Der Putsch in Niger
Am 26. Juli 2023 putschte die Präsidentengarde den gewählten Präsidenten Nigers Mohamed Bazoum aus dem Amt und hält ihn seitdem gefangen. Der Putsch folgte auf Coups in Mali (2020) und Burkina Faso (2022). Die Westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS verhängte harte Sanktionen, und stellte den nigrischen Putschisten ein Ultimatum, bis zu dem der einstige Präsident Bazoum wiedereingesetzt werden sollte. Andernfalls könnten ECOWAS-Truppen einmarschieren. Nach Verstreichen des Ultimatums sieht es aktuell nicht nach einer Militärintervention aus, doch die Sanktionen haben verheerende sozioökonomische Auswirkungen auf die Nigrer*innen.
Autorin: Franza Drechsel
Auch wenn es gute Gründe gibt, den Putsch zu verurteilen, wird er von einem Großteil der Bevölkerung begrüßt. Durch die Stagnation der letzten Jahr(zehnte), was den geringen Lebensstandard, von dschihadistischen Gruppen verursachte Unsicherheit und fehlende öffentliche Infrastrukturen angeht, hegen viele die Hoffnung, dass die Militärs es besser machen. Mit ihrem Diskurs nationaler Souveränität sprechen sie vielen Nigrer*innen aus dem Herzen, endlich selbst das Schicksal bestimmen zu können und kein Spielball westlicher Mächte, insbesondere Frankreichs zu sein. Die Übergangsregierung sichert sich nicht zuletzt durch ihre anti-französische Haltung Unterstützung.
Dazu kommt, dass die vermeintlich demokratische Regierungszeit seit 2011 weder politisch noch materiell kaum Verbesserungen brachte. Mahamadou Issoufou, Bazoums Vorgänger, wandelte das politische System de facto in eine Einparteienherrschaft um. Die Opposition wurde durch Posten und Geldgeschenke zum Schweigen gebracht. Zivilgesellschaftlichem Protest wurde mit Repression begegnet und die Medien zu großen Teilen staatlich kontrolliert. Nicht zuletzt Partner der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurden immer wieder inhaftiert.
Mit den Strukturanpassungsprogrammen der 1980er und 90er Jahre wurden Staatsunternehmen privatisiert, Subventionen aufgehoben und die Wirtschaft auf den Export ausgerichtet. Staatliche Daseinsvorsorge, also zum Beispiel das Betreiben von Schulen, Krankenhäusern und Bussen ist seitdem kaum vorhanden. Das hat auch der Wechsel zur Demokratie nicht verändert. Niger rangiert seit seiner politischen Unabhängigkeit 1960 immer auf den letzten Plätzen der ärmsten Länder der Welt.
Das liegt auch daran, dass Niger bisher vom Abbau seiner Rohstoffe kaum profitiert hat. Lange Jahre war Uran Exportgut Nummer eins, dann wurde es von Gold und Öl überholt. Der Abbau von Uran im Norden des Landes erfolgte bis 2010 ausschließlich über einen französischen Staatskonzern (heute Orano, früher Areva). Niger musste im Gegenzug zu seiner politischen Unabhängigkeit besonders günstigen Abbaukonditionen für Frankreich zustimmen: Weder zahlte Areva/Orano entsprechende Steuern, noch den eigentlichen Preis für das abgebaute Uran. 2019 hatte nur jede siebte Person in Niger Zugang zu Strom – während das hier abgebaute Uran in Frankreich die AKWs am Laufen hält. Mehrfach haben Präsidenten versucht, die Vertragsbedingungen zu verbessern. Doch hatten französische Regierungen immer wieder ihre Finger im Spiel, wenn es darum ging, Präsidenten zu stürzen oder ins Amt zu setzen, und konnten sich so weiterhin gute Konditionen sichern.
Die Auswirkungen der Klimakrise werden in Niger besonders sichtbar. Zunehmende Wüstenbildung und eine verkürzte Regenzeit verschärfen den Zugang zu Weideland und Wasser. Immer wieder gibt es Konflikte zwischen nomadischen Viehhirt*innen und sesshaften Landwirt*innen. Diese werden zunehmend von dschihadistischen Gruppen instrumentalisiert, die sich für die marginalisierten Viehhirt*innen als Schutzmacht etablieren und von Teilen der Bevölkerung als lokale Ordnungshüter anerkannt werden.
Der «Kampf gegen den Terrorismus» brachte ausländische Militärs ins Land, darunter französische, US-amerikanische, italienische und nicht zuletzt auch deutsche Truppen. Deutschland brachte sich in den letzten Jahren aktiv in EU-Ausbildungsmissionen von Militär und Polizei ein. Diese Missionen waren von Beginn an eng mit dem Ziel, Migration abzuwehren, verknüpft. Migration ist wichtiger Bestandteil westafrikanischer Kultur. Niger ist zudem ein wichtiges Transitland auf dem Weg nach Europa. Letzteres ist der EU ein Dorn im Auge: Im Gegenzug zu hohen Summen an Entwicklungsgeldern, wurde die nigrische Regierung 2015 dazu gebracht, ein Gesetz zu verabschieden und letztlich umzusetzen, was Migrant*innen selbst und alle damit verbundenen Dienstleister*innen kriminalisiert. Das destabilisierte Niger weiter und führte zu weiterer Ablehnung des Westens.
Oftmals wird deshalb gemunkelt, die nigrische Regierung wende sich nun Russland als neuem Partner zu. Afrikanische Länder deshalb einseitig als Spielfeld der Geopolitik zu sehen, ist aber verkürzt: Auch die Machthaber Nigers suchen strategische Allianzen. Inwiefern bald Wagner-Söldner nach Niger kommen, bleibt allerdings abzuwarten; es ist nicht zuletzt unklar, wie viel finanzielle und menschliche Kapazitäten die Wagner-Gruppe neben dem Ukraine-Krieg hat.