Nachricht | Soziale Bewegungen / Organisierung - Parteien / Wahlanalysen - Europa2024 Zwischen Thüringen und der Steiermark

Überlegungen zu den jüngsten Wahlerfolgen der KP Österreichs

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«Revolutionäre Freundlichkeit» bei den österreichischen Kommunisten: Davon sind die deutschen Linken leider meist weit entfernt. (Parteitag der steirischen KPÖ am 21.5.2022 in Graz) CC BY-SA 2.0, Foto: KPÖ Bundespartei via flickr

Am Tag nach der Bundestagswahl 2021, die bekanntlich mit einer heftigen Niederlage der Partei DIE LINKE endete, las ich, dass in der zweitgrößten Stadt Österreichs die Kommunistische Partei die Wahl gewonnen habe. Kommunist*innen? In Österreich? Bis zu diesem Moment hatte ich kaum wahrgenommen, dass die KPÖ überhaupt noch irgendwo Relevanz besaß. Doch die Nachricht von ihrem Wahlsieg in der Steiermark und insbesondere in Graz, wo sie nunmehr mit Elke Kahr die Bürgermeisterin stellte, weckte mein Interesse.

Eine Reise nach Graz

Als sich dann im Frühjahr 2023 die Möglichkeit ergab, an einer Studienreise der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen in die Steiermark teilzunehmen, meldete ich mich sofort an. Wenig später machte sich unsere kleine Thüringer Reisegruppe, die von der Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss geleitet wurde, frühmorgens auf den Weg nach Graz, wo wir nach unserem Eintreffen passenderweise im Restaurant «Peppone», benannt nach dem kommunistischen Bürgermeister aus «Don Camillo und Peppone», bewirtet wurden.

Leon Walter ist Landessprecher der Linksjugend ['solid] Thüringen und Mitglied des Landesvorstandes der Thüringer LINKEN.

Am ersten Tag besuchten wir eine Sitzung des Grazer Gemeinderates. Am Rande der Sitzung führten uns Max Zirngast (Gemeinderat) und Robert Krotzer (Stadtrat für Gesundheit) ins Programm der folgenden Tage ein. Anschließend ging es zu einer Stadtführung. Unser Stadtführer, der kein Mitglied der KPÖ war, versprach uns einen kritischen Blick auf die Partei. Nachdem er uns über die Grazer Geschichte und Gegenwart aufgeklärt hatte, war es so weit: Die KPÖ, erklärte er, mache eher eine konsequente Stellvertreterpolitik und lege weniger Gewicht auf emanzipatorische Selbstorganisation; er müsse aber einräumen, dass das Ganze funktioniere. Wow, dachte ich, wenn das die ganze Kritik eines Bewegungsaktivisten ist, muss es um das Engagement der Partei ja gut bestellt sein!

Am zweiten Tag besuchten wir den Gemeinderatsclub der KPÖ, der für den Austausch der Bürger*innen mit den Lokalpolitiker*innen dient. In einer dreistündigen Diskussion kamen so ziemlich alle Themen auf den Tisch, einschließlich der immer wiederkehrenden Frage, was die österreichischen Erfahrungen denn für Ostdeutschland bedeuten könnten.

Im Anschluss besichtigten wir das sogenannte Volkshaus, die regionale Parteizentrale der KPÖ. Als wir eintrafen, neigte sich der von der Partei ins Leben gerufene, monatliche «Lenny-Markt», auf dem kostengünstiges Futter für Haustiere angeboten wird, gerade dem Ende zu wird. Im Volkshaus zeigte uns Max Zirngast den für Veranstaltungen genutzten großen Saal, die Räume des Bildungsvereins und das kleine Nebengebäude der Kommunistischen Jugend (KJÖ). Auf dem Gelände des Volkshauses finden auch immer wieder von der Partei organisierte Feste statt, die dem direkten Kontakt zwischen Bürger*innen und Politiker*innen dienen und großen Zuspruch finden.

Abends begaben wir uns zum Infocafé «Schwarze Raupe», das von verschiedenen linken Gruppierungen genutzt wird. Dort erwarteten uns bereits zwei Aktivisten, mit denen wir über das Thema Antifaschismus, vor allem über die FPÖ und die AfD, diskutierten. Als wir sie fragten, wie die «(Gr)Antifa» die KPÖ sehe, mussten die beiden lachen. «Als wir eine Gemeindeimmobilie aus Protest gegen die Landesregierung besetzen wollten, hatten wir den Robert [Krotzer] gefragt, ob wir den Schlüssel kriegen, und er hat nein gesagt.» Es zeigte sich, dass selbst Aktivisten, die sich im autonomen Spektrum verorten, ein eher positives Bild von der KPÖ und ihrer Arbeit hatten.

Am dritten und letzten Tag fuhren wir in die steirische Kleinstadt Knittelfeld, um uns ein Bild von der Arbeit der KPÖ in einer eher ländlichen Region der Steiermark zu machen. Am Ende eines kleinen Stadtrundgangs kamen wir zu einer Reihenhaussiedlung, die in den 1920er Jahren durch die Selbstorganisation von Arbeiter*innen entstanden war. Inmitten der Wohnhäuser hat die lokale KPÖ ihren Sitz. Im Sitzungsraum diskutierten wir unter Portraits von Marx, Engels und österreichischen Widerstandskämpfern über die Linke in Österreich und Deutschland. Dabei zeigte sich, dass wir im Grunde viel zu wenig voneinander wissen – und deshalb auch viel zu wenig voneinander lernen (können).

Die nützlichen Roten

In den 90er Jahren entwickelte die damals erfolglose steirische KPÖ unter ihrem damaligen Vorsitzenden Ernest Kaltenegger einen neuen politischen Kurs. Die Ursache des Kurswechsels in der Steiermark lag in der Krise, die die KPÖ nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus erfasst hatte. Im Zuge dieser Krise begannen die Landesverbände, unabhängiger von der Bundespartei zu agieren, die lange Zeit erfolglos versucht hatte, sich als eine postkommunistische Linkspartei (nach dem Modell der PDS in Deutschland und des PDS in Italien) neu aufzustellen. Jetzt wollte man in der Steiermark «eine nützliche Partei für das tägliche Leben – und für die großen Ziele der Arbeiterbewegung». Das bedeutete, eine pragmatische und soziale Politik zu formulieren, die die Menschen dort abholt, wo sie im Leben stehen, ohne das große Ziel einer sozialistischen Gesellschaft aufzugeben.

Im Mittelpunkt der steirischen KPÖ-Politik standen dementsprechend lokale Programme und Kampagnen, die sich vor allem auf das Thema Wohnen und Mieten konzentrierten. Dazu gehörte auch der konkrete Bezug darauf, den Menschen konkret zu helfen, etwa durch eine Beratungshotline für Mietrechtsfragen. Mit diesem Ansatz konnte die Partei in Graz erste Wahlerfolge erzielen, was wiederum dazu führte, dass man wegen des Proporzsystems bei der Ämterverteilung das Wohnungsressort in der Stadtregierung übernehmen und konkrete materielle Verbesserungen durchsetzen konnte.

Ein Beispiel für diese Art des «kreativen Regierens» war die Sanierung von Bädern in Gemeindewohnungen. Und das kam so: Nachdem Graz zur «Europäischen Kulturhauptstadt 2003» gewählt wurde, erhielt es finanzielle Zuschüsse, um sich auf dieses Ereignis vorzubereiten. Die KPÖ fragte daraufhin, was Kultur denn für jene Menschen bedeute, die es sich nicht leisten können, regelmäßig ins Theater oder Museum zu gehen. Auf diese Weise entstanden mehr als 300 «kulturelle Badezimmer» für ebenjene Menschen, an die die konservative Stadtregierung nicht dachte.

Auch jenseits des Rathauses baute sich die KPÖ den Ruf als «Kümmerer» auf. Besonders populär ist der Sozialfonds für Notlagen, der aus Beiträgen der Mandatsträger*innen finanziert wird. Darüber hinaus gibt es beispielsweise verschiedene Sozialberatungen, die bereits erwähnten Aktivitäten rund um das Volkshaus sowie Veranstaltungen des Bildungsvereins. Die politische Strategie beruht also auf der Verbindung sozialer und kultureller Angebote der Partei mit einer effektiven Reformpolitik im Rathaus.

Revolutionäre Freundlichkeit

Der Erfolg dieser Strategie wiederum basiert auf einer hohen Authentizität und Akzeptanz der Akteur*innen. Einen wichtigen Beitrag leistet hier auch die geradezu revolutionäre Freundlichkeit, die man von tendenziell eher griesgrämigen deutschen Linken oft kaum erwarten kann.

Wenn man einen Blick auf die Publikationen, Social-Media-Auftritte oder Websites der Partei wirft, stechen zwei Dinge ins Auge: zum einem die einfach und verständlich dargestellten Erfolge und Projekte, und zum anderen die Telefonnummern der KPÖ-Mandatsträger*innen. Sie signalisieren – im Unterschied zu den regulären Ämtern – Zugänglichkeit, und in der Tat wird das Angebot, sich bei Problemen direkt an den zuständigen Stadtrat oder die Bürgermeisterin zu wenden, von vielen wahrgenommen. Man könne, sagte mir ein Sympathisant der Partei, immer sofort erkennen, wo die KPÖ im Rathaus ihre Büros hat – und zwar nicht, weil davor eine rote Fahne hänge, sondern weil es die einzigen Büros seien, vor denen Menschen Schlange stehen.

Jene, die dem Grazer Modell skeptisch gegenüberstehen, argumentieren, dass der Erfolg auf jahrzehntelanger Aufbauarbeit beruhe und daher nicht auf andere Regionen oder gar Länder übertragbar sei.

Aus meiner Sicht steht diese Haltung allerdings geradezu sinnbildlich für linken Defätismus. Wichtiger noch: Die Argumentation trifft schlicht den Sachverhalt nicht. Denn in nur einer einzigen Legislaturperiode wuchs die «KPÖ Plus» in der Steiermark von 0,4 Prozent auf über elf Prozent – der Erfolg kann also offenbar auch kurzfristiger erzielt werden, als der Verweis auf die lange Aufbauarbeit suggeriert.

Wichtig für diesen Erfolg war nicht zuletzt die Junge Linke, die 2018 als unabhängiger Jugendverband gegründet wurde, nachdem die österreichischen Grünen eine Gruppe junger, engagierter Mitglieder aus ihrer Partei geworfen hatten. Diese Junge Linke brachte frischen Wind in die Parteistrukturen und -aktivitäten; inzwischen ist sie zum offiziellen Jugendverband der KPÖ avanciert.

Zurück zur «Kümmererpartei»?

Thüringen, wo eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter dem einzigen linken Ministerpräsidenten, Bodo Ramelow, amtiert, wird zuweilen mit Graz verglichen. Dabei regen insbesondere ältere Parteimitglieder mitunter ein Revival des PDS-Konzepts der «Kümmererpartei» an.

In der Tat ist der sogenannte Thüringer Weg eine lokale Adaption des Konzepts der Kümmererpartei. Es gibt weiterhin sozialpolitische Beratungsangebote der Partei, beispielsweise zum Wohngeld. Die automatische Diätenerhöhung wird beim Verein «Alternative 54» gesammelt, der das Geld in Form von Spenden an zivilgesellschaftliche Projekte und Vereine verteilt.

Dennoch ist die Akzeptanz der KPÖ in Graz als Kümmerer weit größer als die der Linkspartei in Thüringen. Denn zum einen fehlen hier oftmals niedrigschwellige Angebote, zum anderen ist die Partei auch in Thüringen chronisch überaltert, so dass (zu) viel Arbeit auf den Schultern weniger junger Multifunktionäre liegt. Die Frage ist daher nicht, wie wir «zurück» zur Kümmererpartei kommen, sondern wie wir eine zeitgemäße Partei aufbauen, die sich auf der Höhe der aktuellen politischen Herausforderungen bewegt und Menschen zum Mitmachen anregt.

Leider sind wir auch von der entwaffnenden «revolutionären Freundlichkeit» der KPÖ-Aktivist*innen weit entfernt. Ich nehme mich da gar nicht aus. Dennoch steht die Frage, wie wir dahin kommen, wieder mehr Optimismus und Tatendrang auszustrahlen.

Derzeit können wir in vielen europäischen Staaten einen Niedergang linker Parteiprojekte beobachten, die als breite antineoliberale Bündnisse angelegt sind – so etwa Syriza, Podemos oder auch DIE LINKE (mit der partiellen Ausnahme Frankreichs). Gleichzeitig scheinen Parteien, die marxistisch ausgerichtet sind und realpolitisch agieren – wie die KPÖ und die belgische Partij van de Arbeid (PVDA)/Parti du Travail de Belgique (PTB) – sich im Aufwind zu befinden. Auch wenn es noch zu früh ist, diese Entwicklung zu verallgemeinern, steht m.E. bereits fest, dass es neuer Ansätze bedarf, um die europäische Linke aus dem Tal herauszuführen, in dem sie sich derzeit befindet. Wir brauchen moderne linke Parteien, die strategisch klug agieren, Empathie mit den Menschen aufbringen, ihnen mit Freundlichkeit begegnen und ganz praktisch in ihrer konkreten Lebenswirklichkeit helfen.

Anregungen hierzu lassen sich durchaus in der Arbeit der KPÖ finden. Das solidarische Gegenprojekt aber, das wir gerade in Ostdeutschland, wo die AfD immer stärker wird, so dringend benötigen, müssen wir schon selbst formulieren.