gar nichts über Programme, mögliche Reformen oder soziale Probleme der Bürger von Bosnien und Herzegowina aussagten. Aber auch das «normale» Praxis seit 27 Jahren.
Emin Eminagić arbeitet als Projektmanager im RLS Büro Tuzla in Bosnien und Herzegowina.
Neu war jedoch, dass Christian Schmidt(derzeit Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina) nur eine Stunde nach Schließung der Wahllokale am 02.10., Änderungen am Wahlrecht implementierte. Ich werde nicht die gesamte Liste der von Herrn Schmidt eingeführten Änderungen aufzählen. Ein bemerkenswerter Aspekt ist jedoch seine Direktive, die Zahl der Delegierten in der Völkerkammer der Föderation von 58 auf 80 zu erhöhen. Das ist für einen ohnehin schon riesigen Staatsapparat schlicht und ergreifend ein weiterer Dolchstoss, denn der aufgeblähte Apparat belastet das Land finanziell bereits jetzt schon massiv. Man erinnere sich nur an die Abstimmung im vergangenen Juni über eine Gehaltserhöhung für die Abgeordneten der Volkskammer und des Parlaments um zusätzliche 500 BAM (ca. 250 Euro) zur Anpassung an die durch den Krieg in der Ukraine gestiegenen Lebenshaltungskosten, während für die einfache Bevölkerung (Rentner*innen, zivile Kriegsopfer, Veteran*innen und Sozialhilfeempfänger*innen) nur eine Einmalzahlung in Höhe von 100 BAM (etwas über 50 Euro) beschlossen wurde.
Schauen wir uns also nach all dem, wie die Wahlen ausgegangen sind, wer tatsächlich gewonnen hat und wie die Politik in den nächsten vier Jahren in Bosnien und Herzegowina aussehen könnte.
Eine «Mitte-Links»-Präsidentschaft nur dem Namen nach
Auf dem Papier sieht es so aus, als hätten wir einen Mitte-Links-Vorsitz, aber das stimmt nicht ganz, wenn wir uns die Gewinner ansehen.
Das bosniakische Mitglied der Präsidentschaft ist Denis Bećirović (SDP/Socijaldemokratska partija Bosne i Hercegovine - Sozialdemokratische Partei von Bosnien und Herzegowina), der den amtierenden Šefik Džaferović (SDA/ Stranka demokratske akcije - Partei der demokratischen Aktion) mit insgesamt 285.185 Stimmen ablösen wird. Für das kroatische Mitglied wurde Željko Komšić (DF/ Demokratska fronta – Demokratisch Front) mit insgesamt 194.605 Stimmen vor Borjana Krišto (HDZ/ Hrvatska demokratska zajednica - Kroatische demokratische Gemeinschaft) zum zweiten Mal in Folge und zum vierten Mal insgesamt zum Präsidenten gewählt. Das serbische Mitglied der Präsidentschaft schließlich, Željka Cvijanović (SNSD/ Savez nezavisnih socijaldemokrata - Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten), Anhängerin von Milorad Dodik, wird ihn mit insgesamt 298.197 Stimmen ablösen. Sie ist auch die erste Frau, die ein Amt in der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina bekleidet.
Was die Politik betrifft, so gibt es bei Bećirović (SDP) und Komšić (DF) und ihren jeweiligen Parteien keine klare linke Positionierung, außer dass sie sich selbst als antinationalistisch bezeichnen, während zu ihren Positionen zu sozioökonomischen Fragen in ihren Programmen praktisch nichts zu finden ist. In ihrer Haltung zur NATO-Mitgliedschaft und zum EU-Beitritt stimmen sie weitgehend mit ihren nationalistischen Kollegen von der SDA und der HDZ überein. Bosnien-Herzegowina könne sich nur im Rahmen dieser internationalen Institutionen weiter entwickeln und alle Probleme des Landes werden mit Beitritt in diese beiden Organisationen wie von Zauberhand verschwinden.
Um Željka Cvijanović und der Allianz Unabhängiger Sozialdemokraten etwas vorweg zu nehmen: Man darf nicht vergessen, dass diese Partei Mitglied der Sozialistischen Internationale war und ihr 2012 diese Mitgliedschaft entzogen wurde. Die SNSD ist eine nationalistische Partei, die sich für die Abspaltung der Entität Republika Srpska einsetzt. Ihr Vorgänger, Milorad Dodik, der Chef der SNSD, wurde nun zum Präsidenten der Republika Srpska gewählt, was einem Schachzug von Putin und Medwedew ähnelt, bei dem sie einfach von Mandat zu Mandat die Sitze tauschen und so die Macht der SNSD in Bosnien und Herzegowina zementieren. Dies ist ein De-facto-Sieg für Milorad Dodik, da seine Partei zwei der höchsten Ämter in Bosnien und Herzegowina innehat und nun darauf besteht, dass die RS ihr eigenes Außenministerium erhält.
Das Parlament in der Föderation
Was den politischen Alltag und die exekutiven Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger von Bosnien und Herzegowina angeht, so müssen wir uns die derzeitige Zusammensetzung des Parlaments der Föderation Bosnien und Herzegowina ansehen. Obwohl Bakir Izetbegović (SDA) bei den Präsidentschaftswahlen gegen Denis Bećirović (SDP) verloren hat, verfügt seine Partei der Demokratische Aktion (SDA) mit 34,9 Prozent über die Mehrheit der Sitze, gefolgt von der Sozialdemokratischen Partei von Bosnien und Herzegowina (SDP) mit 14 Prozent, gefolgt von der rechtskonservativen Partei Volk und Gerechtigkeit (NiP) mit elf Prozent, der Demokratischen Front (DF) von Željko Komšić mit elf Prozent, der Kroatischen Demokratischen Union von Bosnien und Herzegowina (HDZ) mit acht Prozent, der liberalen Naša stranka (NS) mit sechs Prozent und der neoliberalen Partei für eine bessere Zukunft (SBB) mit fünf Prozent. Da die SDP, die NiP, die Naša Stranka und die SBB mit einer gemeinsamen Plattform antraten, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie die Opposition zur SDA bilden werden, vorausgesetzt, dass eine Regierung gebildet werden kann. In den kommenden Monaten werden wir mehr darüber wissen.
Die Volksversammlung in der Republika Srpska
In der Republika Srpska (RS) ist die Situation in der Volksversammlung in etwa die gleiche: Milorad Dodik ist nun Präsident der RS und seine Partei SNSD hat mit 35,2 Prozent die Mehrheit der Sitze, gefolgt von der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) mit 15,4 Prozent, der Partei des Demokratischen Fortschritts (PDP) mit 9,8 Prozent, der Koalition für eine bessere Republika Srpska mit 6 Prozent und Demos mit 5,9 Prozent. Auch dieses Ergebnis hat die Position von Milorad Dodik als einem der mächtigsten Politiker des Landes gefestigt.
Was bedeutet das alles für Bosnien und Herzegowina?
Die Wahlen haben gezeigt, dass es keine Fortschritte bei der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in Bosnien und Herzegowina gegeben hat. Erneut drehte sich der Diskurs um die Frage Anti-Nationalismus vs. Nationalismus, ohne dass über soziale Fragen nachgedacht wurde, ohne Alternativen zum Massenexodus junger Menschen nach Westeuropa auf der Suche nach Arbeitsplätzen und Perspektiven für eine bessere Zukunft. Stattdessen haben wir dieselben Raubritter und Demagogen, die Bosnien und Herzegowina mit leeren Versprechungen darüber, wie das Leben besser sein wird, wenn wir erst einmal in der EU sind, bei Laune halten wollen. Wir haben ein Land, in dem ein Botschafter offene Drohungen gegen das Land aussprechen kann, ohne in irgendeiner Weise sanktioniert zu werden. (Der russische Botschafter Igor Kalabuhov hatte im März letzten Jahres gedroht, dass ein Nato-Beitritt Bosnien-Herzegowinas Konsequenzen haben würde und dann noch hinzugefügt, dass dies keine Drohung, sondern eine Warnung sei.) All dies geschieht unter den wachsamen Augen der internationalen Gemeinschaft, die seit 27 Jahren nur ihre Besorgnis zum Ausdruck bringt und Bosnien und Herzegowina mit halbherzigen Maßnahmen und Kontrolleuren versorgt, die es für eine gute Idee halten, den Staatsapparat mit noch mehr Sitzen auszustatten, um die durch den Krieg und das Friedensabkommen von Dayton entstandenen Geschwüre zu vergrößern.
Bosnien und Herzegowina ist de facto ein gefangener Staat, der keine leeren Versprechungen, keine halben Maßnahmen oder jemanden, der seine Besorgnis zum Ausdruck bringt, sondern einen echten Strukturwandel braucht.