Die Summe, die der Pächter des beim Terrorangriff am 11. September 2001 zerstörten World Trade Centers von den Versicherern erhielt, betrug 2,2 Milliarden Dollar. Damit lag sie - für zwei Wolkenkratzer – deutlich höher als das damalige Bruttoinlandprodukt von Ländern wie Tschad, Gambia oder Ruanda. Oder aktueller: Mit den laufenden Kosten für die heute weltweit ungefähr 6.000 in Betrieb befindlichen Superyachten, könnten die Schulden sämtlicher Entwicklungsländer getilgt werden. Man muss keine Marx gelesen haben, um zu verstehen, dass solcher Reichtum nicht dem Wert eigener Arbeit entspricht (es sei denn, man ist FDP-Mitglied).
Uwe Witt ist Referent für Klimaschutz und Strukturwandel bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Es gibt Zeiten, da raufen sich die Millionen besonders schnell zusammen. Etwa in dieser Energiekrise. Und auch hier die zwei Seiten, in dem Fall unmittelbar verbunden, nicht indirekt vermittelt über vielstufige Weltwirtschafts- und Ausbeutungsbeziehungen: Gigantische Extraprofite von Kohle- und Ölkonzernen sowie Stromerzeugern auf der einen, Energiearmut und Neuverschuldungen öffentlicher Haushalte zur Krisenbewältigung auf der anderen.
Extraprofit heißt jetzt Übergewinn
Extraprofite nennen sich heute Übergewinne. Und selbst dieses Wort kam der Bundesregierung lange nicht über die Lippen. Was seien denn Übergewinne? Es gäbe nur Gewinne, und die gehörten zur Marktwirtschaft, genauso, wie Verluste, so nicht nur Liberale. Nun könnte man vielleicht selbst als kerniger Marktwirtschaftler unterscheiden zwischen Unternehmen, die mal gerade vorne sind mit cleveren Produkten oder effizienten Herstellungsverfahren, und Eigentümern, die sich mit der Knappheit von begrenzten Ressourcen eine goldene Nase verdienen – auf Kosten von Verbraucher*innen und Staatswesen.
Im Falle der leistungslosen Extragewinne in Folge der kriegsbedingten Gasknappheit lassen sich Parallelen zu ähnlich Parasitärem finden. Etwa solche, die sich derart eingeschlichen haben, dass sie lange nur von wenigen in Frage gestellt wurden: Die Profite beispielsweise, die Immobilieneigentümer schleichend von Jahr zu Jahr allein dadurch machen, dass Grund und Boden in den Städten immer knapper wird. Dagegen hegt sich nun glücklicherweise immer öfter Widerstand bis in die Mitte der Gesellschaft, siehe Volksabstimmungs-Erfolg der Berliner Kampagne «Deutsche Wohnen & Co enteignen!».
Mit einer Fahrt das ganze Schiff bezahlen
Am Energiemarkt also verdienten in den letzten Monaten wenige Leute und Firmen ähnlich unappetitlich, dafür quasi im Zeitraffer. Weil Gazprom seine Gaslieferungen nach Europa einstellte, gingen die Preise und Gewinne alternativer Lieferketten durch die Decke. Schließlich hatten sich die Förderkosten nicht annähernd so erhöht, wie die Knappheitspreise. Ein Eigner eines Flüssiggastankers konnte rechnerisch bei der transatlantischen Überfahrt mit den Einnahmen nur einer einzigen Fahrt das ganze Schiff bezahlen. Also nicht nur die Gasladung, sondern wirklich den Tanker. Auch private Unternehmen der Gaslieferländer, wie die USA oder staatliche Energieversorger in Norwegen, jubilieren über zusätzlich Milliarden und Abermilliarden.
Rekordgewinne machten auch Stromversorger. Denn über die Verbindung des Gasmarktes zum Elektrizitätsmarkt kletterten die Strompreise ebenfalls in bislang unerreichte Höhen.
Sicher macht es Sinn, dass Industrie und private Verbraucher*innen zumindest für einen kleinen Teil ihres potentiellen Verbrauchs unmittelbar über die hohen Preise spüren, das Gas und Elektrizität tatsächlich aktuell knapp sind, sofern für bedürftige Haushalte auch sozial Unterstützung fließt. Nur so wird kurzfristig auch ohne Kontingentierung zusätzlich Energie eingespart. Warum aber sollen gleichzeitig die Erzeuger von Strom aus Atom-, Kohle- und Erneuerbaren-Energien-Anlagen enorme Extragewinne einstreichen, bloß, weil sie am Strommarkt trotz geringer Erzeugungskosten denselben Strompreis kassieren können, wie sehr teuer gewordene Gaskraftwerke – und dies auf Kosten der Verbraucher*innen?
Schwache EU-Regeln schwach umgesetzt
Kein Wunder, dass die öffentliche Debatte um eine Übergewinnabschöpfung im letzten Jahr solche Ausmaße annahm, dass der EU-Ministerrat dazu tatsächlich Regeln aufstellte – eigentlich ein Tabubruch für die dortigen Marktapologeten. Es wurden dann auch nur seichte Mindestregeln beschlossen. Und selbst diese wurden zumindest von Deutschland schwach umgesetzt. Das Ergebnis ist nun absehbar: Beide Mechanismen zur Übergewinnabschöpfung hierzulande versagen vollends.
Der EU-Ministerrat hatte Ende September letzten Jahres eine Erlösobergrenze für Produzenten von Atom-, Braunkohle- und Ökostrom beschlossen. Sie dürfen an den Großhandelsmärkten maximal 180 Euro je Megawattstunde (€/MWh) einnehmen. Alles darüber hinaus sollen die Mitgliedstaaten zu mindestens 90 Prozent abschöpfen und umverteilen. An den Handelsmärkten lag der Spitzenpreis im August/Anfang September 2022 bei Werten zwischen 500 und 700 €/MWh, während man im Jahr 2021 durchschnittlich ein Zehntel davon bezahlte. Also 50 bis 70 Euro, nicht 180.
Bundesregierung und Koalitionsfraktionen setzten die Vorgaben Brüssels etwas abweichend um. Statt der einheitlichen Erlösobergrenze von 180 Euro für alle Erzeugungsarten gelten seit 1. Dezember 2022 abgestufte und niedrigere Erlösobergrenzen als im Ratsbeschluss. Sie sollen sich nach offizieller Lesart stärker an den tatsächlichen Kosten der jeweiligen Erzeuger plus eines angemessenen Gewinns orientieren. Die Obergrenzen fallen allerdings immer noch großzügig aus im Sinne der Betreiber, auch weil oben drauf noch ein «Sicherheitszuschlag» von 30 beziehungsweise 40 Euro/MWh spendiert wird. Nur jene Gewinne, die jeweils über Erlösobergrenzen plus Sicherheitszuschlag liegen, werden zu 90 Prozent vom Staat kassiert. Wenn sie denn bei dieser Architektur überhaupt anfallen.
Kein Cent aus dem Elektrizitätsbereich
Und genau das tun sie nicht. Aufgrund der wieder gefallenen Strompreise gehen die Einnahmen gegen Null. Die Großhandelspreise liegen allerdings immer noch rund beim Dreifachen dessen, was dort Strom im Jahr 2021 kostete. Also werden bei ähnlichen Kosten weiter munter Extragewinne kassiert, der lasche Abschöpfungsmechanismus macht‘s möglich. Zudem hatte sich die Energielobby – vom Ökostromverband über RWE & Co bis zu den AKW-Betreibern – noch ein fettes Schmankerl von der Politik organisiert: Nach Verbandsprotesten wurde die ursprünglich vorgesehene rückwirkende Abschöpfung ab dem Frühjahr 2022 auf Anfang Dezember 2022 verkürzt. Damit fällt die Abschöpfung des größten Berges an Extragewinnen vom Frühjahr bis Herbst letzten Jahres still unter den Tisch.
Im Ergebnis kann sich RWE über einen Rekordgewinn für 2022 freuen. Auf Basis vorläufiger Zahlen verdopple sich das Konzernnettoergebnis im Vergleich zu 2021 auf 3,2 Milliarden Euro, ist zu lesen. Damit habe RWE die eigene Prognose übertroffen. Schon das Ergebnis 2021 (in dem die Strompreise im Herbst stark anstiegen) lag deutlich über dem von 2020.
«Solidaritätsabgabe» sichert Überrenditen
Auch Mineralöl- und Gaskonzerne sowie Raffinerien haben exorbitant profitiert. Brüssel hatte darum auch Mindestvorgaben dafür gemacht, wie deren Sondergewinne anteilig kassiert werden sollen. Die Regeln fielen allerdings noch schwächer aus: Firmen, die mit fossilen Brennstoffen handeln, wird in diesem und nächsten Jahr zugestanden, dass ihre Gewinne 20 Prozent über den durchschnittlichen Gewinnen der Jahre 2018 bis 2021 liegen dürfen. Alle Profite, die darüber liegen, sollen aber lediglich zu «mindestens 33 Prozent» abgeschöpft werden. Wieso nicht zu 60, 80 oder 100 Prozent? 20 Prozent Grundrendite dürften in diesen Zeiten doch wohl reichen.
Die Bundesregierung nennt diese Abschöpfung «Solidaritäts-Abgabe» – und ist selbstverständlich nicht ein Prozent über Brüssels 33 Prozent-Marke gegangen. Die Einnahmen beziffert sie dann auch nur auf lächerliche ein bis drei Milliarden Euro jährlich. Dass es ein Vielfaches sein müsste, legte eine Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung nahe. Jedenfalls würden Bemessungsgrundlage und Abschöpfungssatz im Sinne jener gewählt, die die hohen Energiepreise seit Monaten tragen müssen.