Nachricht | Westafrika - Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit «Das Recht, Bescheid zu wissen»

Saint-Louis und die Herausforderung der Gasförderung im Senegal

Information

Auch im Senegal möchten Deutschland und die EU künftig gern Gas kaufen. Vor der Küste dort sind große Gasvorkommen entdeckt worden. Im Mai 2022 besuchte Kanzler Olaf Scholz das Land. Seither wird kontrovers diskutiert, ob und unter welchen Bedingungen Deutschland die Gasförderung im Senegal unterstützen soll. Im Januar begann eine erste Plattform vor der Küste der Stadt Saint-Louis im Norden Senegals mit der Förderung. Ibrahima Thiam berichtet, welche Auswirkungen dies hat und wie die Menschen in Saint-Louis darüber denken.

Wenn es ein Thema gibt, das die öffentliche Diskussion unter den Einwohner*innen von Saint-Louis, der zweitgrößten Stadt des Senegal, in diesen Tagen beherrscht, dann ist es weder die Debatte über eine mögliche dritte Amtszeit des senegalesischen Präsidenten Macky Sall noch die ökologische Katastrophe, die die Region bedroht – die fortschreitende Küstenerosion, der Anstieg des Meeresspiegels, die sich verändernden Klimabedingungen. Es sind die Gasvorkommen vor der Küste von Saint-Louis und die Absicht des senegalesischen Staates, sie ab 2023 in Kooperation mit dem britischen Öl- und Gaskonzern BP auszubeuten, die in allen Diskussionen ganz oben auf der Tagesordnung stehen.

Ibrahima Thiam arbeitet im Westafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar, Senegal, im Bereich Klimawandel und natürliche Ressourcen.

Überall in Saint-Louis wird nur über Gas gesprochen. Der Rest des Landes träumt davon, dass der Senegal als Öl- und Gasproduzent in eine neue Ära eintreten wird und dies für das Land der wirtschaftliche Wendepunkt werden könnte. Vor der Küste von Saint-Louis, an der senegalesisch-mauretanischen Grenze, hat BP Anlagen zur Gasförderung errichtet, auf einem Terminal soll es verflüssig und als Flüssigerdgas (Liquified Natural Gas, LNG) verkauft werden. Die Produktion soll 2023 starten, zunächst mit einer Kapazität von etwa 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Langfristig soll sie auf zehn Millionen Tonnen pro Jahr steigen. Für den Zeitraum 2023 bis 2025 rechnet der Senegal mit Einnahmen daraus in Höhe von 888 Milliarden CFA-Francs (ca. 1,4 Milliarden Euro).

Doch in Saint-Louis herrscht keine Euphorie, sondern Sorge. Es ist die Sorge einer Fischergemeinschaft, die seit einem Jahrtausend in diesem Gebiet fischt. Die Fischerei ist für sie nicht nur eine wirtschaftliche Aktivität, sondern Teil ihrer Kultur, sie hat eine kultische, sportliche und soziale Dimension. Die Fischerei ist eng mit den Formen des Zusammenlebens verbunden und unter den Fischern gibt es besondere Formen der Solidarität – etwa die, dass die Fischer denjenigen unter ihnen, die bereits pensioniert sind und nicht mehr arbeiten, immer Fisch mitbringen. Das ganze Leben des Fischers ist mit dem Fischfang verbunden. Religiöse Zeremonien, Treffen und Taufen richten sich nach dem Terminkalender des Fischfangs. Es ist nicht ungewöhnlich, dass beim Tod eines alten Fischers ein Teil seiner Piroge, seines kleinen Bootes, abgetrennt wird, um es vor seinem Grab aufzustellen. Mehr als 20.000 Pirogen fischen vor der 700 Kilometer langen Küste Senegals, und konkurrieren dabei mit rund 160 Industriefischerbooten.

In der Stadt Saint-Louis und dem Fischerviertel Gett Ndar haben wir mit Menschen, die von den jüngsten Entwicklungen betroffen sind, über die aktuelle Situation gesprochen.

Moustapha Diagne, Generalsekretär der Autonomen Gewerkschaft der Fischer Senegals

Was die Fischer sagen

Mit Moustapha sind wir in einer Piroge, einem kleinen Boot, bis auf 600 Meter an die Gasplattform herangefahren. Dort haben wir aufgenommen, was er zur Gasförderung sagt:

«Wir befinden uns hier auf der Plattform Grande Tortue Ahmeyim (GTA) an der Grenze zwischen Senegal und Mauretanien. Hier wird BP zum ersten Quartal 2023 mit der Gasförderung beginnen.

Die gesamte Fischergemeinde in der Region Saint-Louis ist in Sorge. Saint-Louis ist die Hauptstadt des Fischfangs, wenn man sich die Anzahl der Pirogenboote, die Menge des gefangenen Fischs und die verschiedenen Arten des Fischfangs anschaut.

Die Bevölkerung hat hier seit dem 16. Jahrhundert immer vom Fischfang gelebt. Und nun kommt eine neue Aktivität hinzu, die mit dem Fischfang konkurriert. Vor allem, da BP die Plattform genau an dem fischreichsten Ort hier, Diatara, errichten will.

Unsere Großväter, unsere Väter und wir selbst haben immer gefischt, um das Land am Leben zu erhalten.

Wir stellen uns die Frage, warum gerade in Diatara – wenn die Bohrlöcher 125 Kilometer weit entfernt liegen und das Gas bis zu 85 Kilometer weit durch Pipelines geleitet wird? Warum wurde nicht ein anderer Ort für den Bau der Plattform ausgewählt als gerade das Riff, in dem die Fische leben?

Jetzt sind die Fischer in Aufruhr. Wir Eltern sind besorgt. Wir wissen, dass nichts unsere Kinder davon abhalten kann, weiterhin rund um die Plattform zu fischen. Sie haben keine andere Möglichkeit und sie müssen leben. Sie müssen überleben.

Wie kann man den Fischern das Brot aus dem Mund nehmen und es den Öltankern in den Mund stopfen, ohne jegliche Entschädigung?

Dabei sind unsere Gesetze sehr klar. Es gibt Artikel 57 des Erdölgesetzes, in dem von Entschädigung die Rede ist. Dazu fordern wir unsere Staaten auf. Wir fordern den Staat Senegal auf, Verhandlungen zu beginnen, Verhandlungen zwischen den drei Parteien – den Fischerorganisationen, den Ölkonzernen und dem Staat. Sie müssen über Entschädigungen diskutieren und sehen, wie BP die Verluste schon vor Beginn der Gasausbeutung ausgleichen kann, wenn die Fischer künftig nicht mehr in Diatara fischen können. Das würde den Fischern die Möglichkeit geben, sich auf die Situation einzustellen und notfalls mit besserer Ausrüstung an andere, möglicherweise weiter entfernte Orte zu fahren und dort zu fischen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.»

Omar Ndiaye, Vorsitzender des Vereins zur sozioökonomischen Förderung der Fischer und der Akteure der Fischerei in Saint-Louis

«Die Entdeckung von Gas in Saint-Louis ist für uns Fischer die Ursache mehrerer Probleme. Jährlich geben die Fischer in Saint-Louis geschätzt 20 Milliarden CFA (etwa 20 Millionen Euro) für den Treibstoff für ihre Boote aus.

Alle Formen des Fischfangs, die früher praktiziert wurden, sind nicht mehr möglich. Wir leben seit drei Jahren mit dieser Situation. Aber wir können dieses Meer nicht verlassen. Wenn jemand dir dein Feld wegnimmt und dich nicht entschädigt, handelt er ungerecht. Das wird nicht funktionieren. Wir müssen mit Konflikten rechnen.

Wir haben nur das Meer als Lebensquelle, all unsere Hoffnung liegt darin. Wir fischen an diesem Riff seit über 1150 Jahren. Es ist unser Erbe. Wir Bewohner der Region sind sehr wütend über diese Ungerechtigkeit. Man kann uns nicht einfach den Zugang zum Meer verbieten und unsere Boote und Ausrüstung konfiszieren, wie es die patrouillierenden Wachen tun, wenn wir trotz des Verbotes in der Nähe des Riffs fischen. Wir werden dieser Ungerechtigkeit nicht einfach untätig hinnehmen.

Bei den ersten Konsultationen waren es die Fischhändler, die zu Gesprächen eingeladen wurden, nicht aber die Fischer. Während des Besuchs des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Saint-Louis hat der französische Staatschef gesagt, dass die Fischerei nicht beeinträchtigt würde. Wir fordern Entschädigungen, und diese müssen so hoch sein wie die Verluste und Schäden, die uns entstehen. Und wir fordern, dass alle Akteure der Fischerei berücksichtigt werden.»

Yaye Meissa Gueye, Verkäuferin und Bewohnerin des Fischerviertels Gett Ndar

Die Stimmen der Frauen

«Ich gehöre zu einer der ältesten Fischerfamilien in Saint-Louis. Die Fischerei war für uns Bewohner von Gett Ndar schon immer das wichtigste Mittel, um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Staat Senegal glaubt zwar, dass die Gasförderung vor der Küste von Saint-Louis eine wirtschaftliche Chance ist, aber wir glauben das Gegenteil. Die Gasplattform auf dem wichtigsten Riff des Meeres hat bereits begonnen, Opfer zu fordern.

Die Fischarten, die wir früher hatten, wie Thiof (Weißer Zackenbarsch) und Diaragne (Dorade), sind selten geworden und den Fischern ist der Zugang zu diesem Gebiet, das man Diatara nennt, verboten. Wenn wir nicht mehr in dieses Gebiet dürfen um zu fischen, welchen Sinn hat es dann noch, mit unseren Booten aufs Meer hinauszufahren? Diejenigen, die sich an die mauretanische Küste wagen, werden oft von den mauretanischen Wachen festgenommen und ihre Fischereiwerkzeuge werden konfisziert. Die Hauptopfer sind also die kleinen Pirogen, obwohl sie  der Ursprung unserer Fischerei sind. Die kleinen Pirogen haben erst die großen Fischerboote hervorgebracht. Alles hat mit ihnen begonnen.

Der Fischereisektor schafft viele Arbeitsplätze. Die Menschen kommen aus dem ganzen Land, um in der Fischerei zu arbeiten. Selbst diejenigen, für die die Landwirtschaft nicht funktioniert.

Diese Situation ist besorgniserregend und treibt unsere jungen Leute in die Migration.

Die Fischer sind sich selbst überlassen und erhalten keinerlei Unterstützung. Wir haben keine Alternative zum Fischfang.»

Fama Sarr, tätig in der Fischverarbeitung, stellvertretende Sekretärin des lokalen Fischereiausschusses (CLPA)

«Die Fischerei ist eine sehr alte Aktivität rund um die Langue de Barbarie, die Halbinsel südlich von Saint-Louis, sie stellt unseren Reichtum dar. Wir freuen uns über die Entdeckung der Gasressourcen, aber wir sorgen uns auch um unsere Umwelt und das Management unseres Ökosystems. Wir wissen, dass die Gasausbeutung nur für einen begrenzten Zeitraum, für 25 bis 30 Jahre, erfolgt. Die Fischerei hingegen ist eine dauerhafte, eine nachhaltige Aktivität. Daher sollte die Fischerei nicht der Gasförderung geopfert werden.

Die seismischen Untersuchungen des Meeresbodens haben Schäden im Meer verursacht. Die kleinen Pirogen sind stark beeinträchtigt, da sich die Gasplattform an ihrem Fangplatz befindet. Das Verbot, in der Nähe der Plattform zu fischen, wirkt sich also stark auf ihre Aktivitäten aus. BP hat sich kürzlich darüber beschwert, dass Pirogen weiterhin in der Nähe der Plattform fischen. Während der Umweltverträglichkeitsprüfung hatten diese Fischer darum gebeten, dass man ihnen Wellenbrecher installiert, um Fische zu halten. So könnten sie sich darauf beschränken, an diesen Orten zu fischen. In zwei Monaten soll bereits das erste Gas gefördert werden, und es ist noch nichts geschehen.

Der Bestand an Pirogen in Saint-Louis wird auf 5.300 Pirogen geschätzt, aber die Zahl stammt aus dem Jahr 2012, als der Staat die Registrierung von Pirogen einfror. Heute hat sich die Zahl verdoppelt, da die Zimmerleute immer noch neue Pirogen bauen.

Ein weiteres Problem, das wir haben, ist die geringe Fläche, auf der gefischt wird. Von der Mündung bis zu den BP-Anlagen und der senegalesisch-mauretanischen Grenze ist diese Fläche für den Bestand an Pirogen, den wir haben, viel zu klein. Das führt dazu, dass es eine starke Migration von Fischern in alle anderen senegalesischen Gewässer gibt.

Es wird Gespräche zwischen der Regierung und der Fischergemeinschaft in Saint-Louis geben müssen. Wir wissen nicht, was in den Verträgen steht, und verlangen, dass der Inhalt öffentlich gemacht wird. Der Staat ist hier der Hauptverantwortliche und muss begleitende Maßnahmen und Politiken für die betroffenen Gemeinden ergreifen. Andernfalls wird das Zusammenleben zwischen BP und den Gemeinden nicht leicht sein.

Es ist die Rede von Entschädigungen, aber wer ist berechtigt, diese zu erhalten und wer nicht? Sind es nur die Besitzer*innen der Pirogen? Wie sieht es mit den Saisonarbeiter*innen aus?

Es gibt das Gesetz Nr. 2019-04 vom 1. Februar 2019, das festlegt, wie lokale Gemeinschaften und Unternehmen einbezogen werden und dadurch auch von der Ausbeutung fossiler Ressourcen profitieren sollen. Aber sind die bestehenden kleinen und mittleren Unternehmen in der Lage, die BP-Standards einzuhalten und damit an Aufträge zu kommen? Da wir von der Gasausbeutung am meisten betroffen sind, müssen wir bei der Auswahl der direkten und indirekten Arbeitsplätze für das Projekt Priorität haben. Wir müssen die Kapazitäten junger Projektträger stärken und sie dabei unterstützen, auf die Nachfrage von Unternehmen wie BP zu reagieren.»

Die Rolle der Frauen in der Fischerei

«Frauen spielen eine sehr wichtige Rolle in der Fischerei. Wir haben vierzig Standorte für die Verarbeitung von Fischprodukten und jeder Standort beschäftigt mindestens zweihundert Frauen. Da die Produkte immer knapper werden, verarbeiten wir alle möglichen Meeresprodukte. Unsere Schwierigkeiten sind die fehlende Organisierung, das Fehlen bestimmter hygienischer Standards und der schwierige Zugang zu den Märkten.



Hinzu kommt, dass die Arbeit nur saisonal ist. Nach einer sechsmonatigen Arbeitssaison von Januar bis Juni kommt die Regenzeit. Die Frauen sind gezwungen, sich nach anderen Tätigkeiten umzusehen, da wir keine Lagermöglichkeiten haben. Wir möchten solche aufbauen, um uns stärker zu spezialisieren, und bessere und mehr verschiedene Produkte anbieten zu können, für den Export in andere Länder Westafrikas oder sogar auf internationaler Ebene.»