Nachricht | Afrika - Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit Europas Jagd nach Gas befeuert grünen Kolonialismus

Neue Infrastrukturprojekte in Afrika müssen demokratisch beschlossen werden und der Bevölkerung vor Ort zugutekommen

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Roland Ngam,

Delegierte bei der Eröffnungsrede der fünften Jahreskonferenz «Nachhaltige Energie für alle» in Kigali (Ruanda), Mai 2022
Delegierte bei der Eröffnungsrede der fünften Jahreskonferenz «Nachhaltige Energie für alle» in Kigali (Ruanda), Mai 2022 CC BY-NC 2.0, Foto: Ministry of Environment Rwanda, via Flickr

Die Abkehr der Europäischen Union von Gas, Öl und Kohle aus Russland nach dem Einfall russischer Truppen in die Ukraine stellte den globalen Energiemarkt auf den Kopf. In Afrika betrachten Vertreter*innen von Regierung und Wirtschaft diese Entwicklung als große Chance, Gelder für nationale Entwicklungsprojekte einzuwerben. Die Entscheidung der EU vom Juli 2022, Erdgas und Kernkraft als «grüne» oder «nachhaltige» Energiequelle zu definieren, hat zusätzlich Hoffnung unter afrikanischen Entscheidungsträger*innen geschürt, durch neue Energieprojekte den verschiedenen Herausforderungen begegnen können, denen sie nach der Corona-Krise gegenüberstehen.

Europa, das sich verständlicherweise immer mehr aus den wirtschaftlichen Beziehungen mit Putins Russland zurückzieht, verstärkt auf der Suche nach Alternativen aber Machtunterschiede, die letztendlich zu einer Art grünen Kolonialismus führen. Während Milliarden US-Dollar aus dem Globalen Norden nach Afrika fließen, um die dortige Energieinfrastruktur zu erneuern, kommt nur ein Bruchteil davon der Entwicklung lokaler Wirtschaftssysteme zugute oder kurbelt Projekte vor Ort an. Stattdessen nimmt die Wertabschöpfung in Afrika zu und wird Investor*innen aus dem Norden zugeführt. Die lokale Bevölkerung muss mit den Folgen allein zurechtkommen – ganz wie in Zeiten des klassischen Kolonialismus.

Europas Wetteifern um alternative Energiequellen

Laut dem Center for Strategic International Studies lieferte Russland lieferte der EU bis bis 2021 zwischen 155 und 200 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr, etwa die Hälfte der gesamten Gasimporte in die EU. Davon waren der Internationalen Energieagentur zufolge nur etwas mehr als 15 Milliarden Kubikmeter Flüssigerdgas (Liquified Natural Gas, LNG). Diese Handelsbeziehungen veränderte sich, vermutlich für immer, als der russische Präsident im Februar 2022 die sogenannte «militärische Spezialoperation» gegen die Ukraine begann.

Roland Ngam arbeitet als Programmleiter im Bereich Klimagerechtigkeit für das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Johannesburg, wo er auch für den Klimablog ClimateJusticeCentral verantwortlich ist. 

Exporte aus Russland kamen zum Erliegen. Die direkten Gasimporte in die EU verringerten sich stark; im Februar 2023 kamen nur noch rund 4,6 Prozent des importierten Gases in der EU über Pipelines aus Russland, nochmal einmal soviel kam als Flüssigerdgas in die EU.  

Die USA und ein Zusammenschluss mehrerer Länder erklärten sich bereit, künftig vermehrt Flüssigerdgas nach Europa zu liefern. Januar bis November 2022 hat die EU mehr als 50 Milliarden Kubikmeter Flüssigerdgas aus den USA importiert, mehr als doppelt soviel wie 2021.

Allerdings klafft damit immer noch eine große Lücke, die geschlossen werden muss, um den europäischen Bedarf zu decken. Dürreperioden und Überschwemmungen beeinträchtigen die Energieversorgung in Europa zusätzlich, was große Herausforderungen während der Winterperiode mit sich bringen wird. Auch 2023 ist eine Lösung dieser Probleme nicht zu erwarten.

Frankreichs Nuklearflotte wurde zuletzt nicht mit der optimalen Auslastung betrieben, da sich aufgrund von Trockenheit und Hitze die Wasservorräte verringert haben, die dazu benötig werden, Überschusswärme von Dampfkreisläufen abzuleiten und zu entsorgen. Deutschland, das bisher jährlich etwa 50 Milliarden Kubikmeter Gas vor allem über die Nord-Stream-Pipeline aus Russland importierte, bemüht sich nun um eine Diversifizierung seiner Energieversorgung und Speichermöglichkeiten. Im Dezember 2022 ging das erste LNG-Terminal in Wilhelmshafen in Niedersachsen in Betrieb. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach im September, dass 2023 weitere LNG-Terminals in Brunsbüttel bei Bremen sowie in Lubmin und Stade bei Hamburg fertiggestellt würden; ein weiteres Terminal soll von privaten Investoren in Lubmin gebaut werden. Jedes der Terminals soll mindestens fünf Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr ins Netz einspeisen können.

Auch wenn der Winter bisher mild war und es zu keinem drohenden Gasmangel kam, spricht alles dafür, dass Europas Energiemärkte auf absehbare Zeit unsicher bleiben – was für afrikanische Entscheidungsträger*innen eine große Chance darstellt.

Der europäische Markt im Fokus Afrikas

Während Europa um Energiesicherheit ringt, wird Geld nach Afrika gepumpt, von dem die afrikanische Bürger*innen allerdings kaum profitieren dürften. Einer Reihe afrikanischer Staaten wurden bereits mehr als 150 Milliarden US-Dollar für Gasprojekte zur Verfügung gestellt: Dazu gehören Mosambik, Nigeria, Kamerun, Senegal, Ägypten, Gabun, Südsudan, Algerien, Angola, Ghana, Tansania, Marokko, Südafrika, Libyen, Tunesien, die Republik Kongo, die Elfenbeinküste, Liberia und Sierra Leone. Viele weitere Länder, darunter Ruanda, Uganda, Mauretanien, Somalia und Malawi planen Öl- und Gasprojekte in geringerem Umfang.

Algerien, das Italien bereits mit 20 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr beliefert, erklärte während des Besuchs des damaligen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi im Juli 2022, seine Produktion 2023 um bis zu neun Milliarden Kubikmeter erhöhen zu wollen. Eine kürzlich durchgeführte Prüfung der staatlichen algerischen Ölgesellschaft SONATRACH hat allerdings ergeben, dass Algerien nur vier zusätzliche Milliarden Kubikmeter nach Italien liefern kann, was bereits alle verfügbaren Ressourcen der Transmed-Gaspipeline auslasten würde. Auf lange Sicht sollten jedoch keine Kapazitätsprobleme entstehen, da im August 2022 bei einem Staatsbesuch Investitionsverträge mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron unterzeichnet wurden.

Auch für Marokko verspricht das Wetteifern um Energiequellen lukrativ zu werden. Nachdem die Unternehmen Chariot Limited und Predator Oil & Gas Holdings PLC dort große Lagerstätten entdeckt hatten, stieg die zu erwartende förderbare Kapazität aus dem Anchois-Gasfeld-Entwicklungsprojekt auf 113 Milliarden Kubikmeter und die notwendige Projektfinanzierung wurde sichergestellt.

2023 will Senegal 2,5 Millionen Tonnen Gas aus seinem Gasfeld Greater Tortue Ahmeyim fördern. Eine schwimmende Plattform, die dies ermöglichen soll, ist bereits auf dem Weg. Doch mit dieser Menge will sich Deutschland nicht zufriedengeben. Olaf Scholz bot dem Staat deswegen finanzielle Unterstützung an, um seine jährliche Förderkapazität auf mindestens 10 Millionen Tonnen zu erhöhen. Senegal hofft, durch das Gasprojekt zwischen 2023 und 2025 bis zu 1,4 Milliarden Euro einzunehmen, und als ob er noch im Amt sein wolle, wenn der erwartete Geldregen kommt, versucht Senegals Präsident Macky Sall bereits eine Verfassungsänderung vorzubereiten, die ihm eine dritte Amtszeit ermöglichen würde. 

Am 16. September 2022 haben Nigeria und Marokko mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) den Bau des Nigeria-Morocco Gas Pipeline Project (NMGP) für 25 Milliarden US-Dollar vereinbart. Die 5.600 km lange Gasleitung soll durch Nigeria, Benin, Togo, Ghana, die Elfenbeinküste, Liberia, Sierra Leone, Guinea, Guinea Bissau, Gambia, Senegal, Mauretanien und Marokko bis nach Europa verlaufen, um es mit rund 85 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag zu versorgen. Nigeria und Marokko fehlt das Geld für dieses Projekt, deswegen übernimmt die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) die Finanzierung einer Machbarkeitsstudie, deren positives Ergebnis die Speerspitze bei der Suche nach Investoren bilden soll.

Mosambik wiederum ist finanziell gut aufgestellt, und wäre nicht der Konflikt mit den islamistischen Rebellen, würde der französische Energiekonzern Total schon heute Flüssigerdgas aus Mosambik exportieren. Wegen Sicherheitsbedenken in der Provinz Cabo Delgado liegen die Pläne dafür aber nun seit über drei Jahren auf Eis. Anfang September hat der mosambikanische Präsident Filipe Nyusi von Total gefordert, den Bau des 20-Milliarden-Dollar-Projekts Afungi Liquefied Natural Gas Plant in der Provinz Cabo Delgado unverzüglich wieder aufzunehmen. Laut Fredson Guilengue, Projektmanager im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Johannesburg, sieht der mosambikanische Staat das Projekt als eine Möglichkeit, Geld für nationale Entwicklungsvorhaben einzufahren, die durch die COVID-19-Pandemie noch dringlicher geworden sind.

Der Anrainerstaat Südafrika mit einem jährlichen Gasverbrauch von rund 5.073 Millionen Kubikmetern will ebenfalls ein wichtiger Akteur im Gassektor werden. Jüngst wurden 1.699 Milliarden Kubikmeter Gas vor der Küste entdeckt, ein großer Teil davon in Block 11B/12B im Outeniquabecken. Auch die Stromerzeugung aus Gas selbst soll nach Plänen der Regierung zukünftig im eigenen Land umgesetzt werden. Derzeit wird der Großteil des Gasbedarfs in Südafrika durch Lieferungen aus Mosambik gedeckt.

Weiter nördlich haben sowohl Shell als auch Total in Namibia große Öl- und Gasvorkommen entdeckt. Vor allem die von Shell gefundenen Ressourcen von 250 bis 300 Millionen Barrel Öl- und Gasäquivalent sind von großer Bedeutung.

Kolonialismus hinter grüner Fassade?

Mehrere Faktoren spielen im Zusammenhang mit dem aktuellen Gasrausch in Afrika eine wichtige Rolle. Zum einen ist nichts mehr von den Erklärungen zu hören, Gas, Öl und Kohle «im Boden» lassen zu wollen, wie noch unmittelbar vor und nach den COP26-Klimaverhandlungen in Glasgow Ende 2021. Als der UN-Sonderbeauftragte für Klimapolitik und Finanzen, Mark Carney, und andere damals dafür plädierten, fossile Brennstoffe nicht abzubauen, schlugen Afrikanische Staats- und Regierungschefs Alarm. Im Mai 2022 erklärte der amtierende Präsident der Afrikanischen Union, Macky Sall, dass Afrika in der Lage sein müsse, «seine großen Gasreserven noch 20 oder 30 Jahre lang zu nutzen, um seine Entwicklung voranzutreiben und den 600 Millionen Menschen ohne Zugang zu Strom diesen zu verschaffen. Es wäre ungerecht, uns davon abzuhalten.»

Im August 2022 postete der südafrikanische Minister für Bodenschätze und Energie, Gwede Mantashe, auf Twitter: «Wir müssen die Bodenschätze, mit denen unser Land ausgestattet ist, erschließen und fördern, damit unsere Wirtschaft gedeihen kann. […] Der Konsens darüber, dass Gas und Kernkraft Teil der grünen Technologien in der gerechten Energiewende sind, erfüllt mich mit Zuversicht. Wir müssen systematisch vorgehen und anerkennen, dass Erdölförderung und -produktion und Fischereiindustrie nebeneinander bestehen können.»

Auch die Energieminister Nigerias und Ägyptens wetterten gegen die ihren Worten zufolge kolonialistischen Schikanen des Globalen Nordens. Ebenso wie andere Staaten vor ihnen, wollen auch sie «erst verschmutzen, dann aufräumen», nur umfangreiche finanzielle Mittel aus anderen Quellen können sie davon abhalten.

Ein weiterer Faktor ist, dass die Großprojekte in Afrika speziell auf den Exportmarkt ausgerichtet sind. Nur ein Bruchteil der neuen Infrastruktur soll den Bedürfnissen des lokalen Marktes dienen. Umweltzerstörung und Armut in der unmittelbaren Umgebung dieser Bauvorhaben werden als Folge dieses «grünen Kolonialismus» noch schlimmere Ausmaße annehmen. Die Investitionen von Total in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar in Mosambik übersteigen das BIP des Landes in Höhe von nur 14,2 Milliarden, sehen aber gleichzeitig vor, dass das gesamte geförderte Gas nach Südafrika, Europa und in andere Länder geht.

Afrikas Liste der Enttäuschungen ist lang. Groß angelegte Projekte in der Landwirtschaft, im Bergbau und zum Abbau fossiler Brennstoffe wurden als transformative Entwicklungsinitiativen verkauft, brachten aber langfristig kaum Vorteile für die sozioökonomischen Bedingungen der Communities im Projektgebiet. Die Demokratische Republik Kongo ist ein Paradebeispiel für diesen Ressourcenfluch. Obwohl dort – erst durch die belgischen Kolonialherren und später durch kongolesische Unternehmen wie GECAMINES – seit über einem Jahrhundert Rohstoffe abgebaut werden (Kautschuk, Kupfer, Kobalt, Gold, Platin usw.), gehört die Demokratische Republik Kongo nach Einschätzung der Weltbank bis heute zu den fünf ärmsten Ländern der Welt.

Der im Land weit weitverbreitete Kleinbergbau ist mit dem Schutz von Menschenrechten kaum zu vereinbaren. Kinderarbeit, Sklaverei, sexuelle Ausbeutung sowie Frauen- und Kinderhandel sind an der Tagesordnung und Korruption ist allgegenwärtig. Der ehemalige Präsident Felix Tshisekedi hat 2007 ein sechs Milliarden US-Dollar schweres Abkommen mit den chinesischen Investoren Railway Group Ltd. und Sinohydro unterzeichnet, das den Ausbau der Infrastruktur zum Tausch gegen Erdöl vorsieht. Die meisten Bauvorhaben wurden nie fertig gestellt, aber viele Politiker*innen haben sich daran bereichern können. Recherchen haben gezeigt, dass keines der 31 von Peking geplanten Krankenhäuser und auch keine der zwei Universitäten gebaut wurden.

Währenddessen graben verzweifelte Männer, Frauen und Kinder weiterhin stundenlang jeden Tag in von Syndikaten kontrollierten Minen im Osten des Landes nach dem weltvollen Erz Koltan. Kabilas Nachfolger, Felix Tshisekedi, hat nun begonnen, 30 Öl- und Gasfelder inmitten der Regenwälder des Kongobecken zu versteigern – eine Aktion, die die globalen Fortschritte, diese als wichtigen Speicher für Kohlenstoffdioxid zu erhalten, massiv bedroht. Initiativen wie das One Forest Summit, das vor Kurzem zu Ende gegangen ist und die Ländern des Kongobeckens zusammenbringt (Gabun, die Republik Kongo, die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik) sind entscheidend, um den Schutz der Regenwälder zu sichern – aber dafür müssen sie mehr Zentralafrika mehr Ressourcen bringen als das, was Politiker*innen von jenen bekommen, die sich durch den Zugang zu Holz, Kohlen und fossilen Brennstoffen große Gewinnen versprechen.

Fossile Ressourcen als Fluch

In Nigerias ölreichem Nigerdelta empfindet man die Mineralölunternehmen schon lange als Fluch. Die Erdölindustrie steht für schlechte Regierungsführung, ausufernde Korruption und Umweltzerstörung. Aufgrund von laxen Sicherheitsvorkehrungen, Diebstahl und Piraterie sind Ölteppiche inzwischen eine mehr oder weniger alltägliche Erscheinung. Kein Gewässer im Nigerdelta ist von der Verschmutzung durch auslaufendes Öl verschont geblieben.

Seit über 30 Jahren recherchiert der Umweltaktivist Nnimmo Bassey zum Einfluss von Ölkonzernen im Nigerdelta. In seinem Buch We Thought It Was Oil, But It Was Blood schreibt er, die durchschnittliche Lebenserwartung in Nigeria liege derzeit bei 52 Jahren. «Im Nigerdelta liegt sie dagegen bei 41 Jahren. Nur etwa 30 Prozent der Menschen im Nigerdelta haben Zugang zu sauberem Trinkwasser. Als der Bundesstaat Bayelsa 1996 gegründet wurde, gab es insgesamt weniger als 20 km Allwetterstraßen in diesem Gebiet […] Das hat ein korruptes System von Vetternwirtschaft und Ausbeutung geschaffen, das wiederum Auslöser für Militarisierung, Unterdrückung und Gewalt ist.»    

1995 wurde Ken Saro Wiwa vom Abacha-Regime gehenkt, weil er die nigerianische Regierung und Ölfirmen wie Shell und BP beschuldigt hatte, einen ökologischen Krieg gegen die Ogoni zu führen. Als die neun Ogoni-Aktivisten, bekannt als Ogoni Nine, hingerichtet wurden, gab es seitens der Regierung keinerlei Forderungen an die Erdölkonzerne, einen Teil ihrer Gewinne den örtlichen Gemeinden abzutreten. Erst vor kurzem wurde der Petroleum Industry Act, das Gesetz über die nigerianische Erdölindustrie verabschiedet, das Ölgesellschaften dazu verpflichtet, bescheidene drei Prozent ihrer Betriebsgewinne der lokalen Bevölkerung zugutekommen zu lassen. Im Vergleich zur Spur der Verwüstung, die diese Firmen hinterlassen, sind solche Kompensationen ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Im Nachbarland Kamerun herrschen ähnliche Zustände. Die Empörung darüber, dass einzelne sich an den Einnahmen der Nationalen Raffineriegesellschaft (SONARA) bereichern, hat sogar zu einem Bürgerkrieg geführt, der das Land seit nunmehr sechs Jahren auf die Zerreißprobe stellt.  

Obwohl SONARA ihren Sitz im ehemals anglophonen Westkamerun hat, wurden lange Zeit hauptsächlich frankophone Arbeitnehmer*innen aus Ostkamerun eingestellt und ausschließlich französischsprachige Schulen und Dienstleistungen für diese Arbeitnehmer*innen angeboten. Erst nach Ausbruch des Bürgerkriegs, fast 50 Jahre nach Unternehmensgründung, begann man hastig, sich um einen höheren Anteil anglophoner Arbeiter*innen zu bemühen und an den Schulen Englischunterricht einzuführen. Zur Entwicklung der Region haben die Einnahmen aus den Öl- und Gasvorkommen nicht beigetragen. Über Jahre hinweg sind die Einnahmen von SONARA am Staatshaushalt vorbeigeflossen. Bis heute fehlt jede Spur von diesem Geld. Die Menschen in diesen Gebieten verstehen daher Macrons jüngsten Besuch als eine symbolische Unterstützung der Vereinnahmung ihrer Ressourcen durch die Frankophonen.

Die grünen Projekte von heute folgen ähnlichen Mustern. Mineralische Rohstoffe, die für die Energiewende nötig sind, werden in der Demokratischen Republik Kongo von Bergleuten im artisanalen Kleinbergbau gefördert – ein Arbeitsumfeld, das von bewaffneten Milizen, Kinderarbeit und Menschenhandel geprägt ist. Ein UN-Bericht lieferte kürzlich belastbare Belege dafür, dass Ruanda bewaffnete Milizen in der Demokratischen Republik Kongo unterstützt, um sich Zugang zu den Bodenschätzen des Landes zu verschaffen. Im marokkanischen Ouarzazate, wo die lokale Bevölkerung von der Regierung dazu gebracht wurde, ihr Land im Austausch gegen Arbeitsplätze und Wirtschaftsentwicklung abzutreten, ist der Optimismus in bittere Enttäuschung umgeschlagen. Erst nachdem die jüngeren Menschen erkennen mussten, dass die Versprechen nur Schall und Rauch waren, gingen sie auf die Straße, um zu protestieren.

Auf und davon mit den Ressourcen?

Europas Hunger nach Gas führt zu massivem «green grabbing» – zum Raub von Land oder Vermögenswerten mit oder ohne Entschädigungszahlungen für sogenannte «grüne Projekte». So auch im Senegal, wo die Öl- und Gasfelder teilweise auf der Insel Sangomar im Saloum-Delta liegen, das zum UNESCO-Welterbe gehört. Laut dem Klimaexperten Ibrahima Thiam werden die lokalen Communities, deren Zugang zu diesen Gebieten durch Regierungserlasse eingeschränkt wurde, durch die Gasprojekte weitere Fischereigebiete verlieren, was die Abwanderung in die spanische Enklave Ceuta und die ECOWAS-Länder sicher noch verstärken wird. Er besuchte vor Kurzem das Sangomar Ölförderprojekt und berichtete, dass viele Mitglieder der Communitys vor Ort bereits stark unter den Einschränkungen ihrer Fischereigebiete und der zunehmenden Armut leiden.

Mosambik-Experte Guilengue zufolge haben Gemeinden in Cabo Delgado bereits Land-, Meeres- und Waldressourcen verloren, die ihnen weder die Regierung noch Total je ersetzen werden. Zu allem Übel haben die Investitionen des Energiekonzerns islamistische Aufständische in diese Region gelockt und so tausende Menschen zur Flucht gezwungen. Mosambik, die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) und inzwischen auch Frankreich haben Soldaten aus Ruanda und den SADC-Ländern entsandt, um die Aufständischen zurückzuschlagen und die Gasinfrastrukturen zu sichern. Die lokale Bevölkerung hingegen wird ihrem Schicksal überlassen.

Bei ihren Investitionen in Afrika zur Abfederung der Turbulenzen auf den Energiemärkten nehmen die großen europäischen Volkswirtschaften kaum Rücksicht auf Klima- und Umweltschutz. Die Fortschritte bei der Umstellung auf eine nachhaltigere Lebens- und Produktionsweise, die es gab, wurden innerhalb weniger Monate zunichte gemacht.

Damit soll eine Zusammenarbeit Afrikas mit dem Globalen Norden nicht pauschal ausgeschlossen werden. Eine solche Kooperation ist durchaus denkbar. Sie muss allerdings ökologisch nachhaltig sein und auf demokratischen Prinzipien fußen. In einer Rede an der University of the Western Cape in Kapstadt, Südafrika, sagte der Ökonom Yanis Varoufakis im Dezember 2022, ein demokratischer grüner Übergang sei möglich, wenn der globale Norden daran arbeite, tatsächlich und auf demokratische Weise Technologien und Ressourcen für grüne Projekte in den Globalen Süden zu transferieren. Er bezog sich insbesondere auf Solar- und Windkraftprojekte, deren Installationskosten in den letzten zehn Jahren drastisch gesunken sind. Zwar besteht zweifellos ein Bedarf an Übergangsenergiequellen wie Gas. Doch Europas Streben nach Energieunabhängigkeit kann auch dadurch erreicht werden, dass es den Ausbau der Energieinfrastruktur in Afrika unterstützt. Das könnte zu einer Win-Win-Situation führen, zu einem Teilen der Energie zwischen beiden Kontinenten, das für beide Seiten Vorteile bringt.
 

Übersetzung von Irina Bondas und Sabine Voß für Gegensatz Translation Collective.