Kommentar | Krieg / Frieden - Afrika - Südliches Afrika - Ukraine-Krieg Eine zwiespältige Initiative

Die «African Peace Initiative» musste scheitern – erfolglos war sie aber nicht unbedingt

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Andreas Bohne,

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa während einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kiew, 16. Juni 2023
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa während einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kiew, 16. Juni 2023 Foto: IMAGO / Avalon.red

Die afrikanische Friedensmission, die Mitte Juni  die Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin besuchte, löste weder Begeisterung bei den Treffen in St. Petersburg und Kiew aus noch hatte sie einen Effekt auf die Kampfhandlungen. Teil der Delegation waren ursprünglich sieben Staatschefs, letztendlich blieben der senegalesische Präsident Macky Sall, der komorische Präsident (und gleichzeitiger Vorsitzende der Afrikanischen Union - AU) Azali Assoumani, der sambische Präsident Hakainde Hichilema und der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa übrig, die anderen drei Länder Ägypten, Kongo und Uganda wurden kurzfristig durch hochrangige Gesandte vertreten. Ramaphosa war das Gesicht und Initiator der Delegation. Laut ihm sei es «an der Zeit, dass Russland und die Ukraine Verhandlungen zur Beendigung des Krieges aufnehmen». Nun könne schnell die Initiative abgehakt werden, denn Selenskyj ließ verlauten, dass Friedensverhandlungen nur mit einem russischen Rückzug beginnen könnten. Und Putin gab an, dass der Plan «schwer zu verwirklichen» sei. Die Rückkehr mit leeren Händen ist also keineswegs überraschend, sondern war erwartbar – schon aufgrund der Vorgeschichte der Initiative und der Positionierung der afrikanischen Länder, aber ebenso weil niemand erwarten kann, dass eine diplomatische Initiative beim ersten Besuch erfolgreich ist.

Widersprüchliche Delegation

Die Delegation bestand aus einer sehr interessanten Mischung von Akteuren, die in den letzten Monaten mehr als widersprüchlich agiert hat. Die südafrikanische Regierung konnte sich zu einer Verurteilung Russlands nie durchringen. Im Gegenteil: Zum Jahrestag der Intervention im Februar 2023 hielt die südafrikanische Marine mit China und Russland ein gemeinsames Militärmanöver ab. Und bereits zuvor – im Dezember 2022 – legte ein russisches Schiff in Südafrika an. Nach Informationen der US-Geheimdienste gilt es als höchst wahrscheinlich, dass das Frachtschiff Lady R in Simon's Town Waffen und Munition für Russland geladen hat. Und auch während der Reise konnten Äußerungen von Ramaphosa dahingehend interpretiert werden, dass russische Sicherheitsinteressen bedroht gewesen wären.

Auch Senegal unter Macky Sall, Uganda unter Yoweri Museveni und die Republik Kongo unter Daniel Sassou Nguesso konnten sich über eine Enthaltung in den Abstimmungen der UN-Vollversammlung nicht hinausbewegen. Sall – damals in seiner Funktion als Vorsitzender der AU – besuchte im Juni 2022 den russischen Präsidenten Putin, konnte sich nur zu wenigen kritischen Worten durchringen und forderte lediglich den Export von Getreide aus der Ukraine, um die ökonomischen Folgen für afrikanische Länder abzumildern.

Die restlichen drei Staaten – Ägypten, Komoren und Sambia – verurteilten 2022 und 2023 den russischen Angriffskrieg. Im Nachgang kann die Nichtbeteiligung des ägyptischen Präsidenten Al-Sisi als unglücklich angesehen werden. Neben Ramaphosa wäre er das zweite diplomatische Schwergewicht in der Reihe der Delegation gewesen und schwankt wie dieser zwischen einer gewissen Russlandnähe bzw. -sympathie und seiner Rolle als US-Verbündeter in Nordafrika.

Die Delegation legte in ihren Statements ihr Hauptaugenmerk – wie zuvor bei Äußerungen afrikanischer Präsidenten – auf die Auswirkungen des Krieges auf den afrikanischen Kontinent, insbesondere die Auswirkungen auf die Preise von Nahrungsmitteln und Dünger. Das mag aus deren Sichtweise verständlich und notwendig sein, die Kriegsgräuel müssen aber auch entsprechend benannt werden, gerade weil die afrikanische Delegation Butscha besuchte und bei ihrer Ankunft mit russischen Raketenangriffen konfrontiert wurde. Erst im Zuge der Gespräche in der Ukraine fanden Fragen der Souveränität von Ländern Eingang in die Statements.

Die Verbindungen zwischen der Ukraine und afrikanischen Staaten sind im Vergleich zu den strategischen Interessen und dem entsprechendem Vorgehen Russlands wenig entwickelt, worin ein Grund für die Positionierung als Enthaltung und Nichteinmischung vieler afrikanischen Länder liegt. Für die Ukraine waren die afrikanischen Staaten maximal ein Abnehmer für Waffen oder Getreide. Dass die Ukraine jedoch auch 250 Soldaten für die UN-Friedensmission MONUSCO in der Demokratischen Republik Kongo stellte, fand bisher wenig Beachtung. Jedoch war das ein Punkt auf den Selenskyj während seiner zehnminütigen Online-Rede vor der AU am 20. Juni 2022 abzielte. Dass er lange auf diese Rede warten musste und nur vier afrikanische Präsidenten teilnahmen, zeigt aber die geringe Bedeutung, die ihm zugemessen wird.

10-Punkte-Friedensinitiative

Die Nachrichtenagentur Reuters hatte vor der Reise berichtet, dass die afrikanischen Regierungen einen Entwurf für ein Rahmenabkommen zur Erreichung des Friedens verfasst hatten. Nur einige Punkte drangen vorab an die Öffentlichkeit. Darin werden mehrere «vertrauensbildende» Maßnahmen genannt, die ergriffen werden sollten, um ein günstiges Umfeld für einen Waffenstillstand zu schaffen. Zu diesen Maßnahmen gehört die Aufforderung an die russischen Truppen, sich «an einen vereinbarten Ort zurückzuziehen, um Verhandlungen zu erleichtern» und Russlands taktische Atomwaffen aus Belarus abzuziehen. Das Hauptproblem des Plans besteht darin, dass er nicht festlegt, wie weit sich die russischen Truppen zurückziehen sollen. Aus ukrainischer Sicht ist der Punkt des unklaren Rückzugsortes nicht akzeptabel, fordern sie den kompletten Abzug russischer Truppen als Voraussetzung für einen Friedensschluss. Auch das Aufheben der Sanktionen gegen Russland find sich in dem Vorschlag.

Südafrika dürfte insbesondere auf den Punkt gedrängt haben, dass der Internationale Strafgerichtshof den im März ausgestellten Haftbefehl gegen Putin aussetzt. Denn Südafrika befindet sich in der Bredouille, schließlich wäre man verpflichtet, Putin bei seiner – noch geplanten – Teilnahme an dem BRICS-Gipfel im August 2023 in Südafrika zu verhaften.

Ein nicht-erfolgreicher Mosaikstein

Die Initiative war nicht erfolgreich; auch wenn Ramaphosa versuchte, die Reise in die Ukraine und nach Russland in ein positives Licht zu rücken, indem er twitterte, dass die «Afrikanische Friedensinitiative wirkungsvoll gewesen sei und ihr letztendlicher Erfolg an dem Ziel gemessen werde, den Krieg zu beenden». Der diplomatische Sprech gehört bekanntlich zum Geschäft. Und eigentlich war die Delegation von Beginn deligitimiert. Teil eines vorbereitenden Zoom-Gespräches – und auch heimlicher Initiator – war Jean-Yves Ollivier, ein Mann mit besten Verbindungen zum Kreml – aber auch zum früheren französischen Präsidenten Chirac. Und als öffentlich wurde, dass bei einem Vorbereitungsgespräch einer der größten Waffenhersteller und -verkäufer in Afrika, Ivor Ichikowitz, teilnahm, konnte von einer «Friedensinitiative» schon kaum mehr gesprochen werden.

Dennoch ist die Initiative dahingehend im jetzigen Moment notwendig, um zumindest Dialog zwischen Akteur*innen aufrechtzuerhalten und zu zeigen, dass eine Vielzahl von Ländern, gerade auch aus dem Globalen Süden, ein Interesse an der Konfliktlösung haben und es sich keineswegs um einen «europäischen Krieg» handelt. Und es ist – trotz aller berechtigten Kritik – die bisher einzige Friedensinitiative, die bei beiden Seiten eine Audienz erhalten hat. Denn es ist klar, dass ein Waffenstillstand kommen wird und muss – und das schon aus dem Grund, dass die meisten Analyst*innen einen Sieg auf dem Schlachtfeld weder für die Ukraine noch für Russland für wahrscheinlich halten und davon auszugehen ist, dass die USA im Zuge der anstehenden Wahlen ihre Unterstützung einschränken werden. Daher müssen diplomatische Bemühungen für die Beendigung des Krieges intensiviert werden.

Denn seit der russischen Aggression liegt ein Bias auf der Berichterstattung. Es wird vor allem auf die USA, Europa oder China geschaut, andere Akteure oftmals nicht beachtet. Sicherlich, die afrikanischen Präsidenten, die Russland und die Ukraine besucht haben, werden die beiden Seiten nicht davon überzeugen, den Krieg zu beenden. Es ist sogar wahrscheinlich, dass keine der beiden Seiten sie ernst genommen hat und dass Putin erneut eine Bühne für seine fadenscheinigen Kriegsgründe offeriert wurde. Das heißt aber nicht, dass sie kein Recht hatten, ihnen zu sagen, wie viel Schaden der Krieg in Afrika anrichtet. Nach der südafrikanischen Außenministerin Naledi Pandor soll es noch eine weitere Reise nach Russland und in die Ukraine geben, dem beide Staaten bereits zu gestimmt haben sollen. Zu wünschen wäre, dass diese Bemühungen ein Mosaikstein sein könnten, um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf dem Verhandlungsweg zu beenden.