Nachricht | Partizipation / Bürgerrechte - Migration / Flucht - Einbürgerung Schließt die Teilhabelücke!

Elif Eralp: Zu einem Einwanderungsland gehört auch ein modernes Einbürgerungsrecht

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Elif Eralp,

Elif Eralp in Kreuzberg
«Das Verständnis einer postmigrantischen Gesellschaft sollte von der Gleichberechtigung aller Gesellschaftsmitglieder ausgehen und von dem Ziel geprägt sein, Teilhabe und Chancengleichheit für alle zu gewährleisten.» Juristin Elif Eralp in ihrem Wahlkreis Berlin-Kreuzberg, elif-eralp.de

Die Einbürgerungszahlen hierzulande stagnieren seit Jahren auf geringem Niveau und Deutschland liegt weit unter dem europäischen Durchschnitt, noch hinter Ungarn. Das wird der Realität eines Einwanderungslandes nicht gerecht. Über ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands hat eine Einwanderungsgeschichte, aber über 10 Millionen Menschen sind mangels deutschem Pass von wesentlichen Rechten ausgeschlossen, obwohl die meisten von ihnen bereits seit über zehn Jahren hier leben. Obwohl Menschen mit Migrationsgeschichte dieses Land mit aufgebaut haben, seit vielen Jahren hier leben, hier arbeiten und sich hier engagieren, sind sie immer noch nicht gleichberechtigter Teil der Gesellschaft. Eine Staatsbürgerschaftsreform ist daher dringend notwendig. DIE LINKE unterstützt daher das Reformvorhaben der Bundesregierung, allerdings wird die Chance verpasst endlich die Partizipations- und Demokratielücke zu schließen und wirklich allen Menschen, die langfristig in Deutschland leben, eine Einbürgerung zu ermöglichen.

Elif Eralp ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, Sprecherin für Migration und Partizipation sowie Antidiskriminierung und Mitglied im Fraktionsvorstand der LINKEN Berlin. In ihrem Wahlkreisbüro in Berlin-Kreuzberg bietet sie wöchtentlich eine kostenlose rechtliche Erstberatung zum Aufenthalts- und Antidiskriminierungsrecht an.

Die deutsche Staatsbürgerschaft ist der Türöffner für Teilhabe

Eine Einbürgerung erleichtert das Leben von Menschen ungemein, denn die deutsche Staatsbürgerschaft ist der Türöffner für Teilhabe und eine Reihe von Rechten, wie ein sicheres und dauerhaftes Bleiberecht, das Recht Familienangehörige nachzuholen, die Freizügigkeit in der Europäischen Union, konsularischer Schutz im Ausland und der Zugang zum Beamtenstatus. Einige Grundrechte wie die Berufs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden unmittelbar nur deutschen Staatsbürger*innen per Grundgesetz zugesprochen. Diese entsprechend dem internationalen Standard in Menschenrechte umzuwandeln, hat DIE LINKE schon mehrfach im Bundestag beantragt[1]. Und noch gehört auch das Recht zu wählen und gewählt zu werden als Kernelement politischer Mitbestimmung dazu, auch wenn DIE LINKE sich im Bundestag[2] und in den Länderparlamenten[3] seit vielen Jahren für ein Wahlrecht auf allen Ebenen, unabhängig von der Staatsbürgerschaft, einsetzt.

Den Menschen mit Migrationsgeschichte darf das Recht auf Einbürgerung nicht länger verweigert werden. DIE LINKE fordert deshalb, dass alle Menschen, die seit fünf Jahren in Deutschland leben, einen Anspruch auf Einbürgerung haben, ebenso wie die Kinder von Eltern, die langfristig in Deutschland leben oder hier Geborene – ohne weitere Bedingungen. Denn das Verständnis einer postmigrantischen Gesellschaft sollte eines sein, dass von der Gleichheit der Rechte aller Gesellschaftsmitglieder ausgeht und von dem Ziel Teilhabe und Chancengleichheit für Alle sicherzustellen geprägt ist.

Debatten um Einbürgerung, Flucht und Migration werden vermischt

Aber statt über notwendige Verbesserungen am Ampelentwurf zu diskutieren, schien sich die FDP zwischenzeitlich von ihrem eigenen Vorhaben zu verabschieden und sich dem von CDU und AfD angeführten menschenverachtenden Migrationsdiskurs anzuschließen. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz spricht genauso wie Vertreter*innen der AfD wegen dem Abbau einiger Hürden wie die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit von der «Verramschung der deutschen Staatsbürgerschaft», obwohl jetzt bereits bundesweit durchschnittlich über Zweidrittel der Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrfachstaatlichkeit erfolgen und obwohl der Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums weiterhin zahlreiche Anforderungen an Einbürgerungswillige stellt. Debatten um Einbürgerung, Flucht und Migration werden vermischt und es ist wieder von der «Einwanderung in die Sozialsysteme» die Rede – und zwar durch AfD, CDU und FDP. Diese Debatte erinnert stark an die rassistische Kampagne gegen den Doppelpass, die der hessische CDU-Spitzenkandidat Roland Koch und seine CDU im Hinblick auf damalige Reformpläne der rot-grünen Bundesregierung geführt haben und die zu einer bundesweiten rechten Mobilisierung führte.

Nach dem Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums vom 19. Mai 2023 soll die Mehrstaatlichkeit nunmehr generell hingenommen werden, die nötige Aufenthaltsdauer wird von acht auf fünf Jahre verkürzt und bei sogenannten besonderen Integrationsleistungen auf drei Jahre. Bei in Deutschland geborenen Kindern wird die Voraufenthaltsdauer der Eltern ebenfalls von acht auf fünf Jahre verkürzt. Außerdem werden die Sprachhürden bei der sogenannten Gastarbeiter*innengeneration und bei Vertragsarbeiter*innen der ehemaligen DDR herabgesetzt und auf Einbürgerungstests verzichtet. Allerdings wurden hierbei nicht einmal die Forderungen der Integrationsminister*innen der Länder von der Integrationsministerkonferenz vom 29. April 2021 umgesetzt, die eine Absenkung der Sprachanforderungen für ältere Menschen im Allgemeinen empfahlen.

Einbürgerung darf nicht vom Einkommen abhängen

Mit dem Entwurf werden zwar erhebliche Einbürgerungshürden abgebaut. Allerdings bleibt die Einbürgerung weitgehend vom Einkommen und sozialem Status abhängig. Auch die Einbürgerungsgebühren sind mit 255 Euro je Erwachsenen zu hoch und können bei mehrköpfigen Familien zu einem erheblichen Kostenaufwand führen. DIE LINKE setzt sich daher für den Verzicht von Einkommensvoraussetzungen und erheblich geringere Gebühren ein, damit die Einbürgerung nicht vom Geldbeutel abhängt. Aber gerade bei der Frage der Einkommensvoraussetzungen enthält der Referentenentwurf eine erhebliche Verschärfung gegenüber der aktuellen Rechtslage, von der im Ampelkoalitionsvertrag noch keine Rede war. Statt wie bisher, wo Ausnahmen von der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung für alle Antragsstellenden möglich waren, wenn sie dies nicht zu vertreten hatten, soll die Ausnahme von der Lebensunterhaltssicherung nur noch für wenige Fallkonstellationen greifen: Für sogenannte Gastarbeiter*innen und sogenannte Vertragsarbeiter*innen, für seit mindestens 20 Monaten in Vollzeit Erwerbstätige sowie dessen Ehe- oder Lebenspartner, wenn ein minderjähriges Kind in der familiären Gemeinschaft lebt. Nicht nur wurde hier ganz in neoliberaler Manier der Fokus auf das Einkommen gelegt, sondern offensichtlich auch der Stimmungsmache mit der Erzählung von der vermeintlichen «Einwanderung in die Sozialsysteme» nachgegeben. Diese Verschlechterung wird voraussichtlich vor allem aufstockende Rentner*innen, Menschen mit Behinderungen sowie Alleinerziehende und Personen treffen, die familiäre Betreuungs- und Pflegearbeiten übernehmen und damit überwiegend Frauen. Damit etabliert das Staatsangehörigkeitsrecht an dieser Stelle eine Form der Diskriminierung dieser sowieso schon unter verschiedenen Benachteiligungen und prekären Lebenslagen leidenden Personengruppen, was ganz und gar nicht zum weiterhin von der Bundesregierung formulierten Anspruch eines fortschrittlichen Staatsangehörigkeitsrechts passt.

Ein wesentlichen Hemmnis für den Staatsbürgerschaftserwerb der Kinder Eingewanderter per Geburt ist zudem, dass an der Notwendigkeit eines unbefristeten Aufenthalts der Eltern festgehalten wird. Das kann dazu führen, dass die Herabsenkung der Voraufenthaltsdauer der Eltern von acht auf fünf Jahre teilweise ins Leere läuft, da Menschen, die seit fünf Jahren in Deutschland leben, oft noch keinen unbefristeten Aufenthaltstitel inne haben. Auch der beispielsweise fluchtbedingt nicht mögliche Identitäts- und Staatsangehörigkeitsnachweis der Eltern und ihrer Kinder wirkt sich ungünstig aus, hier sollte zumindest eine Härtefallregelung geschaffen werden, wie es auch die Integrationsminister*innen der Länder per Beschluss bei der Integrationsministerkonferenz vom 26./27. April 2023 gefordert haben.

Einbürgerung darf nicht vom Bildungsgrad abhängen

Außerdem sind Einbürgerungstests, die viele deutsche Staatsangehörige ohne Migrationsgeschichte nicht bestehen würden, und Einbürgerungswillige zurecht als entwürdigend empfinden, generell abzulehnen. Auch hier zeigt sich die Abhängigkeit der Einbürgerungen vom sozialen Status und Bildungsgrad. Gleiches gilt für die sprachlichen Hürden. Während Deutschlands aktuelle Einbürgerungsquote bei 2,45 Prozent liegt, haben europäische Länder wie Schweden und Portugal, die auf Einkommensvoraussetzungen, Einbürgerungstests und Sprachnachweise verzichten, wesentlich höhere Einbürgerungsquoten.

Wie der abverlangte Einbürgerungstest zementiert auch eine weitere Voraussetzung den von Misstrauen geprägten Ansatz gegenüber einbürgerungswilligen Menschen. Derzeit wird noch die «Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse» verlangt und durch diesen unbestimmten Rechtsbegriff der Willkür durch Sachbearbeiter*innen Tor und Tür geöffnet, daher ist die Streichung dieser Anforderung zu begrüßen. Allerdings wird nun stattdessen mit dem Ausschlussgrund für Personen, die «durch ihr Verhalten zeigen, dass sie die im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht akzeptieren» ein ebensolches Einfallstor geschaffen. Statt Misstrauen und Repression führt die Ermöglichung von Teilhabe dabei viel eher zu einer Auffassung von einer Gesellschaft der Gleichberechtigten.

Politische Teilhabe als Recht nicht als Belohnung

Das Verständnis, das einem in Einbürgerungsdebatten immer wieder entgegen schlägt und das sich auch in den verschiedenen erwähnten Hürden in der aktuellen Novelle des Staatsangehörigkeitsrechts wiederfindet, dass die Einbürgerung am Ende eines langen und mühsamen Integrationsprozesses stehen muss, ist weder zeitgemäß noch demokratie- oder teilhabefreundlich. Eine echte Reform im Sinne einer Einwanderungsgesellschaft sollte endlich wegkommen von diesem Ansatz und die Ermöglichung und Werbung für die Einbürgerung in den Vordergrund stellen und die Teilhabe für möglichst viele Menschen bezwecken.

Daher wird sich in linksmitregierten Bundesländern dafür eingesetzt, landesrechtliche Spielräume auszunutzen, um von den bestehenden Ausnahmereglungen Gebrauch zu machen, gerade was die möglichen Ausnahmen bei den Einkommensvoraussetzungen und für Leistungsempfangende betrifft, aber auch im Hinblick auf Sprachhürden und die weiteren Barrieren. Es ist zudem darauf hinzuarbeiten, dass Einbürgerungsämter diskriminierungssensibel aufgestellt werden und proaktiv mit den verschiedenen Communities kommunizieren, wie es im Koalitionsvertrag der rot-grün-roten Regierung in Berlin 2021 verabredet worden war. Durch Digitalisierung und Bürokratieabbau sollten Verfahren zudem beschleunigt werden. In Berlin beispielsweise wird zur Verfahrensbeschleunigung außerdem auf eine Zentralisierung der Einbürgerungen und Konzentration der Kompetenzen unter einem Dach gesetzt. Denn derzeit dauert es bis zu zwei Jahre bis die Einbürgerung erfolgt, je nach dem in welchem Bezirk ein*e Berliner*in lebt, obwohl es sich um Einbürgerungen handelt, auf die ein gesetzlicher Anspruch und kein Ermessen der Behörden besteht. An dem Projekt eines Landeseinbürgerungszentrums hält zwar auch die neue Berliner Landesregierung aus CDU und SPD fest, die Verabredungen zur Ausnutzung von landesrechtlichen Spielräumen bei der Auslegung des Staatsangehörigkeitsrechts im Sinne der Antragstellenden ist allerdings genauso weg gefallen wie die Verabredung proaktiv in Communities zu kommunizieren.

Willkommenkultur, die ihren Namen verdient

Außerdem empfiehlt es sich, die Staatsangehörigkeitsreform mit einer Öffentlichkeitskampagne zu verbinden, die über die neuen – wenn auch verbesserungsbedürftigen – Möglichkeiten und Erleichterungen aufklärt und für Einbürgerungen wirbt. Zudem müssen alle Einbürgerungsbehörden bundesweit entsprechend personell und finanziell ausgestattet sein, um den hoffentlich steigenden Antragszahlen gerecht zu werden. Sie sind zudem durch Schulungen und eine diskriminierungssensible und diversitätsorientierte Organisationsentwicklung neu aufzustellen, damit sich in Behörden eine Willkommenskultur etabliert, Spielräume durch Behördenmitarbeiter*innen im Sinne der Antragstellenden genutzt werden und Einbürgerungswillige gerne zur zuständigen Behörde gehen und dort gute Erfahrungen machen.

Es ist zudem noch zu hoffen, dass nach dem anstehenden Kabinettsbeschluss auf weiteren Druck der Verbände und Zivilgesellschaft und der linken Opposition im parlamentarischen Verfahren im Herbst 2023 noch Verbesserungen bei der Reform möglich werden.

Als LINKE werden wir weiter für den Abbau der Einbürgerungshürden streiten bis wir endlich ein Staatsangehörigkeitsrecht haben, dass wirklich allen Menschen, die langfristig in Deutschland leben oder gar hier geboren sind, die Einbürgerung und damit mehr Teilhabe ermöglicht.


[1] «Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Grundrechte für alle», Bundestagsdrucksache 19/5860.

[2] «Chance der Wahlrechtsänderung nutzen und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer einführen», Bundestagsdrucksache 20/5356.
«Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und zur Einführung eines allgemeinen Wahlrechts für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland (Ausländerwahlrechtsgesetz)», Bundestagsdrucksache 18/3169.

[3] Antrag Berliner Fraktion DIE LINKE (gemeinsam mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen), 20.10.2022: «Bundesratsinitiative zum Wahlrecht auf Landes- und kommunaler Ebene für Drittstaatsangehörige und Unionsbürger*innen», Drucksache 19/0609.
Antrag Berliner Fraktion DIE LINKE (gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen), 17.05.2023: «Bundesratsinitiative zum Wahlrecht auf Landes- und kommunaler Ebene für Drittstaatsangehörige und Unionsbürger*innen», Drucksache 19/0989.
Antrag Thüringer Fraktion DIE LINKE, 11.06.2013: «Wahlrecht für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit», Drucksache 5/6196.
Antrag Hamburger Fraktion DIE LINKE, 26.11.2008: «Kommunales Wahlrecht für alle», Drucksache 19/1640.