Nachricht | Westafrika Der Wunsch nach Souveränität

Wie der Westen mit seiner Politik zum Putsch in Niger beitrug

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Autorin

Franza Drechsel,

Am 26. Juli 2023 putschte das Militär in Niger, das bis dahin vom Westen als letzter «stabiler Partner» in der Sahel-Zone gesehen wurde. Die gewählten Regierungen unter Mohamed Bazoum (2021-2023) und seinem Vorgänger Mahamadou Issoufou (2011-2021) hatten eng mit dem Westen zusammengearbeitet. Auch wenn der Putsch die allgemeine Unzufriedenheit der Nigrer*innen spiegelt, hat der Westen dazu beitragen.

Franza Drechsel ist Referentin für Westafrika bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Erstens gewährte die Ex-Kolonialmacht Frankreich Niger 1960 die politische Unabhängigkeit nur im Gegenzug zu besonders günstigem Zugriff auf dessen Rohstoffe, vor allem auf Uran im Norden des Landes. Der französische Staatskonzern Orano ist für den Abbau des radioaktiven Rohstoffs für Frankreichs Atomstrom und Nuklearwaffen verantwortlich. Obwohl Niger Anteile der nationalen Abbaugesellschaften hält, verbleibt von den Gewinnen kaum etwas im Land. Zugleich hinterlässt Orano strahlende Landschaften sowie kranke Anwohner*innen und Bergleute, ohne dafür Verantwortung zu übernehmen. Dieses und andere Wirtschaftsabkommen haben zur Folge, dass Niger seit langem eines der ärmsten Länder weltweit ist.

Zweitens hat der NATO-Einsatz in Libyen 2011 Unsicherheit und Migration in der Sahel-Region befördert. Issoufou kam eine Kooperation mit dem Westen bei der Terrorismusbekämpfung gelegen, um das kleine Staatsbudget nicht mit Sicherheitsausgaben zu belasten. Für die Europäische Union (EU) ging die Bekämpfung djihadistischer Gruppen jedoch mit der Unterbindung von Migration einher – in einer Region, die von Migration geprägt und wo Freizügigkeit rechtlich verbrieft ist. Ein 2015 auf Druck der EU eingeführtes Gesetz kriminalisiert Migrant*innen und alle, die ihnen Essen, Schlafplätze oder Transportmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Deutsche Regierungen unterstützten die 2016 geschlossene «EU-Mitgrationspartnerschaft» mit Entwicklungshilfegeldern, die nur wenigen zu Gute kamen, sowie die EU-Ausbildungsmissionen von Militärs und Polizei. Während die Kriminalisierung der Migration dazu führte, dass ein wichtiges ökonomisches Standbein im Transitland Niger zusammenbrach, blieb die militärische Eindämmung des islamistischen Terrorismus erfolglos.

Eine alleinige Schuldzuschreibung an den Westen wäre aber verkürzt. Auch die nigrischen Regierungen tragen Verantwortung für die schlechte wirtschaftliche und sicherheitspolitische Lage. Zudem hatte die Regierungspartei schon unter Issoufou de facto eine Einparteienherrschaft etabliert und Kritiker*innen durch Korruption kooptiert. Der Westen allerdings trug maßgeblich zu Militarisierung und wirtschaftlicher Ausbeutung bei. Das erklärt, weshalb Anti-Frankreich-Diskurse bei Nigrer*innen verfangen. Wenn die Junta die Souveränität Nigers proklamiert, spricht das vielen aus dem Herzen. Doch durch eine Einflussnahme anderer Großmächte wird das Land nicht souveräner.
 

Dieser Text ist zuerst erschienen bei «Südlink» (Ausgabe 205) – dem Nord-Süd-Magazin von INKOTA.