Nachricht | Soziale Bewegungen / Organisierung - Geschlechterverhältnisse «Bite back» – für ein gutes Leben für Alle

Warum ein Dossier über linke queere und trans*feministische Perspektiven?

Teaserbild für das Dossier "Bite back" - Queere und trans*feministische Perspektiven
Bild: Tomka Weiß

Nach Jahren des Stillstands bringt die Ampel-Koalition endlich ein Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg, um das bestehende Transsexuellengesetz (TSG) abzuschaffen. Dieses regulierte seit 1980 die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag. In der Praxis wurden trans* Personen dadurch als «Andere» und «Abnormale» markiert. Für die Änderung ihrer Dokumente mussten sie psychiatrische Zwangsgutachten vorlegen und oft mehrere hundert bis tausend Euro aufbringen. Während queere und trans* Selbstorganisationen und Verbände seit Jahren für einen einfacheren Zugang zu diesen Änderungen eintreten, machte eine trans*feindliche Kampagne von unterschiedlichen Akteuren früh gegen den Gesetzesentwurf mobil. An zentralen Punkten ist die Koalition vor diesem rechten Gegenwind eingeknickt. Der Gesetzentwurf bleibt hinter seinen Versprechungen zurück, der von LSBTIQ Initiativen und Verbände kritisiert wird. Zu den Kritikpunkten gehört, dass die Hürden für eine Vornamensänderung von trans* Kindern und Jugendlichen sehr hoch bleiben. Das blendet Forschungen aus, die nicht nur hohe Raten von Depressionen und Suizidversuchen bei trans* Jugendlichen nachweisen, sondern auch zeigen, dass frühe Transitionen und Unterstützung durch Familie und Umfeld Gesundheit und Lebensqualität verbessern. Auch die Reform des Abstammungsrechts, die queeren Eltern und Familien mehr Sicherheit geben sollte, wird von der Ampel verschleppt. Die selbsternannten Fortschritts-Koalition fällt damit hinter die Versprechen von Selbstbestimmung und selbst einer liberalen Politik der Anerkennung von LGBTIQ-Rechten zurück.

Gleichzeitig werden die Grenzen einer solchen Politik immer deutlicher. Die Mehrheit der queeren Menschen in Europa lebt in prekären Verhältnissen. Pandemie, Inflation, zunehmende Gewalt und die Gentrifizierung und Verdrängung (sub)kultureller Räume verschlechtern ihre Lage. Queere Prekarität hat viele Facetten und bleibt zugleich oft unsichtbar: Diskriminierung bei Job- oder Wohnungssuche, in der Schule, am Arbeitsplatz und bei der Gesundheitsversorgung. Erwerbslosigkeit und Altersarmut. Gewalt auf der Straße und Repression gegen Sexarbeiter*innen.

Zugleich werden Prekarität, Rassismus und Klassenunterschiede in queeren Communitys diskutiert und solidarische Politiken entwickelt. Feministische Intersektionalität, schwarze und QBIPOC Selbstorganisierungen, trans* Feminismus und Diskussionen um queeren/trans* Marxismus sind unterschiedliche, sich überschneidende Antworten auf die Grenzen und Widersprüche liberaler LGBTIQ Politiken. Sie können auch als Suchbewegungen einer queerer Klassenpolitik verstanden werden, ohne sich darauf zu begrenzen. Das Dossier «Bite Back - Queer- und Transfeminismen heute» soll einen Beitrag dazu leisten, diese Perspektiven sichtbarer zu machen und das solidarische «Wir» der Linken zu erweitern. In unseren unterschiedlichen Erfahrungen in der Welt eint uns der Wunsch nach einem guten Leben für alle – frei von Gewalt und Ausbeutung!