In Paraguay, einem Land, das es selten in die internationalen Schlagzeilen schafft, wurde am vergangenen 30. April gewählt. Der Wahlkampf war von Falschinformationen geprägt, Debatten über Geschlechtergleichstellung und Menschenrechte blieben weitgehend unsichtbar. Die konservative langjährige Regierungspartei Colorado bleibt – dank einer gespalteten Opposition – dieses Mal mit einer eigenen Parlamentsmehrheit an der Macht. Während der Ex-Präsident Horacio Cartes nicht erneut in den Senat gewählt wurde, brachten die Wähler*innen zwei Feministinnen in den Kongress, die die Linke in beiden Kammern vertreten werden.
Wenn überhaupt Nachrichten aus Paraguay in den letzten Monaten durch die internationale Presse gingen, dann wegen der durch die US-Regierung erhobenen Sanktionen gegen den ehemaligen Präsidenten Horacio Cartes. Neben seiner Führungsposition in der rechtsgerichteten Nationalen Republikanischen Vereinigung (ANR), gemeinläufig bekannt als die Colorado-Partei, ist Cartes zudem Unternehmer in der Tabakindustrie. Die USA beschuldigen Cartes der Korruption und werfen ihm Verbindungen zum Terrorismus [Hisbollah] vor, die er vor, während und nach seiner Präsidentschaft von 2013 bis 2018 gepflegt haben soll.
Jazmín Acuña ist Redaktionsleiterin und Mitbegründerin des preisgekrönten unabhängigen digitalen Mediums El Surtidor, das sich auf visuellen Journalismus konzentriert.
Carolina Thiede ist Feministin und Menschenrechtsaktivistin sowie Direktorin von Fábrica Memética, einer Kommunikations- und Designagentur, die Organisationen dabei hilft, durch visuelle Kommunikationstools eine größere Reichweite und mehr politischen Impact zu erzielen.
Nun ist mit Santiago Peña ausgerechnet der ehemalige Finanzminister und Getreue von Horacio Cartes der Wahlgewinner der diesjährigen Präsidentschaftswahlen geworden. Er bekam etwa 43 Prozent der abgegebenen Stimmen. Mit einer absoluten Mehrheit im Senat und im Abgeordnetenhaus kann die Colorado-Partei ihre Dominanz nun weiter ausbauen. Die Partei regiert das Land mit Ausnahme der Präsidentschaft von Fernando Lugo seit fast 70 Jahren (inklusive 35 Jahren Diktatur).
Insgesamt waren knapp 4,8 Millionen Personen wahlberechtigt, um ein Zweigespann von Präsident*in und Vizepräsident*in sowie die 125 Kongressabgeordneten (80 Abgeordnete und 45 Senator*innen), 17 Gouverneur*innen und 257 Mitglieder der Provinzräte zu bestimmen.
Entgegen optimistischer Vorhersagen, die ihr Chancen einräumten, erhielt die oppositionelle Nationale Koalition (Concertación Nacional) nur 27 Prozent der Stimmen. Dieser Zusammenschluss aus mehreren Parteien der Rechten, des Zentrums und der Linken hatte sich mit der wichtigsten Oppositionskraft des Landes, der Liberalen Radikalen Authentischen Partei (PLRA) zusammengetan und Efraín Alegre, einen ehemaligen Senator und Bauminister als Kandidaten aufgestellt. Er verlor den Kampf um das Präsidentenamt zum dritten Mal. Auch im Senat haben die Vertreter*innen der Nationalen Koalition mit zwölf von 45 Sitzen keinen nennenswerten Einfluss.
Das linke Parteienbündnis Frente Guasu befindet sich in einer tiefen Krise und ist nicht mehr drittstärkste Kraft im Senat – sondern erlangte nur noch einen der insgesamt 45 Sitze. Sie wurde von der rechten Partei Nationaler Kreuzzug (Cruzada Nacional) des umstrittenen Präsidentschaftskandidaten Paraguayo Cubas verdrängt, die dort überraschend fünf Sitze errang. Die zweitmeisten Stimmen dieser Partei für den Senat erhielt ein Kandidat [Rafael Esquivel], gegen den zurzeit ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen läuft. Sollte er nicht rechtzeitig verurteilt werden, könnte er am 15. August seinen Eid als Senator ablegen und das Mandat antreten.
Esperanza Martínez, die frühere Gesundheitsministerin unter Fernando Lugo, ist heute die wichtigste Figur der Linken in Paraguay. Als einziges Mitglied der Frente Guasu zog sie in den Senat ein und übertraf in der Wähler*innengunst die vor ihr auf der Liste platzierten männlichen Parteiführer, darunter Lugo selbst. Anfang 2022 hatte die große Mehrheit der linken Parteien und Bewegungen sowie repräsentative Teile der kleinbäuerlichen Bewegung Esperanza Martínez zur Vorkandidatin für das Präsidentenamt gewählt. Nur, damit sie am Ende auf den vierten Platz der Kandidat*innenliste für den Senat verbannt wurde. Bei der Wahl für das Abgeordnetenhaus errang die 35-jährige Johanna Ortega die meisten Stimmen aller linken Kandidat*innen. Sie gehört seit Jahren der sozialdemokratischen Partei Solidarisches Land (Partido País Solidario) an. Martínez und Ortega sind beide anerkannte Feministinnen.
Falschinformation und Hassdiskurse im Vordergrund
Paraguay besitzt wenig schmeichelhafte historische Rekorde: Als Schlusslicht aller lateinamerikanischen Länder führte Paraguay (1961) das Frauenwahlrecht ein. Fast 25 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Und es ist das Land Südamerikas, in dem die Diktatur am längsten währte – 35 Jahre. Zudem dient Paraguay seit einiger Zeit auch als Labor für Diskurse und Aktionen der konservativen Bewegung, die eng mit der Rechten auf dem Kontinent verbunden ist. Ein Beispiel hierfür ist die starke «Lebensrechts»-Bewegung (auch bekannt als Pro-Life-Bewegung), die auch in den politischen Institutionen Rückhalt erfährt. So strich der damalige Bildungsminister Enrique Riera (2017) das Wort «Gender» aus dem Bildungsplan und drohte mit der öffentlichen Verbrennung von Lehrbüchern mit entsprechenden Inhalten.
Das Abtreibungsverbot im Land ist laut Human Rights Watch «drakonisch», eine Abtreibung ist nur dann erlaubt, wenn das Leben der schwangeren Person in Gefahr ist. Durchschnittlich bringen in Paraguay jeden Tag zwei Mädchen im Alter zwischen zehn und 14 Jahren Kinder zur Welt, 80 Prozent des sexuellen Missbrauchs von Kindern geschehen im Familienumfeld. Die Informationen der vergangenen vier Jahre belegen jährlich 36 Feminizide. In mehr als 90 Prozent der Fälle kennen die Täter die ermordeten Frauen vorher, sind häufig Partner oder ehemalige Partner.
In Paraguay gibt es keine Verfahren zur Anerkennung der Geschlechtsidentität. Ebenso wenig gibt es bisher eine nationale Gesetzgebung, die vor Diskriminierung schützt. Seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1989, hat die Zivilgesellschaft 60 als Hassverbrechen eingestufte Morde an trans Personen dokumentiert. Doch brauchte es nochmal 30 Jahre bis 2019 überhaupt ein erstes Urteil aufgrund des Mordes an einer trans Person gesprochen wurde. Bei parteiinternen Debatten im letzten Jahr kam es vermehrt zu Falschinformationen zur Genderdebatte, nachdem der Präsident Cartes nahestehende Flügel sich die selbsternannte «Lebensrechts»-Bewegung gegen eine geplante Bildungsreform der Regierung zu Nutzen machte. Der Vorwurf war, die Reform würde «Genderideologie» beinhalten. In einer öffentlichen Debatte im Kongress über die Bildungsreform wurde – wie das unabhängige Medienportal El Surtidor anhand von 211 Sätzen analysierte – das Narrativ verbreitet, Paraguay sähe sich einem «inneren Feind» gegenüber, der feministisch, menschenrechts- sowie LGBT*IQ-orientiert sei, aus dem Ausland käme und den Interessen einer verborgenen globalen Agenda folge. Diese Kampagne zur Diskreditierung der Bildungsreform fand ein opportunistisches Echo bei Politiker*innen sowie der Medien, die sich im Besitz von Cartes befinden. Daraufhin widerrief die Abgeordnetenkammer eine Finanzierungsvereinbarung zur Bildungsreform mit der Europäischen Union und gefährdete so eine Zuwendung von 38 Millionen Euro.
Leere Wahlkampfdiskussionen
Auch wenn bei jeder Wahl aufs Neue die Zukunft von Frauen, Mädchen und der Geschlechtervielfalt auf dem Spiel steht, so stach der vergangene Wahlkampf auch besonders mit Falschinformation über Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und mit Hassbotschaften gegenüber Kandidatinnen hervor. Hoffnungsvoll stimmende Vorhaben, die zur Ausübung voller Rechte durch die genannten Bevölkerungsgruppen führen könnten, gab es praktisch keine. Die dominanten Kräfte, die um die Präsidentschaft kämpften, zeigten sich während des Wahlkampfes bei entstehenden Debatten über Geschlechtergerechtigkeit wertekonservativ. Die Colorado-Partei hat in ihren Reihen verschiedene Personen, die sich gleichen Rechten für Frauen und LGBT*IQ entgegenstellen. Ihr Einfluss auf den Parteidiskurs der zurückliegenden Jahre ist offenkundig. Der gewählte Präsident Santiago Peña mutierte von seiner 2017 noch als Finanzminister geäußerten Zustimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe im Wahlkampf zu einer Haltung gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe.
Obgleich das Wahlprogramm des Oppositionsbündnisses Nationale Koalition Forderungen nach mehr Geschlechtergerechtigkeit einschloss, versuchte das Bündnis, der Debatte über fundamentale Themen wie dem freiwilligen Schwangerschaftsabbruch auszuweichen. Aber auch die fehlende Positionierung in Sachen Abtreibung konnte nicht verhindern, dass die regierende Colorado-Partei die aussichtsreichsten Oppositionskandidat*innen mit «Genderideologie» und anderen Kampfbegriffen fundamentalistischer Gruppen in Verbindung brachte und sie darüber diskreditierte.
Im März ging das Bild einer Frau durch die Medien, die ihr Kind auf dem Boden eines Krankenhauses gebären musste, da sie nicht ärztlich behandelt wurde. Der Vorfall sorgte für Empörung und brachte die für Frauen besonders prekären Bedingungen im öffentlichen Gesundheitswesen auf den Punkt. Das heruntergewirtschaftete Gesundheitssystem ist das spürbarste Ergebnis von fast 70 Jahren Colorado-Regierungen. Dies führte trotzdem nicht zu einer öffentlichen Diskussion um tragfähige Vorschläge zur Veränderung dieser prekären Lage. Faktisch war es so, dass Themen wie dieses, die die Lebensqualität der Hälfte der Bevölkerung betreffen, im gesamten Wahlkampf keine Aufmerksamkeit erreichten.
Ein anderes dieser Themen war das Versprechen der Kandidat*innen der ANR und der Nationalen Koalition, Kindertagesstätten für arbeitende Mütter anzubieten. Das Medium El Surtidor nahm dieses Versprechen genauer unter die Lupe und fand heraus, dass Krippen für Kleinkinder unter zwei Jahren ein bereits im Arbeitsgesetzbuch vorgesehenes Recht sind. Das Gesetz müsste nur umgesetzt werden. Kandidatinnen der Nationalen Koalition machten einige entsprechende Vorschläge, unter anderem die bereits bestehenden Anstrengungen für ein nationales Sorgesystem zu unterstützen.
Aber keine Idee fand so viel Echo in den Wahlkampfdiskussionen wie der wahnsinnige Vorschlag, eine «natürliche» Geburt (im vermeintlichen Gegensatz zum Kaiserschnitt) sowie das über zwei Jahre lange Stillen von Kindern verpflichtend zu machen. Dies war ein Vorhaben des rechten Präsidentschaftskandidaten Paraguayo Cubas. Eben dieser Ex-Senator, der bei den Wahlen einen Großteil der Anti-ANR-Stimmen auf sich vereinte, schaffte es, Zugang zu Tausenden von Menschen zu finden und die Wut eines breiten Teils der Bevölkerung gegen die herrschende Klasse zu mobilisieren. Im Wesentlichen gelang ihm dies über den digitalen Populismus. Die brasilianische Journalistin Natalia Viana bezeichnet damit eine Art des politischen Vorgehens, in dem die schrillsten Diskurse gehalten werden, um verstärkt in den sozialen Netzwerken wahrgenommen zu werden. Cubas scheint dies perfekt verstanden zu haben, genauso wie die ultra-rechten (Ex-)Präsidenten der Region, Donald Trump, Jair Bolsonaro und Nayib Bukele, um nur einige Namen zu nennen.
Gibt es Hoffnung für die Rechte der Frauen und LGBT*IQ?
Wie die paraguayische Forscherin und feministische Politikerin Lilian Soto hervorhebt, war die politische Organisierung von Frauen und feministischen Akteur*innen entscheidend dafür, dass das Land bei den jetzigen Wahlen im Vergleich zu 2018 neun Frauen mehr in den Kongress gewählt hat. Seit der Schaffung der Gouverneursämter 1994 wurden zudem erstmals zwei Frauen Gouverneurinnen. Und Kattya González, auf Platz 1 der Liste der sozialdemokratischen Partei Nationale Begegnung (Encuentro Nacional), die Teil der Nationalen Koalition war, erhielt die zweitmeisten Stimmen aller weiblichen Kandidatinnen für den Senat.
Innerhalb des progressiven Lagers und der Opposition war die Präsenz und Führungsfähigkeit der Frauen im Wahlkampf offensichtlich. Sie arbeiteten unermüdlich daran, die Opposition zu einen. Diese Frauen verstanden laut Analyse der Journalistin Juliana Quintana eines: Es gibt andere Formen, Politik zu machen, abseits von egoistischen Führungsrollen und dem immer noch in der Linken existierenden Machismus.
Inmitten einer Krise von Falschinformationen und dominiert von einem zutiefst konservativen, korrupten und extraktivistischem Projekt, steht Paraguay vor sehr schwierigen fünf Jahren. Paraguay braucht dringend eine fortschrittliche Bewegung, die der Herausforderung gewachsen ist.
Übersetzung von Gerold Schmidt.