Nachricht | Klimagerechtigkeit - COP27 «Wir nennen das Klimakriminalität»

Interview mit einem Vertreter von OccupyCOP27

Information

Autorin

Nadja Charaby,

Ägyptens Präsident Abdel Fattah el-Sisi eröffnet die Klimakonferenz COP27 in Sharm-el-Sheik. El-Sisi gelangte 2013 durch einen Militärputsch an die Macht. Er führt das Land seitdem diktatorisch und mit systematischen Menschenrechtsverletzungen. IMAGO / Xinhua / Sui Xiankai

Die diesjährige UN-Klimakonferenz, auch COP27 genannt, findet im abgeschirmten ägyptischen Touristenort Sharm-el-Sheikh statt – und damit unter der Hoheit eines repressiven Regimes, das für drakonische Gesetze, willkürliche Verhaftungen und Greenwashing steht. Um sich als nachhaltig darzustellen, deklariert die ägyptische Regierung Infrastrukturprojekte beispielsweise gern als ökologisch oder klimafreundlich, ohne dass diese es nachweislich auch sind. Notwendiger zivilgesellschaftlicher Protest vor Ort wird kaum oder nur sehr eingeschränkt möglich sein. Entsprechend kommt der ägyptischen Diaspora eine wichtige Rolle bei der Thematisierung von Missständen zu. Nadja Charaby, Referentin für Klimapolitik, sprach vor dem Beginn der COP mit einem Vertreter von OccupyCOP27 über die Mobilisierung im Vorfeld der COP.

Wieso heißt Eure Initiative «OccupyCOP27» und welches Ziel verbindet Ihr mit euer Kampagne?

«OccupyCOP27» ist eine Bewegung ägyptischer Aktivist*innen, die im europäischen Exil leben und versuchen, sich mit der Bewegung für Umweltgerechtigkeit zu vernetzen. Wir wollen auf zwei Heucheleien hinweisen: Die eine ist die Heuchelei Ägyptens, wo eine faschistische Militärdiktatur versucht, sich als Verfechter der Sache des globalen Südens, insbesondere der afrikanischen Nationen, in ihrem Streben nach Klimagerechtigkeit darzustellen. Dies ist ein Regime, das überhaupt kein Interesse an Klimagerechtigkeit hat. Darüber hinaus hat es kein Interesse am Wohlbefinden der Bevölkerung, die es vertritt. Die Umwelt- und Klimabewegung ist aus unserer Sicht zu wenig informiert darüber, was in Ägypten vor sich geht und ging.

Aber die andere Heuchelei, auf die wir hinweisen wollen, ist die Tatsache, dass der globale Norden versucht, den Klimagipfel für seine eigenen Bedürfnisse des Greenwashings auszunutzen. Die Länder des globalen Nordens haben riesige Klimaschulden, da sie die Verursacher der globalen Klimakatastrophe sind. Und so versuchen die Regierungen des globalen Nordens, diesen Klimagipfel für ihre Greenwashing-Bemühungen auszunutzen. Wir nennen das «Klimakriminalität».

Was sind Eure Hauptkritikpunkte an der COP27 in Ägypten?

Das habe ich in gewisser Weise schon in der ersten Frage beantwortet. Es ist ein Ereignis, das verschiedene Mächte versuchen auszunutzen. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass auf diesen Gipfeltreffen viele Versprechen gemacht werden und nur sehr, sehr wenige davon eingehalten werden. Deshalb sollten wir zunächst einmal misstrauisch sein. Aber im Falle Ägyptens haben wir es mit einem Gastgeber zu tun, der nicht nur ein Verbrecher ist, wenn es um die Umwelt geht, sondern auch ein faschistischer Verbrecher gegenüber seiner eigenen Bevölkerung. Durch ihre Teilnahme an diesem Gipfel verschließen alle Staats- und Regierungschefs der Welt die Augen vor dieser Realität. Nicht nur, dass die Länder des globalen Nordens die Umweltkatastrophe, in der wir uns befinden und die wir als Menschheit verursacht haben – insbesondere die überproduzierenden Nationen im globalen Norden – nicht wahrnehmen. Sie beschönigen die Verbrechen einer Diktatur. Allein die Tatsache, dass überhaupt empfohlen oder vorgeschlagen wurde, diesen Gipfel unter einem solchen Regime stattzufinden zu lassen, ist eine Katastrophe, die die Heuchelei derer zeigt, die solche Entscheidungen treffen.

Mehr als 60.000 Gefangene sitzen in ägyptischen Gefängnissen. Dennoch wird die COP in der politischen internationalen Arena überwiegend als eine Klimaverhandlung wahrgenommen. Ist die internationale Klimabewegung blind für Menschenrechte? Wie können aus Eurer Sicht Menschenrechte und Klimagerechtigkeit verbunden werden?

Wir haben in unseren politischen Kämpfen gelernt, was nötig ist: Eine Haltung der Intersektionalität. Man kann Kämpfe nicht voneinander trennen. Und so können wir die Kämpfe für und von Migrant*innen, die auf ihrem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrinken, nicht trennen von den Kämpfen der Ukrainer*innen gegen die russische Kriegsmaschinerie und von den Kämpfen für Umweltgerechtigkeit. Und von den Kämpfen gegen faschistische Diktaturen auf der ganzen Welt. Das ist keineswegs etwas, das nur auf Ägypten beschränkt ist. Ägypten ist ein Ort, bei dem wir nicht einmal die tatsächlichen Ausmaße der Repression kennen. Oft wird die Zahl von 60 oder 65.000 politischen Gefangenen in ägyptischen Gefängnissen genannt. Aber weder Journalist*innen noch Menschenrechtsverteidiger*innen haben Zugang zu diesen Orten, um Nachforschungen dazu in vollem Umfang anstellen zu können. Die Machtübernahme der Militärdiktatur wurde auf dem Rücken von über 1.000 Menschenleben aufgebaut, die sie bei einem Massaker im August 2013 ermordet hat. Das wurde nie als Verbrechen anerkannt, auch weil die Welt nie darauf gedrängt hat. Darüber hinaus wird Ägypten von vielen Demokratien, die sich selbst als Säulen der Meinungsfreiheit betrachten, als politischer Partner betrachtet.

Seit Anfang Oktober gibt es eine neue Verhaftungswelle, bei der Hunderte von Aktivist*innen und Hunderte von Personen auf der Straße verhaftet wurden, nur, weil sie verdächtigt wurden, an Protesten während der COP teilnehmen zu wollen. Das ist ein alltägliches Vorkommnis in Ägypten, wo die Menschen im Grunde genommen keine Rechte als menschliche Wesen haben. Es ist sehr schwer in Worte zu fassen, wie dieses ägyptische Regime unter der Führung von Abdel Fattah el-Sisi das menschliche Leben betrachtet. Jede*r, der politischen Aktivitäten oder der Opposition gegen dieses Militärregime verdächtigt wird, kann verschwinden, gekidnappt oder verhaftet werden. In manchen Fällen bedeutet das jahrelange Haft. In manchen Fällen bedeutet es, dass Leichen am Straßenrand mit Zeichen von Folter gefunden werden. Folter ist ein alltäglich im Gefängnis. Am Sonntag, zu Beginn des Gipfels, trat der Aktivist Alaa Abd El-Fattah in einen vollständigen Hungerstreik, nachdem er über 200 Tage lang nur 100 Kalorien pro Tag zu sich genommen hatte. Alaa wird im Gefängnis sterben, weil er dieses Regime kritisiert hat, während die Staats- und Regierungschefs über die Zukunft unseres Planeten verhandeln, es sei denn, die Politiker*innen erkennen die Zusammenhänge: keine Klimagerechtigkeit ohne soziale Gerechtigkeit. 

Eines der Dinge, die selten berücksichtigt werden, ist, dass Ägypten sich in einer kritischen finanziellen Situation befindet. Zum Großteil wegen des Militärdiktators Abdel-Fattah As-Sisi, der größenwahnsinnig ist und in ganz Ägypten Projekte initiiert hat, die finanziell völlig untragbar sind. So hat er den Bau von 41 neuen Städten in ganz Ägypten initiiert, um nur ein Beispiel zu nennen. Die größte von ihnen ist die so genannte neue Verwaltungshauptstadt, eine neue Hauptstadt, die Kairo in naher Zukunft ersetzen soll und die bis heute schätzungsweise 300 Milliarden US-Dollar gekostet hat. Seit seinem Amtsantritt hat er 27 neue Gefängnisse bauen lassen. An der Küste des Mittelmeers wird derzeit ein Atomreaktor gebaut, mit einem Kredit über 25 Milliarden Dollar aus Russland. All diese Projekte hängen weitgehend von Krediten ab. Die Auslandsverschuldung Ägyptens hat sich mehr als verdreifacht, seit As-Sisi an die Macht gekommen ist. Das Regime ist gezwungen, Kredite vom IWF zu nehmen, die auch Bedingungen für strukturelle Anpassungen enthalten, die immer die Ärmsten am härtesten treffen: die Streichung von Subventionen. Aber es bedeutet auch, dass die ägyptische Wirtschaft am Rande der Zahlungsunfähigkeit und am Rande des Bankrotts steht.

Und diese Gelegenheit sollten Nationen, die tatsächlich um Menschenleben in Ägypten besorgt sind, nutzen, um Druck auszuüben und Bedingungen für die grüne Finanzierung zu stellen, die sie für Ägypten bereitstellen würden. Das ist eine Möglichkeit, wo wir eine Verbindung zwischen Klimagerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit sehen, wo grüne Investitionen stattfinden können. Der entscheidende Punkt ist, dass die Klimaschuldner der Natur und den von der Klimakrise am stärksten betroffenen Menschen, einschließlich der Ägypter*innen, etwas schulden – nicht den Regierungen und schon gar nicht den faschistischen. Grüne Finanzierung in Ägypten ist eine tolle Sache, saubere Energie sollte aber im Land verbleiben.

Welche Positionierungen erwartet Ihr angesichts der hohen Anzahl von Gefangenen und den Restriktionen, z.B. für zivilgesellschaftliche Proteste, von der Bundesregierung und deutschen Politiker*innen während der COP?

Wir haben keine großen Hoffnungen, dass Politiker*innen eine starke, kritische Haltung gegenüber dem ägyptischen Regime einnehmen – das gilt sowohl für Deutschland als auch für andere Länder. Auf der großen Bühne sind Politiker*innen, um Politik zu machen, und nicht, um sich um die Menschenrechte und sich um das Leben der einfachen Menschen zu kümmern. Auch dies wird deutlich darin, wie wenig sich der globale Norden einsetzt, um die Versprechen, die er gemacht hat, auch einzulösen.

Eines der Dinge, die wir am Rande der COP erwarten, sind Vereinbarungen über die Produktion von grüner Energie in Ägypten für den Export nach Europa. Das ist etwas, was Deutschland ausdrücklich angekündigt hat, ebenso andere Länder wie Frankreich, die Niederlande und das Vereinigte Königreich. Noch zwei Tage vor Beginn des Klimagipfels schloss Deutschland mit der Diktatur ein «grünes» Geschäft ab, von der grauenhaften politischen Lage im Land harrt nur Stille. Es ist klar, wo die Prioritäten der deutschen Politik liegen.  Die Realität ist, dass Ägypten zu 94 Prozent von fossilen Brennstoffen abhängig ist. Und obwohl es ein Land ist, das über die Ressourcen verfügt, sich von dieser Abhängigkeit zu befreien, wird das nie geschehen. Denn die Finanzinvestitionen, die von außen kommen, dienen ausschließlich dem Export. Und hier kommt das Greenwashing der Länder des globalen Nordens zum Tragen. Es gibt kein wirkliches Interesse an Investitionen für die lokale Wirtschaft, für die Gemeinschaften in Ägypten, sondern nur für die Interessen der Importeure. In diesem Fall handelt es sich um eine Form des Neokolonialismus. Wir wissen zum Beispiel von den Grünen in Deutschland, dass sie in der Vergangenheit in Menschenrechtsfragen eine sehr starke Position gegenüber Ägypten eingenommen haben. Sie haben sich kritisch zur Zahl der politischen Gefangenen geäußert. Sie haben frühere deutsche Regierungen kritisiert, die groß angelegte Waffen- und Geschäftsabkommen unterzeichnet haben, von denen die deutsche Wirtschaft profitiert und die das ägyptische Regime gestärkt haben. Doch sobald die Grünen in der jetzigen Regierungskoalition an die Macht kamen, änderten sie schnell ihre Sprache und haben tatsächlich den Diktator Abdel-Fattah As-Sisi vollständig umarmt. Sie haben ihn zum politischen Dialog willkommen geheißen. Es ist also schwierig, hohe Erwartungen zu haben.

Gibt es in Ägypten eine Bewegung und/oder Akteur*innen für Klimagerechtigkeit? Und werden diese Zugang zu den Klimaverhandlungen haben und ihre Standpunkte dort, ohne Sorge vor Repressionen, kundtun können?

Eine solche Bewegung gibt es natürlich. Jedoch müssen die Aktivist*innen im Untergrund agieren oder werden gezwungen, das Land zu verlassen. Die Bewegung, die es gibt, ist dadurch klein und schwach und extrem begrenzt. Der andere Aspekt ist, dass dieser Gipfel extrem exklusiv ist. Das Regime weiß, wen es bei diesen Gesprächen dabeihaben will und was sie von der lokalen Bevölkerung nicht will. Und sie sind sehr gut im Erschaffen von – nennen wir sie mal – einer «Fangemeinde». So wurden eine Reihe von Umwelt-NGOs nur wegen dieses Klimagipfels gegründet, um bei diesen Treffen aufzutreten, damit die ägyptische Jugend zur Feier des Militärregimes spricht. Und die kritischen Stimmen werden einfach nicht eingeladen, dabei zu sein. Und wie ich bereits erwähnte, wurden Personen und Aktivist*innen im Vorfeld bereits verhaftet.

Es steht zu befürchten, dass nach der COP die Repressalien gegen kritische Aktivist*innen und linke Akteur*innen wieder zunehmen werden. Welche Forderungen stellt Ihr an die Bundesregierung?

Natürlich hat es im Vorfeld des Gipfels eine Reihe von Begnadigungen durch den Präsidenten gegeben, jedoch nur um den Schein zu wahren. Um als jemand Wohlwollendes zu erscheinen, der zu Unrecht verhaftete politisch aktive Menschen freilässt. Ich weiß nicht, wie das von der Außenwelt überhaupt als etwas Positives wahrgenommen werden kann. Außerdem wurden im letzten Monat mehr politische Gefangene festgenommen - über 1500 – als der Diktator «begnadigt» hat – 766. Und natürlich besteht die Befürchtung, dass die Leute einfach wieder verhaftet werden, wenn das Rampenlicht vorbei ist. Das ist nicht ungewöhnlich in Ägypten, so ist es vor Kurzem auch mit dem politischen Aktivisten Sherief al-Ruby passiert.

Es ist schwierig zu wissen, wo man anfangen soll. Die Quintessenz ist, dass dieses Regime fallen muss. Dies ist kein Regime, das einen Sinn für Klimagerechtigkeit oder soziale Gerechtigkeit hat. Es nutzt diesen Klimagipfel nur aus, um sein Image in der Welt zu verbessern und um zu versuchen, Klima- und Umweltinvestitionen in eine kränkelnde Wirtschaft zu locken. Eine Wirtschaft, die am Rande des Bankrotts steht, weil ein Diktator Luxusprojekte für Reiche und Ausländer*innen baut, ohne an Nachhaltigkeit zu denken, an Menschenleben, die Umwelt. Und das ist derjenige, mit dem sich die politischen Führungen aus aller Welt auf diesem COP-Gipfel im Dialog stehen werden. Solange das Regime aber weiter an der Macht ist, müssen Investitionen in Ägypten von großen Klimaschuldnern wie Deutschland von der Verbesserung der Menschenrechtslage in Ägypten abhängig sein. Und zwar nicht nur durch die Freilassung von politischen Gefangenen, sondern auch durch die Ermöglichung der Arbeit der Zivilgesellschaft. Ohne kritische Stimmen gibt es keine Stimme für Umweltgerechtigkeit. Ohne freie Zivilgesellschaft gibt es auch keine Klimagerechtigkeit in Ägypten.