Zwischen dem 6. und dem 18. November 2022 findet die 27. Konferenz der UN-Klimarahmenkonvention (COP) im ägyptischen Sharm el-Sheikh statt – in einem in vielerlei Hinsicht problematischen Kontext.
Während die Klimakatastrophe ungebrochen voranschreitet, sind Deutschland und Europa mit der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Energiekrise beschäftigt. Der notwendige Klimaschutz wird ohne mit der Wimper zu zucken vertagt und neue fossile Energiequellen werden ausgebaut. Der Multilateralismus liegt am Boden und die internationale Klimadiplomatie ist Meilen entfernt vom lächelnden «Pariser Momentum»von 2015, als die Staatschefs sich für das Erreichen eines neuen Klimaabkommens feierten. Sinnbildlich für diese Krise des Multilateralismus ist der Standort, an dem die diesjährige COP stattfindet – die ägyptische Tourismussstadt Sharm El-Sheikh. Das ägyptische Regime unter Abdel Fattah Al-Sisi ist bekannt für seinen repressiven Umgang mit jeder Art von Kritik und zivilgesellschaftlicher Opposition und unzählige Menschenrechtsverletzungen, unter denen viele (linke) Aktivist*innen leiden.
Auch das Jahr 2022 wird mit traurigen Superlativen in Bezug auf die klimatischen Entwicklungen in die Geschichtsbücher eingehen. In Europa sind diese seit einigen Jahren ebenfalls spürbar: Der Sommer war der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, die Temperaturen im August lagen sogar 0,8 Grad über denen von August 2021. Während es in einigen Regionen zu extremer Trockenheit kam, fiel in anderen überdurchschnittlich viel Regen – ungewöhnlich für einen Kontinent, der nicht in den Tropen liegt. Gleichzeitig schlugen die klimawandelbedingten Extremwetterereignisse in anderen Regionen der Welt wieder mit voller Wucht zu. Für die betroffenen Länder bedeuten sie eine weitere Verschärfung der globalen Vielfachkrise, bestehend aus Verschuldung, Gefährdung der Ernährungssicherheit bis hin zu Hungernöten, den Auswirkungen der Corona-Krise, Inflation und Energiekrise – auch getriggert durch den Krieg in der Ukraine.
Ein besonders bitteres Beispiel dafür stellt die Flutkatastrophe in Pakistan dar. Nach den etwa vier Monate andauernden Fluten befindet sich das Land in einer desaströsen Lage. Die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einer umfassenden Gesundheitskrise. 33 Millionen Menschen sind betroffen, davon zwei Drittel Frauen und Kinder. Die wirtschaftlichen Folgekosten werden auf etwa 30 Milliarden US-Dollar geschätzt, etwa 10 Prozent des Brutto-Inlands-Produkts. Pakistan zählt zu den 10 Ländern, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind – gleichzeitig trägt das Land aktuell nur etwa ein Prozent zum globalen CO2-Ausstoß bei. Verstärkt wird diese verletzliche Lage durch die Wirtschaftskrise im Land, die der Ukrainekrieg weiter verschärft hat. Pakistan ist stark von Weizenimporten aus der Ukraine und aus Russland abhängig sowie von Öl- und Gasimporten für die Energieversorgung.
Gas-Shopping statt Klimaschutz
In krassem Gegensatz zu diesen offensichtlichen Folgen des Klimawandels stehen die aktuellen Entwicklungen in der Klimapolitik. Aus dem aktuell erschienenen Emmissions Gap Report 2022, dem Jahresbericht des UN-Umweltprogramms zum Ausstoß von Treibhausgasen und deren Auswirkungen auf den Klimawandel, geht hervor, dass es kein realistisches Szenario gibt, nach dem die Weltgemeinschaft das in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Ziel erreichen wird. Der Bericht sieht es als erwiesen an, dass die Welt bei der Fortsetzung der aktuellen nationalen Klimapolitiken auf eine Erwärmung von 2,8 Grad zusteuert bzw. auf 2,4 bis 2,6 Grad bei Einhaltung aller internationaler Zusagen für Treibhausgasminderungen. Die Auswirkungen für Umwelt und Menschheit werden brutal sein. Die notwendigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationsprozesse, die es bräuchte, um den Klimawandel im Sinne des 1,5-Grad-Ziels einzudämmen, werden verschleppt – manche bereits eingeleiteten Prozesse werden sogar rückgängig gemacht. Aufgrund der Energiekrise, die der Ukrainekrieg ausgelöst hat, und den damit verbundenen möglichen Versorgungsengpässen und enormen Preissteigerungen erleben wir derzeit eine Renaissance fossiler und auch nuklearer Energien.
Die Bundesregierung und die Europäische Union gehen hier mit schlechtem Beispiel voran. Man kann die aktuellen Entwicklungen als eine Art Flüssiggas-Shoppingtour bezeichnen: Neben Ländern wie Katar, Saudi-Arabien, Kanada und Israel, mit denen Gas-Deals geplant oder bereits abgeschlossen sind stehen jetzt vor allen afrikanische Länder wie Ägypten (als Standort für Terminals), Nigeria oder Senegal als künftige Gaslieferanten hoch im Kurs. Der europäische Gashunger bedeutet für ärmere Länder wie Bangladesch oder Pakistan nicht nur, dass deren Gasimporte zurückgestellt werden, weil die Europäer*innen höhere Preise bezahlen. Wegen der stark gestiegenen Preisen müssen sie auch neue Kredite aufnehmen, was die Verschuldungsspirale weiter anheizt. Insbesondere afrikanische Länder wurden in der Vergangenheit durch die deutsche Klimaaußen- und Entwicklungspolitik beim Umstieg auf erneuerbare Energien unterstützt. Durch Run auf fossile Brennstoffe scheinen solche Unterfangen jetzt konterkariert zu werden. Auch die Missachtung möglicher Umweltschäden bei der nun voran getriebenen Förderung von Gas ist alarmierend.
Kernthema Finanzierung
In diesem Kontext findet nun die als «afrikanische COP» gelabelte Weltklimakonferenz in Sharm el-Sheikh statt. Die Erwartungen sind groß, dass diese COP die Probleme des afrikanischen Kontinents in den Mittelpunkt rückt. Entsprechend drückt der Chef der Afrikanischen Entwicklungsbank Akinwumi Adesina es aus: «Auf dem Weg nach Sharm el-Sheikh ist meine Botschaft folgende: Afrika leidet unter etwas, das es nicht verursacht hat. Die Industrieländer haben schon vor Längerem 100 Milliarden Dollar pro Jahr an Klimafinanzierung für Entwicklungsländer versprochen. Was wir jetzt bekommen, ist viel Gerede und null Finanzierung. Es ist an der Zeit, zu zahlen, denn Afrika leidet enorm unter den Auswirkungen des Klimawandels. Es ist Afrikas COP, also lasst uns die Probleme Afrikas lösen, indem ihr das Geld auf den Tisch packt.» Das Thema Klimafinanzierung wird auf dieser COP eine zentrale Rolle spielen. Neben den weiterhin nicht eingelösten Versprechungen der Industrieländer, die versprochenen 100 Milliarden Dollar jährlich auf den Tisch zu packen, wird es auch darum gehen, einen größeren Teil dieser Gelder für Anpassungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Derzeit geht ein Großteil in Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen – also Minderungsbeiträge. Angesichts der gerade von ärmeren Ländern dringend benötigten Mittel (und Technologien) für Klimawandelanpassung wurde bereits auf der COP26 beschlossen, dass die Finanzen hierfür bis 2025 gegenüber 2019 verdoppelt werden sollen. Auch wenn Deutschland sich gern für seine Vorreiterrolle bei der Klima- und Anpassungsfinanzierung feiert – mit teilweise eher wohlwollenden Berechnungsmethoden –, so zeigen die Zahlen ein anderes Bild: Auf dem G7-Gipfel im Juni dieses Jahres hat Kanzler Scholz versprochen, bis im Jahr 2025 die Klimafinanzierung auf sechs Milliarden Euro zu erhöhen. Mit allerdings jeweils 4,3 Milliarden Euro im Bundeshaushalt für 2022 und 2023 bleiben die Zahlen unter dem Niveau von 2021. An die internationale Gemeinschaft sendet dies eher ein Signal der Stagnation. Hinzu kommt, dass sich die Forderung nach einer eigenen Finanzinstitution für Klimaschäden und -verluste, die im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen zentral ist, im Bundeshaushalt gar nicht wiederspiegelt – dieser weist keinerlei Finanzierung für Schäden und Verluste aus. Auch wenn Außenministerin Baerbock die massiven und bereits vorhandenen Folgen des Klimawandels, die schon jetzt für Zerstörung, menschliches Leid und Fluchtbewegungen sorgen, als wichtiges Handlungsfeld anerkennt, so umschifft die Bundesregierung die Forderung nach Finanzierung über die Klimarahmenkonvention oder gar einem Entschädigungsmechanismus lieber mit eigenen (weniger verpflichtenden) Initiativen – wie dem Globalen Schild gegen Klimarisiken, welches ebenfalls auf dem G7-Gipfel verkündet wurde. Grundsätzlich spricht nichts gegen solche bi- oder multilateralen Fonds, allerdings bedeuten diese in der Regel keine zusätzliche Mobilisierung von Geldern, sondern eine Einpreisung in das 100- Milliarden-Ziel – so auch beim Globalen Schild. Fragwürdig bei dieser Lösung sind auch die angedachten Versicherungsprämien, die von den Menschen in den betroffenen Regionen noch zu erwerben wären. Kritisch ist dabei, dass die bürokratischen Hürden für viele betroffene Menschen oftmals kaum zu bewältigen sind, wenn es dann um die konkrete Einlösung der Versicherungsleistung geht. Auch zeigen jüngste Fälle in Florida, dass Versicherungsprämien unter anderem aufgrund des erhöhten Klimarisikos immer teurer werden, bzw. Versicherungen sogar die betroffenen Regionen verlassen.
Geld für Klimaschäden und die Gefahr falscher Verbündeter
Es ist der jahrelangen, harten Lobby-Arbeit von betroffenen Staaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren zu verdanken, dass Klimaschäden und -verluste dieses Jahr so prominent und hoffentlich auch erfolgreich auf der Klimakonferenz verhandelt werden. Die ägyptische COP-Präsidentschaft hat sich des Themas angenommen und wird sich dabei vermutlich als Fürsprecher afrikanischer und anderer betroffener Länder präsentieren. Die Forderung nach Klimareparationen, wozu die Kompensation von Schäden und Verlusten gezählt werden kann, ist eine der Kernforderungen der Klimabewegung; sie ist eng verknüpft mit dem Anspruch auf Begleichung der historischen Schuld der Industrieländer für Kolonialismus und Klimakrise. Gleichzeitig geht es aus der Perspektive von Klimagerechtigkeit immer darum, dass die Interessen der betroffenen und vulnerablen Communities ins Zentrum gestellt werden. Diese Forderung muss seitens der Zivilgesellschaft hochgehalten werden. Es hat nichts mit Klimagerechtigkeit zu tun, wenn sich diktatorische Regime wie das ägyptische über eine Finanzierung von Klimaschäden und -verlusten weiter bereichern. Es hat auch nichts mit Klimagerechtigkeit zu tun, wenn sich die Zivilgesellschaft am Ende der COP, sollte das Ziel der Finanzfazilität erreicht werden, freudig strahlend neben Al-Sisi’s Verhandler*innen stellt, als gäbe es die zigtausend politischen Gefangenen, die Menschenrechtsverletzungen und staatlichen Repressionen im Land nicht.
Nachdem im vergangenen Jahr auf der COP in Glasgow endlich einer der vielen Elefanten im Raum der COPs – das Thema Beendigung fossiler Energieträger – angegangen wurde, stellt sich die Frage, ob sich auf der diesjährigen COP aufgrund der weltpolitischen Lage nicht eher massive Rückschritte abzeichnen werden. Vertreter*innen der Bundesregierung haben auf verschiedenen Terminen im Vorfeld der COP immer wieder betont, dass die Verhandlungen um die Minderung von Treibhausgasen nicht in den Hintergrund treten dürfen. Angesichts der aktuellen energiepolitischen Entscheidungen der Bundesregierung, wie Laufzeitverlängerungen für Kohlekraftwerke, High-Speed-Errichtung von LNG-Terminals, internationale Gaseinkäufe, Subventionen von Gasimporteuren und im Gegenzug ein viel zu langsamer Ausbau von erneuerbaren Energien, dürfte die ambitionierte Klimaaußenpolitik der Außenministerin einiges an Glaubwürdigkeit gegenüber den internationalen Partnern einbüßen. Wie viel zusätzliche Klimaschutzambitionen die anstehenden Verhandlungen zum Arbeitsprogramm Minderung zur Erreichung der Minderungsziele bis 2030 hervorbringen werden, wird sich auf der COP zeigen. Es sieht momentan jedenfalls nicht so aus, als ob die globale Staatengemeinschaft den Weg, der eine Erwärmung von über 1,5-Grad verhindern kann, ernsthaft betreten will.
Gipfelshow und Greenwashing für das Militärregime
Die UN-Klimakonferenzen waren in den vergangenen Jahren immer auch ein Momentum der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung. Unter starker Beteiligung oder initiiert von lokalen Bewegungen an den jeweiligen Konferenzstandorten fanden parallel zu den COPs Alternativgipfel, große Demonstrationen und wichtige Vernetzungen statt. Dieses Jahr symbolisiert der Standort Sharm El-Sheikh eine Klimadiplomatie, die sich von denen, die vom Klimawandel betroffen sind, weit entfernt ist. Das ägyptische Regime unter Präsident Al-Sisi regiert das Land auf der Basis harter Repression und Menschenrechtsverletzungen. Sharm El-Sheikh ist für die ägyptische Bevölkerung quasi unzugänglich, und die für linke und progressive Akteure stets so wichtigen alternativen Gipfel und Klimademos wird es vor Ort nicht, oder wenn, dann nur unter strengen Auflagen geben. Mit einer pompösen, unter anderem von Coca Cola gesponsorten Gipfelshow wird das Al-Sisi-Regime die COP27 für ein «Greenwashing» nutzen und sich als Vorzeigeland nachhaltiger Energieerzeugung, grünem Tourismus und als Stimme für die von der Klimakrise betroffenen Länder darstellen. Legitime Ansprüche des Globalen Südens, wie die zu Klimaschäden und verlusten, laufen der Gefahr, durch die ägyptische Präsidentschaft für deren Klima-Champion-Image instrumentalisiert zu werden. Sicherlich wird sich das Regime bemühen, auch in Bezug auf zivilgesellschaftliche Beteiligung ein gutes Bild abzugeben. So hat Ägypten beispielsweise beantragt, dass es dieses Jahr Sonderzulassungen für afrikanische Beobachter geben wird. Über 50 Organisationen, vor allem ägyptische, haben sich auf diese beworben. Es stellt sich die Frage, warum sie eigentlich nur an dieser COP und nicht auch an zukünftigen teilnehmen sollen. Die MENA-Region (Middle East and North Africa) ist seitens der Zivilgesellschaft bei den Klimaverhandlungen bisher jedenfalls stark unterrepräsentiert.
Beeindruckend ist das unermüdliche Engagement ägyptischer Aktivist*innen, die in den vergangenen Monaten die internationale Klimaszene beständig ermahnt haben, ihre Situation und ihre politischen Gefangenen bei allem noch so wichtigen Engagement für Klimagerechtigkeit nicht zu vergessen, sei es durch die Free-Alaa-Kampagne oder den Aufruf des Cop Civic Space. Die Solidaritätsbekundungen von prominenten Klimaaktivist*innen haben lang auf sich warten lassen, sind nun aber ohne Zweifel da. Die eigentliche Herausforderung wird es sein, wie diese Solidarität in Sharm El-Sheikh selbst umgesetzt werden kann und was das ägyptische Regime nach der COP für Maßnahmen zur Eindämmung politischer Opposition ergreifen wird. Auch das Engagement der Bundesregierung bezüglich dieser Thematik wirkt nicht sonderlich überzeugend, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage der LINKE-Abgeordneten Heidi Reichinnek zeigt: Dort wird schon das Absenden eines Tweets der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, Luise Amtsberg, als Teil einer nachdrücklichen Politik für die Rechte des politischen Gefangenen Alaa Abd El-Fattah angegeben.
Die Entscheidungen der UN-Klimakonferenzen sind weit davon entfernt, der Ort zu sein, an dem die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakatastrophe beschlossen werden. Sie haben sich, im Gegenteil, durch von nationalen Wirtschaftsinteressen verkorkste Verhandlungsergebnisse immer mehr davon entfernt. Dem entgegen stehen auch in diesem Jahr zahlreiche dezentrale, von sozialen Bewegungen und betroffenen Gemeinden initiierte Versammlungen und Aktionen, die die Interessen Afrikas aus ihrer Perspektive beleuchten und Forderungen entwickeln. Für den 12. November ruft ein breites, von afrikanischen und arabischen Organisationen angeführtes Bündnis, die COP 27 Coalition, zu dezentralen Aktionen auf. Auch in Deutschland wird es Gelegenheit geben zu protestieren. Während die Bundesregierung versuchen wird, auf der internationalen Bühne klimapolitisch zu glänzen, steht hier die Räumung des Dorfs Lützerath für die Ausweitung des Kohleabbaus im rheinischen Braunkohlerevier vor der Tür, mit dem Abriss von Windrädern wurde schon begonnen. Für den 12. November ruft das Bündnis «Alle Dörfer bleiben» zu einer Demonstration in Lützerath aus. Die eigentliche Klimapolitik eines jeden Landes wird vor Ort umgesetzt – und der Fall Lützerath steht wie kaum ein anderer für das klimapolitische Versagen Deutschlands.